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Full text of "Drei deutsche Minoritenprediger aus dem XIII. und XIV. Jahrhunder"

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University  of  Toronto 


http://www.archive.org/details/dreideutschenninoOOfran 


DREI  DEUTSCHE  MINORITENPREDIGER 

AUS  DEM  XIII.  UND  XIV.  JAHRHUNDERT. 


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DREI 


DEUTSCHE  MlNOßlTENPREDIGEß 


AUS  DEM  XIII.  UND  XIY.  JAHRHUNDERT. 


VON 


ADOLPH  FRANZ. 

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FREIBURG  IM  BREISGAU. 
HERDERSCHE    VERLAGSHANDLUNG. 

1907. 

BEELIN,  KARLSRUHE,  MÜNCHEN,  STRASSBURG,  WIEN  UND  ST  LOUIS,  MO. 


ST.,e©«AViINTURE  LIBRARY 
5T.  BONAVENTURE,  N.Y. 


Fnndscana 


Frudsctn  institutf 

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Imprimatur. 

Friburgi  Brisgoviae,  die  16  Octobris  1906. 


4:  Thomas,  Archiepps. 


Alle  Rechte  vorbehalten. 


Buchdruckerei  der  Herd  ersehen  Verlagshandluug  in  Freibürg. 


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OCT  2  ?  1999 


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SEINER  EMINENZ 
DEM  HOCHWÜRDIGSTEN  HERRN 

HERRN  GEORG  KARDINAL  KOPP 

FÜRSTBISCHOF  VON  BRESLAU 

ZUR  FEIER  SEINES 
FÜNFUNDZWANZIGJÄHRIGEN  BISCHOFSJUBILÄUMS 


IN  TREUER  VEREHRUNG 
ZUGEEIGNET. 


Vorwort. 


Die  Geschichte  der  Predigt  im"  deutschen  Mittelalter  hat  in  den 
letzten  beiden  Dezennien  erfreuliche  Bereicherungen  erfahren.  Ich 
erinnere  nur  an  die  verdienstlichen  Bücher  Cruels  und  Linsenmayers 
und  an  die  wertvollen  Arbeiten  Schönbachs.  Des  letzteren  Verdienste 
um  die  Kenntnis  der  mittelalterlichen  Predigt  sind  allgemein  aner- 
kannt. Nichtsdestoweniger  bedarf  die  mittelalterliche  lateinische  Pre- 
digtliteratur Deutschlands  noch  dringend  der  Einzelforschung.  Der 
bei  weitem  größere  Teil  derselben  ruht  noch  ungedruckt  und  meist 
ungekannt  in  den  Bibliotheken.  Haben  doch  selbst  die  lateinischen 
Predigten  des  großen  und  oft  behandelten  Minoritenpredigers  Bertold 
von  Regensburg  bis  jetzt  noch  keinen  Herausgeber  gefunden.  Darum 
ist  es  freudig  zu  begrüßen,  daß  Schönbach  endlich  die  Veröffentlichung 
dieser  Predigten  ankündigt  und  sich  bereit  erklärt,  diese  Ehrenpflicht 
der  deutschen  Nation  gegen  einen  ihrer  bedeutendsten  Söhne  zu  erfüllen. 
Vor,  neben  und  nach  Bertold  haben  auch  andere  tüchtige  Pre- 
diger die  Literatur  bereichert.  Ihre  Arbeiten  sind  meist  unbekannt. 
Es  wäre  eine  schöne  und  dankenswerte  Aufgabe  für  die  deutschen 
und  österreichischen  Theologen,  all  diese  Schätze  zu  heben,  zu  sichten 
und  für  die  geschichtliche  Forschung  bereit  zu  stellen.  Berufen  dazu 
sind  vor  allen  die  Regularen  der  österreichischen  Klöster, 
deren  Bibliotheken  eine  außerordentlich  große  Anzahl  von  handschrift- 
lichen Predigtwerken  enthalten;  nicht  minder  aber  auch  die  bay- 
rischen Theologen,  welchen  in  der  königlichen  Hof-  und  Staats- 
bibliothek zu  München  die  mittelalterliche  Predigtliteratur  der  alten 
bayrischen  Klöster  in  fast  lückenloser  Vollständigkeit  zur  Verfügung 
steht.     Da  liegt  ein  weites  Gebiet  ertragreicher,  freilich  auch  mühe- 


yijl  Vorwort. 

voller  Forschung  vor.  Erst  wenn  diese  geleistet  sein  wird,  wird  man 
eine  vollständige  Geschichte  der  Predigt  im  deutschen  Mittelalter 
schreiben  können. 

Bei  dieser  Sachlage  muß  jeder  auf  Quellenforschung  beruhende 
Beitrag  zur  mittelalterlichen  Predigtgeschichte  willkommen  sein.  Ich 
erhoffe  das  auch  von  meinem  Buche,  welches  einen  Ausschnitt  aus 
der  Predigergeschichte  des  Minoritenordens  bietet.  Es  verdankt  seine 
Entstehung  den  Anregungen,  die  mir  die  ebenso  gründlichen  wie  geist- 
vollen Arbeiten  Schönbachs  gaben,  und  glijcklichen  Zufälligkeiten,  die 
bei  wissenschaftlichen  Studien  auch  eine  Rolle  spielen.  In  einer  hand- 
schriftlichen Predigtsammlung,  welche  Schönbach  behandelt  hat,  finden 
sich  die  Namen  der  von  mir  bearbeiteten  drei  Prediger  als  Quellen 
genannt.  Ihre  Werke  blieben  Schönbach  unbekannt.  Ich  fand  sie 
bei  meinen  Forschungen  über  die  mittelalterliche  Liturgie  und  ent- 
schloß mich,  sie  eingehender  zu  prüfen.  Die  Ergebnisse  dieser  Prü- 
fung lege  ich  nunmehr  in  meinem  Buche  vor. 

Ich  bin  glücklich,  mein  Buch  aus  Anlaß  eines  Freudenfestes  einem 
Kirchen fürsten  widmen  zu  dürfen,  in  welchem  ich  nicht  nur  meinen 
Bischof  verehre,  sondern  auch  den  verständnisvollen  und  opfer- 
willigen Förderer  der  Wissenschaft  dankbar  bewundere.  Es  ist 
hier  nicht  die  Stelle,  die  Verdienste  zu  würdigen,  welche  sich  der 
hohe  Jubilar  in  seinem  fünfundzwanzigjährigen  Wirken  um  Kirche  und 
Staat  erworben  hat  —  das  muß  anderem  Orte  und  späterer  Zeit  vor- 
behalten bleiben,  —  wohl  aber  drängen  mich  Pflichtgefühl  und  Herzens- 
bedürfnis, hier  der  hochherzigen  Förderung  zu  gedenken,  welche  die 
Wissenschaft  durch  den  bischöflichen  Jubilar  gefunden  hat. 

Weder  die  übergroße  Last  des  Hirtenamtes  noch  die  Mühen  und 
Arbeiten,  welche  die  Vertretung  der  kirchlichen  Interessen  innerhalb 
und  außerhalb  der  Grenzen  der  Diözese  auferlegen,  können  den  Kirchen- 
fürsten abhalten,  der  Entwicklung  der  wissenschaftlichen  Literatur 
mit  regster  Aufmerksamkeit  zu  folgen.  Tief  durchdrungen  von  der 
Notwendigkeit  einer  gründlichen  wissenschaftlichen  Bildung  des  Klerus, 
hat  der  Jubilar  seit  seinem  Einzüge  in  die  Kathedrale  von  Breslau 
die  Sorge  für  die  Ausbildung  des  klerikalen  Anwuchses 
als  eine  der  wichtigsten  Pflichten  seines  hohen  Amtes  betrachtet.  Das 
bezeugen  die  Knabenkonvikte  der  Diözese,  das  theologische 
Konvikt,    die  Reform   der  Studien-  und  Prüfungsordnung,   die  per- 


Vorwort.  IX 

sönliche  Teilnahme  an  den  Prüfungen,  die  Gründung  des  Priester- 
seminars in  Weidenau  und  endlich  die  theologische  Fakultät 
in  Breslau,  deren  blühender  Stand  seiner  Fürsorge  und  seinem  Ein- 
flüsse zu  verdanken  ist. 

In  der  Förderung  der  Diözesangeschichte  erblickt  er  ein 
wirksames  Mittel,  den  wissenschaftlichen  Sinn  des  Klerus  zu  beleben. 
Darum  ermöglichte  er  die  Publikation  einer  Reihe  bedeutsamer  ge- 
schichtlicher Werke  und  gründete  das  Diözesan-Archiv  und  das 
Diözesan-Museum.  Seine  freigebige  Hand  reicht  aber  auch  weit  über 
die  Grenzen  der  Diözese  hinaus:  wie  er  zur  Publikation  der  Papst- 
urkunden eine  große  Summe  spendete,  so  ist  es  seiner  hochherzigen 
Opferwilligkeit  zu  verdanken,  daß  Wilpert  sein  herrliches  Kata- 
kombenwerk herausgeben  konnte.  Gelehrte  und  Künstler  verehren 
in  dem  bischöflichen  Jubilar  ihren  Wohltäter  und  Förderer.  Es  ist 
wahrlich  des  Lobes  nicht  zu  viel,  wenn  ich  rühme,  daß  kein  Fürst- 
bischof von  Breslau  der  wissenschaftlichen  Bildung  des  Klerus  und 
der  Wissenschaft  überhaupt  ein  so  reges,  tatkräftiges  und  opferwilliges 
Interesse  entgegengebracht  hat,  als  der  Kirchenfürst,  welcher  gegen- 
wärtig den  altehrwürdigen  bischöflichen  Stuhl  von  Breslau  ziert. 

Darum  darf  die  Wissenschaft  den  festlichen  Tag  nicht  vor- 
übergehen lassen,  ohne  dem  hohen  Jubilar  ihren  ehrfurchtsvollsten 
Dank  zu  Füßen  zu  legen.  Wenn  nun  auch  meine  bescheidene  Fest- 
gabe zunächst  ein  schwacher  Ausdruck  der  innigen  Verehrung  ist, 
welche  mich  mit  meinem  Bischöfe  verbindet,  so  möchte  ich  sie  doch 
zugleich  als  ein  kleines  Zeichen  des  großen  Dankes  angesehen  wissen, 
welchen  die  Wissenschaft  ihrem  hochherzigen  Förderer  schuldet. 

Möge  Gott  den  Kirchenfürsten  seiner  Diözese,  welche  den  Segen 
seiner  treuen  Arbeit  dankerfüllt  empfindet,  und  der  ganzen  Kirche,  in 
deren  Dienste  er  seinen  weisen  Rat  und  seine  kräftige  Tat  gestellt 
hat,  noch  viele  Jahre  erhalten! 

München  im  Dezember  1906. 

Der  Verfasser. 


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Inhalt. 


Vorwort  vii 

Verzeichnis  der  wiederholt  benutzten  Bücher  xin. 

Abkürzungen  zur  Bezeichnung  der  benutzten  Handschriften  xvi. 

Einleitung. 

Die  Büß-  und  Missionspredigt  der  Minoriten  1 — 2.  Übergang  zur  scholastischen 
Predigt  2.  Antonius  von  Padua  3 — 4.  Die  scholastische  Predigt  bekämpft 
von  Roger  Bacon  5. 

I.  Konrad  von  Sachsen. 

Name,  Ordensstellungen,  Tod  9 — 11.  Schriften  Konrads  12.  Die  Sermones  de  tem- 
pore, de  Sanctis  in  den  Handschriften  und  in  Drucken  13 — 14.  Konrads  Stel- 
lung zu  der  theologischen  Lehre  von  der  unbefleckten  Empfängnis  Mariens  14 — 15. 
Zahl  der  Sermones  in  den  Handschriften  und  Drucken  16 — 17.  Einleitende 
Verse  zu  den  Sermones  de  tempore  18.  Perikopenordnung  19.  Die  Sermones 
de  Sanctis  20.  Das  Commune  de  Sanctis  21.  Die  Sermones  ad  religiosos  et 
praelatos  21.  Das  Quadragesimale  21 — 22.  Predigtproben  22 — 24.  Thema- 
tische und  emblematische  Spruchpredigt  25.  Konsonanzen  in  der  Division  des 
Themas  und  deren  Herkunft  26.  Schriftkenntnis  und  patristische  Belesenheit 
27—28.  Schulverse  in  der  Predigt  29  —  31.  Die  Liturgie  in  der  Predigt  32. 
Gleichnisse  aus  der  Natur  33.  Disposition  und  Ausführung  34.  Predigten  für 
Ordensgemeinden  und  Synodalreden  35.  Kampf  gegen  kirchliche  Mißstände : 
Bereicherung  der  Verwandten  aus  Benefizien  —  Pluralität  der  Seelsorgsbene- 
iizien  -  Moralische  Schäden  —  Benelizienjagd  36.  Klösterliche  Armut  37.  Ab- 
laß 38.  Verbreitung  der  Sermones,  die  Sermones  de  tempore  als  Vorlage  vom 
Schwarzwälder  Prediger  benutzt  40 — 46. 

II.  Die  Predigten  des  Frater  Ludovicus. 

Die  beiden  Leipziger  Handschriften  719  und  639  49 — 51.  Benutzung  der  Sermones 
de  tempore  in  CGraec.  730  52.  Andere  Predigten  des  CLP  719.  Abfassungs- 
zeit 53 — 54.  Frater  Ludovicus  ein  deutscher,  vielleicht  sächsischer  Minorit  55. 
Charakter  der  Predigten  56.  Predigtproben  56—57.  Hilfsmittel  58.  Denk- 
verse 59. 


XII  Inhalt. 

1.  Welt    und  Kirche:    Perioden  der  Geschichte  der  Kirche.    Verfall  der  Sitten, 

Deutung  von  Dn  8,  3  ff  und  Apc  6,  3  60 — 61.  Das  Schwert  der  Verfolgung 
und  der  Versuchung  62 — 63.  Mittelalterliche  Geschichtsbetrachtung:  Otto  von 
Freising;  Joachim  von  Fiore;  Bertold  von  Regensburg;  Frater  Ludovicus  64 — 66. 
Die  Bedrängnissfe  der  Kirche  nach  Bertold  und  Frater  Ludovicus  67 — 69. 

2.  Der  Antichrist  und  das  Gericht:  Mittelalterliche  Eschatologie  70.     Ber- 

told über  den  Antichristen  71 — 74.  Arnald  von  Villanova  75.  Frater  Ludo- 
vicus über  den  Antichristen  75 — 80. 

3.  Die  Häresien    und    die    teuflische    Verführung:    Bertold   und  Ludo- 

vicus über  die  Ketzer  80 — 82.  Dämonen  82.  Der  Teufel  als  Spielmann  83 — 85, 
als  Schlange  86. 

4.  Die    einzelnen   Stände   in   der   Predigt:    Soldaten,    Kaufleute,   Bauern, 

Handwerker,  Arme,  Ordensleute  86—90.  Die  Stände  vor  dem  Gerichte  91 — 92 
Ehe  und  Eheleute  93. 

5.  Die  Messe  94—96. 

Bertold  und  Ludovicus  97.  Typologie  98.  Nikolaus  von  Bibra  darüber  98. 
Charakteristik  der  Predigt  über  die  einzelnen  Stände  90 — 103. 

III.  Die  Predigten  des  Greculus. 

Der  Handschriftenbestand  107 — 110.  Name  der  Predigtsammlung  und  des  Ver- 
fassers 111 — 112.  Abfassungszeit  113.  Greculus  ein  deutscher  Minorit  114. 
Die  Sonn-  und  Festtagspredigten  115.  Predigtbeispiele  116—119.  Die  exempla 
in  der  Predigt  120.  Das  Alphabetum  narrationum  121.  Die  exempla  in  Deutsch- 
land 122.  Der  ,Liber  miraculorum'  oder  ,Lacteus  liquor'  123.  Vorschriften 
über  den  Gebrauch  der  exempla  124 — 125. 

Die  exempla  im  Greculus:  A.  Zur  heiligen  Geschichte  126 — 127.  B.  Barm- 
herzigkeit und  Feindesliebe  127 — 128.  C.  Unbarmherzigkeit.  Habsucht.  Wucher 
129.  D.  Sakramentsfrevel  130.  E.  Buße  und  Beicht  131.  F.  Die  heilige  Jung- 
frau 132—133.  G.  Verschiedenes  134—137.  H.  Guter  Tod  137.  I.  Himmels- 
freuden 138.  K.  Der  Teufel  139.  L.  Böser  Tod  140—141.  M.  Die  Hölle 
142 — 144.     Quellen  der  exempla  145. 

Hilfsmittel  des  Greculus:  Der  Physiologus  146;  Frater  Konrad;  Bertold  von 
Regensburg;  Jakobus  de  Voragine;  Peregrinus  147 — 149.  Pseudo- Greculus 
super  epistolas  149 — 150.  Kultur-  und  religionsgeschichtliche  Stücke  aus  den 
Predigten  151 — 156.     Allgemeine  Charakteristik  der  Predigten  157. 

Register   der   zitierten    Handschriften  158. 
Personen-    und    Sachregister  159. 


Verzeichnis  der  wiederholt  benutzten  Bücher. 


Aualecta  Franciscana.     Tom.  I  IL     Quaracchi  1885  ff. 

Baconis  Rogeri  Fr.  Opera  hactenus  inedita.     Londini  1859. 

Bertholds    von   Regensburg   Deutsche   Predigten,    herausg.    von  Pfeiffer 

und  Strobl.     2  Bde.     Wien  1862—1880. 
Bibera  Nicolaus    de,    Carmen  satiricum ,    herausg.    von  Theob.  Fischer  in 

Geschichtsquellen  der  Provinz  Sachsen  1870  I. 
Bonaventurae  Opera  omnia.     Tom.  IX.     Ed.  Quaracchi  1901. 

—  Sermones.     Paris  1521. 

Caesari  Heisterbacensis  Dialogus  miraculorum,  ed.  Strange.  2  tomi. 
Coloniae  1851. 

Chevalier  Ul.,  Repertoire  des  sources  historiques  du  moyen  äge.  Bio-Biblio- 
graphie.    2  tomi.     2.  ed.  1905  ff. 

C  0  p  i  n  g  e  r  W.  A. ,  Supplement  to  Hains  Repertorium  bibliographicum.  2  vols. 
London  1895—1902. 

Crane  Th.  F.,  The  exempla  or  illustrative  stories  from  the  sermones  vulgares  of 
Jacques  de  Vitry.     London  1890.  • 

Cruel  R,  Geschichte  der  deutschen  Predigt  im  Mittelalter.     Detmold  1879. 

Czerny    Albin,   Die    Handschriften   der   Stiftsbibliothek   St  Florian.     Linz  1871. 

Eysengrein  Wilh. ,  Catalogus  testium  veritatis,     Dilingae  1565. 

Fabricius  J.  A.,  Bibliotheca  latina  mediae  et  infimae  latinitatis.  6  tomi.  FIo- 
rentiae  1858. 

—  Codex  apocryphus  Novi  Testament!.     2  tomi.     Hamburgi  1719. 

Felder,    Geschichte  der  wissenschaftlichen  Studien    im  Franziskanerorden  bis  um 

die  Mitte  des  13.  Jahrhunderts.     Freiburg  i.  B.  1904. 
Feret  P.,  La  faculte  de  theologie  de  Paris.   Moyen  äge.   4  vols.   Paris  1894 — 1897. 
Finke  H.,  Aus  den  Tagen  Bonifaz'  VHL     Münster  i.  W.   1902. 
Fournier,  Joachim  de  Flore,  ses  doctrines,  son  influence,  in  , Revue  des  questions 

historiques'  LXVII  (1900). 
Francisci  Sancti  Opera  omnia.     Paris  1641. 

Franz  Ad.,  Die  Messe  im  deutschen  Mittelalter.     Freiburg  i.  B.  1902. 
Gesta  Romanorum,  herausg.  von  Osterle y.     Berlin  1872. 
Grieshaber  F.  K.,  Deutsche  Predigten  des  13.  Jahrhunderts.    2  Abt.     Stuttgart 

1844—1846. 
Grimm  Jak.,  Deutsche  Rechtsaltertümer.     2  Bde.     4.  Aufl.  Leipzig  1899. 


XIV  Verzeichnis  der  wiederholt  benutzten  Bücher. 

Handschriften-Verzeichnis  der  Cistercienserstifte  der  österreichisch-ungarischen  Or- 
densprovinz.    2  Bde.     Wien  1891. 

Histoire  littöraire  de  la  France.     Paris  1865  ff. 

Hübl  A.,  Catalogus  codicum  manu  scriptorum  qui  in  bibliotheca  monasterii  B.  M.  V. 
ad  Scotos  Vindobonae  servantur.     Vindobonae  1899. 

Huck,  Ubertin  von  Casale  und  dessen  Ideenkreis.     Freiburg  i.  B.   1903. 

H  u  r  t  e  r  H, ,  Nomenciator  literarius  recentioris  theologiae  catholicae.  Tom.  IV. 
Oeniponte  1899. 

Jacob,  Die  lateinischen  Reden  des  seligen  Berthold  von  Regensburg.  Regens- 
burg 1880. 

Jacobus  de  Voragine,  Sermones  de  tempore  etc.     Lugduni  1499. 

—  Legenda  aurea.     Ed.  Grässe.     Vratislaviae  1890. 

Joachimi  abbatis  Concordia  veteris  et  novi  testamenti.     Venetiis  1519. 

—  Expositio  in  apocalypsin.     Venetiis  1527. 

Jöcher  Ch.  G. ,  Allgemeines  Gelehrten-Lexikon.  4  Tle  mit  Adelungs  Fort- 
setzung.    Leipzig  1750  ff. 

Johannis  Friburgensis  Summa  Confessoruro.     S.  1.  1467. 

Johannes  Junior,  Scala  coeli.     Lubec.  1476.     (Hain  *9405.) 

Kampers  Franz,  Die  deutsche  Kaiseridee  in  Prophetie  und  Sage.  München 
1896. 

Katalog  der  Handschriften  der  Königl.  Bibliothek  zu  Bamberg.  Bd.  1,  Abt.  1,  4, 
herausg.  von  Fischer.     Bamberg  1904. 

Kaufmann  Alex.,  Cäsarius  von  Heisterbach.     Köln  1862. 

Konrad  von  Megenberg,  Das  Buch  der  Natur ,  herausg.  von  Pfeiffer. 
Stuttgart  1861. 

Laudiert  Fr.,  Geschichte  des  Physiologus.     Straßburg  1889. 

Lecoy  de  la  Marche,  Etienne  de  Bourbon.  Anecdotes  historiques,  legendes  et 
apologues  tires  du  recueil  inedit  d'Etienne  de  Bourbon.     Paris  1877. 

—  La  chaire  fran9aise  au  moyen  äge.     Ed.  2.     Paris  1886. 

L  e  m  p  p  E.,  Antonius  von  Padua,  in  der  Zeitschrift  für  Kirchengeschichte  XI — XIII 

(1890—1892). 
Lex  er,  Mittelhochdeutsches  Handwörterbuch,     Leipzig  1872 — 1878. 
Linsenmayer  G.,    Geschichte    der  Predigt   in  Deutschland   von  Karl  d.  Gr.  bis 

zum  Ausgang  des  14.  Jahrhunderts.     München  1886. 
Michael  E.  S.  J.,  Geschichte  des  deutschen  Volkes  vom  13.  Jahrhundert  bis  zum 

Ausgang  des  Mittelalters.     4  Bde.     Freiburg  i.  B.  1897—1906. 
Meister  A. ,    Fragmente  der  ,libri  8  miraculorum'  des  Cäsarius   von  Heisterbach. 

Rom.  1901   (Rom.  Quartalschrift,  13.  Supplementheft). 
Mussafia  A. ,   Studien   zu  den  mittelalterlichen  Marienlegenden.     5  Hfte.     Wien 

1887—1891. 
Norden  E.,  Die  antike  Kunstprosa.     2  Bde.     Leipzig  1898. 
Peregrini,  Sermones  de  tempore  et  de  Sanctis.     S.  1.   1493. 
Peters  E. ,    Der  griechische  Physiologus   und  seine  orientalischen  Übersetzungen. 

Berlin  1889. 
Petrus  de  Alva,   Militia   immaculatae    conceptionis  Virginis  Mariae  contra  ma- 

litiam  originalis  infectionis  peccati.     Lovanii  1663. 

—  Plinii  Secundi  Naturalis  historia  rec.  Detlefsen.     2  voll.     Berolini  1866. 
Potthast  Aug.,  Regesta  Pontificum.     3  tomi.     Berolini  1875  f. 


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Verzeichnis  der  wiederholt  benutzten  Bücher.  XV 

Rudolfius  Petrus,  Historiarum  Seraphicae  religionis  libri  3.    Venetiis  1586. 
Salimbene  Adam  de,   Fr.  Parraensis  Ordinis  Minorum  chronica,    ed.  Bertani 

in  ,Monuraenta   historica  ad  provincias  Parmensem    et  Placentinam'.     Tom.  IL 

Parmae  1857. 
Sbaralea,  Bullarium  Franciscanum.     Romae  1759  ff. 

—  Supplementum  ad  scriptores  trium  ordinum  s.  Francisci  a  Waddingo  descriptos. 

2  tomi.     Romae  1806. 
Schade  0.,  Altdeutsches  Wörterbuch.     2  Bde.     2.  Aufl.  Halle  a.  S.  1872  1882. 
Schmeller  J.  A.,   Bayerisches  Wörterbuch,   bearbeitet  von  Karl  Frommann. 

2  Bde.     München  1872  1877. 
Schmidlin  Jos.,  Die  Eschatologie  Ottos  von  Freising.     Innsbruck  1905. 

—  Die   geschichtsphilosophische    und   kirchenpolitische  Weltanschauung  Ottos   von 

Freising.     Freiburg  i.  B.   1906. 
Schönbach  A.  E.,  Altdeutsche  Predigten.     3  Bde.     Graz  1886—1891. 

—  Über  eine  Grazer  Handschrift  lateinisch-deutscher  Predigten.     Graz  1890. 

—  Die  Reuner  Relationen.     Wien  1898. 

—  Miszellen  aus  Grazer  Handschriften,  zweite  Reihe  in  den  Mitteilungen  des  histo- 

rischen Vereins  für  Steiermark  XLVII  (1899). 

—  Zeugnisse  Bertholds  von  Regensburg  zur  Volkskunde.     Wien  1900. 

—  Über  Cäsarius  von  Heisterbach.     I.     Wien  1903. 

—  Das  Wirken  Bertholds  gegen  die  Ketzer.     Wien  1904. 

—  Die  Überlieferung  der  Werke  Bertholds  von  Regensburg.    I  IL    Wien  1905  1906. 
Schott,  Die  Gedanken  des  Abtes  Joachim  von  Floris,  in  der  Zeitschr.  für  Kirchen- 
geschichte XXIII  (1902), 

Scriptores  rerum  Britanicarum.     Londini  1858  ff. 
Speculum  exemplorum.     Hagenau  1507. 

—  magnum  exemplorum  ed.  Johannes  Mayor.     Coloniae  Agrippinae  1672. 
Thomae  Cantimpratani    Bonum  universale  de  apibus.     Duaci  1627. 
Trithemius  Joh. ,  De  scriptoribus  ecclesiasticis.     Dilingae  1565. 
Turrecremata  Johannes  de,    Tractatus    de  veritate  conceptionis  beatissimae 

Virginis  pro  facienda  relatione  coram  patribus  concilii  Basileae  a.  Domini  1437 

mense  lulio.     Oxonii  et  Londini  1869. 
Vincentii  Bellovacensis    Speculum   naturale,    doctrinale,    morale,    historiale. 

4  tomi.     Duaci  1624. 
Wadding,  Annales  Minorum.     Romae  1733. 

—  Scriptores  ordinis  Minorum.     Romae  1650. 


Abkürzungen 
zur  Bezeichnung  der  benutzten  Handschriften. 


CBg. 
CFl 

CGraec. 

CLb 

CLinc. 

Clm 

CLP. 

CPlg. 

CPrag. 
CSPH 

CVP. 
CVScot. 


Codex  Bambergensis :  Königl.  Bibliothek  in  Bamberg. 

„  Florianus :  Bibliothek  des  Chorherrenstiftes  St  Florian ,  Ober- 
österreich. 

„       Graecensis:  Universitätsbibliothek  in  Graz. 

„       Lambacensis :  Bibliothek  des  Benediktinerstiftes  Lambach. 

„       Linciensis :  Kaiserl.  u.  königl.  Studienbibliothek  in  Linz  a    D. 

„       lat.  Monacensis :  Königl.  Staatsbibliothek  in  München. 

„       Lipsiensis  Paulinus :  Universitätsbibliothek  in  Leipzig. 

„  Plagensis:  Bibliothek  des  Prämonstratenserstiftes  Schlägl,  Ober- 
österreich. 

„       Pragensis:  Universitätsbibliothek  in  Prag. 

„  Sancti  Pauli  Hospitalis :  Bibliothek  des  Benediktinerstiftes  St  Paul 
in  Kärnten,  aus  Spital  am  Pyhrn  stammend. 

„       Vindobonensis  Palatinus:  Kaiserl.  u.  königl.  Hofbibliothek  in  Wien. 

„  Codex  Vindobonensis  Scotorum :  Bibliothek  des  Schottenstiftes 
in  Wien. 


Einleitung. 


Der  Orden  der  Minoriten  sollte  nach  dem  Willen  seines  Stifters,  des 
hl.  Franz  von  Assisi,  beschauliches  Leben  und  praktisches  Wirken 
miteinander  verbinden.  Die  Sicherung  des  eigenen  Seelenheiles  und 
die  Rettung  der  Seelen  der  Mitmenschen  war  seine  Aufgabe.  Nach 
dem  Beispiele  des  Heiligen  mahnten  darum  seine  Jünger  das  Volk  in 
Stadt  und  Land  zur  Buße  und  zur  Nachfolge  Christi.  Diese  Buß- 
predigt war  die  erste  Form  der  Predigt  der  Minderbrüder.  Dazu 
bedurften  die  Brüder,  nachdem  Papst  Innozenz  IIL  das  Werk  des  Hei- 
ligen gebilligt  und  gesegnet  hatte,  keiner  besondern  Legitimation. 

Die  kunstlose  Predigt  der  Minderbrüder  machte  den  tiefsten  Ein- 
druck auf  das  Volk.  Das  Beispiel  der  Entsagung  und  Weltverachtung 
und  die  aus  der  Tiefe  religiöser  Überzeugung  und  eigener  Herzens- 
erfahrung strömenden  Bußreden  rissen  das  Volk  hin  und  sicherten  der 
Predigt  bleibende  Erfolge.  Dieser  Bußpredigt  verdankte  der  junge 
Orden  seine  überraschend  schnelle  Ausbreitung.  Tausende  von  Laien 
und  Klerikern  verließen  die  Welt,  um  sich  den  armen  Brüdern  des 
hl.  Franziskus  anzuschließen. 

Je  größer  die  Zahl  der  Brüder  aus  allen  Ständen  wurde,  um  so 
bedenklicher  mußte  es  erscheinen,  die  Büß-  und  Wanderpredigt  allen 
ohne  Ausnahme  zu  gestatten.  Es  stellte  sich  vielmehr  als  notwendig 
heraus,  die  Befugnis  zu  predigen  von  der  Erlaubnis  der  Oberen  ab- 
hängig zu  machen.  Überdies  erfolgte  durch  die  große  Zahl  von  Geist- 
lichen, die  sich  dem  Orden  anschlössen,  allmählich  die  Umwandlung 
der  Bußexhorte  in  die  eigentliche  Predigt,  die  freilich  auch  noch 
lange  gemäß  der  Ordenstradition  den  Charakter  der  Bußpredigt  bei- 
behielt.    Mit  dem  Jahre  1223,    in   welchem   Papst  Honorius  HI.   die 

Franz,  Drei  deutsche  Minoritenprediger.  1 


2  Einleitung. 

umgearbeitete  Regel  bestätigte,  war  dieser  Prozeß  zu  Ende  gelangt: 
die  allen  gestattete  Wanderpredigt  war  beseitigt;  die  Predigt  ist 
fortan  nur  auf  Grund  der  Genehmigung  der  Oberen  gestattete 

Wenn  auch  die  Minoritenpredigt  nach  dem  Ausschluß  der  Laien- 
brüder noch  lange  vorwiegend  als  Bußpredigt  erscheint,  so  mußte  sie 
doch  nach  und  nach  die  Form  des  schulgemäßen  Kanzelvor- 
trages annehmen.  Die  Ordensgeistlichen,  welche  das  Predigtamt  aus- 
übten, waren  entweder  schon  dafür  vorgebildet  oder  fügten  sich  der 
herrschenden  Predigtmethode.  Gerade  damals  fand  aber  der  Übergang 
der  alten  homiletischen  Predigtweise  in  die  scholastische 
statt.  Daß  die  letztere  so  rasch  die  alleinherrschende  wurde,  ist 
wesentlich  dem  Einflüsse  der  beiden  Orden  des  hl.  Dominikus  und  des 
hl.  Franziskus  zuzuschreiben,  die  in  Bälde  die  Haupt  Vertreter  in  die 
Reihen  der  scholastischen  Theologen  der  Pariser  Universität  stellten 
und  der  Entwicklung  der  theologischen  Wissenschaft  für  Jahrhunderte 
die  Bahnen  wiesen. 

Diese  neue  Predigtform  setzte  aber  theologische  Ausbildung  voraus 
und  zwang  zur  Bestellung  theologischer  Lehrer,  zur  Einrichtung 
des  Lektorates  im  Orden.  Dem  ersten  Ordenslektor,  dem 
hl.  Antonius  von  Padua,  der  des  Lektorates  vom  Jahre  1223 
ab  in  Bologna  waltete,  folgten  bald  in  andern  Ordenshäusern  —  in 
Deutschland  zu  Straßburg,  Magdeburg,  Hildesheim  —  Lektoren,  deren 
Aufgabe  in  der  Einführung  der  jungen,  befähigteren  Brüder  in  die 
Theologie  und  in  deren  Schulung  für  das  Predigtamt  bestand  2,  Um 
die  Mitte  des  13.  Jahrhunderts  finden  wir  das  Ordenslektorat  schon 
in  Blüte  und  die  Predigtweise  der  Brüder  schon  völlig  von  der  scho- 
lastischen Methode  beherrscht. 

Die  Predigt  der  Minoriten  der  älteren  Zeit  war  M  i  s  s  i  0  n  s- 
predigt.  Durch  diese  Missionspredigt  hatte  der  hl.  Antonius  von 
Padua  in  den  Städten  Frankreichs  und  Italiens,  insbesondere  in  Padua, 


^  Vgl.  Felder  2 — 11  32 — 57;  derselbe  nimmt  an,  daß  schon  in  den  ersten 
Jahren  des  Ordens  eine  doppelte  Predigt  bestand,  die  Wander  predigt  und  die 
kirchlich  genehmigte  eigentliche  Predigt.  Dagegen  hält  F.  X.  Sap- 
pelt (Wissenschaft  und  Franziskanerorden,  ihr  Verhältnis  im  ersten  Jahrzehnt  des 
letzteren,  in  Sdraleks  Kirchengeschichtlichen  Abhandlungen  IV  149 — 179)  diese 
These  für  unbegründet  und  den  Quellen  nicht  entsprechend.  Wir  können  die 
Kontroverse,    in  welcher  wir  auf  Sappelts  Seite  stehen,    hier  nicht  näher  darlegen, 

''  Vgl.  Felder  135  ff  358  ff. 


Die  Missionspredigt.     Lektorat.     Antonius  von  Padua.  3 

wunderbare  Erfolge  erzielt  und  einige  Jahrzehnte  später  Bertold 
von  Regensburg  das  deutsche  Volk  zu  neuem  religiösen  Leben 
erweckt.  Die  Predigten,  welche  unter  dem  Namen  des  hl.  Antonius 
gedruckt  vorliegen  ^,  lassen  freilich  weder  seine  hinreißende  Bered- 
samkeit noch  seine  widerspruchslos  bezeugten  Erfolge  ahnen.  Es  sind 
nur  mangelhafte  Nachschriften  und  lückenhafte  Entwürfe  2;  indessen 
bilden  sie  immerhin  eine  beachtenswerte  Quelle  für  die  Geschichte  der 
Predigt  im  Minoritenorden. 

In  dem  Sermo  4  de  Apostolis  redet  der  Heilige  ausführlich  über 
den  Stand  der  ,praedicatores'.  Er  findet  denselben  vorgebildet  in  den 
Brüdern  Josephs,  die  der  alte  Vater  Jakob  nach  Ägypten  sandte  (Gn  42). 
Nicht  alle  Brüder  werden  gesandt;  Benjamin  bleibt  zurück,  ,ne  forte 
in  itinere  accidat  illi  aliquid  mali'.  Benjamin  versinnbildet  die  ,novitii 
et  contemplativi  et  qui  non  sunt  idonei  ad  praedicandum*.  Diese  haben 
die  Pflicht,  für  die  zum  Predigtamt  ausziehenden  Brüder  zu  beten. 
Die  Brüder  aber,  welche  nach  Ägypten  ziehen,  sind  die  Prediger. 
Die  Brüder  Josephs  kommen  nicht  ohne  Geld;  für  die  Prediger  be- 
zeichnet das  die  fünf  Talente  (Mt  25,  15);  diese  sind:  ein  frommes 
Leben,  ausreichende  Kenntnisse,  Beredsamkeit,  reifes  Alter,  körper- 
liche Rüstigkeit^.  Joseph  läßt  seinen  heimziehenden  Brüdern  das 
Geld  in  die  Getreidesäcke  zurücklegen.  Das  zeigt  an,  wie  Gott  die 
in  der  Predigt  verausgabten  Kenntnisse  vermehrt.  Darum  sei  es 
auch  erlaubt ,  dieselbe  Predigt ,  die  bereits  Früchte  getragen, 
anderwärts  nochmals  zu  halten.  Das  sollen  diejenigen  bedenken, 
welche  immer  neue  Predigten  halten  wollen*.  Der  zurückbehaltene 
Rüben  bezeichnet  die  fleischlich  gesinnten  Prediger,  die  sich  mit  welt- 
lichem Leben  beflecken  und-  an  Schmeicheleien  Freude  haben.  Ernst- 
lich tadelt   er  die  Prediger,    die   sich   in  das  Predigtamt  eindrängen, 

*  Die  Predigten  des  hl.  Antonius  stehen  in  Opera  s.  Francisci,  Paris  1641, 
97 — 463.  Von  der  neuen  von  Locatelli  besorgten  Ausgabe  der  ,Sermones  sancti 
Antonii'  (Pataviae  1895  ff)  liegen  erst  zwei  Faszikel  vor. 

2  Über  die  überlieferten  Predigten  des  hl.  Antonius  vgl.  Lempp  in  der  Zeitschr. 
f.  Kirchengesch.  XIII  29  ff. 

3  Francisci  Opera  423  424.  ,Per  fratres  missos  significantur  idonei  ad  praedi- 
candum,  qui  debent  descendere  in  Aegyptum,  sed  non  sine  pecunia,  quae  signi- 
ficatur  per  quinque  talenta,  quae  servo  negotiatori  commisit  Dominus,  quae  sunt: 
religiosa  vita,  sufficiens  scientia,  sermonis  eloquentia,  aetas  matura,  fortitudo 
corporis.  .  .  .' 

*  Ebd. 

1* 


4  Einleitung. 

die  nur  an  Orten  predigen  wollen,  wo  man  sie  kennt,  die  nach  Menschen- 
lob verlangend  Ein  hohes  Ideal  hält  der  Heilige  dem  Minoriten- 
prediger  vor  die  Augen.  Ausgestattet  mit  der  notwendigen  Wissen- 
schaft, ausgezeichnet  durch  frommen  Wandel,  ein  Vorbild  i;i  Wort 
und  Werk,  soll  der  Prediger  hingehen,  wohin  immer  er  gesandt  wird  2. 
Seine  Predigt  soll  aus  dem  Worte  Gottes  kommen,  nicht  mit  Fabeln 
verunstaltet  sein  ^.  Sie  soll  Demut  atmen ;  er  soll  nicht  von  der  Er- 
habenheit seines  Ordens,  nicht  von  der  Menge  der  Brüder  reden  und 
nicht  deren  Vollkommenheit,  Wissenschaft  und  hohe  Abkunft  rühmen  *. 
Er  soll  sich  frei  halten  von  jeder  Ruhmsucht,  einzig  bestrebt,  das 
Heil  der  Seelen  zu  fördern.  Darum  muß  er  eifrig  im  Beicht- 
hören sein;  denn  wenn  die  Predigt  Früchte  bringt,  so  heimst 
das  Beichthören  die  Früchte  ein^. 

Darf  man  aus  den  gedruckten  Predigten  einen  Schluß  auf  die 
Predigtweise  des  großen  Wundertäters  von  Padua  ziehen,  so  läßt  sich 
aus  denselben  die  Verbindung  der  älteren  homiletischen  mit 
der  neueren  scholastischen  Predigtform  feststellen.  Wir 
finden  unter  den  Predigten  fortlaufende  einfache  Schrifterklärungen '^, 
Homilien  mit  scholastischen  Divisionen  ^,  Sermone,  die  ganz  das  Ge- 
präge der  scholastischen  Predigt  tragen^.  In  den  Divisionen  findet 
sich  bereits  oft  die  Konsonanz  der  Glieder  ^  die  später  als  allgemeine 
üegel  galt,  aber  auch  hart  angefochten  wurde. 


^  Francisci  Opera  424  ^  j^j^^j 

^  Sermo  2  de  Apostolis  421 :  ,Item  sonus  campanae  dum  de  aquis  resultat 
dulcior  efficitur,  sie  cum  de  aquis  sacrae  scripturae  praedicatio  accipitur,  non  de 
fabulis,  dulcis  est  in  auribus  dei.  .  .  .  Quia  praedicatio  virtuosa  est  et  magnifica, 
quae  de  aquis  sacrae  scripturae  elicitur.'  Der  Vergleich  des  Predigers  mit  der  Glocke 
wird  noch  vielseitig  ausgeführt. 

*  Sermo  4  de  Apostolis  424 :  ,In  quo  superbia  quorundani  fratrum  redarguitur, 
qui  coram  saecularibus  de  ordiois  dignitate,  de  fratrum  multitudine,  perfectione, 
scientia  et  nobilitate  se  iactant  et  sie  a  spirituali  fructu  retrahuntur.' 

*  Ebd. :  ,Fructum  facit  qui  praedicando  movet  cor  populi,  sed  fructum  aifert 
qui  post  praedicationem  ad  audiendas  confessiones  libenter  sedet.  .  .  .  Praedicare 
est  Seminare,  sed  confessiones  audire  est  fructum  metere.' 

«  Francisci  Opera  105  122.  ''  Ebd.    107  111   133  u.  a. 

8  Ebd.   157  281  u.  a. 

"  Ebd.  137:  ,Gratia  divina  tria  habet  facere  in  anima:  culpam  expiare,  vitam 
venovare,  raentem  confinnare.'  173:  ,Gratia  divina  quemque  facit  hominem  regnare 
et  vitiis  dominari  et  [in]  regnum  dei  vocare,  quia:  impenditur  gratiose,  ostenditur 
operose,  colligitur  fructuose.'     Vgl.  noch  98  107  219  u.  a. 


Antonius  von  Padua.     Scholastische  Predigtform.  5 

Unter  dem  Einflüsse  der  scholastischen  Theologie  war  nämlich  in 
kurzer  Zeit  eine  völlige  Veränderung  der  Predigtweise  eingetreten  ^ 
Die  einfache  Homilie  verschwand  immer  mehr;  an  deren  Stelle  trat 
die  scholastische  Behandlung  eines  Predigtthemas,  welches  mit  der 
Perikope  in  irgend  einer  Verbindung  stand  oder  in  irgend  eine  Ver- 
bindung künstlich  gebracht  wurde.  Das  Thema  selbst  wurde  in  Divi- 
sionen und  Subdivisionen  mit  vielem  Aufwand  von  Schrift-  und  pro- 
faner Gelehrsamkeit  behandelt.  Man  fühlte  wohl,  daß  diese  Methode 
einen  Bruch  mit  der  Vergangenheit  bedeute ;  indessen  tröstete  man 
sich  mit  dem  Gedanken,  daß  die  neue  Zeit  neue  Wege  weise  2. 

Die  scholastische  Methode  wurde  bald  die  herrschende ;  die  Oppo- 
sition gegen  die  neue  Richtung  war  nur  vereinzelt  und  ohnmächtig. 
Am  schärfsten  bekämpfte  der  englische  Minorit  Roger  Bacon  (f  1294) 
die  spitzfindigen  Scholastiker  auf  der  Kanzel.  ,Der  Zweck  der  Predigt 
ist',  schreibt  er,  ,die  Bekehrung  der  Ungläubigen  zum  Glauben  und 
die  Befestigung  der  Gläubigen  im  Glauben  und  in  dem  sittlichen  Leben.' 
,Sed  quia  utrumque  modum',  fährt  er  fort,  ,vulgus  (praedicatorum) 
ignorat,  ideo  convertit  se  ad  summam  et  infinitam  curiositatem,  scilicet 
per  divisiones  Porphyrianas  et  per  consonantias  ineptas  verborum 
et  clausularum  et  per  concordantias  vocales,  in  quibus  est  sola  vanitas 
verbosa  omni  carens  ornatu  rhetorico  et  virtute  persuadendi.' ^  Die 
Klagen  des  mit  dem  ganzen  theologischen  Schulwesen  unzufriedenen 
scharfen  Kritikers  sind  in  ihrer  Allgemeinheit  sicherlich  übertrieben. 
Es  gab  immer  noch  Prediger  aus  der  neuen  Schule,  die  trotz  des 
scholastischen  Gewandes  einen  großen  Einfluß  auf  das  Volk  ausübten. 
Für  Frankreich  hat  das  Lecoy^  festgestellt,  für  Deutschland 
bietet  der  große  Regensburger  Prediger  Frater  Bertold  einen  un- 
widerleglichen Beweis  gegen  die  pessimistischen  Anschauungen  des 
englischen  Kritikers  s.     Auch   die   nachfolgenden  Blätter  werden  dar- 


'  Vgl.  Cruel  279  jBf;  Linsenmayer  369  ff ;  Felder  353  ff. 

2  Vgl.  die  Bemerkungen  eines  Traktates  über  die  Predigt  in  Opera  s.  Bona- 
venturae  IX,  introductio  6. 

2  Opus  tertium  in  Fr.  Rogeri  Bacon  Opera  inedita  I  304  und  die  gleiche 
Klage  I  309.     Siehe  auch  F  e  1  d  e  r  354  ff. 

*  La  chaire  fran9aise  au  moyen  äge  140  ff. 

^  über  die  Predigt  in  Deutschland  im  13.  Jahrhundert  vgl.  Linsenmayer 
317  ff,  Cruel  279  ff  und  Michael  99  ff. 


6  Einleitung. 

tun,  daß  trotz  der  neuen  Form  der  Predigt  deutsche  Minoriten  es 
verstanden,  dem  Volke  die  Heilswahrheiten  wirkungsvoll  nahe  zu 
bringen. 

Die  drei  Prediger,  welche  wir  vorführen  werden,  gehören  dem 
ersten  Jahrhundert  des  Minoritenordens  an;  der  erste  der  Mitte, 
der  zweite  dem  Ende  des  13.  und  der  dritte  dem  Beginne  des  14.  Jahr- 
hunderts. In  ihren  Predigten  wird  sich  ein  lehrreiches  Stück  aus 
der  Geschichte  der  Predigt  der  Minoriten  in  Deutschland  vor  unsern 
Blicken  auftun.  Wir  werden  diese  Predigt  in  ihrem  Aufsteigen  und 
in  dem  Beginne  des  Verfalles  verfolgen  können. 


^ 


I. 
Frater  Konrad  von  Sachsen. 


Zu  den  ältesten  deutschen  Minoriten,  welche  die  Predigtliteratur  be- 
reichert haben,  gehört  der  Frater  Conradus  de  Saxonia.  Seine 
Predigten  standen  im  14.  und  15.  Jahrhundert  in  Deutschland  in 
großem  Ansehen  und  wurden  fleißig  abgeschrieben  und  benutzt.  Trotz- 
dem schweigt  der  belesene  Trithemius  in  seinem  Buche  ,De  scriptoribus 
ecclesiasticis'  von  dem  Verfasser  derselben.  Das  findet  wohl  seine 
Erklärung  in  dem  Umstände,  daß  dem  gelehrten  Sponheimer  Abte 
die  Literatur  des  östlichen  Deutschlands  weniger  bekannt  war  als  die 
des  westlichen.  Erst  Wilhelm  Eysengrein  hat  das  Andenken  an  den 
fleißigen  Frater  Conradus  de  Saxonia  erneuert  und  ihm  in  seinem 
jCatalogus  testium  veritatis'  ^  ein  literarisches  Denkmal  gesetzt.  Etwa 
20  Jahre  später  gedachte  der  italienische  Minorit  Petrus  Rodulfius 
in  seiner  Geschichte  des  seraphischen  Ordens  des  sächsischen  Minder- 
bruders und  seiner  Schriften.  Seine  bibliographischen  Notizen  sind 
genauer  als  die  Eysengreins,  wenn  auch  nicht  fehlerfrei.  Sie  lauten^ : 
,Fr.  Conradus  de  Saxonia  edidit  super  4.  sententiarum,  super  orationem 
Dominicam  librum  unum,  sermones  de  tempore  librum  unum,  sermones 
pro  Quadragesima  librum  unum,  cuius  initium:  „Emitte  manum  tuam 
de  alto"  de  Sanctis  librum  unum:  „Extendam  palmas  meas";  in  multos 
bibliorum  libros  edidit  commentaria.'  Der  Anfang  des  Quadragesi- 
male  ist  unrichtig  gegeben ;  , Emitte'  etc.  ist  der  Beginn  der  Ser- 
mones de  tempore.  Mit  diesem  Irrtume  übernahm  Wadding  die  Notizen 
des  Petrus  Rodulfius   und   fügte   nur  noch  die  Schrift  ,De  salutatione 


'  Bl.  152:  , Conradus  de  Saxonia  ordinis  Minorum,  vir  dissertissimus,  theologus, 
sacranim  legum  exercitatissimus,  eloquentiae  studiis  legitime  imbutus,  quatuor  libros 
in  sententias  scripsit.  Orationem  Dominicam  atque  Angelicam  Salutationem  ex- 
posuit.  Biblica  scripta  fere  omnia  doctissimis  commentariis  illustrauit.  Sermones 
porro  ad  populum  habitos  plures  posteritatis  memoriae  consecrauit.' 

2  Lib.  3,  p.  812. 


10  I-  Frater  Konrad  von  Sachsen. 

angelica'  (Speculum  beatae  Mariae  Virginis)  hinzu  ^  Diese  bibliogra- 
phischen Nachrichten  benutzte  Fabricius-  und  ergänzte  unter  Hinzu- 
fügung einer  biographischen  Notiz  Sbaralea^.  Jöcher*  kennt  nur 
die  Angaben  Waddings  und  Chevalier  ^  —  auch  in  der  neuen  Aus- 
gabe —  nur  die  Mitteilungen  Sbaraleas.  In  neuester  Zeit  haben  die 
Herausgeber  des  , Speculum  beatae  Mariae  Virginis'  die  für  sie  er- 
reichbaren biographischen  Notizen  zusammengestellt^.  Die  Hand- 
schriften nennen  den  Verfasser  der  bezeichneten  Sermones  de  tem- 
pore, de  Sanctis,  des  Quadragesimale  und  des  Speculum  Conradus, 
Conradinus ,  Chuonradinus  ,  auch  Conradlinus  "^ ,  Frater  Saxo ,  Chun- 
radinus  Saxo^,  Saxo  antiquus^.  In  einer  Utrechter  Handschrift  wird 
der  Verfasser  des  Speculum  , Conradus  de  Brunswick'  genannt  ^^. 

Ein  Konrad  von  Braunschweig,  , Conradus  de  Brunopoli',  wird  in 
der  Chronica  Fratris  Nicolai  Glaßberger^^  in  der  Zeit  von  1245  bis  1279 
wiederholt  erwähnt.  Der  Minorit  Glaßberger  schrieb  zwar  seine 
Chronica  erst  gegen  das  Ende  des  15.  Jahrhunderts,  indessen  ver- 
dienen seine  Angaben  meist  vollen  Glauben,  da  er  die  Chroniken  der 
Ordensprovinzen,  u.  a.  auch  das  ,Chronicon  Saxoniae'  benutzen  konnte. 
Nach  jener  Chronica  war  der  Frater  Conradus  de  Brunopoli 
1247  Lektor  der  Theologie  in  Hildesheim.  In  dem  Generalkapitel, 
welches  1247  in  Lyon  gehalten  wurde,  erhielt  der  Minister  Saxoniae, 
Frater  Gottfridus,  die  erbetene  Entlassung,  und  der  Frater  Conradus 
de  Brunopoli  wurde  zum  Vikar  ernannt.  Wenige  Monate  später,  am 
Feste  Maria  Geburt  1247,    wurde   der  letztere   von   dem  Provinzial- 


^  Scriptores  93:  ,.  .  .  edidit  Coramentarios  in  Magistrum  Sententiarum  lib.  4, 
Super  Orationem  Dominicam  1.  1,  De  Salutatione  Angelica  1.  1,  Sermones  de  tem- 
pore 1.  1,  Sermones  Quadragesimales  1.  1:  Incipit  ^Emitte  manum",  Sermones  de 
Sanctis  1.  1:  Incipit  „Extendam  palmas".  Item  in  multos  bibliorum  libros  emisit 
commentaria  et  alia  ab  his  opera  composuit.' 

2  Bibliotheca  latina  I  387.  ^  Supplementum  200. 

^  Gelehrtenlexikon  I  2055. 

^  Repertoire  des  sources  liistoriques  I  1019.  ^  Vgl.  die  Praefatio  p.  ix. 

7  So  Clm  7695  Bl.  172. 

8  Vgl.  S.  Bonaventurae  Opera  IX  xiv;  ferner  Clm  2709  7789  12  728  16  026 
26  958,  CPlg  220,  CVP  1347. 

^  Hs  218  von  Heiligenkreuz;   Hss- Verzeichnisse  der  Cistercienserstifte  I  175. 
^°  Speculum  b.  Mariae  V.  p.  ix. 

^^  Chronica  Fratris  Nicolai  Glaßberger  ordinis  Minorum  Observantium,  in  Ana- 
lecta  Franciscana  II. 


Name  und  Ordensstellungen.  H 

kapitel  zu  Halle  zum  Minister  Saxoniae  erwählt  und  um  Martini  des- 
selben Jahres  bestätigt  ^  Die  Chronica  rühmt  von  ihm :  ,Hic  in  pace 
sibi  per  antecessores  suos  acquisita  provinciam  in  disciplina  et  rigore 
et  magna  maturitate  et  observantia  ordinis  gubernavit  et  cum  prae- 
fuisset  annos  fere  sexdecim  ^  labore  fatigatus  et  attaediatus  cum  mul- 
torum  fratrum  dolore  et  cum  maxima  importuna  instantia  obtinuit 
cessionem.'  Die  Abdankung  Konrads  erfolgte  1262  auf  dem  Provinzial- 
kapitel  in  Halberstadt.  Sein  Nachfolger  wurde  der  frühere  Minister 
Austriae,  Frater  Bartholomäus  ^.  Den  Frater  Konrad  hatte  man  un- 
gern aus  der  Stelle  eines  Ministers  der  Provinz  scheiden  sehen;  als 
daher  Frater  Bartholomäus  1272  abdankte,  wählte  das  Provinzial- 
kapitel  von  Magdeburg  den  wegen  seiner  Tugenden  und  seines 
früheren  glücklichen  Regimentes  hochgeschätzten  Frater  Conradus 
de  Brunopoli  wieder  zum  Minister.  Er  waltete  noch  ungefähr  sieben 
Jahre  dieses  Amtes,  dessen  Pflichten  er  trotz  der  Gebrechen  des 
Alters  und  eines  schweren  Steinleidens  treulich  erfüllte.  Als  er 
1279  zum  Generalkapitel  nach  Assisi  reiste,  erlag  er  in  Bologna 
seinen  Leiden^. 

Der  Kardinal  Johannes  de  Turrecremata  ^  gibt  dem  Conradus  Saxo 
den  Beinamen  ,Holzingarius',  Sbaralea^  ,Holxingarius'  auf  Grund 
des  uns  nicht  in  die  Hände  gelangten  Quadragesimale  des  , Antonius 
Brixiensis  Inquisitor'  und  der  Angabe  des  Turrecremata.  In  der  Tat 
tragen  die  Sermones  Conradi  in  zwei  Handschriften  des  14.  Jahr- 
hunderts ähnliche  Namen;  eine  Lüneburger '^  nennt  ihn  , Conradus 
Holthniker',  und  eine  Kopenhagener ^  hat  den  Vermerk:  Sermones 
, Conradi  Holthnykheri'.  In  den  von  uns  eingesehenen  Handschriften 
kommt  dieser  Name  nicht  vor. 


^  Ebd.  II  69  70.  Das  Generalkapitel  fand  nicht  1245,  wie  Glaßberger  schreibt, 
sondern  erst  1247  in  Lyon  statt. 

2  Richtig:  quindecim,  von  1247  bis  1262. 

^  Analecta  Franciscana  II  76. 

*  Ebd.  83  93.  ,.  .  .  Bononiae  infirmatns  passione  calculi  et  aliis  infirmitatibus 
obiit.*  Vgl.  auch  die  Series  ministrorum  provincialium  provinciae  Saxoniae  in  Anal. 
Franc.  II  584. 

^  Tractatus  de  veritate  conceptionis  beatissimae  Virginis  c.  32,  p.  346  347. 
Danach  auch  der  Minorit  Petrus  deAlva,  Militia  immaculatae  conceptionis  306. 

«  A.  a.  0.  '-'  Cod.  57. 

^  Cod.  63  bibliothecae  regiae;  vgl.  S.  Bonaventuras  Opera  IX  xiv  und  Spe- 
culum  p.  IX. 


12  I-  Frater  Konrad  von  Sachsen. 

Daß  dieser  Frater  Conradus  de  Brunopoli  mit  dem  Verfasser  der 
unter  dem  Namen  des  Frater  Conradus  verbreiteten  Sermones  und 
andern  theologischen  Schriften  identisch  ist,  darf  als  sicher  angenommen 
werden.  Denn  der  letztere  war  Minorit ;  das  bekunden  die  Predigten 
an  den  Festen  des  hl.  Franziskus,  der  hl.  Klara,  des  hl.  Antonius  und 
am  Pfingstfeste  ^.  Von  Bedeutung  ist  auch  der  Autorname  ,Saxo'  in 
einigen  Handschriften  2.  Ein  von  den  Herausgebern  des  ,Speculum' 
benutzter  Codex  Fulginatensis  bezeichnet  den  Verfasser  als  ,de  pro- 
vincia  Saxoniae'  stammend.  Die  bereits  erwähnte  Utrechter  Hand- 
schrift übersetzt  ,de  Brunopoli'  richtig  mit  ,de  Brunswick'. 

Von  den  bei  Wadding  angeführten  Schriften  Konrads  sind  die 
Kommentare  zu  den  Sentenzen,  die  er  vermutlich  als  Lektor  in  Hildes- 
heim verfaßt  hat,  die  Erklärung  des  Paternoster  und  die  Kommen- 
tare zu  biblischen  Büchern  bislang  noch  nicht  nachgewiesen.  Daß  die 
umfangreichen  unter  dem  Namen  eines  Conradus  de  Alemannia  ge- 
druckt ^  vorliegenden  ,Concordantiae  bibliorum'  ein  Werk  unseres 
Fraters  Konrad  seien,  wie  Sbaralea  annimmt,  ist  nicht  nachweisbar, 
zumal  demselben  die  Herkunftsbezeichnung  ,de  Alemannia'  nirgends 
gegeben  wird  *.  Es  verbleiben  demnach  dem  Frater  Konrad  folgende 
handschriftlich  und  im  Druck  bekannte  Werke:  Speculum  beatae 
Mariae  Virginis,  Sermones  de  tempore,  Sermones  de  Sanctis  und 
Sermones  Quadragesimales.  Das  , Speculum',  eine  Erklärung  des  Ave 
Maria,  hat  in  jüngster  Zeit  eine  neue  Ausgabe  erlebt  durch  die  Fran- 
ziskaner von  Quaracchi,  auf  welche  schon  mehrere  Male  verwiesen 
wurde.  Dort  sind  auch  die  zahlreichen  Handschriften  und  die  Drucke 
des  Werkchens  verzeichnet.  Nach  den  zutreffenden  Ausführungen 
der  Herausgeber  über  die  Anlage  und  den  Wert  des  , Speculum'  unter- 
lassen wir  es,  auf  das  letztere  näher  einzugehen.  Wir  beschäftigen 
uns  nur  mit  den  Sermones. 


'  Über  die  Pfingstpredigt  siehe  unten  S.  37. 

2  S.  Bonaventurae  Opera  IX  ix.  ^  ygl  Hain  *5629  *ö630. 

*  In  Clm  8953  (14.  Jahrh.)  steht  ßl.  56-78  ein  nicht  vollständig  erhaltener 
Traktat  ,De  timore',  welcher  nach  dem  Bl.  78  stehenden  Verzeichnis  89  Kapitel 
zählte.  Am  Schlüsse  des  Verzeichnisses  findet  sich  der  Vermerk:  ,Explicit  Chun- 
radinus'.  Die  Überschriften  einiger  Kapitel  lauten :  De  speciebus  timoris,  De  timore 
mundi  —  humano  —  servili  etc.  Dem  Fegfeuer  und  der  Hölle  ^Yerden  16  Kapitel 
gewidmet.  Aus  dem  Inhalt  läßt  sich  nicht  entnehmen,  dafs  der  ,Chunradinus'  unser 
Frater  Konrad  sei. 


Schriften  Konrads.     Die  Sermones.  13 

Die  Sermones  de  tempore  und  de  Sanctis  liegen  in  zwei 
Ausgaben  vor,  allerdings  unter  dem  Namen  Bonaventuras:  ,B-  Bona- 
venture  Sermones  de  tempore:  tam  Hiberno  quam  Aestivo  cum  indici- 
bus.  Vaenundantur  lodoco  Badio  Ascensio  (Parisiis  1521)'.  Die 
Ausgabe  ist  ein  Oktavband  von  336  Blättern.  Daran  schließen 
sich  mit  besonderem  Titel  und  neuer  Blattzählung  die  Sermones 
de  Sanctis  an:  ,B-  Bonaventurae  Sermones  de  Sanctis'  etc.  (Bl.  1  —  126) 
einschließlich  derer  de  Communi  Sanctorum  (Bl.  127 — 171')  und  derer 
ad  religiöses  (Bl.  172 — 184).  Den  Schluß  der  Ausgabe  bildet  das  ,Spe" 
culum  beatae  Mariae  Virginis'.  Die  zweite  Ausgabe,  welche  in  Brixen 
1596  erschien,  ist  ein  bloßer  Abdruck  der  Pariser  Ausgabe  von  1521  ^ 

Daß  die  in  den  beiden  Ausgaben  abgedruckten  Predigten  nicht 
dem  hl.  Bonaventura  angehören,  sondern  dem  Frater  Konrad  von 
Sachsen,  ist  zweifellos.  Eine  Fülle  von  Handschriften  legt  dafür 
Zeugnis  ab.  Wir  verweisen  auf  die  oben  bereits  angeführten,  deren 
Zahl  sich  noch  vermehren  ließe.  Neben  diesen  mit  dem  Namen  des 
Fraters  versehenen  Handschriften  existiert  eine  erhebliche  Anzahl 
von  anonymen.  Wir  nennen:  Clm  2946  7695  16439  23385  (der 
Verfasservermerk  stammt  aus  späterer  Zeit) ;  CLb  190  (späterer  Ver- 
merk: jfratris  Conradini  ordinis  predicatorum') ;  CSPH  Pg.  26.  1.  27 
und  27.  1.  20;  CLP  723;  die  Hss  von  ßeun  22,  von  Wilhering  1422. 
Ein  frühes  Zeugnis  für  die  Verfasserschaft  des  Fraters  Konrad 
bietet  der  CGraec  730,  welchem  Schönbach  eine  ergebnisreiche 
Untersuchung  gewidmet  hat^.  Wir  werden  bei  der  Behandlung  der 
Sermones  des  Greculus  zeigen,  daß  der  CGraec  730  etwa  im  zweiten 
Dezennium  des  14.  Jahrhunderts  geschrieben  worden  ist.  In  dem 
Predigtwerke,  welches  diese  Handschrift  enthält,  wird  ,Chunradus' 
dreimal  zitiert.  Bl.  92*^  heißt  es:  de  omnibus  predictis  infirmi- 
tatibus  anime  require  in  Chunrado  in  sermone  ,Erat  quidam  regulus'. 
Dominica  XX  post  Pentecosten.  Bl.  96^  heißt  es  schlechtweg: 
de  hac  materia  require  in  Chunrado.  Bl.  150':  Nota:  require  in 
Chunrado  de  columba  et  ramo*.  Schönbach  vermag  diese  Zitate 
nicht    nachzuweisen  5.     Dieselben    beziehen    sich    zweifellos    auf   die 


*  Vgl.  S.  Bonaventurae  Opera  IX  xiii  xiv. 

^  Die  Hss-Verzeichnisse  der  Cistercienserstifte  I  19;  II  71. 

^  Über  eine  Grazer  Handschrift  lateinisch-deutscher  Predigten,  Graz  1890. 

*  Ebd.  57  92  93  105.  ^  E^a.  53  59. 


14  I-  Frater  Konrad  von  Sachsen. 

Sermones  unseres  Fraters  Konrad.  Das  erste  Zitat  trifft  den  Sermo  1 
dominica  XXI  post  Trinitatis,  in  welchem  die  sieben  Krankheiten  der 
Seele  —  die  sieben  Hauptsünden  —  behandelt  werden  (CLb  190  Bl.  8b^, 
Druck  Bl.  320).  Das  zweite  bezieht  sich  auf  den  3.  sermo  dominica  III 
post  octavam  Epiphaniae,  in  welchem  die  sieben  Ursachen  der  Be- 
drängnisse (tribulationes)  der  Kirche  (CLb  190  Bl.  22'  23,  Druck 
Bl.  81)  dargelegt  werden.  Das  dritte  endlich,  ,de  ramo  et  columba', 
steht  im  1.  sermo  dominica  Palmarum  (CLb  190  Bl.  36%  Druck  Bl.  130')  \ 
Die  Benutzung  der  Sermones  Conradi  in  der  Predigtsammlung  der 
Grazer  Handschrift  beweist  das  Ansehen,  in  welchem  die  Predigten 
des  Minoriten  standen. 

Dieses  Ansehen  blieb  den  Sermones  Conradi  im  ganzen  Verlaufe 
des  14.  Jahrhunderts  erhalten,  wie  man  aus  der  großen  Zahl  der 
aus  dieser  Zeit  stammenden  Handschriften  schließen  darf.  Der  bei 
weitem  größere  Teil  der  Handschriften,  welche  die  Sermones  Conradi 
überliefern,  gehört  dem  14.  Jahrhundert  an;  im  15.  Jahrhundert 
scheinen  dieselben  seltener  abgeschrieben  worden  zu  sein.  Indessen 
stand  die  Autorität  des  Minoriten  auch  damals  noch  hoch.  Der  Kar- 
dinal Johannes  von  Turrecremata  (Dominikaner)  berief  sich  in  seiner 
dem  Konzil  von  Basel  überreichten  Denkschrift  gegen  die  Conceptio 
immaculata  beatae  Mariae  Virginis^  u.  a.  auch  auf  ,Conradus  Saxo 
cognomento  Holzingarius'.  In  der  Tat  hat  Frater  Konrad,  der  zu 
einer  Zeit  lebte,  in  welcher  die  Lehre  von  der  Unbefleckten  Empfängnis 
noch  nicht  einen  integrierenden  Bestandteil  der  Ordenstheologie  der 
Minoriten  bildete,  gelehrt,  daß  die  Mutter  Gottes  zwar  von  der  Erb- 
sünde befleckt  gewesen,  aber  schon  im  Mutterleibe  geheiligt  worden 
sei.  Turrecremata  beruft  sich  auf  einen  Satz  des  sermo  2  de  nati- 
vitate  b.  M.  V. :  , Vas  purissimum  fuit  virgo  Maria ,  quae  rubigine 
peccati  originalis  ablata  per  sanctificationem  in  utero  sancta  et  puris- 
sima  hodie  egressa  est  de  utero.' *^  Die  zweite  von  Turrecremata 
zitierte,  dem  Speculum  entnommene  Stelle  ist  noch  deutlicher:  ,Quia 
vero  beata  virgo  in  peccato  concepta  fuit,   sed  sine  peccato  nata,  in 


1  Auch   im  sermo  1   in  die  s.  Marci  (CLb  109  Bl.  105  Druck  Bl.  28'  und  im 
Quadragesimale  sermo  41  (Clm  7789  Bl.  41")  handelt  Konrad  ,de  ramo  et  columba'. 

2  Tractatus  de  veritate  conceptionis  b.  Virg.  346  347. 

'  Im   CLb    190    Bl.  121  :    ,Vas   purissimum  .  .  .  per   sanctificationem   in   utero 
factam  hodie  purissima  est  egressa.* 


Verbreitung  der  Sermones.     Konrad  Gegner  der  Immaculata  Conceptio.         15 

peccato  orta  non  fuit,  ideo  non  auroram,  sed  ortiim  aurorae  dicitur 
nox  (Ib  3,  3  9)  ista  non  vidisse.  Hoc  est  contra  illos,  qui  ipsam 
non  solum  sine  peccato  natam,  sed  etiam  sine  peccato  conceptam 
dicunt.'  ^  Der  Kardinal  hätte  noch  eine  andere  Stelle  des  Speculum 
zitieren  können,  in  welcher  es  heißt:  ,Rubigo  ablata  fuit  de  argento 
(Prv  25,  4),  quando  ab  originali  peccato  Maria  sanctificata  fuit  in 
utero  et  certe  sie  egressa  est  sicut  vas  purissimum.'  ^  Diese  Ansicht 
Konrads  war  den  späteren  Ordensgenossen  unbequem.  Wenn  man 
dem  Minoriten  Petrus  de  Alva  glauben  darf,  fehlten  in  einer  Hand- 
schrift des  Escorials  in  der  Stelle  aus  der  Predigt  in  nativitate 
b.  M.  V.  die  Worte  ,originalis  peccati'^;  derselbe  zitiert  also  die 
Stelle  wie  folgt  ^:  ,Vas  purissimum  fuit  beata  Virgo  Maria,  quae 
rubigine  ablata  per  sanctificationem'  etc.,  und  meint,  man  dürfe  des- 
!  halb  den  Frater  Konrad  nicht  zum  Gegner  der  conceptio  Immaculata 
machen.  Noch  stärker  entstellt  muß  die  Handschrift  gewesen  sein, 
welche  dem  Pariser  Herausgeber  der  Sermones  vorgelegen  hat.  Darin 
findet  sich  die  charakteristische  Stelle  in  folgender  blasser  Abtönung: 
,Vere  vas  purissimum  fuit  Maria,  quae  de  utero  matris  egressa  est 
tarn  plena  gratia  dotata'  etc.  ^  Vielleicht  hat  erst  der  Herausgeber 
die  Stelle  so  arg  verstümmelt. 

Der  späteren  Zeit  ist  das  Andenken  an  den  fleißigen  und  eifrigen 
sächsischen  Minoriten  fast  ganz  entschwunden,  zumal  sowohl  seine 
Predigten  als  auch  sein  gern  gelesenes  Speculum  in  den  Druckwerken 
f  unter  dem  Namen  des  berühmten  Doctor  Seraphicus  Bonaventura 
gingen.  Cruel  erwähnt  in  seiner  , Geschichte  der  deutschen  Predigt 
im  Mittelalter'  nicht  einmal  den  Namen  Konrads ;  Linsenmayer  ^  nennt 
ihn  zwar  und  kennzeichnet  kurz  seine  Methode,  setzt  ihn  aber  erst 
in  die  zweite  Hälfte  des  14.  Jahrhunderts.  Letzteres  hat  Schönbach '^, 
^  wie  es  scheint,  veranlaßt,  diesen  Konrad  von  Sachsen  bei  der  Er- 
i  mittelung  der  oben  erwähnten  Zitate  im  CGraec  730  ganz  außer  Be- 
\  tracht  zu  fassen.  Nach  alledem  gereicht  es  uns  zur  Freude,  den 
i  wackern  deutschen  Minoriten  aus  der  Vergessenheit  zu  ziehen  und 
[  ihm  seine  wohlverdiente  Stellung  unter  den  deutschen  Predigern  des 
;  Mittelalters  anzuweisen. 


1  Speculum  lect.  11  p.  145.  ^  Ebd.  lect.  13  p.  280. 

"  Militia  immaculatae  conceptionis  384.  "  Ebd.  306.  ^  Bl.  90. 

^  S.  466.  "^  Über  eine  Grazer  Hs  lat.-deutscher  Predigten  59. 


IQ  I.  Frater  Konrad  von  Sachsen. 

Zur  Bestimmung  der  Abfassungszeit  der  Sermones  liefert  der 
Inhalt  derselben  keine  sichern  Anhaltspunkte.  Im  2.  sermo  in  de- 
collatione  s.  lohannis  Baptistae  spricht  der  Frater  ^ :  ,0  quam  infirma 
capita  habet  iam  mundus  et  ecclesia  uniuersalis.  Et  certe  dum  caput 
egrotat,  cetera  membra  dolent.'  Diese  Klage  trifft  auf  die  Zeit,  in 
welcher  Deutschland  unter  den  Wirren  des  Interregnums  litt,  also 
auf  die  Jahre  1256 — 1273.  Vielleicht  hat  der  Frater  Konrad  die 
ihm  nach  Niederlegung  seines  Amtes  als  minister  Saxoniae  (1262) 
zuteil  gewordene  größere  Muße  zur  Abfassung  seiner  Sermones  benutzt. 

Nicht  alle  Handschriften  enthalten  sämtliche  Sermones.  So 
bieten  nur  die  Sermones  de  tempore:  Clm  2709  4778  7695  12728 
23385  26958,  CLP  723;  nur  die  Sermones  de  Sanctis  und  de  Com- 
muni  Sanctorum :  Clm  16026  16439;  die  Sermones  de  tempore,  de  Sanctis, 
de  Communi  Sanctorum  und  ad  religiöses  stehen  vollständig  in  CLb  190, 
Clm  2946  und  minder  vollständig  in  CVF  1347,  CSPH  26.  1.  27. 
Von  diesen  Handschriften  sind  manche  —  wie  Clm  2709  4778  12  728 
23385  —  infolge  Auslassung  verschiedener  Sermones  lückenhaft.  Eine 
wertvolle  Sammlung  der  Sermones  bietet  die  Pergamenthandschrift  56 
des  Schottenstiftes  in  Wien  aus  dem  14.  Jahrhundert.  Sie  enthält 
die  Sermones  de  tempore,  de  Sanctis,  de  Communi,  ad  religiöses, 
das  Speculum  und  überdies  noch  ein  Register  zu  dem  Quadragesimale^. 

In  der  Wiedergabe  der  Sermones  de  tempore  befolgen  einige 
Handschriften  den  Grundsatz  der  Ausschließung  aller  Heiligen- 
feste (so  CLb  190);  andere,  und  zwar  die  Mehrzahl,  fügen  die 
Predigten  für  die  Feste  der  Heiligen :  Stephanus,  Johannes  Evangelista 
und  Innocentes  an  den  gehörigen  Stellen  im  Zyklus  de  tempore  ein 
(wie  Clm  2709  7695  23385  26958)  und  lassen,  falls  sie  auch 
die  Sermones  de  Sanctis  bieten,  jene  Feste  im  Zyklus  de  Sanctis  aus 
(wie  Clm  2946).  Der  Pariser  Druck  vom  Jahre  1521  hat  eine 
Handschrift  der  letzteren  Art  benutzt. 

Auch  in  der  Zahl  der  Sermones  weichen  die  Handsc-hriften  stark 
voneinander  ab.    Wir  benutzen  zum  Vergleiche  den  CLb  190^,  welcher 

'  CLb  121  D.  S.  87'.  Wenn  wir  CLb  zitieren,  ist  immer  der  CLb  190  gemeint; 
D.  bedeutet  den  Pariser  Druck;  die  blofse  Seitenzahl  verweist  auf  den  Zyklus  de 
tempore,  D.  S.  auf  den  Zyklus  de  Sanctis.  -  Vgl.  Hübl  173. 

*  CLb  190  gehört  noch  dem  14.  Jahrhundert  an.  Kr  ist  eine  Papierhand- 
schrift. Das  Papier  trägt  als  Wasserzeichen  den  Ochsenkopf  mit  gerader,  senk- 
recht auf  demselben  stehender  Linie ;  das  Zeichen  findet  sich  nicht  bei  K  a  i  n  z  ,  Die 


Abfassungszeit.     Die  Sermones  in  den  Handschriften.  17 

uns  die  vollständigste  Sammlung  der  Sermones  Conradi  zu  bieten  scheint. 
Derselbe  enthält  246  Sermones  de  tempore,  90  de  Sanctis,  24  de 
Communi  Sanctorum  (einschließlich  der  3  Sermones  de  animabus)  und 
6  ad  religiöses  et  praelatos,  im  ganzen  also  366  Sermones.  In  dieser 
Vollständigkeit  wird  CLb  190  unseres  Wissens  von  keiner  der  an- 
geführten Handschriften  erreicht,  auch  von  dem  Drucke  nicht.  Der 
letztere  zählt  zwar  258  Sermones  de  tempore,  davon  kommen  aber 
8  auf  die  Feste  der  Heiligen  (Stephanus,  Johannes  Evangelista  und 
Innocentes)  und  4  auf  das  festum  Trinitatis,  welches  im  CLb  190 
unter  den  Sermones  de  Sanctis  behandelt  wird ;  weiter  bietet  er  nur 
77  Sermones  de  Sanctis,  19  de  Communi  Sanctorum  und  5  ad  eccle- 
siasticos  et  praelatos,  im  ganzen  also  354.  Der  letzte  Sermo  de 
tempore  (dominica  27  —  richtig  26  —  post  Trinitatem)  über  den  Text 
»Ascendit  Simon  Petrus  et  traxit  rete'  (lo  21,  11)  ist  ein  offenbar 
hierher  und  in  die  Sammlung  nicht  gehöriger  Anhangt 

Soweit  sich  aus  Stichproben  feststellen  ließ,  stimmt  der  Text 
des  Druckes  mit  dem  des  CLb  190  im  allgemeinen  überein. 
Kleine,  auch  größere,  Verschiedenheiten  und  Fehler  sowie  Kürzungen 
fallen  oft  auf,  sinnentstellende  nur  in  einzelnen  Fällen.  Auf  sonstige 
Verschiedenheiten   wird   weiter  unten   aufmerksam   gemacht  werden. 

Die  fromme  und  gemeinnützige  Absicht,  welche  den  Frater  Konrad 
bei  der  Abfassung  seines  Predigtwerkes  leitete,  drückt  er  selbst  in 
den  Versen  aus,  die  den  Sermones  de  tempore  in  dem  CLP  723  vor- 
angestellt sind  2:    * 


Wasserzeichen  des  14.  Jahrhunderts  in  den  Hss  der  königl.  bayr.  Hof-  und  Staats- 
bibliothek, München  1895.  Der  aus  dem  15.  Jahrhundert  stammende  Deckel  trägt 
die  spätere  Aufschrift :  , Sermones  de  tempore  et  de  sanctis  fratris  Conradini  ordinis 
predicatorum.'  CLb  enthält:  Bl.  1—3'*  Traktat  über  die  Verklärung  Christi; 
3'^  Predigtfragment;  b--9V  Sermones  Conradini  de  tempore  mit  Register;  92 — 94 
leer;  95  —  147'  Sermones  Conradini  de  Sanctis,  de  Sanctorum  Communi,  ad  reli- 
giosos  (D.  S. :  ,ecclesiasticos')  et  praelatos;  147'''— 151  3  Sermones  des  Jacobus  de 

I    Voragine  de  expositione  missae  (vgl.  Franz,  Die  Messe   im  deutschen  Mittelalter 
669 — 670)  und  sonstige  Exzerpte.  , 

^  Bl.  335.     Der  Pariser  Druck    der  Sermones    ist   nachlässig   hergestellt;    die 
Zählung  der  Sonntage  ist  vom  5.  Sonntag   nach  Trinitatis    ab   verdruckt;    die  Ser- 

1    mones  sind  mehrmals  mit  unrichtigen  Zahlen  bezeichnet  (vgl.  Bl.  258'  274). 

-  Bl.  3'"':    die  Hs  gehört  dem  Beginne   des  14.  Jahrhunderts   an   und   stammt 
aus  Altenzelle. 

Franz,  Drei  deutsche  Minoritenprediger.  2 


18  I-  Frater  Konrad  von  Sachsen. 

Suscipe,  summe  pater,  tibi  que  minor  offero  frater 
ad  laudem  trino,  lector,  tibi  trina  propino 
pocula  sermonum,  quibus  utens  hoc  mihi  donum 
prestes,  quisquis  eris,  quod  pro  me  sepe  preceris. 
5.  Sepe  rei  memor  esto  mei  prece  non  Pharisei. 
Verba  dei,  pietate  spei,  summe  requiei 
corde  teras  opereque  geras,  pure  quoque  queras, 
ore  seras  fructumque  feras,  quo  premia  speras. 
Sermonem  quociens  [facisj  ^  ex  hiis  quos  modo  prodam, 
10.  orare  tociens  monearis  pro  paupere  quodam. 

Hac^  ope,  non  opibus,  opus  est  opus  hoc  operanti, 
ut  prosis  precibus  operam  tantam  tibi  danti. 

Diese  Verse  gehören  nicht  dem  Schreiber  an,  —  denn  dieser 
war  ein  Altenzeller  Cistercienser  — ,  sondern  dem  Frater  Konrad  selbst, 
der  sich  im  Eingang  als  ,frater  minor'  vorstellt.  Derselbe  hatte  sie 
seinem  dreiteiligen  Werke  —  Sermones  de  tempore,  de  Sanctis,  de 
Communi  Sanctorum  —  vorangestellt.  In  dem  CLP  723  war  diese 
poetische  Vorrede  eigentlich  nicht  angebracht,  da  die  Handschrift  nur 
die  Sermones  de  tempore  bietet. 

In  der  Pergamenthandschrift  26,  1  27  (14.  Jahrhundert)  von 
St  Paul  in  Kärnten,  die  aus  Spital  am  Pyhrn  in  Oberösterreich  stammt, 
stehen  vor  den  Sermones  Conradi  de  tempore  ebenfalls  einige  Verse, 
deren  Schluß  drei  Verse  aus  den  oben  mitgeteilten  wiederholt: 

Qui  bene  dum  poteris  sermonibus  hiis  pocieris, 
si  gratus  fueris,  —  si  non,  gratis  mea  queris  — 
debitor  efficeris,  quod  pro  me  sepe  preceris. 
Huius  sie  operis  operam  precor  apprecieris. 
Precipue  precibus  precium  prebeto  precanti. 
Hac  ope,  non  opibus,  opus  est  opus  hoc  operanti. 
Sermonem  quocies  facis  ex  his  quos  modo  prodam, 
orari  tocies  moncas  pro  paupere  quodam. 

Wie  es  scheint,  hat  der  Schreiber,  der  nur  die  Sermones  de 
tempore  abschrieb,  weil  er  den  Eingang  der  Widmung  des  opus 
trinum  nicht  verstand,  die  ersten  Verse  durch  andere  ersetzt  und 
nur  aus  dem  Schlüsse  die  allgemeine  Bitte  der  drei  letzten  Verse  bei- 
behalten. 

In  den  Sermones  de  tempore  bot  Frater  Konrad  dem  Re- 
gulär- und  Säkularklerus  einen  reichen  Predigtstoff.  Für  jeden  Sonntag 
stellen   sie   mindestens   3,   zuweilen   4,  ja  G,   am  Weihnachtsfeste  9, 


, Facis'  fehlt  in  der  Hs.  -  Hs  ,hoc'. 


Widmungsverse.     Sermones  de  tempore.     Perikopenordnung.  19 

am  Pfingstfeste   sogar   11  Predigten   zur  Auswahl.     Der  Regel   nach 
ist  der  Text   den  Perikopen   der  Sonn-   und  Festtagsevangelien  ent- 
nommen,   hin  und   wieder   aber   auch   den  Lektionen   oder  beliebigen 
i  Büchern  der  Heiligen  Schrift. 

Die  Perikopenordnung,  nach  welcher  Konrad  predigte,  weicht 
I  von  unserer  heutigen   an  verschiedenen  Stellen  ab.     Am  1.  Advent- 
sonntage wurde  das  Palmsonntagsevangelium  verlesen,  und  die  Evan- 
gelien  des  2.,   3.  und  4.  Adventsonntages  waren  die  heutigen  Evan- 
gelien  vom   1.,    2.    und  3.  Adventsonntage.     Auf  den   2.  Sonntag  in 
Quadragesima  fiel  das  Evangelium  vom  kananäischen  Weibe  (Mt  15), 
j  nicht  das  von  der  Verklärung  Christi.    Die  Sonntage  nach  Epiphanie 
;  werden  ,post   octavam   Epiphaniae'   gezählt   und   die   Sonntage   nach 
j  Pfingsten  ,post  Trinitatis'  benannt,  wiewohl  tatsächlich  die  Evangelien 
I  der  Sonntage  nach  Pfingsten  mit  den  Sonntagen  ,post  Trinitatis'  zu- 
I  sammenfallen.     Der    erste   Sonntag   nach   Pfingsten   heißt   daher   so- 
wohl  in  CLb  als  auch  im  Drucke  ,dominica  prima  post  Trinitatis'.    Wir 
werden  die  Sonntage  als  Sonntage  nach  Pfingsten  zählen. 

Für  diese  Sonntage  stellt  sich  die  damalige  Perikopenordnung  im 
Vergleich  zu  der  heutigen  wie  folgt: 

Conradus :  Heute: 

1.  Sonntag  nach  Pfingsten:  Homo      Estote  misericordes. 
quid  am  erat  dives. 

2.  Sonntag  n.  Pf. :  Homo  quidam      Dasselbe, 
fecit  coenam  magnam. 

3.  Sonntag  n.  Pf. :  Erant  appropin-      Dasselbe. 
quantes  ad  lesum  publicani. 

4.  Sonntag  n.  Pf. :  Estote  miseri-     Cum  turbae  irruerent  in  lesum. 
cordes. 

!5.  Sonntag    n.    Pf.:    Cum   turbae      Nisi  abundaverit  iustitia. 

irruerent  in  lesum. 
6.  Sonntag   n.  Pf.:   Nisi   abunda-      Misereor  super  turbam. 
verit  iustitia. 

Im  weiteren  Verlauf  des  Kirchenjahres  bleibt  die  Perikopenordnung 
Konrads  immer  um  einen  Sonntag  gegenüber  der  heutigen  zurück, 
so  daß  der  damalige  24.  Sonntag  das  Evangelium  von  Jairus'  Tochter 
hatte,   während   heute  das  Evangelium  .Cum  videritis  abominationem 


20  I-  Frater  Konrad  von  Sachsen. 

desolationis'    hOjt.     Das    letztere   Evangelium    behandelt    Konrad    am 
Schluß  als  Predigt  für  den  25.  Sonntag  nach  Pfingsten. 

Neben  den  Sonntagspredigten  und  den  Predigten  für  die  Feste 
des  Herrn  —  an  Ostern  und  Pfingsten  auch  für  die  feria  2,  3  und  4 
—  finden  sich  6  Predigten  für  den  Aschermittwoch  und  9  für  die 
Bittage  —  wiederum  ein  Beweis,  wie  fleißig  damals  gepredigt  wurde. 
Denn  es  muß  angenommen  werden,  daß  diese  Predigten  nicht  aus 
theoretischer  Liebhaberei  geschrieben  worden  seien,  sondern  in  der 
Absicht,  damit  den  Bedürfnissen  des  Klerus  entgegenzukommen. 

Die  90  Sermones  de  Sanctis  verteilen  sich  in  CLb  auf  folgende 
Feste:  Andreas  2,  Nikolaus  2,  Thomas  2,  Stephanus  3,  Johannes  3, 
Innocentes  3,  Conversio  Pauli  2,  Purificatio  b.  M.  V.  3,  Cathedra 
Petri  2,  Matthias  2,  Annuntiatio  b.  M.  V.  2,  Markus  2,  Philippus  und 
Jakobus  3,  Inventio  crucis  2,  Translatio  s.  Francisci  2,  Antonius  de 
Padua  3,  in  festo  Trinitatis  3,  Nativitas  s.  lohannis  Baptistae  3, 
Petrus  et  Paulus  4,  Magdalena  3,  Jakobus  2,  Petrus  ad  vincula  2, 
Laurentius  3,  Clara  2,  Assumptio  b.  M.  V.  2,  Bartholomäus  2,  De- 
collatio  s.  lohannis  Baptistae  2,  Nativitas  b.  M.  V.  3,  Exaltatio  crucis  2, 
Matthäus  2,  Michael  3,  Franziskus  3,  Lukas  2,  Simon  et  luda  2, 
de  Omnibus  Sanctis  3,  Martinus  2,  Katharina  2. 

Außer  diesen  vollständig  ausgeführten  Predigten  ist  jedem  Feste 
an  dritter  bzw.  vierter  Stelle  die  Einleitung  zu  einer  Predigt  bei- 
gegeben, deren  Thema  bereits  in  den  Sermones  de  tempore  oder  auch 
in  dem  Zyklus  de  Sanctis  an  anderer  Stelle  behandelt  wird.  Auf  diese 
Stelle  wird  dafür  verwiesen.  Im  Druck  ist  die  Zahl  der  Verweise 
auf  andere  Predigten  sogar  noch  viel  größer;  meist  werden  bei  jedem 
Texte  neben  den  ausgeführten  Predigten  drei  und  mehrere  Verweise 
auf  passende  Themata,  die  anderswo  behandelt  werden,  beigefügt. 
In  den  Handschriften  ist  die  Zahl  dieser  Verweise  (,require'!)  ver- 
schieden. Es  kam  eben  darauf  an,  inwieweit  die  Abschreiber  das  * 
Bedürfnis  dafür  empfanden. 

Die  große  Differenz  in  der  Zahl  der  vollständigen  Heiligen- 
predigten zwischen  dem  Druck  und  CLb  (77  gegen  90)  erklärt  sich 
daraus:  CLb  gibt  die  im  Druck  schon  im  Zyklus  de  tempore  stehenden 
Predigten  an  Stephanus,  Johannes  Evangelista  und  Innocentes  sowie  an 
Trinitas  erst  im  Zyklus  de  Sanctis;  das  sind  zusammen  12  Predigten; 
überdies   hat  CLb    an  Maria  Magdalena  und  Maria  Geburt  je  3  Pre- 


Sermones  de  Sanctis,  de  Communi  Sanctorum,  ad  religiöses.  21 

digten  gegen  je  2  im  Druck,   wogegen  der  Druck  an  Johannes  Bap- 
tista  4  Predigten  gegen  3  in  CLb  aufweist. 

Das  Commune  de  Sanctis  enthält  in  CLb  3  Sermones  de  Apo- 
stolis  (D.  2),  3  de  uno  Martyre  (D.  3),  3  de  pluribus  Martyribus  (D.  3), 
6  de  Confessore  (D.  3  de  uno  et  pluribus  Doctoribus),  3  de  Ponti- 
fice  (D.  2  de  Confessore),  3  de  Virginibus  (D.  2),  3  de  dedicatione 
(D.  2),  3  de  animabus  (D.  2),  zusammen  24  (D.  19).  Die  Differenz  in 
der  Bezeichnung  der  Predigten  de  Confessoribus  ist  nur  eine  äußer- 
liche. Den  Predigten  jeder  Abteilung  folgen  in  CLb  und  im  Druck 
eine  große  Zahl  Themata,  für  deren  Behandlung  auf  Predigten  de 
tempore  und  de  Sanctis  verwiesen  wird.  So  stehen  nach  den  Ser- 
mones de  Apostolis  14  Themata  (D.  14),  de  Martyribus  14  +  17 
(D.  13  +  15),  de  Confessoribus  11-]- 17  (D.  ll-|-20),  de  Virginibus  18 
(D.  18),  de  dedicatione  19  (D.  15),  de  animabus  8  (D.  11).  Auch 
andere  Handschriften  haben  diese  Themata,  so  Clm  2946  und  16439. 
In  CLb  schließen  sich  an  die  Sermones  de  Communi  Sanctorum 
6  Sermones  an,  welche  an  Ordensleute,  Geistliche  und  Prälaten 
gerichtet  sind.  Die  gleiche  Zahl  haben  Clm  2946  Bl.  212^— 219  \ 
Clm  16439  Bl.  147"^  und  CVScot  156  Bl.  306—314.  In  CLb  heißen 
sie  ,ad  religiöses'  ebenso  in  Clm  2946;  wir  nennen  sie  Sermones  ad 
religiöses  et  praelatos.  Der  Druck  hat  nur  fünf  Reden,  es  fehlt  der 
in  den  genannten  Handschriften  an  zweiter  Stelle  stehende  Sermo: 
jCarissimi,  diligamus  nos  inuicem'  (1  lo  4,  7).  Dieser  und  der  erste 
über  den  Text  ,Omnia  honeste  et  secundum  ordinem  fiant'  (1  Cor  14,  40) 
sind  Ansprachen  an  Ordensleute,  die  übrigen  vier  können  füglich  als 

^  Synodal  reden  bezeichnet  werden.  Auf  den  vorgeschriebenen  jährlichen 
Synoden  wurde  gewöhnlich  eine  die  Standespflichten  des  Klerus  behan- 

i  delndeRede  gehalten,  die  meist  einem  in  Ansehen  stehenden  Welt-  oder 
Ordensgeistlichen  übertragen  wurde.    Clm  16  439  nennt  denn  auch  den 

:  Sermo  über  den  Text  ,Merito  hec  patimur'  (Gn  42,  21) , sermo  in  synodo'. 

I  Das    Quadragesimale    ist    ungedruckt.     Es    liegt    vor   in 

;  Clm  7789  Bl.  1—48  und  Clm  5187  Bl.  1—47;  der  erstere,  eine 
Pergamenthandschrift,  stammt  aus  dem  14.  Jahrhundert,  der  letztere 
aus  dem  Jahre  1409  i.    Daß  das  Quadragesimale  ein  Werk  des  Frater 


'  In  Clm  7695  Bl.  172  173  steht  eine  unvollständige  , tabula  super  Quadra- 
gesimale Conradlini* ;  das  Quadragesimale  selbst  fehlt;  auch  in  CVScot  156  Bl.  386' 
steht  nur  die  tabula  für  das  Quadragesimale. 


22  I-  Frater  Konrad  von  Sachsen. 

Konrad  ist,  ergibt  sich  aus  dem  Clm  7789  Bl.  40''  stehenden  Ver- 
weise auf  eine  Predigt  Konrads  de  tempore.  .Attende  quod  de  rege 
isto  diuino  sc.  lesu  Christo  et  quando  uenit  ad  nos  et  quare,  multa 
dicta  sunt  dominica  prima  in  Aduentu,  nunc  autem  de  ipsius  man- 
suetudine,  quam  specialiter  ostendit  hoc  tempore  aliqua  sunt  dicenda.' 
Der  Sermo,  auf  welchen  sich  diese  Bemerkung  bezieht,  ist  aber  der 
Sermo  4  dominica  I  Adventus  in  CLb  Bl.  6\ 

Der  Zyklus  beginnt  mit  dem  Sermo  in  capite  ieiunii  (Ascher- 
mittwoch) und  bietet  für  jeden  Tag  bis  zum  Karsamstag  —  ein- 
schließlich die  Sonntage  —  je  eine  Predigt  —  im  ganzen  46  Predigten. 
So  viele  Tage  zählt  die  Fastenzeit.  Der  Sermo  in  capite  ieiunii  be- 
ginnt (Clm  7789  Bl.  1):  ,Tu  autem  cum  ieiunas  unge  caput  tuum' 
(Mt  6,  17).  In  hoc  ieiunii  capite  necessarium  nobis  est,  ut  taliter 
ieiunemus,  quatenus  deo  nostro  sint  placita  (Hs :  ,placida*),  nobis  autem 
fructuosa.  Ad  hoc  autem  inter  alia  quatuor  sunt  necessaria  sc.  ut 
ieiunemus  cum  humilitate,  cum  elemosinarum  largicione,  cum  carnis 
maceracione  et  cum  rectitudine  intencionis  bone.' 

Die  Sermones  des  Frater  Konrad  sind  durchweg  thematische 
Spruchpredigten.  An  der  Spitze  der  Predigt  steht  ein  Text  aus 
der  Perikope  oder  aus  einem  andern  Teile  der  Heiligen  Schrift;  aus 
diesem  Teile  wird  in  dem  Eingang  das  Thema  abgeleitet,  welches 
nun  in  seinen  einzelnen  Punkten  behandelt  wird.  Wir  lassen  zwei 
Eingänge  folgen: 

1.  Sermo  1  dominica  I  Adventus  (CLb  b""  D.  1):  ,Emitte  manum 
tuam  de  alto.'  Ps  143,  7:  Ecce  carissimi,  sicut  nauigantes  in  medio 
fluctuum  periculosissimorum  et  sicut  captiui  in  medio  hostium  seuissi- 
morum  desiderant  liberatorem,  sie  patres  antiqui  desiderauerunt  salua- 
torem,  quorum  unus  exclamans  ad  Dominum  dixit:  .Emitte  manum 
tuam  de  alto.'  Manum  dei  dicit  filium  dei:  lo  1,  3:  ,Omnia  per  ipsum 
facta  sunt.'  , Emitte',  ait,  ,manum  tuam',  id  est  filium  tuum  .  .  .  Con- 
siderare  autem  possumus  quatuor  causas  emissionis  filii  dei:  , Emitte', 
inquit,  ,ut  diuinam  offensam  placet,  ut  humanam  naturam  liberet,  ut 
ruinam  angelicam  restauret,  ut  dyabolicam  uiolenciam  superet.' 

2.  Sermo  1  in  feste  s.  Marci  Evangelistae  (CLb  104' "^  D.  S.  28): 
,Ecce  examen  apium  in  ore  leonis  erat  et  fauus  mellis  (lud  14,  8). 
In  figura  quatuor  evangelistarum  uidit  lohannes  in  Apocalypsi  (4,  6) 
quatuor  animalia,  que  eciam  uiderat  Ezechiel  (1,6  ff).    Ex  quibus  homo 


Das  Quadragesimale.     Der  Sermo  1  dominica  I  Adventus.  23 

Matheum,  leo  Marcum,  uitulus  Lucam,  aquila  lohannem  significat,  uel 
secundum  quosdam  leo  Matheum,  sed  secundum  plures  doctores  Mar- 
cum significare  dicitur,  quia  resurreccionem  Domini  diligencius  de- 
scribit,  per  quam  sicut  leo  mortem  uicit.  Iste  leo  apes  aculeatas  et 
mel  in  ore  habuit,  quia  b.  Marcus  aculeos  passionis  Christi  et  dulce- 
dinem  resurreccionis  Christi  deuote  docuit.  Inuenimus  autem  quatuor 
notabilia  in  ore  habita  sc. :  ramum  in  ore  columbe,  mel  in  ore  leonis, 
staterem  in  ore  piscis,  gladium  in  ore  filii  hominis.  Bonus  autem 
evangelista  siue  doctor  habet  bonam  vitam  et  bonam  doctrinam.  Bonus 
evangelista  secundum  quatuor  virtutes  cardinales  est  columba  per 
iusticiam,  leo  per  fortitudinem,  piscis  per  temperanciam,  filius  hominis 
per  prudenciam.  Bonus  evangelista  siue  doctor  habet  in  ore  doctrinam 
bone  operacionis,  eterne  retribucionis,  humane  redempcionis,  extreme 
ulcionis.  Primum  in  ramo,  secundum  in  melle,  tercium  in  statere, 
quartum  in  gladio. 

Verfolgen  wir,  wie  der  Prediger  seine  Dispositionen  durchführt. 
In  der  ersten  Predigt  am  ersten  Adventsonntage  will  er  vier  Punkte 
behandeln,  die  vier  Zwecke  der  Menschwerdung  Christi :  ,ut  diuinam 
offensam  placet,  ut  humanam  naturam  liberet,  ut  ruinam^  angelicam 
restauret,  ut  dyabolicam  uiolenciam  superet'. 

a)  Bei  Is  16,  1  heißt  es:  ,Emitte  agnum.  Domine,  dominatorem 
terrae.'  Das  ist  das  Lamm,  dessen  Blut  die  Sünden  abwäscht;  sein 
Vorbild  ist  das  Paschalamm  des  A.  T.  Am  Kreuze  hat  dieses  Lamm 
Gott  versöhnt  und  die  Seelen  erlöst.  0  Seele,  erwäge,  wieviel  du 
wert  bist,  und  was  für  dich  hingegeben  wurde. 

b)  Wenn  ein  Schiffbrüchiger  durch  eine  barmherzige  Hand  ge- 
rettet würde,  wie  dankbar  würde  er  sein!  Aber  die  undankbare  Welt 
erkennt  die  Gnade,  die  durch  Christi  Hand  ihr  geworden  ist,  nicht 
an,  vielleicht  weil  diese  Hand  mit  der  ,chirotheca  carnis'  bedeckt 
war,  vorgebildet  durch  die  Hand  Jakobs,  die  Isaak  nicht  erkannte 
(Gn  27).  Aber  trotz  der  menschlichen  Hülle  ist  diese  Hand  mächtig; 
mit   einem  Ruck   hat   sie   so  viele  tausend  Seelen   mit  sich  gezogen. 


^  Der  Druck  hat:  ,ut  natura  angelica  restauretur*.  Das  ist  unrichtig.  ,Ruinam 
angelicam  restaurare'  drückt  einen  in  der  mittelalterlichen  Theologie  oft  wiederholten 
Gedanken  aus :  Ursprünglich  seien  zehn  Ordines  angelorum  gewesen ;  der  zehnte 
Ordo  sei  unter  Luzifers  Führung  abgefallen ;  diese  Lücke  in  dem  himmlischen  Reiche 
zu  ersetzen,  sei  die  erlöste  Menschheit  berufen. 


24  I-  Frater  Konrad  von  Sachsen. 

c)  Der  Psalmist  betet:  ,Emitte  lucem  tuam  et  veritatem  tuam, 
ipsa  me  decluxerunt  et  adduxerunt  in  montem  sanctum  tuum  et  in 
tabernacula  tua'  (Ps  42,  3).  Die  ,tabernacula'  sind  die  ordines  ange- 
lorum,  neun  an  der  Zahl.  ,0  quam  beatus  est  qui  in  primo  seu  in- 
fimo  tabernaculo  habitabit !  sed  certe  beatior  qui  in  secundo.  Sic  die 
usque  ad  nouum.  Discunbent  enim  in  bis  tabernaculis  anime  iustorum 
secundum  excellentias  meritorum.  Fiant  enim  equales  angelis  et  socii 
angelorum.' 

d)  Ps  109,  2 :  ,Virgam  virtutis  tuae  emittet  Dominus  ex  Sion, 
dominare  in  meuio  inimicorum  tuorum.'  Diese  Rute  züchtigt  den 
Teufel  und  überwindet  ihn. 

Der  Sermo  am  Markusfeste,  dessen  Disposition  oben  unter  Nr  2 
mitgeteilt  ist,  gehört  zu  den  emblematischen  Spruchpredigten, 
in  welchen  die  religiöse  Wahrheit  an  sinnlichen  Bildern  dargelegt 
wird.     Hier  sind  es:  ramus,  mel,  stater,  gladius. 

a)  Der  Zweig  im  Munde  der  Taube  (Gn  8,  11)  bedeutet  die  guten 
Werke.  ,Quicunque  ergo  bonum  opus  docet,  quasi  uirentem  ramum 
in  ore  habet.  Ramum  ergo  boni  operis  cum  beato  Marco  non  solum 
in  ore  sed  eciam  in  manu  debet  habere,  quicunque  in  morte  uel  in 
iudicio  Domino  uoluerit  obuiare  et  celestem  Jerusalem  cum  ipso  in- 
trare  . .  .  .  Sed  eheu  sicut  columba  ramum  sie  ciconia  dyaboli 
ranam  in  ore  habet.  Triplex  autem  est  garrula  rana  dyaboli:  rana 
dyaboli  est  lingua  peruersi  aduocati,  rana  dyaboli  est  lingua  heretica, 
rana   dyaboli   est   lingua   cuiuslibet  temptatoris  siue  scandalisatoris.'  ^ 

b)  Honig  bedeutet  die  Süßigkeit  des  unsterblichen  Lebens. 
,Haereditas  mea  super  mel  et  favum'  (Eccli  24,  27).  Im  Lande  der 
Verheißung  fließen  Milch  und  Honig;  die  Süßigkeit  der  Menschheit 
Christi  wird  in  der  Milch  versinnbildet,  die  Süßigkeit  seiner  Gottheit 
in  dem  Honig.     Die  Evangelisten  tragen  Honig  im  Munde;  denn  sie 


^  Die  Parallele  liegt  nahe:  die  Taube  mit  dem  Ölzweig,  der  Storch  mit  dem 
Frosche.  Der  Frosch  galt  als  Symbol  des  Dämonischen,  des  Teufels  (Apc  16,  13), 
daher  hier  , dyaboli  rana' ;  als  Symbol  der  Ketzer.  Vgl.  Eucherii  Lugd.  Liber 
formularum  spiritalis  intelligentiae  c.  5  (Migne,  P.  L.  L  753):  ,Ranae  daemones 
(Apc  16,  13)  item  ranae  haeretici,  qui  in  coeno  vilissimorum  sensuum  commo- 
rantes,  vana  garrulitate  oblatare  non  desinunt.*  Die  drei  Klassen  entsprechen  den 
drei  Arten  der  Frösche,  wie  sie  nach  Plinius  und  andern  die  Glossa  ordinaria  in 
Exod.  c.  8  (Migne,  P.  L.  CXIII  205)  anführt.  Dafs  die  Advokaten  dabei  erwähnt 
werden,  ist  ein  Beleg  für  den  schlimmen  Ruf,  in  welchem  dieselben  damals  standen. 


Der  Sermo  1  in  die  s.  Marci.     Die  Predigtweise.  25 

verkünden  die  Süßigkeit  des  himmlischen  Lebens.  Aber  sie  haben 
auch  stechende  Bienen  darin;  denn  sie  lehren,  daß  man  zu  jenem 
Leben  nur  durch  Leiden  kommen  kann  (Erzählung  aus  dem  Martyrium 
des  hl.  Markus).  Leider  gibt  es  viele,  welche  meinen  ohne  Leiden  in 
den  Himmel  kommen  zu  können.  ,Mel  utique  appetunt,  sed  quia  assari 
passionibus  nolunt,  fugiunt:  simul  mundi  et  celi  dulcedinem  querunt.' 

c)  Christus  befahl  dem  hl.  Petrus,  aus  dem  Fische  den  Stater 
zu  nehmen  und  damit  für  beide  den  Tribut  an  den  Kaiser  zu  zahlen 
(Mt  17,  26).  Wie  damals  die  Welt  dem  römischen  Cäsar  tributpflichtig 
war,  so  war  sie  es  in  geistiger  Weise  dem  Teufel.  Der  Zinsdenar 
war  die  Seele,  die  dem  Teufel  verfallen  war.  Von  dieser  Zinspflicht 
hat  Christus  uns  befreit.  Christus  ist  der  Stater.  Der  Stater  hat 
zwei  Drachmen,  welche  die  göttliche  und  menschliche  Natur  bedeuten. 
Der  hl.  Markus  hat  den  Stater  im  Munde ;  denn  er  verkündete  Christum, 
den  Befreier.  ,0  wie  kostbar  ist  der  Stater,  der  ausreichte,  um  den 
Tribut  der  ganzen  Welt  zu  zahlen !  0  wie  kostbar  ist  der  Leib,  aus 
welchem  der  so  wertvolle  Stater  genommen  ist'.' 

d)  Ein  Schwert  hat  der  hl.  Markus  im  Munde;  denn  er  schreckt 
die  Menschen  durch  seine  Worte  vor  dem  Gerichte  und  vor  der 
ewigen  Strafe. 

Während  die  Adventspredigt  in  der  Disposition  und  in  der  Aus- 
führung die  einfache  thematische  Predigt  darstellt,  zeigt  die 
Predigt  auf  das  Fest  des  hl.  Markus  die  verwickelte  Methode  der 
emblematischen  Predigt,  bei  welcher  schon  die  Findung  des 
Themas  und  noch  mehr  dessen  Behandlung  zu  erkünstelten  Deutungen 
und  Anwendungen  der  Heiligen  Schrift  verführen  mußte.  In  beiden 
Methoden  repräsentiert  der  Frater  den  theologisch  gebildeten  Pre- 
diger seiner  Zeit,  welcher,  ausgerüstet  mit  der  von  der  theologischen 
Schule  geforderten  Schriftkenntnis  und  bev/andert  in  den  Sentenzen 
des  Lombarden,   die   Heilswahrheiten   in   einer   den  Grundsätzen   der 

1  Schuleloquenz  entsprechenden  Form  darzustellen  weiß,  überraschend 
schnell  hatte  sich  die  neue  Predigtweise  von  Frankreich  aus  überallhin 

'  und  auch  nach  Deutschland  verbreitet,  wo  sie  zunächst  bei  den  Mino- 
riten  und  Predigerbrüdern   eifrige  Pflege   fand,   bald  aber  Gemeingut 

^  aller  Prediger  wurde. 

'  In  der  äußeren  Form  der  Division  oder  Partition  ahmt  Frater 

'Konrad  die  Sitte  der  damaligen  literarisch  gebildeten  Prediger  nach: 


^^ÄWPTy^^ 


26  I.  Frater  Konrad  von  Sachsen. 

er  gibt  den  Gliedern  gleichlautende  Endsilben;  die  Glieder 
bilden  Reime.  Wir  bemerkten  bereits  oben,  daß  in  den  Predigten 
des  hl.  Antonius  von  Padua  solche  Konsonanzen  in  der  Division  des 
Themas  vorkommen.  Das  wurde  immer  mehr  allgemeine  Gewohnheit, 
die  freilich  auch  Widerspruch  hervorrieft.  Diese  Konsonanzen  wird 
man  in  den  Predigten  Konrads  fast  immer  finden.  Man  vergleiche 
die  oben  mitgeteilten  Eingänge.  Wir  lassen  noch  einige  Beispiele 
folgen:  ,Pax  commendabilis ^  propter  principis  auctoritatem,  propter 
iudicii  seueritatem,  propter  pacis  utilitatem.'  ,Tnducere  (lesum)  debemus 
in  templum  cordis,  in  ulnas  operis,  in  laudem  oris.'  ^  .Cum  *  eiecta  esset 
turba  intrauit  lesus  et  tenuit  manum  eius  et  dicit:  Puella  surge! 
(Mt  9,  25;  Mk  5,  41).  In  his  quatuor  consideranda  occurrunt :  Turba 
eicitur,  Christus  ingreditur,  manus  tenetur,  surgere  iubetur.  Signi- 
ficantur  enim  in  his  quatuor  necessaria  ad  salutem  scilicet:  ut  im- 
pedimentum  salutis  euitetur,  ut  efficaciter  de  salute  cogitetur,  ut  vo- 
luntas  per  graciam  ad  salutem  adiuuetur,  ut  a  peccato  anima  in 
salutem  iustificetur.' 

Diese  Form  war  indessen  nichts  weniger  als  eine  Erfindung  der 
scholastischen  Theologie.  Sie  stammte  vielmehr  aus  der  antiken  Kunst- 
prosa ^  und  fand  bei  den  lateinischen  kirchlichen  Schriftstellern,  ins- 
besondere bei  den  afrikanischen,  liebevolle  Pflege.  Auch  der  hl.  Augu- 
stinus ^^  und  seine  Nachahmer  gebrauchten  sie  mit  Vorliebe'^.  Sie 
besteht  in  dem  , antithetischen  Satzparallelismus  mit  Homoioteleuton'. 
Unter  den  mittelalterlichen  Theologen  gebrauchte  sie  der  stilgewandte 
hl.  Bernhard  mit  Vorliebe  in  seinen  homiletischen  Schriften.  Noch 
mehr  als  die  letzteren  haben  die  dem  hl.  Bernhard  zugeschriebenen, 
vielbenutzten  ,Sententiae',  in  welchen  inhaltsreiche  Gedanken  in  kurzen 
und  kernigen  Sätzen  vorgetragen  werden,  die  Konsonanzenform  in 
den  Dispositionen  empfohlen  und  beliebt  gemacht.    Darin  heißt  es  — 


'  Vgl.  die  oben  angeführten  Angriffe  des  Frater  Roger  Bacon  S.  5. 

^  Sermo  1  dominica  I  post  Pascha. 

^  Sermo  3  in  Piirificatione  b.  M.  V. 

^  Sermo  3  dominica  XXIV  post  Pentecosten ;  im  D.  Sermo  2. 

•'  Vgl.  E.  Norden,  Die  antike  Kunstprosa  II  615  ff. 

^  Lietzmann  (Fünf  Festpredigten  Augustins  in  gereimter  Prosa,  Bonn  1905) 
weist  den  Reim  und  die  rhythmische  Kadenz  in  Augustinischen  Predigten  nach. 

'  So  Fulgentius  von  Ruspe;  vgl.  u.  a.  dessen  Sermones  in  Nativitate 
Christi  und  de  s.  Stephane,  bei  Migne,  P.  L.  LXV  726—732. 


Die  Konsonanzen.     Vorbilder  bei  Augustin  und  Bernhard.     Typologie.       27 

um  nur  einige  Beispiele  anzuführen  — ,  der  Friede,  welchen  Christus 
gebracht  hat,  sei  ,non  promissa,  sed  missa ;  non  dilata,  sed  data ;  non 
prophetata,  sed  praesentata'  ^.  ,Duo  sunt  ubera  charitatis'  —  wird 
in  einer  wahrscheinlich  echten  Sentenzenreihe  ausgeführt  — ,  com- 
passio  et  congratulatio :  ex  compassione  lac  sugitur  consolationis,  ex 
congratulatione  lac  sugitur  exhortationis.'  2  Der  jedenfalls  unechte 
,Liber  sententiarum'  ^  enthält  eine  Fülle  solcher  nach  dem  hl.  Bernhard 
gebildeter  Kernsprüche,  die  vortreffliche  Dispositionen  zu  Predigten 
abgeben  und  auch  den  Predigern  unserer  Zeit  zur  Beachtung  empfohlen 
werden  können.  Daß  sie  dazu  oft  benutzt  wurden,  ist  bei  dem  An- 
sehen, dessen  sich  der  Heilige  erfreute,  begreiflich. 

Der  Frater  Konrad  teilt  mit  den  Theologen  seiner  Zeit  die  reiche 
Kenntnis  der  Heiligen  Schrift.  Freilich  ist  die  Anwendung 
derselben  vom  exegetischen  Gesichtspunkte  aus  nicht  immer  einwand- 
frei; er  hält  sich  eben  an  die  damals  herrschende  allegorische  Methode 
der  Schrifterklärung.  Damit  konnte  der  Prediger  schon  aus  den  bibli- 
schen Erzählungen  einen  kaum  zu  bewältigenden  Stoff  für  seine  mora- 
lischen Belehrungen  gewinnen.  Er  lehnte  seine  Belehrungen  an  alt-  und 
neutestamentliche  Personen  und  Erzählungen  an,  indem  er  die  letzteren 
als  Typen  für  einzelne  christliche  Stände  oder  für  moralische  Zu- 
stände hinstellte.  Daß  diese  Typologie  nicht  ohne  gewaltsame 
und  sonderbare  Deutungen  der  Heiligen  Schrift  gehandhabt  wurde, 
braucht  kaum  bemerkt  zu  werden.  Wir  stoßen  auf  zahlreiche  Bei- 
spiele wunderlicher  Schriftanwendung. 

In  der  Predigt*  von  den  sieben  Ursachen  der  Bedrängnisse  des 
Schiffes  der  Kirche  knüpft  Frater  Konrad  an  alttestamentliche  Vor- 
gänge an:  an  die  Sendung  von  Schiffen  nach  dem  Goldlande  Ophir 
unter  König  Josaphat  (3  Rg  22,  49),  welche  die  avaritia  temporalium 
sinnbildet;  an  den  Untergang  der  Juden  in  den  Schiffen  der  Joppiten 
(2  Mach  12,  3  ff),  welcher  die  Gefahren  der  adhaerentia  malae  socie- 
tatis  zeigt;  an  die  Geschichte  des  Propheten  Jonas  als  Beweis  der 
schlimmen  Folgen  des  Ungehorsams.  Die  weiteren  Ursachen  der 
Bedrängnisse  der  Kirche  —  negligentia  praelatorum,  absentia  Christi 
spiritualis,  curae  pastoralis  excrescentia  (übergroße  Zahl  der  Gemeinde- 


'  In  Epiphania  Sermo  1:  Migne,  P.  L.  CLXXXIII  142. 

2  Sententiae  31:  Migne,  P.  L.  CLXXXIV  754.  ^  g^d.  1135  ff. 

■*  Sermo  2  u.  3  dominica  III  post  octavam  Epiplianiae. 


28  !•  Frater  Konrad  von  Sachsen. 

glieder),  oppressio  innocentium  —  werden  durch  neutestamentliche 
Stellen  belegt.  Das  Gesicht  Daniels  von  dem  hircus  mit  den  vier 
Hörnern  (Dn  8,  8  ff)  versinnbildet  die  Bedrängnisse  der  Kirche  von 
außen  und  von  innen  i.  Den  Verrat  Tryphons  an  Jonathas  (1  Mach  12) 
nutzt  der  Prediger  aus  zur  Schilderung  der  Gefahren,  welche  der 
gläubigen  Seele  durch  den  Teufel  drohen  2.  Die  drei  Jahre  bei  Is 
20,  3  wendet  er  an  zur  Erläuterung  der  drei  Grade  der  Armut  3. 
Diese  typologische  und  allegorische  Anwendung  der  Heiligen  Schrift 
findet  sich  in  geringerer  oder  größerer  Ausführlichkeit  fast  in  jeder 
Predigt. 

Frater  Konrad  benutzt  die  besprochene  Methode  meist  nur  zur 
Beleuchtung  einzelner  Punkte  seiner  Predigt.  Viel  weiter  gehen  Ber- 
told  von  Regensburg  und  sein  Nachahmer,  der  Frater  Ludovicus. 
Bei  diesen  beherrscht  der  biblische  Typus  oft  die  ganze  Disposition 
der  Predigt.  Wir  werden  im  zweiten  Abschnitte  diese  Predigtweise 
einer  Würdigung  unterziehen. 

Zur  Erklärung  der  Heiligen  Schrift  bedient  sich  Frater  Konrad 
der  Glossa  ordinaria,  die  fast  auf  jedem  Blatte  als  ,Glosa'  herangezogen 
wird.  Walafried  Strabo  (f  849)  hatte  mit  derselben  der  jungen 
Kirche  in  Deutschland  ein  wertvolles  Geschenk  gemacht*.  Daneben 
wird  auch  hie  und  da  die  , Glossa  interlinearis'  zitiert^,  jene  Glosse, 
in  welcher  der  Scholasticus  Anselm  von  Laon  (f  1117)  einzelne  dunkle 
Worte  durch  kurze  über  dieselben  geschriebene  Erläuterungen  erklärte. 
Beide  Glossen  finden  sich  oft  in  Bibelhandschriften  vereint,  jene  am 
Rande,  diese  über  den  Zeilen.  Außer  diesen  Glossen  benutzt  Frater 
Konrad  auch  die  Historia  scholastica  des  Pariser  Theologen  Petrus 
Comestor.  Von  den  griechischen  Vätern  wird  Chrysostomus,  von  den 
lateinischen  werden  Hieronymus,  Augustinus,  Gregorius  und  Isidor 
von  Sevilla  am  meisten  zitiert.  Unter  den  späteren  kirchlichen  Schrift- 
stellern bevorzugt  er  den  hl.  Bernhard,  dessen  kernige  Worte  sich 
fast  in  jeder  Predigt  finden.  Die  Väterstellen  sind  der  Glossa  ordinaria 
entnommen,   welche   deren   für  den  Predigtgebrauch  in  ausreichender 


^  Sermo  1  in  festo  Omnium  Sanctorum. 
-  Sermo  1  die  s.  Andreae.  ^  Sermo  2  in  Pentecoste. 

*  Migne,  P.  L.  CXIII  u.  CXIV. 

"'  So  Sermo  1    dorn.  X   post.  Pentec.  CLb  73'  D.  278;    Sermo  1   de   Trinitate 
CLb  109'  D.  236. 


Typologie.     Hilfsmittel :  die  ,Glossa  ordinaria*,  Kirchenväter.     Denkverse.        29 

Fülle  bot.  Im  Vergleich  zu  seinem  Ordensgenossen  Bertold  ^  ist  die 
Belesenheit  des  Frater  Konrad  oder  vielmehr  dessen  Vorliebe  für 
Zitate  aus  Vätern  gering. 

Nur  einmal  finden  wir  die  Dekretalen  zitiert,  und  zwar  c.  12 
de  poenit.  et  rem.  (V  38),  in  welchen  die  jährliche  Beichtpflicht  ein- 
geschärft wird  2.  Ob  Frater  Konrad  die  Summula  Raymundi  metrica 
gekannt  hat,  ist  zweifelhaft. 

Frater  Konrad  liebt  es,  Verse  zur  Bekräftigung  und  Verdeut- 
lichung seiner  Ausführungen  zu  zitieren.  Zur  Kennzeichnung  der 
Häßlichkeit  der  Übeln  Nachrede  erinnert  er  an  die  Verse,  welche 
der  hl.  Augustinus  über  seinem  Tische  angebracht  hat^: 

Quisquis  amat  dictis  absentum  rodere  uitam, 
Hanc  mensam  vetitam  nouerit  esse  sibi. 

Die  Mahnung  zur  raschen  Anwendung  der  Medizin  der  Buße  nach 
dem  Falle  bekräftigt  er  durch  die  bekannten  Verse  ^: 

Principiis  obsta,  sero  medicina  paratur. 
Cum  mala  per  longas  inualuere  moras. 

In  dem  2.  Sermo  in  feste  s.  Petri  ad  Vincula^  spricht  er  von 
Christus,  als  dem  ,lapis  angularis' :  ,Notandum  quod  iste  lapis  in  caput 
anguli  factus  capiti  tuo  est  timendus.  Caueas  ergo  tibi  quasi  lutee 
olle  de  isto  lapide,  quia 

011a  luit  si  petra  ruit  iiel  si  ruit  olla.' 

Woher  dieser  Vers  stammt,  können  wir  nicht  ermitteln.  Er  gehört 
jedenfalls  jener  großen  Anzahl  von  Schul  versen  an,  die  im  mittel- 
alterlichen Unterricht  beliebt  und  geeignet  waren,  das  Gedächtnis  zu 
unterstützen.  Wenn  Konrad  sie  verwandte,  so  geschah  das  offenbar, 
um    den  Predigern    eine  Krücke   für   das  Gedächtnis    zu    bieten.     So 


^  Vgl.  das  Verzeichnis  der  von  Bertold  zitierten  Autoren  bei  Schönbach, 
Die  Überlieferung  Bertolds  II  9  22  60  73. 

2  Sermo  7  in  Rogationibus  CLb  54'  D.  198. 

^  Sermo  4  dominica  II  in  Quadrag.  CLb  32  D.  116'. 

'  Sermo  1  die  s.  Lucae  CLb  127  D.  S.  108. 

^  So  D.  S.  70;  in  CLb  160*  ist  die  Sentenz  nicht  versifiziert,  vielmehr 
steht  hier  sowohl  wie  in  Clm  2946  Bl  166*  nur:  ,Si  olla  super  lapidem  uel  lapis 
super  ollam  (cadit),  ue  olle!',  wohl  aber  findet  sich  dieser  Vers  im  Sermo  3  domi- 
I  nica  IV  post  Pentecosten  CLb  67"^,  während  er  an  dieser  Stelle  im  Druck 
nicht  steht. 


30  I-  Frater  Konrad  von  Sachsen, 

faßt   er   auch   die   sechs  geistlichen  und  sieben  leiblichen  Werke  der 

Barmherzigkeit  in  folgende  Verse  zusammen^: 

jConsule,  castiga,  solare,  remitte,  fer,  ora, 
Colligo,  poto,  cibo,  redimo,  tego,  uisito,  condo. 

Bei    der    moralischen    Deutung    der  Heilung    des   Blindgebornen 
bedient  er  sich  des  Verses  2; 

Est  caro  nostra  lutum,  patris  sapientia  Sputum. 

Als  Denkverse   für  den  Dekalog  werden  folgende  vorgetragen  ^ : 

Est  Deus,  est  nomen,  sunt  sabbata  suntque  parentes, 
Mors,  moeclius,  furtum,  testis  falsus,  domus  [et]  uxor*. 

Aus  demselben  Schulschatze  stammen  die  im  Sermo  7  in  Roga- 

tionibus  stehenden  Verse  über  die  Beicht.    Die  circumstantiae  aggra- 

vantes  peccatum  werden  in  folgenden  Versen  vorgeführt^: 

Aggrauat  ordo,  locus  peccata,  scientia,  tempus, 
Etas,  condicio,  numerus,  mora,  copia,  causa. 
Et  modus  in  culpa,  Status  altus,   lucta  pusilla. 

Die  Beicht  selbst  muß  folgende  Eigenschaften  haben  ^i 

Sit  Simplex,  bumilis  confessio,  pura,  fidelis, 
Vera,  frequens,  nuda,  discreta,  libens,  uerecunda, 
Integra,  secreta,  lacrimabilis,  accelerata, 
Fortis  et  accusans  et  sit  parere  parata. 

Im  Pariser  Druck  sind  nur  zwei  Verse  enthalten": 

Sit  Simplex,  humilis  confessio,  pura,  fidelis, 
Vera  sit,  accusans,  fortis,  parere  parata. 

In    der    Summula   Raymundi    metrica    kommen    ähnliche    Verse 
vor.     Der   dem    14.  Jahrhundert   angehörige  Clm   2699,    welcher   die 


'  Sermo  1  dom.  IV  post  Pentec.  CLb  67  D.  254. 

^  Sermo  3  in  Quinquagesima  CLb  27'  D.  99. 

^  Sermo  3  de  Confessoribus  (doctoribus)  CLb  137'  D.  S.  148'.  Der  Druck 
hat  statt  ,nomen'  das  sinnlose  ,unum'. 

*  In  Clm  2946  Bl.  200^  und  Clm  16439  werden  an  der  gleichen  Stelle  fol- 
gende Verse  zitiert : 

Idola  sperne,  dei  non  sit  tibi  nomen  inane, 
Sabbato  santifices,  liabeas  in  honore  parentes, 
-.  Non  occisor  eris,  mechus,  für,  testis  iniquus, 

Non  alii  nuptam,  non  rem  cupias  alienam. 

In  dieser  erweiterten  Form  kommen  sie   in   den  Hss  des  14.  und   15.  Jahrhunderts 
häufig  vor.     Sie  gehörten  zu  den  Lernmitteln  der  Schulen. 
^  CLb  54  D.  198'.  «  Ebd.  '  Bl.  198. 


Denkverse.     Benutzung  der  Summula  Raymundi  metrica.  31 

Summula   enthält,    weist   Bl.    183    folgende    beiden   Verse   über   die 

Eigenschaften  der  Beicht  auf: 

Accusans,  nuda,  directa  sit  ac  manifesta, 
Et  sit  discreta,  discernens.  pura,  modesta. 

Der  Text  der  Summula,    deren   früheste  Form  noch  der  Feststellung 

harrt,  zeigt  die  größten  Verschiedenheiten.    Die  Drucke  weichen  daher 

auch  an  der  hier  behandelten  Stelle  erheblich  voneinander  ab.    In  der 

Basier  Ausgabe   des  Johannes  Knoblouch   vom  Jahre   1504   Bl.  128' 

lautet  die  Stelle  so: 

Accusans,  nuda,  directa  sit  et  manifesta. 
Et  sit  discreta,  discernens,  pura,  morosa, 
Sit  simplex,  liumilis  confessio,  plena,  fidelis. 

In  der  Kölner  Quentelschen  Ausgabe  1  vom  Jahre  1495  steht  im  ersten 

Verse  ,munda'   statt  ,nuda'.     In   dem   um    1330  verfaßten  Manipulus 

Curatorum   des  Guido   von  Mont-Rocher^   lauten   die  Verse   über  die 

j  Beicht   wie   in    den   oben   angeführten  Münchener  Handschriften   der 

Sermones  Conradi,   nur  steht  statt  ,Vera,  frequens'  ,Atque  frequens'. 

Da  uns  weder  Handschriften  dieser  Sermones  noch  der  Summula 
Raymundi  aus  dem  13.  Jahrhundert  vorliegen,  läßt  sich  nicht  mit 
Sicherheit  feststellen,  ob  Frater  Konrad  die  letztere  gekannt  hat. 
Denn  es  ist  auch  möglich,  daß  die  Abschreiber  des  14.  Jahrhun- 
derts die  in  dem  Sermo  stehenden  Verse  nach  dem  ihnen  bekannten 
Texte  der  Summula  umgebildet  haben.  Als  ganz  ausgeschlossen  darf 
man  jedoch  die  Benutzung  der  Summula  nicht  betrachten.  Dieselbe 
ist  nach  der  zwischen  1233  — 1244  verfaßten  großen  Summa  Rai- 
munds von  Pennaforte  wohl  schon  um  die  Mitte  des  13.  Jahrhunderts 
verfaßt  worden.  Nehmen  wir  an,  daß  die  Predigten  Konrads  vor 
1273  —  wie  oben  gezeigt  —  geschrieben  seien,  so  liegt  ein  Be- 
denken gegen  die  Annahme  einer  Benutzung  der  Summula  seitens  des 
Minoriten  nicht  vor.  Auch  Bertold  von  Regensburg  scheint  sie  ge- 
kannt und  benutzt  zu  haben  ^. 

Endlich  führe  ich  noch  die  Verse  an,  welche  die  fünf  Arten  der 
Gula  beschreiben^: 


'  Hain  n8707.  ^  Hain  *8158. 

^  Vgl.  Schönbach,  Über  eine  Grazer  Handschrift  62  88,  und  Franz,  Die 
Messe  483. 

'  Sermo  1  dominica  I  post  Pentec.  CLb  63'  D.  24r. 


32  T-  Frater  Konrad  von  Sachsen. 

Prepropere,  laute,  nimis,  ardenter,  studiose ; 
Mel  lonathe,  carnes  heremi,  panes  Sodomite, 
Lens  Esau,  Pineas  comprobat  ^  olla  gulam. 

Auch    diese  Verse   stammen   aus   einem  Lehrbuche.     Wir   finden   sie 

in  einem  dem  14.  Jahrhundert  angehörigen  Traktate  über- die  ,Inter- 

rogationes'  in  der  Beicht  (Clm  2699  Bl.  9)   in   etwas  anderer  Form: 

Prepropere,  laute,  nimis,  ardenter,  studiose. 

Est  certum  quinque  modis  gula  dampnat  [edacem], 

Dum  nimium  comedit  vel  edendi  preuenerit  horam, 

Querit  delicias,  parat  escas  deliciose, 

Vel  sumit  cupide,  quod  non  est  deliciosum. 

Die  letztere  Fassung  geht  im  wesentlichen  bis  in  das  12.  Jahrhundert 
zurück.  Sie  begegnet  uns  schon  unter  den  sog.  ,Carmina  miscellanea* 
Hildeberts  von  Le  Mans^.  Darin  werden  zugleich  die  biblischen 
Beispiele  erläutert. 

Man  darf  den  Frater  Konrad  zu  den  ersten  Predigern  rechnen, 
welche  einen  ausgiebigen  Gebrauch  von  der  Liturgie  und  von  den 
kirchlichen  Zeremonien  machen ^.  Er  erklärt  die  Bedeutung 
der  Prozession  an  Maria  Lichtmeß  und  der  an  diesem  Tage  geweihten  1 
Kerzen*  und  führt  in  das  Verständnis  der  ,incineratio',  der  Ein- 
äscherung, ein^.  Er  deutet  die  Symbolik  der  drei  Teile  der  heiligen 
Hostie  in  der  Messe;  wenn  er  auch  dabei  auf  die  Sentenzen  des 
Lombarden  verweist^,  so  gibt  er  doch  eine  andere,  zu  seiner  Zeit 
allgemein  übliche  Erklärung,  nach  welcher  die  drei  Teile  die  Heiligen 
im  Himmel,  die  Gläubigen  auf  Erden  und  die  Seelen  im  Fegfeuer 
versinnbilden^.  An  einer  andern  Stelle  wird  das  Gebet  des  Kanons: 
,Iube  hec  perferri*  etc.  als  Beweis  dafür  zitiert,  daß  die  Engel  den 
Verstorbenen  die  Früchte  der  heiligen  Messe  überbringen^.  Am 
Trinitatisfeste    erläutert    er    die  Segensformel:    ,Benedicat   vos   deus, 


^  Hs  irrig:  , perprobat';  D.  und  andere  Hss:  , comprobat'.    D.  hat  statt  , heremi' 
,deserti'.     Die   biblischen  Beispiele   stehen:    1  Rg  14,    27  43;  Nm  11,    32—34;    Ez  , 
16,  49;  Gn  25,  29 ;  1  Rg  2,  13   14. 

2  Migne,  P.  L.  CLXXI  1411. 

•^  Vgl.  über  die  Liturgie  in  der  Predigt  Franz,  Die  Messe  642  ff. 

*  CLb  101  D.  S.  14.  ^  CLb  28  D.  lOr. 

"^  Sententiarum  lib.  IV  dist.   12.   Venetiis  1589,  328. 

''  Sermo  1  doniinica  IV  Qiiadragesiniae    CLb  33''   D.  122';    vgl.    auch  Franz 
a.  a.  0.  357  437  466. 

«  Sermo  6  in  Coena  Domini  CLb  39  D.  141'.  j 

I, 

i! 


Die  Liturgie  in  der  Predigt.     Beispiele.  33 

deus  noster,  benedicat  vos  deus'  (Ps  66,  7  8)  und  führt  u.  a.  aus, 
daß  die  kirchliche  bencdictio  bei  verschiedenen  Anlässen  gegeben 
werde:  den  Büßern  bei  der  Absolution,  den  Opfernden  bei  der  Dar- 
])ringung  der  Gaben,  den  Brautleuten  und  den  Kreuzzugssoldaten  ^. 
Auch  an  andern  Stellen  finden  sich  Hinweise  auf  die  Liturgie,  da- 
runter wiederholt  Zitationen  von  kirchlichen  Hymnen.  Frater  Konrad 
berücksichtigt  sonach  die  Liturgie  viel  stärker  als  die  Homileten  vor 
ihm  und  teilt  diese  Vorliebe  mit  seinem  großen  Ordens-  und  Zeit- 
genossen Bertold  von  Regensburg. 

So    reich    die    Predigten    des    Frater  Konrad   an    Hinw^eisen    auf 
biblische  Tatsachen  sind,  so  arm  erscheinen  sie  an  Beispielen  aus  der 
Profangeschichte    und    aus    den  Heiligenlegenden.     Nur   in 
i  dem  Zyklus  de  Sanctis  kommt  die  Legende  naturgemäß  zur  Geltung, 
1  aber  in  keineswegs  vordringlicher  Weise;    dagegen  fehlen  im  Zyklus 
■  de  tempore  die  ,exempla'  aus  der  Profangeschichte  und  aus  der  Legende 
{  vollständig,   wiewohl  sie  sich  zur  Zeit  Konrads  bereits  das  Heimats- 
recht in  den  Predigten  erworben  hatten  -.    Dagegen  kommen  wieder- 
j  holt  Gleichnisse  aus  der  Natur  vor.     Der  Adler  erneuert  seine  Kraft 
durch  den  Flug  gegen  die  Sonne  hin ;   so  soll  der  Christ  sich  innerlich 
erneuern  durch  das  geistige  Hinaufsteigen  zu  Christus  ^.    Die  Haltung 
der  Schlange   bei   der  incantatio  —  sie    steckt    das   eine  Ohr  in   die 
Erde   und   verdeckt   das   andere   mit   dem   Schwänze  —  belehrt   den 
Menschen,  wie  er  sich  gegenüber  den  Einflüsterungen  des  Teufels  zu 
verhalten  hat'^. 

Wie  die  Disposition  eine  schulgemäße  Klarheit  verrät,  so  geht 
auch  die  Ausführung  in  regelrechtem  Gange  vor  sich.  Zunächst  wird 
der  einzelne  Punkt  des  Themas  mit  Schriftstellen  und  mit  Aussprüchen 
der  Väter  belegt.  Daran  schließen  sich  kurze  Erläuterungen  und 
moralische  Anwendungen.  Den  Schluß  der  einzelnen  Teile  bilden 
gewöhnlich  Ermahnungen  oder  auch  Klagen  über  das  den  vorgetragenen 
Grundsätzen  widersprechende  Tun  und  Lassen  der  Christen.  Selten 
.  nur   kommen   Subpartitionen    in    größerem   Umfange    vor.     Die  Aus- 


'  Sermo  3  de  Trinitate  D.  289';  der  Sermo  fehlt  in  CLb. 
^  S.  unten  Abschnitt  III. 

^  In  Ascensione  Domini  Sermo  1  D.  201.     Vgl.  Laudiert  9. 
^  Dom.  I  Adventus  Sermo  4   ßl.  b\     Dom.  de  Passione  Sermo  1  Bl.  126''  er- 
i  wähnt  er  die  Fabel  vom  Pelikan  ;  vgl.  L  a  u  c  h  e  r  t  8. 

Franz,  Drei  deutsche  Minoritenprediger.  3 


34  !•  Frater  Konrad  von  Sachsen. 

führiing  ist  prägnant,  kurz,  oft  aphoristisch.  Der  Frater  will  nur 
klar  disponierten  und  reichlichen  Predigtstoff  geben  und 
überläßt  die  homiletische  Ausführung  dem  Benutzer.  Oft  weist  er  den 
Prediger  an,  diesen  oder  jenen  Gedanken  weiter  auszuführen  ^.  Wir 
haben  also  mehr  oder  minder  ausführliche  Predigtskizzen  vor  uns, 
die,  inhaltlich  vollständig,  dem  Prediger  die  homiletische  Ausgestaltung, 
die  rednerische  Darstellung  überlassen.  Das  trifft  bei  vielen  mittel- 
alterlichen Predigtwerken  zu,  selbst  —  freilich  in  geringerem  Maße  — 
in  dem  Rusticanus  de  Dominicis  Bertolds^. 

Daher  vermißt  man  meist  eine  individuelle  Färbung  der  Predigten 
und  bedauert  die  große  Zurückhaltung  des  Predigers  gegenüber  den 
Zeitverhältnissen.  Die  oft  vorkommenden  Klagen  desselben  über  die 
schlimmen  Zustände  in  Kirche  und  Gesellschaft  ermangeln  gewöhnlich 
der  weiteren  Begründung  und  Ausführung.  Das  ist  so  auffallend, 
daß  man  fast  eine  absichtliche  Zurückhaltung  annehmen  möchte,  die 
sich  der  Frater  —  im  Gegensatz  zu  seinen  jüngeren  Ordensgenossen 
—  auferlegt  hat.  Er  bricht  oft  ab  oder  wendet  die  Gedanken  anders- 
wohin, wenn  man  gespannt  der  weiteren  Ausführung  über  die  an- 
gedeuteten Mißstände  entgegensieht.  Im  übrigen  fehlt  es  dem  Frater 
Konrad  nicht  an  Freimut  in  der  Bekämpfung  der  Gebrechen  seiner 
Zeit.  Seine  Sprache  ist  aber  auch  in  diesen  Partien  gemessen  und 
erhebt  sich  nur  selten  zu  ernster  Strafrede. 

Wenn  auch  der  bei  weitem  größte  Teil  der  Sermones  für  den 
allgemeinen  Gebrauch  bestimmt  ist,  so  sind  doch  eine  Anzahl 
so  gehalten,  daß  sie  nur  für  Ordensgemeinden  gebraucht  werden 
konnten.  Dahin  sind  zu  rechnen  die  ersten  drei  Sermones  am  Sonn- 
tag in  der  Oktave  von  Epiphanie^,  in  welchen  er  unter  dem  Vor- 
spruch ,Post  triduum  invenerunt  eum  in  templo'  (Lc  2,  46)  von  dem 
Triduum  incipientium,  proficientium  und  perfectorum  handelt.  Ebenso 
sind  die  ersten  beiden  Predigten  am  Pfingstfeste  in  diese  Klasse  zu 
rechnen*.  Sie  handeln  von  den  signa  spiritus  sancti.  Der  Frater 
Konrad  gibt  selbst  die  Anweisung,  die  ersten  drei  Predigten  am  Kar- 


'  Wendungen  wie :   .ostende  hoc ;  hie  die  quomodo.  hie  die  de  .  .  .,  die  totum* 
kommen  oft  vor. 

-  Vgl.  Schönbach,  Die  Überlieferung  Bertolds  II.  15. 

3  CLb  18'— 19'  D.  65—69. 

*  CLb  57'  58  D.  211-213.  > 


Charakter  der  Predigten.     Die  Sermones  ad  religiöses  et  praelatos.  35 

freitag  vor  Klosterleuten  zu  halten  ^  Es  bedarf  endlich  kaum  der 
Bemerkung,  daß  die  Sermones  ad  religiöses  et  praelatos  nur  für  Geist- 
liche und  Ordensleute  bestimmt  waren.  Diese  Predigten  verdienen 
eine  besondere  Erörterung. 

In  CLb  190  sind  deren  6,  ebensoviele  in  Clm  2946  und  16439; 
der  Pariser  Druck  hat  nur  5 ;  es  fehlt  der  Sermo  ,Carissimi  diligamus 
nos  inuicem'.  Diese  Reden  haben  nach  Inhalt  und  Form  den  Charakter 
von  Synodalreden,  in  werchen  der  Klerus  —  Prälaten  und  ein- 
fache Priester  —  in  ernsten  Worten  an  ihre  Pflichten  erinnert  werden. 
Ein  Sermo  —  der  erste  in  CLb  190  Bl.  143',  im  Druck  der  vierte 
—  mit  dem  Texte  ,Omnia  honeste  et  secundum  ordinem  fiant'  (1  Cor 
14,  40)  behandelt  hauptsächlich  das  klösterliche  Leben. 

Im  Gegensatz  zu  andern  zeitgenössischen  Synodalreden  —  ins- 
besondere zu  französischen  —  bewegen  sich  die  Ausführungen  des 
Frater  Konrad  ohne  individuelle  Färbung  in  allgemeinen  pastoralen 
und  moralischen  Belehrungen.  Gregors  des  Großen  liber  pastoralis 
und  des  hl.  Bernhards  Reden  werden  reichlich  ausgebeutet,  um  den 
Prälaten  und  Seelsorgern  die  Erhabenheit  ihres  Amtes  darzulegen. 
Hie  und  da  kommt  er  flüchtig  auf  die  Gebrechen  des  Klerus  seiner 
Zeit  zu  reden.  Er  beklagt  die  Bereicherung  der  Verwandten 
aus  den  kirchlichen  Einkünften  ^i  ,Non  dico  quod  rectores  consan- 
guineos  suos  diligere  non  debeant,  §ed  dico,  eos  non  contra  deum 
fouere,  non  contra  deum  ad  beneficia  promouere  debent.' 

Das  Streben,  auf  der  Stufenleiter  der  kirchlichen  Würden, 
die  er  mit  der  Jakobsleiter  vergleicht,  emporzukommen,  tadelt  er 
herb:  ,In  hac  scala  multi  libenter  ascendunt,  sed  pauci  pacienter  de- 
seendunt  et  multi  quanto  alcius  in  ea  ascendunt,  tanto  periculosius 
cadunt.'  Noch  schärfer  geißelt  er  die  Pluralität  der  Seelsorgs- 
benefizien:  ,Naute  et  gubernatores  presbyteri  sunt  et  prelati.  Sed 
ex  quo  nauta  uix  unam  nauem  gubernare  sufficit,  quomodo  simul 
plures  gubernabit?  Plures  autem  naues  plures  ecclesie  sunt.  Item 
quomodo  alios  gubernare  possunt,  qui  se  ipsos  submergunt.  Merguntur 
enim  homines  sceleribus  suis  in  perditione  sicut  specialiter  de  auaritia 
dicitur  1  Tim  6,  9.'3 


^  Iste    sermo    ,Cum    uideris    nudum'    et    duo   sequentes  ,Yere    languores'    pos- 
i  sunt   predicari   claustralibus    et  eis  qui  spiritualiter  non  carnaliter  sapere  nouerint. 
CLb  39  D.  142.  2  cLb  146  D.  S.  172'.  ^  CLb  147'  D.  S.  176'— 179. 

3* 


36  L  Frater  Konrad  von  Sachsen. 

Der  Sermo  über  den  Text  ,Merito  hec  patimur.  quia  peccauimus 
in  fratrem  nostrum'  (Gn  42,  21)  beginnt^:  ,Quanta  mala  clerum  nunc 
inuadunt,  quanta  aduersa  ecclesiam  istam  premant,  iam  manifestum 
est.  Sed  exigentibus  peccatis  nostris  sie  affligitur.  Ideo  gementes 
dicere  possumus:  „Merito  hec  patimur"  etc.  Considerandum  autem  est, 
quis  sit  frater,  in  quem  peccauimus,  que  sint  peccata,  que  in  ipsum 
committimus,  que  sint  passiones  quas  pro  peccatis  sustinemus.'  Nach 
dieser  Disposition  glaubt  man  Sittenschilderungen  aus  dem  Leben  und 
den  Leiden  des  Klerus  erwarten  zu  dürfen.  Aber  man  wird  ent- 
täuscht. Die  Ausführung  bewegt  sich  lediglich  auf  dem  Gebiete  des 
Dogmas  und  der  Moral.  Der  Bruder,  gegen  welchen  gesündigt  wird, 
ist  Christus.  Er  wird  entblößt  von  jenen,  die  seine  göttliche  Natur 
leugnen,  die  seine  Gläubigen  von  ihm  trennen,  ,qui  Christum  tem- 
porali  possessione  denudant,  bona  ecclesie  dissipando  iniuste'.  In  die 
Zisterne  wird  Christus  geworfen  von  jenen,  die  seinen  Leib  unwürdig 
genießen:  ,Sed  heu  quam  dissipata  est  hodie  cisterna  multorum  sacer- 
dotum,  qui  utique  tam  dissoluti  et  insolentes  sunt,  quod  non  ualeant 
continere  aquas  graciarum  . . .  Cisterna  aperitur  et  non  operitur,  quando 
uita  prelati  uel  sacerdotis  mali  est  ita  publica,  quod  nulla  tergiuer- 
sacione  tegitur.  Ecce  in  qualem  cisternam  sacerdotes  nostri  fratrem 
nostrum  mittunt,  dum  in  uita  sua  male  dissoluta,  male  inueterata, 
male  manifesta  cottidie  Christi 'sacramentum  recipiunt.'  Endlich  wird 
Christus  verkauft  durch  Simonie.  Die  Leiden,  welche  der  Klerus 
deshalb  zu  erdulden  hat,  sind  zeitliche,  die  aber  nicht  näher  be- 
zeichnet werden,  geistige  durch  Versuchungen  und  Gewissensqualen 
und  endlich  ewige  ^. 

Auch  in  den  Sermones  de  Sanctis  kommt  er  w^iederholt  auf  die 
Würdesucht  und  die  Benefizienjagd  des  Klerus  zu  sprechen. 
Aaron  wurde  von  Gott  erwählt,  weil  sein  Stab  blühte  (Dt  16): 
.Virga  est  auctoritas  pastoralis,  que  flores  doctrine  et  fructus  bone 
uite  producere  debet.  Sed  heu !  quorundam  uirge  non  prelatorum  sed 
maleficiorum  [sunt] ,  non  flores  sed  dracones  producunt.  Dominus 
autem  per  flores,  per  fructum,  per  sortes,  per  columbam,  per  in- 
spirationem  quandoque  ostendit  suum  rectorem;  diabolus  autem  per 
simoniam,  per  conspirationem,  per  ambicionem  et  per  alia  uicia  ostendit 


1  CLb  145  D.  S.  182.  2  cLb  145'^— 146  D.  S.  182'— 184' 


Kirchliche  Gebrechen.     Das  Mönchtum.  37 

suum  rectorem.'^  ,Sed  heu!  multi  multum  ambiunt  cathedram  et 
prioratus  (Mt  23,  6).  Prohibetur  in  verbis  predictis  uiolenta  intrusio. 
Sed  heul  ambitiosi  non  solum  per  regem  terrestrem,  sed  etiam  per 
regem  diabolum  ad  honores  perueniunt.  Nam  ad  cathedram  uidemus 
currentes  curam  cathedre  non  curantes.'^ 

Wo  immer  er  auf  das  Mönchtum  zu  reden  kommt,  betont 
er  die  Notwendigkeit  wahrer  Frömmigkeit  und  echter  Askese.  So 
in  den  Predigten  an  den  Festen  des  hl.  Franziskus,  Antonius  von 
Padua  und  bei  andern  Gelegenheiten.  ,Nihil  enim  proficeret  solitudo, 
si  abstinencia  non  adesset,  quia  illa  sine  hac  libertas  est  ad  peccatum. 
In  quo  religiosi  illi  arguuntur,  qui  in  solitudine  claustri  mundi  deli- 
cias  querunt .  .  .  Reprehenduntur  eciam  illi  qui  in  diebus  ieiuniorum 
deliciis  et  commessationibus  uacant  uolentes  diurnam  [abstinenciam] 
superflua  refeccione  recompensare.'  ^ 

Eine  ausführliche  Belehrung  über  die  klösterliche  Armut  — 
ein  zu  seiner  Zeit  schon  unter  den  Minoriten  viel  behandeltes  Thema  — 
gibt  der  Frater  Konrad  in  dem  ersten  und  zweiten  Sermo  am  Pfingst- 
feste*.  Beide  haben  den  Vorspruch  ,Nolite  contristari  spiritum  sanctum, 
in  quo  signati  estis'  (Eph  4,  30).  Glossa:  ,Signat  Spiritus  sanctus 
electos  signo  ueritatis  credendorum,  signo  honestatis  morum,  signo 
paupertatis  terrenorum,  signo  charitatis  dei  et  proximorum.'  Die  ersten 
beiden  Punkte  behandelt  der  Prediger  im  ersten,  die  letzten  beiden 
im  zweiten  Sermo;  der  letztere  ist  offenbar  für  Ordensmitglieder  be- 
stimmt. Den  dritten  Punkt  leitet  er  ein  mit  Is  20,  3:  ,Sicut  ambu- 
lauit  seruus  mens  Isaias  nudus  et  discalceatus,  trium  annorum  signum 
et  portentum  erit'  und  behandelt  nun  die  drei  Grade  der  Armut: 
jNudus  quidem  est  qui  caret  rerum  possessione.  Discalceatus  autem 
qui  caret  cupidinis  affectione  ....  Nudi  et  discalceati  sunt,  qui  et 
rebus  et  cupiditatibus  exuti  sunt,  qui  nee  proprietatem  in  aliqua  re 
nee  cupiditatem  in  corde  habent.  Ecce  signum  trium  annorum.  Prima 
perfeccio  renunciacionis  temporalium  est  relinquere  superflua,  sed  non 
necessaria  .  . .   qui   ad   hanc   perfeccionem   ueniunt ,    quasi   unius   anni 


*  Sermo  1    die   s.    Matthiae   CLb    103.     D.   S.  24   stimmt   damit   nicht   ganz 
überein. 

2  Sermo  1  in  Cathedra  Petri  CLb  102  D.  S.  19'. 

3  Sermo  4  in  die  s.  lohannis  Baptistae  D.  S.  52  53 ;  dieser  Sermo  fehlt  in  CLb. 

*  CLb  57  58  D.  211  212. 


38  I-  Frater  Konrad  von  Sachsen. 

Signum  liabent.  Secunda  uero  perfeccio  paupertatis  est  relinquere  non 
solum  superflua,  sed  eciam  necessaria;  relinquere  inquam  in  speciali, 
sed  non  in  communi,  sicut  multi  religiosi,  qui  licet  mansos  et  predia 
et  multa  bona  habeant  communiter,  proprietatem  tarnen  non  habent 
singulariter ;  et  isti  signum  duorum  annorum  habent.  Tercia  perfeccio 
uel  consummacio  paupertatis  est  relinquere  omnia,  et  superflua  et 
necessaria,  relinquere  inquam  in  communi  et  in  speciali.  Ista  perfeccio, 
fratres  carissimi,  ad  nos  pertinet  secundum  regulam.  Unde  nobis  datum 
est  Signum  trium  annorum.  Et  certe  usque  ad  tempora  beati  Fran- 
cisci  omnes  fere  in  tercio  signo  defecerunt.  Sed  iste  servus  Domini 
Franciscus  ambulavit  nudus  et  discealceatus.  ut  nobis  trium  annorum 
id  est  extreme  perfeccionis  paupertatis  signum  esset.'  ^ 

Das  sicherlich  unbestreitbare  Verdienst  des  hl.  Franziskus,  die 
klösterliche  Armut  in  ihrer  idealen  Reinheit  und  Vollkommenheit 
wiederhergestellt  zu  haben,  findet  in  den  letzten  Sätzen  seinen  vollen 
Ausdruck.  Es  wurde  aber  von  andern  klösterlichen  Genossenschaften 
mit  oft  schlecht  verhehltem  Übelwollen  angesehen.  Eine  seltsame 
Äußerung  dieser  Mißgunst  findet  sich  in  dem  wahrscheinlich  in  einem 
Chorherrenstifte  geschriebenen,  früher  den  Nonnen  von  Altomünster 
gehörigen  Clm  2946  Bl.  85 '^  Darin  werden  die  Schlußworte  der 
oben  mitgeteilten  Stelle  folgendermaßen  wiedergegeben:  ,.  .  .  et  certe 
usque  ad  tempora  beati  Augustini  omnes  fere  in  secundo  signo 
defecerunt.  Sed  ecce  sanctus  Augustinus  ambulauit'  etc.  Da- 
mit glaubte  der  skrupellose  Abschreiber  die  Ehre  der  alten  Orden 
gegenüber  den  Minoriten  gerettet  zu  haben  2. 

Vom  Ablaß  spricht  Frater  Konrad  nur  selten.  Anknüpfend  an 
Is  61,  ,praedicare  captiuis  indulgentiam'  bemerkt  er^:  ,Solet  maxime 
indulgencia  in  dedicacione  templi  uel  altaris  uel  accipientibus  crucem 
predicari.  Sic  certe  si  templum  anime  tue  et  altare  cordis  deo  dedi- 
catur  et  sie  crucem  penitencie  acceperis,  indulgenciam  magnam  habebis.' 
Daraus  darf  man  indessen  nicht  schließen,  daß  er  den  Ablaß  gering- 
schätzte, wohl  aber,  daß  er  als  erste  Voraussetzung  der  Ablaß- 
gewinnung  die   innere   Umwandlung   durch   Reue    und  Bußgesinnung 


'  Der  Druck  weicht  mehrfach  von  CLb  ab, 

2  In   den  Clm  7695  u.  26  958   ist  der  richtige  Text  wiedergegeben,   den  auch 
der  Druck  hat. 

3  Scrmo  9  in  Rogationibus  CLb  55  D.  200'. 


Die  Armut.     Der  Ablaß.  39 

betrachtete.    Streng  verurteilte  er  daher  jene  gewissenlosen  Prediger, 
welche    die    Leute    durch    erdichtete    und    falsche    Ablässe    betrogen: 
..  .  .  quamdiu  in  terra  id  est  in  mundo  sumus  penitere  debemus ;  nam 
in  terra  dimittuntur  peccata  mortalia,  non  alias.    Unde  questuarii 
decipiunt  homines  simplices,  quod  peccata  hominum  in  inferno  se  relaxare 
promittunt,  quia  neque  sacerdos  neque  episcopus  neque  papa  unum  pec- 
catum  mortale  in  inferno  soluere  possunt.  Unde  dePetro  dicitur  Mt  15: 
„Quodcunque  ligaueris  super  terram."    In  inferno  enim  non  est  bap- 
tismus  neque  penitencia,  sine  quibus  non  dimittuntur  peccata  mortalia'  i. 
Wie  den  geistlichen  Betrug,  so  verurteilte  er  die  Unredlichkeiten 
im  Handel   und  Wandel^:    ,Nolite   facere   iniquum  aliquid  in  iudicio, 
in  regula,  in  pondere,  in  mensura.     Hie  die  de  multis  fraudibus,  que 
j    sunt  in  mensuris  et  ponderibus.     Has  fraudes  licet  nunc  non  uideat, 
qui  decipitur,   uidet  tamen  deus,  qui  decipi  non  potest.     Et  quia  heu 
per  iniustas   mensuras  et  dolos  alios  sepe  domus  impiorum  replentur 
iniustis  bonis,  ideo  per  iustum  ignem  flagellantur  in  inferno  eternaliter . . .' 
In   den   366  Sermones,   welche   das   ganze  Predigtwerk   enthält, 
wird   die   gesamte  Glaubens-   und  Sittenlehre   behandelt.     Daß  dabei 
Wiederholungen  vorkommen,  liegt  in  der  Gleichartigkeit  vieler  Themata. 
Der  Frater  Konrad   sucht   den  Forderungen,   welche   das  Predigtamt 
an  den  Seelsorger  stellt,  in  allem  entgegenzukommen.    Mit  derselben 
Liebe,  mit  welcher  er  die  für  die  Religiösen  und  Kleriker  bestimmten 
Themata  behandelt,   sucht  er  durch  Einfachheit  der  Darstellung  den 
Bedürfnissen  der  Gläubigen  nachzukommen.    Was  er  selbst  den  Pre- 
digern  als  Regel   hinstellt,    erfüllt   er   durch  sein  Beispiel.     , Spiritus 
sanctus'  —  führt    er   in    dem  Sermo  5   am  Pfingstfeste  aus^  —  .est 
linguosus  in  predicacione.     Unde  sequitur:  ^^Apparuerunt  illis  disper- 
tite  lingue!"    1  Cor  13:  „Si  linguis  hominum  loquar  et  angelorum"  etc. 
Ibi  ostenditur,  quod  nee  predicacio  nee  aliquod  bonum  opus  sine  chari- 
tate  sufficit.     Bene  autem  dicitur:    „dispertite  lingue",  quia  non  uno 
modo   ad  omnes  habendus  est  sermo.     Nunc  enim  de  pena,    nunc  de 
gloria,  nunc  de  uiciis  et  de  uirtutibus,  aliter  obstinatis,  aliter  infirmis, 
aliter  perfectis  loquendum  est.'    Kann  sich  Frater  Konrad  auch  nicht 
mit  seinem  großen  Ordensgenossen  Bertold  von  Regensburg  an  Tiefe 

'  Sermo  2  dominica  XXI  post  Pentec.  CLb  83  D.  313'. 
^  Sermo  2  dominica  IV  post  Pentec.  CLb  67''  D.  255. 
3  CLb  59  D.  216. 


40  I-  Frater  Konrad  von  Sachsen. 

der  Auffassung  und  an  rednerischer  Begabung  messen,  so  nimmt  sein 
Predigtwerk  doch  eine  ehrenvolle  Stelle  in  der  mittelalterlichen  Predigt- 
literatur ein. 

Wir  haben  bereits  oben  festgestellt,  daß  die  Predigten  des  Frater 
Konrad  in  zahlreichen  Handschriften  verbreitet  waren.  Daraus  darf 
man  schließen,  daß  der  Klerus  sein  Predigtwerk  gern  benutzte.  In 
der  späteren  lateinischen  Predigtliteratur  finden  sich  auch  vielfach  An- 
klänge an  die  Predigten  des  Fraters  sowohl  in  der  Disposition  als 
auch  in  einzelnen  Teilen  der  Durchführung.  So  in  den  Predigten  des 
Peregrinus  ^  und  Chlaubanus  ^.  Öfters  zeigen  sich  weiter  gehende  Über- 
einstimmungen zwischen  des  Fraters  Predigten  und  den  Sermones  de 
tempore  des  Greculus  ^.  Indessen  kann  dabei  von  einer  systematischen 
Benutzung  Konrads  keine  Rede  sein.  Um  so  mehr  überraschte  uns 
die  Entdeckung,  daß  der  Schwarzwälder  Prediger  seinem 
Zyklus  deutscher  Predigten  die  Sermones  de  tempore 
Konrads  zu  Grunde  gelegt  hat. 

Der  Schwarzwälder  Prediger*  hat  seine  Predigten  gegen  Ende 
des  13.  Jahrhunderts  abgefaßt.  In  der  Handschrift,  aus  welcher  sie 
Grieshaber  publizierte,  beginnt  der  Zyklus  mit  der  Oktave  von  Ostern 
und  schließt  mit  dem  Osterfeste.  Die  Predigten  für  den  2.  Advent- 
sonntag, für  den  9.  (Evangelium  von  dem  ungerechten  Verwalter)  und 
für  den  24.  (Erweckung  der  Tochter  des  Jairus)  Sonntag  nach  Pfingsten 
fehlen  vollständig,  für  den  3.  Adventsonntag,  für  den  6.  Sonntag  nach 
Ostern  5,  sowie  für  den  10.  und  23.  Sonntag  nach  Pfingsten  sind  nur 
Fragmente  vorhanden^. 


^  Vgl.  z.  B.  Konrads  Predigt  ,Dom.  infra  octav.  Epiph.*  Bl.  65  mit  Peregrinus' 
I ,  Predigt  ,Dom.  infra  octav.  Nativitatis'  über  die  ,incipientes,  proficientes  und  perfecti'. 

2  Predigtwerk  in  CFl  XI  365.  ^  g    „„ten  Abschn.  IIT. 

^  So  wird  der  Verfasser  der  von  Grieshaber  publizierten  Deutschen  Pre- 
digten aus  dem  13.  Jahrhundert  gewöhnlich  genannt.  Vgl.  die  Einleitungen  Gries- 
habers  zu  den  beiden  Abteilungen  seiner  Ausgabe  sowie  Cruel  354  ff  und  Linsen- 
mayer 354  ff.  Der  Prediger  wird  mit  Recht  für  einen  Ordensmann  gehalten;  die 
Benutzung  Konrads  bestärkt  die  Vermutung,  dafs  er  Minorit  war.  Dom.  II  post 
Pentecost.  (Grieshaber  I  46)  bezeichnet  er  als  das  rettende  ,ainlant*  die  Orden 
des  hl.  Augustinus  und  des  hl.  Franziskus.  Cruel  (323)  will  daraus  schliefBen,  daß 
er  Augustiner  war.  Wir  glauben,  daß  er  aus  Bescheidenheit  den  Stifter  seines 
Ordens  an  zweiter  Stelle  genannt  hat.  Für  uns  ist  entscheidend  die  Bearbeitung 
des  Minoriten  Konrad  von  Sachsen.  ^  Vgl.  Konrads  Sermo  3  D.  209'. 

^  Das  Fragment  zum  10.  Sonntage  (Grieshaber  I  82)  gehört  nicht,  wie 
Grieshaber   bemerkt,   zum  9.  Sonntage   nach  Pfingsten,    sondern    zum  10.     Das  er- 


Benutzung  der  Predigten.     Der  Schwarzwälder  Prediger.  41 

Von  der  ganzen  Sammlung  stehen  nur  zwei  Predigten  in  keiner 
Beziehung  zu  den  Sermones  Konrads :  die  Predigt  am  Pfingstfeste  und 
am  17.  Sonntage  nach  Pfingsten.    Die  erstere  ist  inhaltlich  identisch 
mit  dem  in  der  Legenda  aurea  stehenden  sermo  für  das  Pfingstfest^, 
die  letztere  erzählt  im  Anschlüsse  an  die  Heilung  des  Wassersüchtigen 
die  sieben  Krankenheilungen  Christi  und  knüpft  daran  Hinweise  auf  die 
Heilungen  der  menschlichen  Seele  durch  Christus.    Frater  Konrad  hat 
in  den  drei  Sermones  zu  diesem  Sonntage  andere  Themata  erörtert^. 
Der  Schwarzwälder  Prediger   hält   sich   in    seinen  Predigten   an 
die  Dispositionen   des  Frater  Konrad.     Er  stellt  dieselben   sogar 
in  lateinischer  Sprache  an   die  Spitze  jeder  Predigt   und  gibt  sie 
im  Texte  selbst   in  deutscher  Sprache  wieder.     Auch  in  der  Aus- 
;  führung  folgt  er  dem  Gedankengange  seiner  Vorlage.    Er  zitiert  und 
;  behandelt   die    von    Konrad   beigebrachten   Schriftstellen,    wiederholt 
j  meist  die  Väteraussprüche   und   wendet   sie  in  dem  von  Konrad  an- 
gegebenen   Sinne   an.     Aber   der  Schwarzwälder  Prediger  verwertet 
den  Predigtstoff,  den  er  bei  Konrad  fand,  in  eigenartiger  selbständiger 
Weise  und  versteht  es,  die  trockene,  schulgemäße  Ausführung  seiner 
Vorlage  in  eine  leichtverständliche,  herzliche  und  eindringliche  Sprache 
zu  verwandeln.    Zu  diesem  Zwecke  erzählt  er  den  Inhalt  der  Evangelien- 
I  perikope,    erläutert   die    beigebrachten   Schrifttexte,    fügt   wohl   auch 
andere  biblische  Erzählungen,  ja  selbst  einige  exempla  ein  und  führt 
■  die  Ermahnungen  seiner  Vorlage  volkstümlicher  aus.     Zur  Erklärung 
!  der  Heiligen  Schrift   zieht    er   sehr    oft   Verse    aus    der  Aurora    des 
Petrus  von  Riga  heran. 

Zur  Beleuchtung  der  Methode,  welche  der  Prediger  bei  der  Be- 
nutzung Konrads   befolgte,   stelle  ich  einige  Passus   aus   der  Predigt 
(am  2.  Sonntage  nach  Ostern  gegenüber. 


jgibt  sich  aus  dem  Vergleich  mit  Konrads  Sermo  1  zum  10.  Sonntage  D.  277^  In- 
folge dieses  Fehlers  ist  die  Zählung  der  Sonntage  nach  Pfingsten  bei  Grieshaber 
von  da  ab  um  einen  Sonntag  voraus.  Das  Fragment  zum  23.  Sonntage  (I  148) 
bildet  den  Anfang  der  Predigt,  das  zum  3.  Adventsonntage  die  letzten  beiden  Teile 
des  Sermo  8  Konrads  (D.  15)  zu  demselben  Sonntage. 

'  Grieshaber  I  30.     Legenda  aurea  c.  73,  p.  327. 

'•^  Der  Druck  hat  zum  21.  Sonntage  nach  Pfingsten  nur  zwei  Sermones;  es 
fehlt  darin  der  von  dem  Schwarzwälder  Prediger  für  diesen  Sonntag  zu  Grunde 
gelegte  Sermo  , Domine  descende'  etc.  Derselbe  findet  sich  aber  sowohl  in  CLb  190 
als  auch  in  Clm  2946  Bl.  126  und  7695  Bl.  117'. 


42 


I.  Frater  Konrad  von  Sachsen. 


K  0  n  r  a  d. 

,Ego  sum  pastor  bonus'  loannisX. 
Bonitas  pastoris  nostri  lesu  Christi 
in  hoc  euangelio  quadrupliciter 
commendatur.  Yidelicet  in  pa- 
scendo,  in  defendendo,  in 
cognoscendo,  in  uniendo^ 


Der  Prediger. 

Ego  sum  —  uniendo  2,  wie 
Konrad. 

Folgt  die  Paraphrase  des  Evan- 
geliums: Nu  son  wir  merchen. 
de  diu  frümechait  uii  diu  güti 
unsers  herren.  der  ain  guter  hirte 
haizet.  wirt  gelobet  an  vier  dingen. 
Ze  dem  ersten  an  dem  fürende ^. 
ze  dem  andern  an  dem  schier- 
mende.  ze  dem  dritten  an  dem 
erchennende.  ze  dem  vierden 
an  dem  s  amen  ende  un  an  dem 
f  er  einher  ende. 


Primo  commendatur  bonitas  in 
pascendo.  Unde  ait:  Ego  sum 
pastor  bonus.  Pastores  enim  a 
pascendo  dicuntur.  Pascit  autem 
oves  suas  Christus  per  doctrinam, 
per  gratiam,  per  eucharistiam. 
Pascit  utique  suos  per  doctrinam. 
Ezech.  34:  ,In  pascuis  uberrimis 
pascam  eas  in  montibus  excelsis.' 
Scripturarum  altitudines  quasi 
montes  pascuae  sunt.  Pascit  autem 
Christus  suos  non  solum  per  se, 
sed  etiam  per  alios  docendo. 
liiere.  3:  ,Dabo  pastores  vobis 
secundum  cor  meum  et  pascent 
vos  in  scientia  et  doctrina.'  Item 
per  gratiam,  quod  significatum 
est  Exodi  3,  ubi  dicitur,  quod 
Moyses  pascebat  oves  et  minavit 


»  D.  173'.  2  Grieshaber  I 

^  Fuoron  alid.  unterhalten,  speisen ; 
■*  de  =  das  und  dasz. 


Nu  wirt  ze  dem  ersten  diu  güti 
dez  hirten  gelobet  an  dem  f  ü  r  e  n  d  e. 
ufi  da  uon  spricheter.  ich  bin  ain 
guter  hirte.  wan  ich  füron  miniu 
schäf.  Nu  f ürot  got  siniu  schäf  mit 
der  heiligen  scrift  alder  mit  der 
guter  lere,  un  da  uon  spricheter 
durch  dez  wissagen  munt  Eze- 
chiels:  ,In  pascuis'  etc.  (folgt  die 
Verdeutschung),  sich  weles  ist  diu 
vaizte  waide.  dc^  ist  anders  niht 
wan  diu  heilige  scrift.  mit  der 
fürot  uns  got  an  der  sele.  er  fürot 
uns  och  niht  allaine  selbe,  er  fürot 
uns  och  mit  sinen  lerern.  uii  da 
spricheter  durch  dez  wissagen  munt 
Jeremias.  ,Dabo'  etc.  (wird  ver- 
deutscht) un  de  die  lerer  unsers 
herren  Jesu  (Ausgabe :  ieriu)  schäf 

6—10. 
s.  Schade  I  232. 


Koiirad  und  der  Schwarzwälder  Prediger. 


43 


Ko  nr  ad. 
ad  interiora  deserti,  ubi  Dominus 
in  rubo  appai  uit.  Moyses  est  Chris- 
tus vel  prelatus,  per  quos  oves 
ad  interiora  deserti  in  pastum 
veniunt,  quando  exteriorem  con- 
solationem  relinquunt,  interiorem 
vero  quaerunt,  ubi  Dominus  in 
rubo  ardenti  sc.  in  corde  ferventi 
est.  Luce  24 :  , Nonne  cor  nostrum 
ardens'  etc. 

Item  per  eucharistiam.  Hoc 
significatum  est  in  ovicula  pauperis 
sc.  Christi,  de  qua  dicitur  2  Reg.  12, 
quod  erat  de  pane  illius  comedens 
et  de  calice  bibens:  Bernardus: 
Bonus  pastor,  quia  dat  carnem 
in  cibum,  sanguinem  in  potum, 
animam  in  precium. 


Der  Prediger, 
fiiregen.  dez  vinden  wir  ain  Ur- 
kunde in  der  alten  e.  an  dem 
anderen  buche,  de  ist  in  Exodo. 
da  lesen  wir  de  herre  Moyses. 
(Ex.  3,  1  2  wird  verdeutscht). 
Wer  ist  herre  Moyses  der  siniu 
schäf  hat  getriben  in  die  inwen- 
dechait  der  wusti.  de  ist  anders 
niht  wan  der  lerer,  swenne  der 
sine  undertan  leret.  de  si  allen 
üzwendingen  tröst  läzen.  uil  de  si 
sich  ferzihen  aller  ierschen  dinge, 
un  de  si  suchen  die  inwendigen 
waide.  de  ist  den  inren  tröst  un 
suzekait  diu  an  got  liget.  sich 
swenne  er  si  also  leret.  so  er- 
schinet  im.  un  sinen  schäf en  och 
unser  herre  in  ainem  brinenden 
böme.  de  ist.  de  er  in  denne  wil 
erschinen  in  ieren  brinnenden  her- 
zen, de  von  dem  fiure  dez  hailigen 
gaistes  enzündet  ist.  sich  un  ge- 
licher  wise  als  got  erschain  dem 
herren  Moyse  do  er  in  der  ainöde 
waz  un  in  der  wüste,  also  wil 
er  dir  och  erschinen.  swenne  du 
üz  der  weit  gast,  in  die  ainnde. 
de  ist  de  du  dich  mit  im  ferainest 
mit  ainem  guten  lebende.  Du  seit 
och  wizzen.  als  er  dich  füret  mit 
siner  guter  lere,  also  wil  er  dich 
och  spisen  mit  sinem  hailigen 
lichnamen.  uil  dez  vinden  wir 
ain  Urkunde  in  der  alten,  e.  an 
dem  andern  biiche  der  künege. 
(Die  Geschichte  von  David,  Beth- 


44 


I.  Frater  Kourad  von  Sachsen. 


Konrad. 


Secundo  commendatur  bonitas 
pastoris  nostri  lesu  Christi  in  d  e- 
fendendo,  cum  dicitur:  Bonus 
pastor  animam  suam  dat  pro  ovi- 
bus  suis  defendendis  sc.  contra 
lupum,  sicut  hie  dicitur,  et  contra 
leonem  et  ursum.  Unde  David, 
qui  Christum  significat,  ait  1  Reg.  1 7 : 
, Leonem  et  ursum  interfeci  ego'; 
invaserant  enim  oves  eins.  In 
leone  significatur  diabolus.  1  Petr.  5 : 
,Tamquam   leo    rugiens'    etc.     In 


Der  Prediger. 

sabee  und  Urias,  die  Straf  rede 
Nathans  und  die  Parabel  von  dem 
Schäflein  des  Armen  2  Rg  11  12 
wird  vollständig  erzählt.)  Wer 
ist  nu  herr^  Urias  der  sinem 
schäfe  sines  brötes  hat  gegeben 
ze  ezzende.  uii  üz  sinem  kophe^ 
hat  gegeben  ze  trinchende  ?  de  ist 
anders  niht  wan  der  zarte  got  der 
sinen  hailigen  lichnamen.  un  sin 
hailiges  blüt  hat  sinem  schäfe.  de 
ist  ainem  ieglichen  cristanen  men- 
schen gegeben  ze  ezzende  un  ze 
trinchende.  sich  mit  dem  brote 
son  wir  gespiset  werden  an  libe 
un  an  sele.  wan  dez  son  wir  im 
iemmer  genade  un  danch  sagen, 
de  wir  im  so  liep  un  so  zart  sigen. 
de  er  uns  spiset  mit  sinem  hai- 
ligen lichnamen.  uii  da  von  sprichet 
S.  Bernardus:  Bonus  etc.  (wird 
verdeutscht). 

Zem  andern  mal.  so  wirt  diu 
guti  dez  hirten  gelobet  an  dem 
schirmende,  unda  von  sprichet 
unser  herre  hiut  an  dem  hailigen 
ewangelio.  der  gute  hirte.  der  gibet 
sine  sele  für  siniu  schäf.  uil  dez 
vinden  wir  ain  Urkunde  in  der 
alten,  e.  an  dem  herren  David, 
do  der  sinem  vater  siniu  schäf 
hielt,  swenne  der  leo.  alder  der 
ber.  alder  der  wolf  kam.  uii  im 
ain  schäf  wolte  zuchen^.   sich  do 


'  Koph  =  Becher ;  s.  Schade  I  526.         ^  Zuchen  =  rauben,  s.  Schade  II  1299. 


Konrad  und  der  Schwarzwälder  Prediger. 


45 


Der  Prediger. 

wageter  sinen  lip.  ufi  vaht  mit  in. 
un  sclüch  si  ze  tode.  ufi  erratte 
also  siniu  schäf.  sich  also  (sol) 
der  lerer  siniu  schäf  och  retten 
vor  dem  lewen  de  ist  vor  dem 
tiefel.  un  von  da  sprichet  S.  Peter: 
,Adversarius  vester  diabolus'  etc. 
(wird  verdeutscht).  Der  lerer  der 
sol  siniu  schäf  och  retten  vor  dem 
beren.  de  ist  vor  dem  libe.  wan  als 
der  ber  dem  honege  nach  gat. 
un  als  er  ez  gerne  izzet.  als  gat 
der  lip  der  weite  suzechait.  un  der 
weite  gelüste  och  nach.  Er  sol 
siniu  schäf  och  retten,  vor  dem 
wolfe.  de  ist  vor  der  weite,  wan 
als  der  wolf  ist  ain  giteges  tier 
Uli  allewart  der  schäfe  väret. 
wie  er  diu  zuchen  muge.  also 
väret  diu  weite  och  allewege  wie 
si  diu  schäf  unsers  herren  zuchen 
muge.  un  diu  werfen  muge  in  den 
ewigen  tot.  Sich  von  den  driu 
vigenden  sol  der  lerer  siner  schäfe 
wol  hüten  tach  un  naht,  de  si  im 
kaines  zuchen. 


Diese  Proben  mögen  genügen,  um  die  Art  der  Benutzung  und 
der  Bearbeitung  der  lateinischen  Vorlage  durch  den  Prediger  zu  kenn- 
zeichnen. Wie  in  der  Predigt  am  2.  Sonntage  noch  Ostern  verfährt 
der  Prediger  im  allgemeinen  in  den  meisten  Predigten.     Hie  und  da 


K  0  n  r  a  d. 

urso  autem  caro  significatur.  Se- 
quitur  enim  mel  sicut  caro  volup- 
tatem.  Debilis  etiam  est  in  capite 
fortis  in  brachiis  ^ :  sie  et  carnis 
impetus  debilis  est  sc.  cogitatione. 
Ünde  ibi  est  resistendum.  Fortis 
autem  in  brachiis:  delectationis 
consensus.  Dan.  7:  Bestia  alia  si- 
milis  urso,  tres  ordines  in  ore  eins 
sc.  cogitatio,  delectatio,  consensus. 
In  lupo  autem  mundus  significatur 
propter  avaritiam  et  credulitatem, 
immo  tot  sunt  lupi  quot  homines 
peruersi.  Matth.  10:  Mitto  vos  sicut 
oves  inter  lupos.  Gregorius:  , Sicut 
agni  inter  lupos  mittimur ,  ut 
scutum  servantes  innocentiae  mor- 
sum  malitiae  non  habeamus*.  Talis 
agnus  fuit  apostolus,  qui  ait  1  Co- 
rinth.  4 :  ,Maledicimur  et  benedici- 
mus,  persecutionem  patimur  et 
sustinemus.' 


^  Plinius,    Historia   naturalis  VIIl  126:    ,Invalidissimum  urso  caput.*     Isi- 

dori  Hisp.  Etymologiarum  1.  12,  c.  2,  n.  22  (Migne,  P.  L.  LXXXII  437):  ,Ursorum 

Caput  invalidum ;    vis  maxima  in  brachiis  et  in  lumbis.'     Diese  Sentenz   ist   in    die 

Glosse  zu  Thren.  3,   10  übergegangen,  aus  welcher  sie  die  Prediger  geschöpft  haben. 

^  Vgl.  Vincentii  BeUov.  Speculum  naturale  1.  19,  c.  117  t.  I  1446. 


• 


46  I-  Frater  Konrad  von  Sachsen.  i 

gestattet  er  sich  kleinere  oder  größere  Abweichungen,  immer  aber 
kann  man  seine  Absicht,  sich  an  die  Disposition  und  den  Gedanken- 
gang des  Frater  Konrad  zu  halten,  erkennen.  Ein  genauer  Vergleich 
der  deutschen  Predigten  mit  der  Vorlage  würde  nicht  bloß  für  die 
Homiletik,  sondern  auch  für  die  Sprachw^issenschaft  ergebnisreich  sein. 
Das  ist  jedoch  hier  nicht  unsere  Aufgabe ;  wir  müssen  dieselbe  andern 
überlassen.  Uns  genügt  es,  hier  hervorzuheben,  welch  großes  Gewicht 
der  Prediger  auf  den  Unterricht  des  Volkes  in  der  Heiligen  Schrift 
legt.  Darum  leitet  er  jede  Predigt  mit  einer  ausführlichen  Paraphrase 
des  Sonntagsevangelium  ein,  darum  erklärt  er  die  von  Frater  Konrad 
kurz  zitierten  Stellen  aus  der  Heiligen  Schrift  genauer,  darum  holt 
er  bei  Erwähnung  alt-  und  neutestamentlicher  Ereignisse  weit  aus, 
um  dem  Volk  die  Heilige  Geschichte  zur  Kenntnis  zu  bringen  und 
seine  moralischen  Erwägungen  eindringlicher  zu  machen.  Während 
er  ausscheidet,  was  über  die  Fassungskraft  des  Volkes  hinausging, 
weiß  er  durch  Zusätze  und  weitere  Ausführungen  den  trocken  ge- 
lieferten Stoff  der  Vorlage  fesselnd  zu  gestalten  und  dem  religiösen 
Empfinden  des  Volkes  nahe  zu  bringen. 

Die  deutsche  Bearbeitung  der  Sonntagspredigten  des  Frater  Konrad 
ist  ein  Beweis  für  die  Hochschätzung,  deren  sich  seine  homiletischen 
Arbeiten  erfreuten.  Es  liegt  ein  reicher  wohlgeordneter  Predigtstoff 
in  denselben  vor.  Cruel  und  Linsenmayer  rühmen  den  Schwarzwälder 
Prediger  wegen  des  tiefreligiösen  und  reichen  Inhalts  und  der  vor- 
trefflichen Disposition  seiner  Predigten.  Dieses  berechtigte  Lob  müssen 
wir  für  Konrad  von  Sachsen  in  Anspruch  nehmen,  ohne  den 
Schwarzwälder  Prediger  zu  verkürzen.  Denn  diesem  bleibt  der  un- 
geschmälerte Ruhm,  den  lehrreichen  Inhalt  in  die  neue  Form  der 
wahrhaft  volkstümlichen  deutschen  Predigten  umgegossen  zu  haben, 
die  eine  Perle  in  der  altdeutschen  homiletischen  Literatur  bilden. 


Jl. 


Die  Predigten  des  Frater  Ludovicus. 


Ml 

3 

e 
:t 

2 


In  der  aus  der  ersten  Hälfte  des  14.  Jahrhunderts  stammenden 
Pergamenthandschrift  719  der  Universitätsbibliothek  zu  Leipzig 
stehen  Bl.  1' — 81'  56  lateinische  Sonntagspredigten  und  Bl.  82 — 144 
38  Sermones  de  Communi  Sanctorum,  welche  von  demselben  Ver- 
fasser stammen.  Auf  Bl.  81'  findet  sich  der  Vermerk:  ,Expliciunt 
sermones  de  dominicis.  Incipit  commune  sanctorum  et  primum  de  apo- 
stolis.'  Die  Handschrift^  enthält  weiter  in  bunter  Reihe  Predigten  für 
Sonn-  und  Festtage,  asketische  Traktate  und  am  Schlüsse  Urkunden 
von  fast  gleichzeitiger  Hand. 

Diese  Einträge  bieten  drei  den  Minoritenorden  betreffende  De- 
krete, zwei  päpstliche  und  ein  bischöfliches.  Zuerst  steht  die  Bulle 
des  Papstes  Martin  IV.  vom  13.  Dezember  1281  ,Ad  fructus  uberes'^, 
welche  den  Minoriten  Predigt  und  Beichthören  gestattet.  Daran  schließt 
sich  ein  undatiertes  Dekret  eines  nicht  genannten  Erzbischofs  von 
Mainz,  welcher  den  Minoriten  die  Fakultät  zu  predigen  und  Beicht  zu 


'  Da  CLP  719  noch  nicht  beschrieben  ist,  führen  wir  auch  den  weiteren  Inhalt 

im  einzelnen  an.    BL  145 — 306:   123  Sonntags-,  Festtags-  und  Heiligenpredigten  und 

5    Sermones    ad    religiosos.      Bl.    306^ — 314:    Asketischer    Traktat   ,Decem    gradus 

amoris'.     BL  314'— 327:  15  Sermones  verschiedenen  Inhalts.     Bl.  327:    7  Themata 

zu  Sermones  mit  Verweisen  auf  die  Sermones    de  Communi  Sanctorum;    verwiesen 

wird   auf   die  Sermones   de  Apostolis  Bl.  90^    de  Martyribus  BL  98,    de  Confessore 

Bl.  117,  de  Virginibus  BL  121'  123  126'  127'.     BL  327'— 338:  Traktat  ,De  Septem 

uiciis' ;    er  beginnt :    ,  Vidi   mulierem    sedentem    super   bestiam    coccineam  habentem 

capita  Septem  (Apc  17,  4);    besonders  berücksichtigt    er    das  Ordensleben,   handelt 

aber   auch  ,de  peccatis    alienis,    de    clamantibus    ad  coelum,    de  maledictis'  (Dt  27. 

15 — 26)  und  de   venialibus.     BL  338' — 339  :  Kleinere  Exzerpte  asketischen  Inhalts, 

Bl.  340 — 344:  Alphabetisches  Sachregister  über  den  ganzen  Band.    BL  344' — 347': 

:  Register  über  die  in  dem  Bande  vorkommenden  biblischen  Erzählungen.     Bis  hler- 

'  her  ist  die  Hs  von   derselben  Hand  geschrieben;    von   späterer  Hand    stammen  die 

'  Predigtfragmente  auf  Bl.   1  und  147  147',    und  von  einer  andern  fast  gleichzeitigen 

i  die  kanonistischen  Einträge  auf  BL  148—148'.     Die  Hs  ist  15  X  H  cm   groß    und 

i  auf  dünnem  Pergament  geschrieben. 

2  Vgl.  Potthast,  Regesta  pontificum  II,  1764,  Nr  21821. 

Franz,  Drei  deutsche  Minoritenprediger.  >     4 


50  II-  Die  Predigten  des  Frater  Ludovicus. 

hören  und  den  Provinzialen,  Kustoden  und  Guardianen  überdies  noch 
die  Vollmacht  erteilt,  von  gewissen  bischöflichen  Reservaten  zu  ab- 
solvieren i.  Endlich  folgt  eine  Bulle  des  Papstes  Alexander  IV.  (1254 
bis  1261),  in  welcher  den  Minoriten  das  Recht  bestätigt  wird,  mit 
Genehmigung  der  Diözesan-Ordinarien  zu  predigen  und  Beicht  zu  hören. 
Die  Bulle  ist  hier  falsch  datiert:  , Datum  Viterbii  IV  Nonas  Augusti 
pontificatus  a.  I'.  Tatsächlich  hat  Papst  Alexander  IV.  die  mit  den 
Worten  ,Cum  olim  quidam  temere  sentientes'  beginnende  Bulle  am 
13,  Mai  1259  in  Anagni  erlassen'^.  Im  ersten  Jahre  seines  Ponti- 
fikates  hat  Papst  Alexander  IV.  überhaupt  nicht  in  Viterbo  residiert. 

Der  Schreiber  der  Handschrift  wollte  eine  Sammlung  von  Pre- 
digten veranstalten,  zu  deren  praktischem  Gebrauche  er  die  beiden 
Register  zusammenstellte.  Die  Handschrift  ist  ohne  Zweifel  in  einem 
Minoriten kloster  entstanden.  Das  verrät  sowohl  der  Inhalt  der 
Sammlung  selbst,  in  welcher  sich  ein  von  einem  Minoriten  verfaßter 
Predigtzyklus  und  auch  sonstige  von  Minoriten  abgefafäte  Stücke  be- 
finden, als  auch  die  Aufnahme  der  bezeichneten  Minoritenprivilegien. 
Wahrscheinlich  ist  die  Handschrift  in  einem  Minoritenkloster  der  Erz- 
diözese Mainz  entstanden,  vielleicht  in  einem  Kloster  des  sächsischen 
Anteils  der  Erzdiözese ,  aus  welchem  sie  nach  den  Stürmen  des 
16.  Jahrhunderts  nach  Leipzig  gekommen  ist.  In  der  Handschrift 
selbst  findet  sich  über  die  Provenienz  und  die  Schicksale  des  Buches 
keine  Notiz. 

Von  dem  reichen  Inhalt  der  Handschrift  interessiert  uns  nur  der 
erste  Teil,  welcher  einen  vollständigen  Zyklus  von  Sermones  de  tem- 
pore und  de  Communi  Sanctorum  enthält.  Über  den  Verfasser  dieser 
Predigten  unterrichtet  uns  der  Schreiber  nicht,  wohl  aber  ein  Vermerk 
von  viel  späterer  Hand:  ,Sermones  fratris  Ludovici  de  tempore  manu- 
scripti'.  Das  würde  allerdings  nicht  genügen,  um  die  Verfasserschaft 
des  Frater  Ludovicus  sicher  zu  stellen.  Glücklicherweise  liegt  ein 
viel  früheres  Zeuftnis  dafür  in  CLP  639  vor^.    In  dieser  Persrament- 


'  Vielleicht  ist  das  Dekret  von  dem  Erzbischof  Henricus  Knoderer  (1286 — 1288), 
welcher  Minorit  war,  erlassen  worden.  Das  Dekret  scheint  noch  nicht  gedruckt 
zu  sein. 

2  Vgl.  W  a  d  d  i  n  g ,  Annales  IV  488,  Nr  lxii  ;  S  b  a  r  a  1  e  a ,  Bullarium  Francis- 
canum  II  347,  Nr  488;  Potthast,  Reg.  Pontific.  II  1481,  Nr  17569. 

^  CLP  639  ist  32  X  25  cm  groß.  Er  besteht  aus  zwei  Teilen,  von  welchen  jeder 
eine  besondere  alte  Foliierung  trägt;  der  ganze  Band  ist  in  neuerer  Zeit  fortlaufend 


I 


Die  Handschriften  CLP  719  und  639.  51 

handschrift  der  Leipziger  Universitätsbibliothek  aus  der  Mitte  des 
14.  Jahrhunderts   stehen   von    Bl.  20   bis  63   ,Sermones   Ludovici   de 


foliieit  worden;  danach  soll  er  320  Blätter  zählen,  tatsächlich  hat  er  nur  319;  der 
Zähler  hat   die  Ziffer  211    ausgelassen.     Der   erste   Teil    (Bl.    1  —  18)    enthält   eine 
moraltheologisclie  Abhandlung  des  Minoriten  Rudolfus,  welche  den  Titel  ,De  officio 
Cherubyn'  trägt.     Sie  ist  aus  einem  andern  Bande  mit  der  alten  Foliierung  LXXX 
bis  XCVII  der  Hs  vorgebunden  worden.    Über  den  interessanten  Traktat  vgl.  meine 
Abhandlung    in    der   ,Tübinger   Theol.    Quartalschrift'   LXXXYIII  (1906)    411—436. 
Bl.  19    stehen  spätere  homiletische  Einträge.     Mit  Bl.  20   beginnt   der   zweite  Teil 
des  Bandes,  welcher  die  Blätter  20  — 320'  umfafst  und  mit  Ausnahme  des  Registers 
über  den  zweiten  Teil  und  der  zahlreichen  Randeinträge  von  einer  Hand  stammt. 
Bl.  20 — 63:  Sermones  Ludovici  de  tempore.     63' — 67:  Traktat  Heinrichs  von 
Saltrey  über  das  ,Purgatorium  sancti  Patricii'  (bei  Migne,  P.  L.  CLXXX  375  ff). 
67 — 76':  Verschiedene  Sermones  de  ieiunio,  de  Quadragesima.    77 — 90':  Ein  Zyklus 
Epistelpredigten  für  das  ganze  Kirchenjahr,  die  zum  groisen  Teile  identisch  mit  der 
Sammlung    ,Greculus   super    epistolas'   in    Clm   5852    sind    (s.    unten   Abschn.   III). 
91 — 93 :  Sermo  de  Domina  nostra  und  spätere  homiletische  und  asketische  Einträge. 
94 — 311':    Reichhaltige  Sammlung   von  Heiligen-    und   sonstigen   Festtagspredigten 
mit  dem  Eingangsvermerke :    ,Incipit   opus    de    sanctis'    und  einer  langen  Vorrede  ; 
die  Sammlung  wird  zutreffend  als  ,congregacio  aquarum  multarum'  bezeichnet;  denn 
sie   enthält  Predigten   von    den   verschiedensten  Verfassern ;    ein  Register  (Bl.  312 
bis  316')   erleichtert  die  Orientierung   in  dieser  Fülle  von  Sermones.     Auf  Bl.  316' 
bis  320',  dem  Schlufsblatte,    finden  sich  asketische  Notizen,    Predigtfragmente  u.  a. 
Neben  den  , Sermones  fratris  Ludovici'  und  vielen  andern  Predigten  stehen  Marginal- 
noten   von    einer   späteren  Hand,    auch    deutsche  Glossen  (Bl.  94 — 96  99  100)  und 
Einträge,    u.   a.  Bl.  90'   das  apostolische  Symbolum   von    einer  Hand   des  14.  Jahr- 
hunderts.    Die  Sammlung   wurde    nach    dem  Schlulsvermerk  von    dem  ,Frater  Con- 
radus  predicator  de  Nyzza'  gemacht,  und  zwar  gemäß  einem  längeren  Eintrage  auf 
dem   inneren  Vorderdeckel    in  Wien   innerhalb    eines    Zeitraumes    von    21  Jahren. 
Das  Buch  gehörte   im  späten  15.  Jahrhundert   einem  Paulus  Hasen  de  Windsheim, 
von  welchem  auch  der  Eintrag  auf  dem  Vorderdeckel  stammt.    Der  Schlußvermerk 
Bl.  311  lautet:  ,Explicit  congregacio  aquarum  multarum;  iste  sit,  tytulus  sermonum, 
quos  frater  Conradus  predicator  congregauit.     Quicunque  post  mortem  ipsius  istius 
libri  usum    habuerit,    rogo,    ut   in    suis    oracionibus   memoriam   habeat   mei    scilicet 
fratris   memorati    dicti  Conradi  de  Nyzza,    quia    cum   maximis   laboribus   istos   ser- 
mones scripsi  et  deo  coadiuuante,  sicut  rei  exitus  ostendit,    consummaui.'    Der  Ver- 
merk Paul  Hasens  auf  dem  Vorderdeckel  stammt   aus  dem  15.  Jahrhundert:    , Ser- 
mones   congregacio    aquarum   multarum.      Item   sermones    epistole    et   euangelia  (!) 
per   totum    annum    et   de  sanctis  collecte  Wyene  annorum  XXI  et  ista  quae  conti- 
nent  in  marginibus  non  sunt  de  ipsos  (!)  sermonibus,  sicut  in  forma  stant,  sed  sunt 

^  collecta  a  diuersis  doctoribus.  Et  registrum  in  fine  libri,  quid  in  quolibet  euan- 
gelia (!)  seu  epistola  et  eciam  de  sanctis  continetur.  Quicunque  post  mortem  istius 
libri  usum  habuerit  in  suis  oracionibus  memoriam  habeat  mei  propter  deum  scilicet 
Pauli  Hasen  de  Windsheim,  quia  cum  maximis  expensis  libros  meos  collegi  et  deo 

f  adiuuante,  sicut  rei  exitus  ostendit,  consummaui.  Istum  librum  appreciaui  Erffordie 
decem   sexagenis    antiquis.'     In   der  Matrikel   von  Erfurt   ist   der  Schreiber    dieses 

4* 


52  n.  Die  Predigten  des  Frater  Ludovicus. 

tempore',  welche  identisch  mit  den  in  CLP  719  enthaltenen  56  Sonntags- 
predigten sind.  Es  sind,  wie  in  CLP  719,  56  Sonntagspredigten;  auf 
Bl.  63'  aber  wird  noch  eine  ,dominica  ultima'  mit  dem  Evangelium 
vom  Gerichte  verzeichnet  und  bemerkt:  ,De  isto  iudicio  require  in 
sermone:  Et  dixit  qui  sedebat  in  throne';  dieser Sermo  ist  der  Sermo  34 
de  Communi  Sanctorum  des  Frater  Ludovicus,  und  zwar  de  consecratione 
in  CLP  719  Bl.  133'.  In  CLP  639  stehen  die  Sermones  Ludovici  de 
Communi  Sanctorum  nicht. 

Ein  noch  früheres  Zeugnis  für  die  Verfasserschaft  des  Frater 
Ludovicus  liegt  in  der  Pergamenthandschrift  730  der  Grazer  Universi- 
tätsbibliothek vor,  die,  wie  bereits  früher  bemerkt  wurde,  etwa  aus 
dem  zweiten  Dezennium  des  14.  Jahrhunderts  stammt.  Der  Redaktor 
dieses  Predigtwerkes  verv/eist  an  vier  Stellen  auf  die  Sermones  Ludo- 
vici Bl.  24^:  , Require  in  Ludovico  Sermo  V.  Das  ist  Sermo  dominica 
infra  nativitatem  in  CLP  719  Bl.  6.  In  diesem  Sermo  werden  die 
mirabilia  und  miranda  der  Menschwerdung  Christi  behandelt,  von 
welchen  auch  der  Sammler  im  CGraec.  730  spricht.  Unmittelbar  darauf 
steht  wieder  eine  Verweisung  ^ :  , Require  ibidem  in  sermone :  Erant 
pater  et  mater' :  damit  ist  derselbe  Sermo  gemeint.  Ein  weiterer 
Verweis  findet  sich  im  CGraec.  730  BL  35^ 2.  , Require  in  Communi 
Ludovici  XXir,  welcher  Sermo  dem  siebten  Sermo  de  Confessore  in 
CLP  719  Bl.  115'  entspricht.  Auf  dem  nächsten  Blatte  der  Grazer 
Hs  (36''')  wird  auf  das  , Commune  Ludovici  de  confessoribus  primum' 
verwiesen  3;  in  CLP  719  Bl.  106  Sermo  16  de  Communi  Sanctorum. 
Endlich  verweist  der  CGraec.  730  Bl.  133^^  auf  einen  Sermo*  ,in  Com- 
muni Ludovici'  ,Vidi  civitatem';  das  ist  Sermo  5  de  dedicatione 
Bl.  136'  des  CLP  719.  Nach  diesen  Zeugnissen  muß  als  festgestellt 
gelten,  daß  dem  Sammler  des  Grazer  Predigtwerkes  die  in  CLP  719 
enthaltenen  Sermones  Ludovici  de  tempore  und  de  Communi  Sanctorum 
vorgelegen  habe. 


Eintrags  nicht  zu  finden.  Der  Eintrag  ist  dem  Sclihiß vermerk  nachgebildet.  Paul 
Hasen  verstand  sich  auf  das  Büchersammelu  besser  wie  auf  das  Latein.  —  Der 
Vorderdeckel  zeigt  auf  der  Außenseite  von  einer  Hand  des  17.  Jahrhunderts  den 
Vermerk :  ,Fr.  Rudolfi  liber  de  officio  Cherubyn.  Fratris  Ludovici  sermones  de 
tempore.  Fr.  Conradi  ab  Nyzza  Congregatio  aquarum  multarum  siue  ss.  de  sanctis.* 
Eine  Untersuchung  über  die  Herkunft  der  einzelnen  Stücke  ist  hier  nicht  am  Platze. 

1  Schönbach,  Eine  Grazer  Handschrift  81.  -  Ebd.  ^  gjj^ 

*  Ebd.  S.  102. 


CGraec.  730  und  die  Predigten  des  Fraters.     Abfassungszeit.  53 

Somit  ist  nachgewiesen,  daß  die  in  CLP  719  von  Bl.  11  bis  44  ent- 
haltenen Predigten  von  dem  Frater  Ludovicus  verfaßt  sind.  Der  übrige 
Teil  der  in  CLP  719  vorliegenden  Sam.mlung  von  Predigten  (Bl.  144 
bis  3060  l^ßt  sich  in  seinem  Ursprünge  nicht  ermitteln.  Viele  der- 
selben verraten  allerdings  die  Methode  des  Frater  Ludovicus  und  die 
Nachahmung  Bertolds  von  Regensburg,  welch  letzterer  auch  darin  zitiert 
wird  (Bl.  164).  Die  alttestamentliche  Typologie  und  die  Berücksichti- 
gung des  praktischen  Lebens  in  vielen  Predigten  und  einzelne  auf- 
fallende Übereinstimmungen  in  den  Gedanken  könnten  zu  der  Annahme 
führen,  daß  auch  in  diesem  Teile  Predigten  des  Fraters  enthalten  seien ; 
indessen  lassen  sich  diese  Ähnlichkeiten  in  den  Gedanken  und  in  der 
Ausführung  auch  ohne  jene  Annahme  aus  der  Benutzung  des  Fraters 
erklären.  Eine  beträchtliche  Anzahl  von  Predigten  dieses  Teiles  ähneln 
den  Sermones  des  Fraters  sicherlich  nicht.  Der  Eedaktor  der  Hand- 
schrift hat  außer  dem  abgeschlossenen  Zyklus  der  Predigten  des 
Frater  Ludovicus  noch  eine  Sammlung  Sermones  de  tempore  und  de 
Sanctis  zusammengestellt,  die  er  den  Predigten  der  den  Frater  Ber- 
told  und  den  Frater  Ludovicus  nachahmenden  Prediger  aus  dem 
Minoritenorden  entnahm.  Es  finden  sich  nämlich  auch  mehrere  Pre- 
digten für  die  Feste  der  Minoritenheiligen  Franziskus,  Antonius,  Klara, 
sowie  Sermones  ad  religiöses  darunter.  Im  weiteren  Verlaufe  unserer 
Abhandlung  werden  wir  einige  Stellen  aus  diesen  Predigten  mitteilen  i. 

Am  Beginne  des  14.  Jahrhunderts  müssen  diese  Predigten  in 
Ansehen  gestanden  haben.  Das  bekundet  der  CGraec.  730,  in  welchem 
neben  Konrad  von  Sachsen,  Bertold  von  Regensburg  und  Greculus 
auch  die  Sermones  Fratris  Ludovici  zu  Ehren  kommen.  Und  das 
verdienten  sie  auch. 

Da  das  erwähnte  Grazer  Predigtwerk  wahrscheinlich  aus  dem 
zweiten  Dezennium  des  14.  Jahrhunderts  stammt,  so  wird  man  bei 
der  verhältnismäßigen  Langsamkeit  der  Verbreitung  der  Bücher  in 
jener  Zeit  annehmen  dürfen,  daß  der  Frater  Ludovicus  in  dem  letzten 
Dezennium  des  13.  Jahrhunderts  seine  Predigten  verfaßt  habe.  Auf 
dieselbe   Zeit    führt    auch    eine   Bemerkung    des  Predigers    über    ein 


*  Unter  den  zahlreichen  handschriftlichen  Predigten  der  Münchener  königlichen 
Staatsbibliothek,  die  durch  meine  Hände  gegangen  sind,  bin  ich  auf  die  Predigten 
des  Frater  Ludovicus  nicht  gestoßen :  damit  soll  nicht  gesagt  sein,  daß  sie  sich  in 
den  Hss  der  Staatsbibliothek  nicht  befinden. 


54  n.  Die  Predigten  des  Frater  Ludovicus. 

Schisma  in  einem  Orden  —  ohne  Zweifel  dem  der  Minoriten.  Der 
Status  religiosorum  liege  darnieder  —  klagt  er  in  dem  Sermo  4  de 
Communi  Martyrum  (Bl.  99)  —  ,foras  (iacent)  per  concupiscenciam, 
in  terra  per  auariciam,  gladio  iam  cadunt  uel  cadent  propter  scisma, 
quod  iam  est  in  parte,  breviter  erit  in  toto  et  hereses  que  occulte 
subintrabunt'.  Wir  vermuten,  daß  damit  auf  die  Spaltung  im  Mino- 
ritenorden  angespielt  wird,  die  unter  Papst  Bonifaz  VIII.  gefahr- 
voller wurde,  da  derselbe  die  Begünstigungen,  welche  die  strengere 
Richtung  im  Orden  unter  Papst  Cölestin  IL  erfahren  hatte,  zurücknahm. 
In  Italien  war  der  Kampf  zwischen  der  strengeren  und  der  milderen 
Partei  unter  den  Minoriten  fast  zu  einem  Schisma  ausgeartet.  Der 
Prediger  fürchtet  die  weitere  Ausbreitung  der  Spaltung,  von  welcher 
die  deutschen  Minoriten  bis  dahin  verschont  geblieben  waren.  Wenn 
der  Frater  weiter  erklärt,  die  ,discessio  a  spirituali  obediencia'  sei 
,iam  in  pocioribus',  ,in  cardinalibus,  in  archiepiscopis  et  multis  pre- 
latis'  eingetreten  1,  so  trifft  das  für  den  Pontifikat  Bonifaz'  VIII.  zu, 
gegen  welchen  die  Kardinäle  Jakob  und  Petrus  Colonna  sich  offen 
empörten.  Auch  der  Ausdruck  , forte  dico  in  cardinalibus'  und  die 
Bemerkung,  daß  er  von  dem  Eintreten  dieser  Vorzeichen  der  An- 
kunft des  Antichristen  nur  ,im  geheimen'  zu  reden  wage,  verweisen 
auf  jene  Zeit,  in  welcher  es  angesichts  der  Verfolgung  der  strengeren 
Richtung  unter  den  Minoriten  gefährlich  war,  von  diesen  Dingen 
offen  zu  reden. 

Auf  die  letzten  Jahre  des  13.  Jahrhunderts  führt  auch  eine  andere 
Bemerkung  des  Predigers.  Er  findet  die  Vorzeichen  der  Ankunft 
des  Antichristen  und  des  Eintrittes  des  letzten  Gerichtes  schon  erfüllt; 
denn  der  Abfall  vom  Imperium  Romanum  vollziehe  sich,  besonders 
der  Abfall  von  den  ,electores',  d.  h.  von  den  Kurfürsten.  Diese  Be- 
merkung bezieht  sich  offenbar  auf  die  Absetzung  des  Königs  Adolf 
von  Nassau  auf  der  Kurfürstenversammlung  zu  Mainz  am  23.  Juni  1298 
und  auf  die  Wahl  Albrechts  von  Österreich,  die  nur  von  einem  Teile 
der  Kurfürsten  vollzogen  ward.  Trotzdem  König  Adolf  am  2.  Juli  1298 
in  der  Schlacht  bei  Gölheim  fiel,  wurde  Albrecht  weder  von  den 
gegnerischen  Kurfürsten  noch  vom  Papste  anerkannt.  Das  nennt  der 
Prediger    eine    ,discessio    a    Romano    imperio    ab    electoribus    ipsius* 


*  S.  unten  S.  77. 


Abfassungszeit.     Ludovicus  ein  deutscher  Minorit.  55 

(Bl.  800-  Demnach  wird  man  das  Ende  des  13.  Jahrhunderts  als 
Abfassungszeit  der  Predigten  annehmen  dürfen. 

Der  Frater  Ludovicus  war  selbst  Minorit,  und  die  Spaltungen 
im  Orden  gingen  ihm  darum  nahe.  Daß  er  dem  Orden  des  hl.  Fran- 
ziskus angehörte,  darf  man  aus  der  Erwähnung  des  Bertold  von 
Regensburg  als  ,eximii  predicatoris  fratris  de  Reynsborc'  (Bl.  121), 
aus  dessen  fleißiger  Benutzung  und  aus  der  hohen  Bewertung  derer 
schließen,  ,qui  sub  uoto  solempni  sunt  in  castitate  et  obediencia  et 
sine  proprio,  non  tantum  speciali  sed  in  communi  et  in  paupertate 
uiuunt  et  secundum  euangelium  Domini  nostri  lesu  Christi'   (Bl.  36). 

Der  Frater  Ludovicus  war  ein  Deutscher.  Das  beweisen  die 
Übersetzung  des  Ausdrucks  ,cantus  galli'  mit  ,bekre'  (Bl.  102')  und 
die  aus  Bertolds  Predigten  übernommene  Bemerkung  ,Hereticus  in 
lingua  nostra  Kezzer  appellatur'  (daselbst),  sov/ie  überhaupt  die  starke 
Benutzung  des  Regensburger  Franziskaners.  Von  gewissen  Sündern 
sagt  er  (Bl.  61):  , quasi  per  nasum,  ut  vulgariter  dici  solet,  ducuntur 
a  dyabolo' ;  das  ist  die  Übersetzung  des  deutschen  Ausdrucks  ,an  der 
Nase  führen'. 

Wo  der  Frater  gelebt  hat,  läßt  sich  mit  Sicherheit  nicht  er- 
mitteln. Wadding  ^  erwähnt  einen  , Ludovicus  Theutonicus',  der  wegen 
seiner  Heiligkeit  berühmt  war  und  in  Perugia  starb.  Von  einer 
Predigttätigkeit  desselben  ist  aber  nicht  die  Rede.  Dagegen  führt  Petrus 
Rodulfius  in  seiner  Geschichte  des  seraphischen  Ordens'^  einen  weder  nach 
der  Zeit  noch  nach  der  Herkunft  näher  bezeichneten  Frater  Ludo- 
vicus an,  welcher  ,Sermones  feriales  per  totum  annum,  commune 
Sanctorum  et  multa  alia'  geschrieben  habe.  Ob  das  unser  deutscher 
Minorit  gewesen  sei,  muß  um  so  stärker  bezweifelt  werden,  als  der- 
selbe wohl  Sermones  dominicales,  aber,  soviel  wir  wissen,  keine 
Sermones  feriales  hinterlassen  hat.  Darf  man  aus  der  auffallenden 
Erwähnung  des  Kaisers  Otto  I.  und  dessen  Grabstätte  einen  Schluß 
ziehen 3,  so  könnte  man  den  Frater  als  einen  sächsischen  Mino- 
riten  bezeichnen. 

Die  Predigten  sind  thematische  Spruchpredigten.  Die 
Ausführung  derselben  verläuft  bei  dem  Frater  Ludovicus  aber  nicht 
so  schematisch   und   schulgerecht   wie   bei  dem  Frater  Konrad,  viel- 


'  Annales  V  278.  ^  g_  328.  3  ^i  ^^ 


56  II.  Die  Predigten  des  Frater  Ludovicus.  ' 

mehr  kommen  oft  Subpartitionen  und  auch  Abschweifungen  von  dem 
behandelten  Gegenstande  vor.  Der  Prediger  bewegt  sich  ungleich 
freier  als  der  Frater  Konrad.  Er  hält  sich  nicht  bloß  an  die  theo- 
logische, schulgemäße  Darlegung,  sondern  nimmt  auch  Rücksicht  auf 
das  praktische  Leben,  auf  die  tägliche  Erfahrung  und  die  Zustände 
seiner  Zeit.  Das  kennzeichnet  ihn  als  gelehrigen  Schüler  seines 
Ordensgenossen,  des  Frater  Bertold  von  Regensburg.  In  der 
Tat  klingen  uns  aus  den  Predigten  des  Frater  Ludovicus  überall 
Gedanken  Bertolds  wieder.  Wie  Bertold  liebt  er  die  Verwendung 
alttestamentlicher  Typen  zu  moralischen  Erörterungen,  und  von  ihm 
hat  er  die  lebendigen  Apostrophen  an  die  Zuhörer  gelernt;  nach 
seinem  Beispiele  beschäftigt  er  sich  mit  den  Gebrechen  der  einzelnen 
Stände  und  mit  den  Übeln,  an  welchen  seine  Zeit  krankte.  Wie  der 
Frater  Ludovicus  seinen  Lehrmeister  benutzte  und  zugleich  seine 
Selbständigkeit  wahrte,  werden  wir  unten  sehen.  Zunächst  mögen 
einige  Predigtdispositionen  folgen. 

Am  ersten  Adventsonntage  predigt  Frater  Ludovicus  über  den 
Text  ,Erunt  signa  in  sole  et  luna  et  stellis  et  in  terris  pressura 
gentium'  (Lc  21,  25)  in  folgender  Weise  (Bl.  1'): 

,Duplicem  Domini  aduentum  in  mundum  testante  sacra  scriptura 
cognoscimus:  unum  in  carnis  assumpcione,  alium  in  extrema  ulcione; 
primus  amoris  et  misericordie,  secundus  rigoris  et  iusticie.  Quia  uero 
in  euangelio  de  secundo  scribitur,  qui  est  in  extreme  examine,  ideo 
notandum,  quod  in  hoc  euangelio  duo  de  ipso  aduentu  ad  iudicium 
describuntur :  scilicet  aduentum  precedencia,  ut  sunt  signa,  in 
quibus  cognoscitur,  quod  ipse  sit  dies  iudicii.  Unde  dicit:  Erunt  signa 
in  sole  etc.  Glossa :  „  Propinquante  die  iudicii  sonitus  maris  et  fluctuum 
confunditur,  quia  orbis  terrarum  prementibus  se  inuicem  colonis  in- 
ficitur;  maxima  celi  luminaria  percussis  nouo  horrore  radiis  turba- 
tam  faciem  uelant"  ^  etc.  Lege  omeliam  Gregorii,  qui  hec  ad  literam 
uere  dicit-.  Secundo  describuntur  aduentum  istum  concomitancia, 
ut  est  iudicium  strictissimum.  Unde  sequitur:  „Tunc  uidebunt  filium 
hominis"   etc.' 

,Nota  autem,  quod  est  triplex  signum  sc.  signum  amoris,  tri- 
bulacionis,  condempnacionis.'    Das  erste  erschien  in  der  Mensch- 

'  Walafridi  Glossa  ordinaria  (Migne,  P.  L.  CXIV  335). 
2  Vgl.  Hom.  1  in  Evangelia  (Migne,  P.  L.  LXXVI  1077). 


Die  Methode.     Predigtproben.  57 

werdung  Christi  und  in  Maria;  das  zweite  liegt  ,in  persecucione*,  das 
dritte  wird  ,in  extremo  examine'  erscheinen.  In  der  Ausführung  über 
das  zweite  signum  behandelt  er  die  Zustände  seiner  Zeit  als  Vorzeichen 
des  nahen  Endes  der  Dinge.    Wir  teilen  unten  die  Stelle  wörtlich  mit. 

Reichhaltiger  ist  die  Disposition  zum  7.  Sermo  de  Virginibus 
(Bl.  128)  über  Est  5,  1:  ,Die  autem  tertio  induta  est  Esther 
regalibus  vestimentis.'  Unter  den  drei  Tagen  versteht  er  die  ,tem- 
poralis  vita,  spiritualis  gratia  et  aeternalis  gloria'.  Der  erste  Tag 
bildet  das  Thema  der  Predigt.  , Prima  dies  figuratur  per  quinque 
quibus  in  hac  usuali  die  se  homines  solent  mutuo  salutare':  1.  Bonum 
mane  (Guten  Morgen)  id  est  bene  incipias;  2.  bonum  diem  (Guten 
Tag)  id  est  bene  proficias;  3.  bonum  vespere  (Guten  Abend)  id  est 
bene  finias;  4.  bonam  noctam  (Gute  Nacht)  —  in  iudicio  finali; 
5.  Dens  te  benedicat  remuneracione  finali.  Die  dies  gratiae  et  gloriae 
behandelt  er  in  dem  Sermo  8  de  Virginibus. 

In  dem  1.  Sermo  de  Apostolis  (Bl.  82)  nimmt  er  als  Text 
Lc  10,  20:  ,Gaudete  quoniam  nomina  vestra  scripta  sunt  in  coelis' 
und  als  Thema  die  vier  Bücher:  über  humanae  redemptionis,  prae- 
sentis  conversationis,  extremae  ultionis,  aeternae  remunerationis. 

, Primus  liber  humane  redempcionis.  Hie  est  liber  passionis  Christi, 
quod  nobis  omnibus  propono,  ut  legatis,  quid  miserie  et  quid  pene 
sustinuerit.  Legant  clerici  et  religiosi  et  confundantur,  si  huic  scrip- 
ture  non  compaciantur.  Planum  habes  de  hoc  textum  euangelicum, 
planum  propheticum  oraculum.  Et  ueniant  layci  contra  nos  in  testi- 
monium  et  suum  eis  de  passione  aperiam  librum,  qui  parietibus  de- 
pingitur  cum  passione  Christi  cum  extensis  brachiis,  inclinato  capite, 
uulnerato  corde  expansi.'  Bei  der  Passion  des  Herrn  sollen  wir  be- 
trachten den  Grund,  die  Marter  und  den  Nutzen  derselben. 

Das  zweite  Buch  soll  dir  zeigen,  wer  du  bist.  Es  hat 
sieben  Siegel;  w^er  diese  nicht  löst,  wird  nicht  selig;  bei  der  Lösung 
erwäge:  1.  peccata  quae  commisisti,  2.  tempus  quod  amisisti, 
3.  pulchritudinem  quam  maculasti,  4.  gratiam  quam  neglexisti,  5.  iram 
quam  prouocasti ,  6.  poenam  quam  meruisti,  7.  gloriam  quam 
demeruisti. 

Das  dritte  Buch  wird  bei  dem  Gerichte  geöffnet;  es  hat  eine 
dreifache  Schrift:  Mene,  Tekel,  Phares  (Dn  5,  25 — 28).  Das  vierte 
Buch  ist  das  Buch  des  ewigen  Lohnes  (Mt  5,  3 — 12). 


58  I^-  Die  Predigten  des  Frater  Ludovicus. 

Noch  umfangreicher  ist  die  Disposition  in  dem  Sermo  1  de  dedi- 
catione  (Bl.  129' — 132),  in  welchen  er  von  den  sieben  Straßen 
der  Welt,  der  Hölle  und  des  Himmels  predigt.  Die  ,Vn  plateae 
mundi',  die  der  Teufel  gebaut  hat,  sind:  1.  platea  praesentis  vitae 
prosperitatis,  2.  platea  vitae  adversitatis,  3.  platea  fraudis,  in  qua 
mercatores,  caupones,  mechanici  ambulant  (,distingue  quomodo  mer- 
catores  uendunt  pannum,  quomodo  in  uino,  quomodo  in  frumento, 
qualiter  mechanici,  fabri,  calcifices  unusquisque  in  sua  arte  fraudem 
facit') ;  4.  platea  luxuriae  et  foeditatis,  , platea  communissima  et  multi 
saluarentur,  si  hec  non  esset  et  dyabolus';  5,  platea  simulatae  sancti- 
tatis,  die  auch  von  vielen  Religiösen  betreten  wird;  6.  platea  haere- 
seos.  ,Hee  sunt  sex  platee  ciuitatis  mundi,  quas  circumeunt  peccatores 
prospere  sibi  succedere  sperantes,  ut  uix  est  heu  aliquis  angulus 
istarum  platearum,  quas  non  uisitent  et  tandem  ueniant  ad  7.  plateam, 
que  ad  infernum  ducit:  est  mortis  securitas'.  Die  civitas  infernalis 
hat  folgende  sieben  Straßen:  1.  tenebrarum,  2.  sulphuris  et  foetoris, 
3.  ignis  et  ardoris,  4.  nivis  et  frigoris,  5.  demonis  et  vermis,  6.  esuriei 
et  sitis,  7.  miseriae  sine  spe.  Gegen  diesen  Jammer  ohne  Ende 
strahlen  die  sieben  Straßen  des  Himmels  in  ewigen  Freuden  und  un- 
aussprechlicher Herrlichkeit. 

Ahnliche  umfangreiche  Dispositionen  finden  sich  besonders  in  den 
Sermones  de  Communi  Sanctorum,  in  welchen  sich  überhaupt  die 
Prediger  des  13.  und  14.  Jahrhunderts  sowohl  im  Inhalt  wie  auch 
in  der  Form  größere  Freiheit  gestatteten. 

Unter  den  Hilfsmitteln,  deren  sich  der  Frater  Ludovicus  bei 
der  Ausarbeitung  seiner  Predigten  bediente,  ist  in  erster  Reihe  die 
Heilige  Schrift  und  deren  Glosse  zu  nennen.  In  dem  reichen  und 
mannigfaltigen  Gebrauch  derselben  folgte  er  der  Ordenstradition,  die 
durch  Konrad  von  Sachsen  und  durch  Bertold  auch  in  Deutschland 
üblich  geworden  war.  Aus  der  Glosse  entnahmen  die  Prediger  auch  die 
Interpretationen  der  hl.  Väter,  die  sie  überdies  in  großer  Fülle  auch 
in  Gratians  Dekrete  fanden.  Unter  den  älteren  Autoritäten  finden  wir 
neben  Augustinus  Isidor  von  Sevilla,  von  den  jüngeren  Rupert  von  Deutz, 
die  Minoritentheologen  Rupellus  (Johannes  de  Rupella,  de  la  Rochelle, 
t  1245)  und  Bonaventura  und  endlich  besonders  Hugo  von  St  Yictor^ 

^  Bl.  129  wird  irrig  ,Richardus  de  arclia'  zitiert;  die  zitierte  Stelle  steht  aber  bei 
Hugo  von  St  Victor,  De  arca  Noe  II  2— 4  (Migne,  P    L.  CLXXVI  655— 658). 

i 


Dispositionen.     Hilfsmittel.     Denkverse.  59 

zitiert,  dessen  Schriften  für  homiletische  Zwecke  in  Deutschland  viel 
gebraucht  wurden  ^ 

Die  wichtigste  Unterlage  für  seine  Arbeit  Avaren  die  Predigten 
seines  Ordensgenossen  Berfcold  von  Regensburg.  Wie  er  dieselben 
benutzte,  werden  die  weiteren  Mitteilungen  zeigen. 

Wie  bei  Konrad  von  Sachsen  finden  sich  auch  bei  Frater  Ludovicus 

Denk  verse.  So  bei  einer  Belehrung  über  die  Beichte,  die  für  Geistliche 

bestimmt  war'-.     Diese  Verse  stehen  in  der  vorliegenden  Form  nicht 

in  der  Summula  Raymundi,  gehören  also  zu  den  Denkversen,  die  in  den 

Schulen  zur  Unterstützung  des  Gedächtnisses  in  Übung  waren.  Die  cir- 

cumstantiae,  nach  welchen  der  Confessarius  zu  fragen  hat,  lauten  hier  ^ : 

Quis,  quid,  ubi,  cum  quo,  quociens,  cur,  quomodo,  quando, 
quilibet  obseruet  anime  medicamina  dando. 

Die  Reservatfälle   werden   in   folgende  Verse   zusammengefaßt*: 

Qui  facit  incestum,  deflorans  aut  homicida, 
sacrilegus,  patrum  percussor  uel  sodomita 
et  uoti  fractor,  periurus  sortilegusque 
pontificem  [querat]  nee  non  qui  miserit  ignem ; 
per  papam  clericum  feriens,  falsarius,  urens 
soluitur,  quisquis  audet  celebrare  ligatus. 

Die  Verweigerung   der  Absolution   wird   in  folgenden  Fällen  als 

notwendig  hingestellt  ^ : 

Non  absoluetur  sua  qui  peccata  fatetur 
non  bene  contritus  uel  cui  non  principamus, 
enormis  factus,  non  subditus  aut  alienus. 

Im    Zusammenhang    mit    dem    Bußsakramente    erklärt    er    die 
Krankheit  des  Hydropicus  moralisch  und  zitiert  den  Vers: 
Ydropicum  uites  quia  nomen  finit  in  ites, 

und  fügt  hinzu:  .scilicet  timpanites,  ascites' 6. 

In  der  Predigt  über  die  Eucharistie  ^  zitiert  er  den  Vers :  ,Sumitur 
occulte  Christus,  non  sit  tibi  stulte' ;  die  Fortsetzung  lautet  bei  Ber- 
told:  ,horror  uel  risus  sitque  lucrosa  fides'^. 

^  Vgl.  auch  das  Autorenverzeichnis  aus  den  Bertoldschen  Predigten  bei 
Schönbach,  Die  Überlieferung  Bertolds  II  73  ff. 

2  Dominica  V  in  Quadragesima  Bl.  24—25.  ^  ßi  24'. 

*  Bl.  24;  vgl.  Summula  Raymundi  Bl.  127'.  ^  Bl.  25. 

'^  Bl.  24.  Timpanites,  Windsucht;  ascites  (dcrxog),  auch  asclites,  Bauchwasser- 
sucht; siehe  Diefenbach  584,  53. 

■^  Bl.  107.  ^  Schön bach,  Bertold  gegen  die  Ketzer  71. 


60  IL  Die  Predigten  des  Frater  Ludovicus. 

Die  nachfolgenden  Mitteilungen  werden  die  Predigtweise  des 
Frater  Ludovicus  noch  heller  beleuchten.  Bei  der  Auswahl  derselben 
haben  uns  vor  allem  religions-  und  kulturgeschichtliche  Rücksichten 
geleitet. 

1.  Welt  und  Kirche. 

In  den  Predigten  des  Frater  Ludovicus  finden  die  Freuden  und 
Leiden  seiner  Zeit  ihren  Widerklang.  Tiefernst,  fast  pessimistisch  ist 
die  Weltanschauung  des  deutschen  Minoriten,  den  die  nach  der  kurzen 
Zeit  des  Friedens  von  neuem  entstandenen  Wirrsale  im  Reiche  und 
die  trübe  Lage  der  Kirche  ängstigten.  Rückschauend  in  die  Ver- 
gangenheit beklagt  er  den  Abfall  von  den  erhabenen  Idealen  christ- 
licher Vollkommenheit  und  erblickt  in  der  Gegenwart  überall  Habsucht 
und  Trug,  Sinnlichkeit  und  Gewalttat. 

Der  Sermo  6  de  Confessore  ^  behandelt  im  Anschlüsse  an  den  Text 
, Super  pauca  fuisti  fidelis'  etc.  (Mt  25,  21)  die  fidelitas  1.  amici  ad 
amicum,  2.  servi  ad  dominum,  3.  prelati  ad  subditum.  Bei  der  Aus- 
führung zum  zweiten  Punkte  geht  er  von  Dn  8,  3  ff  aus  (,ecce 
aries  unus  stabat  ante  paludem  habens  cornua  . . .  vidi  arietem  cornibus 
ventilantem ...'):  , Aries  significat  bonam  et  mundam  uitam  ecclesie,  quam 
primo  habuit,  cornua  significant  duplicem  dileccionem  ipsius  (ecclesie) . . . 
Notandum  est  quod  hie  aries  id  est  bona  uita  uentilabat  cornibus  id 
est  extendit  caritatem;  primo  contra  orientem  id  est  primum  statum  ec- 
clesie, in  qua  fuit  tanta  Caritas  in  apostolis  et  aliis  sanctis,  quod  erant 
eis  omnia  communia  et  cor  unum.  Et  hoc  durauit  annis  CCC  et  plus 
usque  ad  beatum  Siluestrum  papam  et  usque  ad  Constantium  impera- 
torem,  qui  pacem  dedit  ecclesie.  Et  tunc  aries  id  est  bona  uita  uentilabat 
cornibus  contra  meridiem,  quia  publice  seruierunt  Domino  sancti  et  in 
tanto  [feruore]  fuerunt,  ut  se  ipsos  cruciarent  ieiunando,  affligendo, 
uigilando,  leprosis  seruiendo.  Et  hoc  durauit  annis  CCC,  parum  minus, 
usque  ad  beatum  Gregorium  papam.  Tunc  incepit  regnare  Leo  papa 
et  Karolus  rex  et  paulatim  tepuit  Caritas.  A  quibus  fluxerunt  CXL 
anni  usque  ad  Ottonem  Magnum,  qui  sepultus  est  in  Megdeburch.  Et 
heu !  ab  occidente  iam  temporibus  nostris  uenit  hircus  caprarum'  (Dn  8,  5) 
quod  est  animal  olidum  et  fetidum  id  est  inmunda  uita  et  fetida,  et 
totum   mundum  sibi  subiugauit.     Et  , uenit  ad  arietem'  id  est  bonam 

'  131.  114  115. 


Geschiclitsperiodea.     Verfall  des  religiösen  Lebens.  61 

uitam  ecclesie,  ,comminuit  duo  cornua  eius'  id  est  duplicem  dileccionem 
et  conculcauit  et  miiltos  iam  in  ecclesia  uiros  et  miüieres,  religiosos  et 
seciilares  sibi  subdens.  ,Et  nemo  quibat  eum  liberare  de  manibus  eius.' 
Temptant  eum  liberare  fratres  Minores  et  Predicatores ,  sed  omni 
predicacione  non  possunt  ecclesiam  ad  bonum  statum  reducere  nee 
grisei  nee  nigri  monacbi.  Heu!  inclinata  est  domus  ecclesie  iam  ad 
ruinam,  ut  uix  ab  aliquo  possit  restaurari,  facta  est  quasi  uestimentum 
uetus,  quod  cum  in  uno  loco  consuitur  in  alio  loco  fit  scissura.'  ^ 

,Primus  pes  hirci,  qui  multos  conculcat  in  ecclesia  est  tepiditas, 
Ita  enim  iam  tepidi  sunt  bomines  in  dileccione  dei,  quod  puto  iam 
inminere  id  tempus,  quod  predixit  deus  in  euangelio:  ,Quoniam  super 
habundauit  iniquitas,  refrigescet  Caritas  multorum'  (Mt  24,  12),  illa 
scilicet,  que  in  primitiua  ecclesia  in  tantum  bomines  inflammauerat, 
ut  se  ipsos  cruciarent.  Hec  ita  refrigerauit  ut  iam  pauci  uelint  ser- 
mones  audire,  ad  missam  ire,  elemosinam  dare.  Hoc  pede  concul- 
cantur  miles  et  rusticus,  mercator  et  clericus,  et  quod  lamentabile 
est,  conculcantur  religiosi,  qui  deteriores  omnibus  fiunt,  cum  tepescunt.' 
Der  zweite  Fuß  des  hircus  ist  die  fraus,  die  nun  an  den  Gewohn- 
heiten der  Handwerker  getadelt  wird ;  der  dritte  die  carnalitas,  der 
vierte  die  incredulitas;  bezüglich  der  letzteren  erhält  der  Prediger  die 
Anweisung:  ,dic  qualiter  per  incantaciones  cum  baptismo  et  crisma'^. 

In  andern  Predigten  teilt  er  die  ganze  Geschichte  der  Kirche  in 
zwei  Perioden  ein:  in  die  Zeit  der  Märtyrer,  in  welcher  die  christliche 
Liebe  herrschte,  und  in  die  Zeit  der  Versuchungen  und  Trübsale.  Das 
führt  er  ^  im  Anschlüsse  an  Apc  6,  3 :  ,Cum  aperuisset  sigillum  se- 
cundum,  ecce  equus  rufus'  etc.,  aus.  Das  rote  Roß  bedeutet  die  Ver- 
folgung der  Kirche  zur  Zeit  der  Märtyrer.    Die  Reiter  dieses  Rosses 


^  In  einem  Sermo  de  s.  Francisco  in  CLP  719  Bl.  237  wird  dieselbe  Vision 
zur  Schilderung  des  Elendes  in  Kirche  und  Welt  gebraucht.  Die  beiden  Hörner 
des  ,aries',  d.  i.  der  Kirche,  ,fides*  und  , Caritas',  sind  von  dem  .hircus'  gebrochen ; 
die  Töchter  der  , Caritas',  Keuschheit,  Demut  und  Wahrheit  zertreten,  niemand  ver- 
mag die  Kirche,  welcher  der  Untergang  droht,  zu  retten.  ,Opponitur  princeps 
principi,  miles  militi,  filius  patri,  uir  uxori,  religiosus  religioso.'  Vgl.  zum  Ganzen 
unten  S.  67  die  Stelle  aus  Bertold. 

^  In  Sermo  dominica  LX  BL  17 — 18  wird  ,aries'  als  die  menschliche  Seele  ge- 
deutet, welche  die  Sünde  (hircus)  zertritt.  Vergeblich  bemühen  sich  , predicatores 
et  confessores',  sie  zu  befreien;  sie  liegt  danieder,  zertreten  von  den  vier  Füßen 
des  ,liircus' ;  diese  sind:  ,obliuio  beneficiorum,  desidia  bonorum,  ignorancia  suppli- 
ciorum,  delectacio  peccatorum'.  ^  Sermo  4  de  Martyribus  Bl.  99  100. 


4 

i 

62  II-  Die  Predigten  des  Frater  Ludovicus.  t 

waren  Nero,  Diokletian,  Maxentius  u.  a.,  denen  das  große  Schwert 
(Apc  6,  4)  in  die  Hände  gegeben  ward.  Dieses  Schwert  herrschte 
von  dem  Tode  des  Erzmärtyrers  Stephanus  bis  zu  den  Tagen  des 
Papstes  Silvester.  Nun  aber  kam  ein  anderes,  gefährlicheres  Schwert, 
welches  bis  zur  Zeit  des  Antichristen  herrscht.  Dieses  geistige  Schwert 
ist  die  Versuchung,  die  wie  ein  Schwert  die  Seelen  verwundet: 
, Est  ista  gladius  duplex,  scilicet  euaginatus  et  occultus.  Primus 
est  euaginatus  id  est  manifesta  seductio,  qua  diabolus  multos  inter- 
ficit.  Nulli  enim  parcit  iste  gladius ;  aliter  enim  uulnerat  milites 
exactionibus  .  .  .  aliter  senes  per  auariciam,  qui  maxime  hoc  vicio  sedu- 
cuntur . .  .  aliter  iuuenes  per  luxuriam,  aliter  mulieres  per  superbiam, 
quarum  superbia  uesice  pleno  uento  comparatur  cum  VII  pisis,  que 
plus  tonant  quam  saccus  et  hee  in  nihilum  rediguntur,  cum  infirmi- 
tate  uel  mortis  aculeo  punguntur  quemadmodum  si  acute  acu  uesica 
plena  uento  perforatur  .  . .  aliter  mechanicos  per  fraudulenciam  .  .  . 

,Secundus  est  gladius  occultus,  qui  iam  incipit  percutere  id  est 
occulta  temptacio,  qua  homines  seducuntur.  Iam  enim  incipit  impe- 
diri  Salus  animarum ,  cum  inhibetur  confessio  et  alia  bona  opera. 
Quidam  uolunt  dampnari  pocius  quam  alii  confiteri  et  saluari.  Heu 
quam   multos   iste   gladius   interfecit^     Iam   enim  minoratur  ecclesia 


^  Eine  Parallele  zu  dieser  Stelle  bieten  die  beiden  Sermones  de  s.  loanne  Bap- 
tista  in  derselben  Hs  Bl.  199' — 201  über  den  Text:  ,Posuit  os  meum  quasi  gla- 
dium  acutum'  (Is  49,  2).  In  der  ersten  Predigt  wird  als  erstes  Schwert  genannt: 
, gladius  predicacionis.  Hoc  gladio  docentur  pugnare  iuuenes,  ut  si  necesse 
fuerit  sciant  pugnare.  Vulgariter  iste  gladius  appellatur  sclii  rmscli  w  erth.'  Das 
zweite  heißt  , gladius  dimicacionis  vulgariter  campswert';  das  dritte  , gla- 
dius ulcionis'.  Die  zweite  Predigt  bietet  eine  andere  Reihe  von  Schwertern :  , Gla- 
dius euaginatus  =  manifesta  tentacio*,  die  offene  Verfolgung  und  Verführung. 
Dann  fährt  er  fort  (Bl.  201):  ,Secundus  gladius  est  occultatus  qui  uoeatur 
sicha,  qui  portatur  occulte  in  baculo,  qui  uoeatur  vulgariter  stabswert.  Per 
istum  figuratur  occulta  temptacio.  Et  hoc  gladio  multi  et  religiosi  corruunt  quasi 
ignoranter,  sed  ignorancia  crassa  est  et  supina  et  non  excusat,  ut  dicit  Augustinus. 
Hoc  gladio  percutitur  miles,  cum  dicit :  Domine,  exactiones  in  meos  facio,  sed  bene 
deseruio  cum  pro  ipsis  laboro  equitando,  platitando ;  caue  miles,  ne  istud  sit  s  i  c  a 
id  est  occultus  gladius,  .  .  .  quia  frequenter  ipsos  rodis,  sed  non  eis,  ut  asseris,  seruis. 
Hoc  gladio  percutitur  usurarius  uel  malus  mercator,  cum  dicit:  timeo  aliquas  in- 
iustas  res  habere,  sed  satisfaciam  deo,  quia  cum  XX  marcis  filiam  meam  in  claustro 
locabo.  Tu  stulte,  tu  teneris  lilie  tue  subuenire  et  reddis  in  uicesimo,  cum  reddere 
debes  in  centesimo ;  insuper  non  reddis,  cui  deberes  reddere.  Hoc  gladio  percutitur 
religiosus  cum  tepide  seruit  domino  in  ieiuniis,  in  uigiliis;  dicit  enim:  timeo  quod 
corpus  destruam  per  nimiam  abstinenciam  et  post  aliquos  annos  seruire  non  potero 


Geschichtsperioden.     Die  Schwerter  Verfolgung  und  Versuchung.  63 

maxime  in  sacerdotibus  et  religiosis  propter  scisma,  quod  iamdiu  in- 
cepit.  Parum  perficimus  quod  predicamus.  Si  in  una  parte  ecclesia 
dei  edificatur,  in  altera  destruitur.  Occultus  est  hie  gladius;  iam 
hereses  pullulant ;  sed  maxime  hoc  erit  temporibus  antichristi,  cum 
dicatur:  ,Ecce  hie  est  Christus  aut  illic  (Mt  24,  23).  Immo  et  iam 
hie  dicitur,  quando  prelati  et  religiosi  dissenciunt  in  consiliis:  aliter 
dicit  magister  Ar.,  aliter  magister  H.  et  sie  de  singulis^.  ,Sacerdotes 
eoruni  in  gladio  ceciderunt'  (Ps  77,  64).  Heu  ad  quem  statum  per- 
uenit  ecclesia!  Hec  conqueritur  lamentabiliter  (Thr  2,  21):  ,Iacuerunt 
in  terra  foris  puer  et  senex,  uirgines  mee  et  iuuenes  mei  ceciderunt 
gladio.'  Glossa:  Gladio  spirituali.  Per  senes  status  prelatorum  [intel- 
ligitur],  qui  per  maturitatem  et  scienciam  senes  appellantur.  Per  pueros 
Status  coniugatorum,  qui  heu  iam  pueri  sensibus.  Glossa :  Puer  C  an- 
norum  uel  X  annorum.  Per  iuuenes  et  uirgines  status  religiosorum  acci- 
pitur  in  duplicem  sexum.  Plurimi  isti  foris  iacent  in  terra  et  gladio 
occulto  cadunt.  Non  de  omnibus  dico  propter  sanctos  et  bonos,  sed 
foras  [iacent]  per  concupiscenciam,  in  terra  per  auariciam,  gladio  iam 
cadunt  uel  cadent  propter  scisma  quod  iam  est  in  parte,  breuiter  erit 
in  toto  et  hereses,  que  occulte  subintrabunt.' 

Die  Schilderungen  der  Geschicke  und  Leiden  der  Kirche  und  des 
sittlichen  Niederganges  der  Christenheit  klingen  meist  in  die  Erwar- 
tungen der  letzten  Zeiten  der  Menschheit  aus.  Ehe  wir  die  An- 
schauungen unseres  Predigers  darüber  hören,  ist  es  notwendig,  seiner 
Geschichtsbetrachtung  unsere  Aufmerksamkeit  zu  widmen. 

Die  Geschichte  der  Offenbarung  Gottes  an  die  Menschheit  wurde 
von  alters  her  in  die  Zeit  ante  legem,  sub  lege  und  sub  gratia  ein- 
geteilt. Seit  den  Tagen  des  hl.  Augustinus  waren  die  Theologen  ge- 
wohnt, die  Geschichte  der  Menschheit  in  sechs  Perioden  zu  teilen :  von 
Adam  bis  Noe,  von  Noe  bis  Abraham,  von  Abraham  bis  David, 
von  David  bis  zum  Exil,  vom  Exil  bis  zur  Predigt  Johannes  des 
Täufers  und  von  Christus  bis  zum  Ende  der  Tage.    Die  siebte  Periode 


et  cro  onus  aliis.  0  quam  discretus  es ;  caue  ne  sit  sica,  gladius  occultatus.  .  .  . 
Tercius  gladius  est  inflammatus  uel  exacerbatus  qui  uulgariter  mordeswert 
uocatur.  Hoc  gladio  reprobi  eternaliter  punientur !  Über  die  einzelnen  deutschen 
Bezeichnungen  der  Schwerter  vgl.  Lex  er  II  758;  I  1508;  II  1141  2208. 

^  Vielleicht  meint  der  Frater  mit  Ar,  den  Magister  Hugo  de  Argentina,  Domi- 
nikaner (t  1280)  und  unter  H.  den  gelehrten  Franziskaner  Alexander  von  Haies 
(t  1245). 


54  II.  Die  Predigten  des  Frater  Ludovicus. 

beginnt  mit  der  Wiederkunft  des  Herrn  und  dauert  ewiglich;  sie  ist 
der  ewige  Sabbat.  Als  Typen  dieser  Entwicklung  galten  die  sechs 
Schöpfungstage  und  der  Schöpfungssabbat,  oder  auch  die  sechs  Lebens- 
alter—  infantia,  pueritia,  adolescentia,  iuventus,  virilis  aetas,  senectus^. 
Die  mittelalterliche  Geschichtsphilosophie  nahm  diese  Einteilung  auf, 
bildete  sie  aber  weiter  aus  und  zog  die  Entwicklung  der  Kirche  von 
ihrer  Gründung  an  bis  zu  dem  Ende  der  Dinge  in  ihren  Betrachtungs- 
kreis. Für  die  letzten  Schicksale  der  Kirche  und  der  Menschheit  boten 
die  prophetischen  Visionen  bei  Daniel  und  in  der  Apokalypse  die  Unter- 
lage. Otto  von  Freising  geht  bei  seiner  Einteilung  der  Geschichte 
der  Kirche  von  dem  Gesichtspunkte  der  Verfolgungen  der  Kirche  aus: 
zuerst  die  gewaltsame  Verfolgung  durch  die  heidnischen  römischen 
Kaiser,  dann  die  betrügerische  der  Ketzer,  drittens  die  geheime  der 
Heuchler  und  viertens  endlich  die  schlimmste  durch  den  Antichristen  2. 
Unter  mannigfacher  Umgestaltung  der  bisherigen  Auffassungen  ver- 
kündete gegen  Ende  des  12.  Jahrhunderts  der  Abt  Joachim  von 
Fiore  in  Kalabrien  (f  1202)  eine  neue  Lehre  von  der  Einteilung  der 
Zeiten  und  von  der  Konkordanz  zwischen  dem  Alten  Testamente  und 
der  Geschichte  der  Kirche.  In  drei  Zeitaltern  vollzieht  sich  nach 
seiner  Anschauung  die  geschichtliche  Entwicklung.  Das  erste  ist  der 
Status  coniugatorum  in  der  Unvollkommenheit  der  alttestament- 
lichen  Ordnungen,  welche  Typen  des  Zukünftigen  sind;  es  ist  der 
Status  dei  patris.  Das  zweite  Zeitalter  ist  der  status  cleri- 
corum;  es  beginnt  mit  Christus  und  begreift  die  Entwicklung  der 
Kirche  bis  zum  Jahre  1260  in  sich;  es  ist  der  status  dei  filii. 
Das  dritte  Zeitalter  ist  der  status  monachorum;  es  wird  schon 
von  Joachims  Zeit  (1195)  an  vorbereitet  durch  die  Sendung  eines 
machtvoll  wirkenden  ,praedicator  veritatis',  welcher  die  Reinigung  und 
Erneuerung    der   Kirche   im  Heiligen  Geiste   herbeiführt;    vom  Jahre 

*  Vgl.  Augustinus,  De  Genesi  contra  Manichaeos  I  22  und  Tractatus  in 
lohannem  IX  6;  XV  9  (Migne,  P.  L.  XXXIV  190-193;  XXXV  1461  1513  u.  a.  St. 
Vinzenz  von  Beauvais,  Speculum  naturale  XXXII  22  26  (I  2415  2419). 

'  Otto  Frisingensis,  Chronicon  VIII  1  (M.  G.  SS.  XX  278):  ,Sicut  ex 
scriptura  sacra  docemur,  civitas  Christi  primo  violentam  a  civitate  mundi  sub 
tyrannis  infidelibusque  regibus,  secundo  fraudulentam  liaereticorum,  tertio  fictam 
pyochritarum  tempore  persecutionem  passa,  ultimam  tarn  violentam  quam  fraudu- 
lentam fictamque  ac  omnium  gravissimam  sub  Antichristo  passura  erit.'  Vgl. 
S  c  li  m  i  d  I  i  n ,  Otto  von  Freising  27  ff. 


Otto  von  Freising.     Joachim  von  Fiore.     Die  Minoriten.  65 

1260    an    beginnt    dann    der   statu s    sancti   Spiritus,    der  letzte 
Kampf  gegen  das  Böse  und  den  Antichristen^. 

In  dem  zweiten  status  unterscheidet  er  sechs  tempora:  1.  die 

I   Zeiten  der  Apostel,  2.  der  Märtyrer,   3.  der  Freiheit  der  Kirche  von 

I   Konstantin  an  und  der  alten  Häresien,  4.  der  Eremiten  und  Mönche 

I   bis   zu   Karl   dem  Großen,    5.    der  Häretiker   seit  Karl   dem  Großen, 

6.  der  beginnenden  Erneuerung  von  1195  bis  1260  2. 

Diese  Geschichtseinteilung   begründet   der  schriftkundige  Abt  in 
seiner  Erklärung   der  Apokalypse  und  seiner  ,Concordia',   in  welcher 
er  die  Analogien  in  der  Geschichte  des  Alten  Testaments  und  der  des 
Neuen  und  der  Kirche  nachzuweisen  sucht.    Wunderlich  und  oft  wider- 
sprechend  sind   die  Deutungen  von  alttestamentlichen  Personen,   Er- 
eignissen und  Visionen ;  schwer  zu  verfolgen  sind  die  Gedankengänge, 
welche   der  phantasievolle  Abt  von  Fiore  in  der  Erklärung  der  apo- 
kalyptischen Visionen  einschlägt;  unklar  in  Zeichnung  und  Farbe  ist 
i  das  Bild,   welches  der  einsame  Asket  in  seiner  stillen  Zelle  von  den 
I  Geschicken  der  Welt  und  der  Kirche  entwirft.    Aber  das  Geheimnis- 
volle  und   Dunkle   übte   einen   mächtigen   Reiz    aus   und   verschaffte 
j    dem  Propheten  von  Fiore  in  all  den  Kreisen  Anhänger,   welchen  die 
I    Besserung  der  Zustände  in  Welt  und  Kirche  eine  ernste  Herzenssache 
'    war^.     So  gewannen  die  Gedanken  Joachims  denn  auch  Eingang  bei 
den  Bettelorden,  welche  die  Prophetie  von  dem  ,praedicator  veritatis' 
in  ihren  Orden  erfüllt  sahen,  und  vor  allem  bei  der  strengeren  Rich- 
tung unter  den  Minoriten.     Und  wenn  auch  manche  mit  dem  Frater 
Sajimbene    nach    dem  Jahre    1260,    welches    ohne   die   vorhergesagte 
Katastrophe    vorübergegangen   war,   an   dem  Propheten  irre  wurden, 
so  lebten  doch  dessen  Ideen    und   apokalyptische  Erwartungen  unter 
den  Minderbrüdern  fort  und  beeinflußten  deren  Anschauungen.   W^o  wir 
also  in  der  Minoritenpredigt  des  13.  Jahrhunderts  auf  pessimistische 


'  loachimi  abbatis  Concordia  veteris  et  novi  testamenti  IV  33,  56.  Vgl. 
•    Schott  157  ff,  besonders  167  ff  und  Fournier  457  505;  Huck  70  ff. 

-  loachimi    Expositio    in  apocalypsin  III  128  137  253;    IV  160;    Concordia 
V  12 — 18,    66  ff.     Die    gleiche  Einteilung  findet  sich  bei  Ubertin  von  Casale;    vgl. 
1    Huck  55  ff.     Weder  Fournier  noch  Schott  erörtern   die  Joachimitische  Geschichts- 
I':    auffassung. 

^  Vgl.  Kamp  er  s,  Die  deutsche  Kaiseridee  71;  Fournier  493  ff.  Der 
,  als  Prediger  berühmte  Minorit  Lukas  zitiert  Joachimsche  Schriften  als  Autorität. 
1*    Vgl.  Schönbach,  Die  Überlieferung  Bertolds  II  103. 

Franz,  Drei  deutsche  Minoritenprediger.  5 


QQ  IL  Die  Predigten  des  Frater  Ludovicus. 

Auffassungen  stoßen,  wo  wir  in  den  Bildern  von  Zeit  und  Kirche 
die  dunkelsten  Farben  sehen,  wo  an  die  Klage  über  den  sittlichen 
Verfall  sich  die  zuversichtliche  Erw^artung  des  nahen  Endes  aller 
Dinge  schließt,  dürfen  wir  den  Einfluß  der  Gedanken  des  Abtes  von 
Fiore  vermuten. 

Auch  Bertold  von  Regensburg  läßt  solche  Gedanken  merken, 
die  nun  einmal  zur  Tradition  der  ernst  gerichteten  Geister  des  Ordens 
gehörten  i.  Allerdings  finden  wir  bei  Bertold  keine  Spur  von  der  Drei- 
teilung der  geschichtlichen  Entwicklung  in  die  Reiche  des  Vaters,  des 
Sohnes  und  des  Heiligen  Geistes ;  aber  Bertolds  Perioden  der  Geschichte 
der  Kirche  erinnern  doch  vielfach  an  Joachimitische  Gedanken.  Wie 
bei  letzterem  bilden  die  Zeit  der  Apostel  (bis  Nero)  und  die  Zeit  der 
Märtyrer  (bis  Konstantin)  die  Heldenzeiten  der  Kirche.  Dann  folgen 
bei  beiden  die  Zeiten  der  Asketen  und  Eremiten  sowie  der  ersten 
großen  Häresien.  Die  fünfte  Periode,  die  bei  Bertold  bis  zur  Ankunft 
des  Antichristen  währt,  ist  gekennzeichnet  durch  den  Verfall  der 
Sitten.  Das  trifft  auch  für  die  früheste  Periode  Joachims  zu,  der  ins- 
besondere die  Ausbreitung  der  Ketzereien  als  hervorstechendes  Merkmal 
derselben  angibt.  Bei  letzterem  endet  diese  Periode  aber  in  seiner  Zeit, 
während  Bertold  sie  bis  zur  Zeit  des  Antichristen  ausdehnt. 

Der  Frater  Ludovicus  hat  diese  Einteilung  wesentlich  verändert. 
Die  erste  Periode  umfaßt  die  Zeit  der  Apostel  und  Märtyrer  bis  Kaiser 
Konstantin.  Die  zweite  geht  bis  Papst  Gregor  den  Großen  und  bringt 
das  Asketen-  und  Eremitentum  zur  Blüte.  Die  dritte  erstreckt  sich 
von  da  an  bis  zur  Zeit  Karls  des  Großen ;  sie  ist  gekennzeichnet  durch 
die  allmähliche  Erkaltung  der  Liebe.  Dieses  Schwinden  des  Eifers  und 
der  Liebe  setzt  sich  in  der  vierten  Periode  fort,  die  bis  Otto  den 
Großen  dauert.  Von  da  ab  —  in  der  fünften  Periode  —  schreitet 
der  Verfall  in  der  Kirche  immer  weiter  vor,  so  daß  an  einer  Gesundung 
gezweifelt  werden  muß.  Die  Abweichung  des  Frater  Ludovicus  von 
Bertold  ist  um  so  auffallender,  als  er  in  der  Kennzeichnung  einzelner 
Perioden  dem  Gedankengange  des  letzteren  inhaltlich  und  zuweilen 
sogar  wörtlich  folgt. 

Bertold  behandelt  die  , Septem  tempora  ecclesiae'  im  Anschlüsse 
an   das  Evangelium  des  20.  Sonntags  nach  Pfingsten  (,Hora  septima 


'  Vgl.  Scliönbach,  Die  Überlieferung  Bertolds  I  5. 


Bertold  und  Ludovicus  über  die  Geschichtsperioden.  67 

reliquit  eum  febris'.  lo  4,  52)  i.  Die  sieben  Zeiten  werden  durch 
die  siebte  Stunde  bei  lo  4,  52  und  durch  die  Öffnung  der  sieben 
Siegel  Apc  6,  1  ff  vorgebildet.  Das  weil3e  Roß  des  ersten  Siegels 
bedeutet  die  erste  Zeit  der  Kirche,  in  welcher  die  Heiligen  voll 
Glaubensfreude  und  Liebe  lebten.  Diese  Zeit  dauert  bis  zu  Kaiser 
Nero.  Mit  der  Öffnung  des  zweiten  Siegels  beginnt  das  rote  Roß 
seinen  Lauf;  das  ist  die  zweite  Periode  der  Kirche,  die  Zeit  der  Mär- 
tyrer, von  Nero  bis  Konstantin  und  Papst  Silvester.  Bei  der  Öffnung 
des  dritten  Siegels  erscheint  das  schwarze  Roß;  es  beginnt  die  Zeit 
der  Büßer  und  demütigen  Heiligen.  Während  das  vierte  Siegel  ge- 
öffnet wird,  erscheint  ein  fahles  Roß,  welches  die  Heuchler  und 
Ketzer  bezeichnet.  Bei  der  Öffnung  des  fünften  Siegels  schaut  Johannes 
die  Seelen  der  Gemordeten  unter  dem  Altare.  Das  bedeutet  die  Zeit 
der  Versuchungen  und  Prüfungen.  ,In  hoc  uero  tempore  sumus  nos', 
fährt  Bertold  fort,  ,et  qui  ante  nos  aliquanto  tempore  fuerunt. 
Hoc  tempus  est  tempus  corporis  ^  et  muliebre.'  Denn  die  Menschen 
sind  fleischlich  gesinnt,  üppig,  schwach  in  geistlichen  Dingen,  im  Äußern 
verweiblicht,  ungerecht,  unfriedlich,  habsüchtig  usf.  Diese  Zeit  dauert 
bis  zur  Ankunft  des  Antichristen. 

Die  Vision  Daniels  (Dn  8,  3 ff)  von  dem  aries  benutzt  Bertold 
an  anderer  Stelle   zur   Schilderung   der   ,bona    uita'   in    der   ältesten 

'  Kirche  und  des  Niedergangs  des  sittlichen  Lebens  in  der  späteren 
Zeit^.  Aus  Bertold  nahm  Frater  Ludovicus  dieses  Bild  und  mit 
demselben  manche  Ausführungen  sogar  wörtlich*.    Der  aries  bedeutet 

I  das  gute  christliche  Leben;  es  herrschte  durch  viele  Jahrhunderte; 
da  kam  der  unreine,  stinkende  hircus,  d.  h.  das  sündhafte  Leben, 
bewältigte  den  aries,  zerbrach  dessen  Hörner,  d.  i.  die  Gfottes-  und 
Menschenliebe,  und  unterwarf  sich  viele  Seelen,  Männer  und  Frauen, 
Regularen  und  VVeltpriester,  so  daß  sie  niemand  von  seiner  Gewalt 
erretten  konnte.  Das  versuchten  zwar  die  , Minores  et  Predicatores'; 
aber  deren  Predigt  war  ebenso  vergeblich  wie  das  Gebet  der  ,grisei' 
und  anderer.  ,Das  Haus  der  Kirche  neigt  zum  Einsturz  und  kann 
kaum  noch  gestützt  werden.     Die  Kirche   gleicht  einem  Kleide,   das. 


^  Rusticanus  de  Dominicis,  Sermo  55  CLinc.  4  Bl.  149 — 150. 
-  Hs :  jtempus  temporis'.  das  ist  sinnlos;  Schönbach  schlägt  vor:  ,temporalis' ; 
mir  scheint  , corporis'  zutreffend  zu  sein;  das  entspricht  auch  der  weiteren  Ausführung. 
3  Rusticanus  de  Dominicis,  Sermo  26  CLinc.  4  Bl.  86^         *  S.  oben  S.  60  61. 


o 


^g  II.  Die  Predigten  des  Frater  Ludovicus. 

wenn  es  an  einem  Teile  geflickt  wird,  an  einem  andern  größere  Risse 
zeigt.'  Als  die  vier  Hörner,  mit  welchen  der  hircus  die  Kirche  miß- 
handelt, bezeichnet  Bertold  superbia,  luxuria,  invidia  und  avaritia. 
Ludovicus  führt  das  Bild,  wie  wir  gesehen  haben,  anders  aus^. 

Auffallend  erscheint,  daß  Frater  Ludovicus  die  Regierungszeit 
Karls  des  Großen  und  Papst  Leos  IIL  als  einen  Wendepunkt  in  der 
Geschichte  der  Kirche  betrachtet.  Er  stimmt  darin  mit  Joachim 
überein,  der  den  Verfall  der  Kirche  und  das  Aufkommen  der  Patarener 
von  demselben  Zeitpunkt  an  datiert  2.  Wenn  er  dann  diesen  Verfall 
mit  dem  Tode  Ottos  L  sich  verschlimmern  läßt,  so  mag  er  damit  einer 
Auffassung  Ausdruck  gegeben  haben,  die  in  den  sächsischen  Landen 
geherrscht  hat.  Dort  war  das  Andenken  an  den  großen  Kaiser 
lebendiger  als  in  den  andern  Teilen  Deutschlands  erhalten ;  mit  seinem 
Tode  ging  in  den  Augen  seiner  Verehrer  die  Herrlichkeit  des  Reiches, 
das  Glück  des  Volkes  und  der  Friede  der  Kirche  abwärts. 

Die  Kirche  Christi  —  klagt  Frater  Ludovicus  —  ist  von 
Feinden  umgeben,  die  sie  mißbrauchen.  Sie  gleicht  der 
Levitenfrau,  welche  die  Gabaaniten  schändeten  (Idc  19)^:  ,Sponsa 
Christi  est  ecclesia  quam  deducit  Christus  per  hunc  mundum  ad  patriam. 
Cum  ueniret  iuxta  Gabaa,  quod  interpretatur  uallis  et  signat  miseriam 
mundi,  sol  occubuit  id  est  Caritas  dei,  et  heu,  uiri  ciuitatis  ipsam 
arripiunt.  Nunc  trahitur  ad  plateam  nobilium,  nunc  per  plateam 
dominarum,  nunc  clericorum  et  mercatorum,  rusticorum  et  unusquisque 
pro  suo  uelle  ea*  abutitur.  Istud  nunc  sustinet  Dominus  in  sua  sponsa. 
Audi,  tu  miser,  quicumque  es,  qui  sie  tua  abuteretur,  tu  exponeres 
res  et  corpus  pro  ea.  Et  quid  faciet  Dominus  pro  sua  carissima? 
Audi  quod  sequitur:  ,Mane  facto'  (Idc  19,  27).  Hoc  erit  in  nouissimo: 
clamabit  ad  omnes  filios  Israel  id  est  electos,  qui  omnes  descendent 
ad  iudicium  contra  Gabaanitas  et  pugnabit  per  eo  orbis  terrarum 
contra  insensatos.  Cum  ad  iudicium  uenerint  quasi  iurati  dicunt  non 
se  reuersuros  in  celum  nisi  ulcione  expleta  contra  Gabaanitas.  Se- 
quitur quod  Omnibus  aliis  occisis  sexcenti  confugerunt  in  petram 
Remon,  quod  interpretatur  sublimis,  id  est  Christum.  Ad  quem 
sexcenti  confugiunt  id  est  sex  genera  hominum:   1.  apostoli,  2.  mar- 


'  S.  oben  S.  61.  2  Concordia  V  17,  69. 

3  Sermo  feria  II  post  Pascha  Bl.  31'— 33.  *  Hs:  ,ei* 


i 


Die  Bedrängnisse  der  Kirche  nach  Ludovicus  und  Bertold.  Der  Kirche  Schmuck.       69 

tires,  3.  innocentes,  4.  qui  in  uoluntaria  paupertate  fuerunt  et  res 
habuisse  potuissent,  sed  pro  amore  clei  dimiserunt,  5.  eremite  ut 
Paulus  eremita,  6.  uere  penitentes. 

Das  gleiche  Thema  behandelt  Bertold  im  Sermo  32  de  Com- 
muni  Sanctorum  ^  Der  ,adolescens  Leuita'  ist  Christus,  sein  Weib  ist  die 
Kirche;  sie  wird  geehrt  von  den  Aposteln,  Heiligen  und  allen  Guten, 
aber  von  den  Gabaaniten  geschändet  ,per  omnes  plateas  id  est  per 
diuersos  status  officiorum  exceptis  paucis'.  ,Heu  iam',  fährt  er  fort  2, 
,nimis  male  tractatur  in  platea  militum  et  si  non  ab  omnibus  illis 
tarnen  fere  ab  omnibus.  Similiter  in  platea  ciuium,  rusticorum,  cleri- 
corum,  religiosorum,  seruorum,  feminarum,  quia  iam  eorum  pauci  sunt 
qui  non  confundant  ecclesiam  per  rapinam  uel  aduocacias  iniustas  uel 
incendia,  per  superbias  et  huiusmodi;  et  licet  aliqui  boni  inter  illos 
inueniantur,  qui  non  faciant,  pauci  tamen  eorum  sunt.  Similiter  eines 
per  uicia  eis  magis  familiaria  et  alii  diuersi  status  per  uitia  alia, 
communiter  autem  maxime  per  auariciam  et  luxuriam  nimiam,  que 
est  in  mundo.' 

Bertold  schildert  nun  das  Zeitlaster,  die  avaritia,  an  allen 
Ständen.  Nachdem  er  die  Strafe  der  Gabaaniten  erzählt,  fordert  er 
die  Prälaten  und  Richter  auf,  die  Sünder  zu  strafen,  und  die  Sünder: 
jfugite  ad  petram  sc.  Remo  [quod]  interpretatur  ecclesia  uel  congre- 
gacio  iustorum'.  Frater  Ludovicus  hat  wohl  das  biblische  Beispiel 
entlehnt,  erschöpft  aber  die  moralische  Deutung  vollständiger  und  be- 
friedigender als  Bertold.  Auch  dabei  zeigt  er  eine  schulgemäßere 
Behandlung  der  Themata. 

Wie  trüb  sich  aber  auch  in  den  Augen  des  Predigers  das  Bild 
der  Kirche  darstellt,  so  bleibt  sie  doch  die  geliebte  und  mit  reichem 
Schmuck  gezierte  Braut  Christi.  Christus  hat  sie  ge- 
schmückt^ durch  L  seine  incarnatio,  2.  seine  passio,  3.  die  communio 
panis,  4.  die  dignitas  praelationis,  durch  welche  ihr  ein  ,magnum 
adiutorium  a  summo  pontifice  ad  infimum  archidiaconum'  gewährt  ist. 
,Hos  omnes  irreprehensibiles  esse,  non  uinolentos  nee  cupidos,  ipsis 
ait  apostolus  ad  Timoth.  (1  Tim  3,  2  3).  Si  rebus  raritas  precium 
facit,  nil  in  ecclesia  preciosius,  nil  optabilius  est  bono  uidelicet  pastore, 


'  Jakob  79  Chn  7961  Bl.  51  u.  52.  2  gi    52^. 

^  Sermo  6  de  Virginibus  Bl.  125'. 


70  11-  Die  Predigten  des  Frater  Ludovicus. 

quia  per  eos  ecclesia  sustentatur',  5.  das  Wort  des  Predigers 
—  .si  recte  sencias,  si  digne  proloquaris,  si  uiuendo  confirmes  — , 
6.  den  clavis  absolutionis,  7.  den  status  religionis,  8.  das  Schwert 
der  correctio,  9.  die  custodia  angelorum,  10.  die  suffragia  sanctorum, 
11.  die  intercessio  b.  Mariae,    12.  die   ,appellatio  Christi   ad  patrem'. 


2.  Der  Antichrist  und  das  Gericht. 


I 


Die  Schilderungen  der  Zustände  in  Welt  und  Kirche  läßt  der 
Frater  Ludovicus  wiederholt  in  die  Erwartungen  des  nahen  Welt- 
endes ausklingen.  Die  Eschatologie,  die  Lehre  von  den  letzten  Ge- 
schicken der  Menschheit  und  der  Welt,  bildeten  einen  beliebten  Lehr- 
gegenstand der  mittelalterlichen  Theologie  und  Predigt.  Augustinus 
schließt  damit  sein  großes  Werk  ,über  den  Gottesstaat',  Otto  von 
Freising  (f  1158)  fügt  den  sieben  Büchern  seiner  Chronik  ein  achtes 
hinzu,  welches  systematisch  die  Lehre  von  dem  Antichristen,  dem  Ge- 
richte und  dem  Weltende  behandelt^.  Die  mittelalterliche  Glossen- 
literatur beschäftigt  sich  eingehend  mit  diesem  Thema.  Aus  der  Glosse 
und  aus  den  Revelationen  des  Pseudo-Methodius  trug  dann  Petrus 
Comestor  (f  1198)  in  der  Historia  scholastica  alles  zusammen,  was 
zur  Beleuchtung  dieser  ebenso  dunkeln  wie  reizvollen  Yorstellungen 
über   die   letzte  Epoche   des  Menschengeschlechtes   beitragen   konnte. 

Zeit  und  Stunde  des  Eintritts  der  großen  Katastrophe  hat  Gott 
in  seiner  gütigen  Weisheit  den  Menschen  verhüllt.  Denn  was  der 
Heiland  in  den  Evangelien  verkündet  und  was  die  Apostel  andeuten, 
gibt  keinen  sichern  Anhalt  zur  Bestimmung  eines  Zeitpunktes  für 
das  Weltenende.  Um  so  freier  und  willkürlicher  konnten  sich  die 
Wißbegierde  und  die  Phantasie  der  Theologen  und  Asketen  auf  dem 
Gebiete  der  Eschatologie  bewegen.  Nur  allzuoft  waren  die  Zeitläufe 
so  traurig,  die  Leiden  und  Bedrängnisse  der  Völker  so  groß,  daß  man 
die  Anzeichen  erfüllt  sah,  an  welche  die  Schrift  den  Anbruch  der 
letzten  Tage  knüpft.  In  solchen  Zeiten,  in  welchen  die  Menschen 
unter  den  Geißeln  von  Krieg,  Pest  und  Hunger  rat-  und  hoffnungslos 
seufzten,  fanden  die  Erwartungen  des  nahen  Weltendes  überall  Wider- 
klang  und   die  Prophezeiungen   von   der  baldigen  Ankunft  des  Anti- 


Vgl.  S  c  li  m  i  d  1  i  n ,  Die  Eschatologie  Ottos  von  Freising  4  ff. 


Der  Antichrist  nach  Bertold.  71 

Christen  und  von  dem  Nahen  des  Weltgerichts  willigen  Glauben. 
Grepflegt  und  gefördert  wurde  diese  Neigung  durch  eine  pessimistische 
Lebens-  und  Weltanschauung,  die  sich  in  einflußreichen  Ordens- 
genossenschaften geltend  machte  und  auch  weitere  Volkskreise  nicht 
unberührt  ließ.  Darum  nahmen  die  eschatologischen  Erwartungen 
selbst  die  Gemüter  solcher  gefangen,  die  frei  von  phantastischen  Nei- 
gungen zu  sein  schienen. 

Dazu  rechnen  wir  den  Frater  Bertold  von  Regensburg. 
Sein  Interesse  für  eschatologische  Lehren  bekundet  er  durch  einen 
bislang  noch  nicht  aufgefundenen  Kommentar  zur  Apokalypse  ^  Er 
hielt  es  auch  für  angezeigt,  in  drei  Predigten  die  Lehren  von  dem 
Antichristen  und  von  den  letzten  Dingen  vorzutragen  2,  Nach  Bertolds 
Anschauung  lebten  seine  Zeitgenossen  und  deren  nächste  vorderen 
Generationen  im  vierten  Zeitalter  der  Kirche,  das  versinnbildet  wird 
durch  das  fahle  Roß  der  Apokalypse  (6,  9).  Das  ist  die  Zeit  der 
Ketzer  und  Heuchler,  die  Zeit  der  Erkaltung  der  Liebe,  die  Zeit  der 
Habsucht,  der  Sinnenlust,  des  Luges  und  Truges  3.  Daß  seine  Zeit 
die  unmittelbare  Vorgängerin  des  Antichristen  sei,  glaubt  er  aus  der 
Heiligen  Schrift  nachweisen  zu  können,  und  zwar  aus  den  Stellen 
Mt  20,  26;  24,  14;  Lc  14,  16  17;  1  Cor  10,  11;  2  Tim  3,  1; 
Hebr  10,  37;  1  lo  2,  18;  lac  5,  9;  Apc  22,  1  ^,  Das  sind  nach 
Bertolds  Überzeugung^  die  wichtigsten  biblischen  Zeugnisse  für  die 
nahe  Ankunft  des  Antichristen.  Er  hält  sich  bei  der  Deutung  der  an- 
gezogenen Schriftstellen  meist  an  die  Glossa  ordinaria^.  Auch  die 
Erklärung  von  Lc  14,  16  17  stammt  daher  ^.  Joachim  von  Fiore 
erwartet  vor  dem  Weltende  den  ,praedicator  ueritatis';  im  Grunde 
genommen   ist   das  der  Gedanke,    den  die  Glosse  ausspricht.     In  den 

'  Vgl.  Schönbach,  Die  Überlieferung  Bertolds  I  5. 

2  Rusticanus  de  Dominicis,  Sermo  8  (in  der  Hs  6)  12  55  CLinc.  4  Bl.  22''  39 
144';  vgl.  Jakob  47  55.    Sermo  8  u.  12  sind  aus  der  Linzer  Hs  von  Schönbach 

»    a.  a.  0.  I  5—31  als  Sermo  6  u.  11  publiziert;    es   sind  die   beiden   von  Salimbene 
(    (s.  unten  S.  75)  abgeschriebenen  Predigten. 

3  CLinc.  4  Bl.  149^  '^  Ebd.  Bl.  23'. 

^  Vgl.  die  beiden  Sermones  bei  Schönbach  a.  a.  0.,  wo  auch  die  biblischen 
Stellen  nachgewiesen  sind, 

«  Walafridi  Glossa  ordin.  aric.  (Migne,  P.  L.  LXIV  308  535  697). 

'  Lc  14,  16  17.  Glossa:  ,Hora  cene  finis  est  mundi,  in  hoc  fine  mittitur  seruus 
i  id  est  ordo  praedicatorum  ad  inuitatos  per  legem  et  prophetas,  ut  repulso  fastidio 
\    ad  gustandam  cenam  se  preparent.     Christo   enim   immolato  introitus  regni  patet.* 


72  II.  Die  Predigten  des  Frater  Ludovicus.  ^ 

Kreisen  der  Anhänger  Joachims  glaubte  man,  dais  dieser  praedicator 
in  den  jungen  Orden  der  hll.  Franziskus  und  Dominikus  erstanden  sei  ^ 
Bereits  seien,  meint  Bertold,  der  Vorhersagung  des  Herrn  gemäß 
viele  falsche  Christi  und  falsche  Propheten  —  die  schlechten  Christen 
und  die  Ketzer  —  gekommen.  Zuletzt  aber  erscheint  der  Anti- 
christ, dessen  Ursprung,  Wirken  und  Ende  Bertold  in  den  be- 
zeichneten Predigten  eingehend  schildert  2.  Aus  dem  Stamme  Dan 
(Gn  49,  17)  in  Babylon  ,ex  fornicatione'  geboren,  wird  der  Anti-/ 
Christ  sein  von  Gott  zugelassenes  teuflisches  Werk  in  Jerusalem  be- 
ginnen. Denn  nach  seiner  Empfängnis  verband  sich  ihm  der  Teufel 
schon  im  Mutterleibe.  In  Jerusalem  vv^ird  er  sich  beschneiden  lassen 
und  sich  als  den  verheißenen  Messias  ausgeben.  Und  die  Juden, 
welche  den  wirklichen  Messias  töteten,  werden  an  ihn  glauben.  Er 
wird  mit  seinem  großen  Anhange  die  Völker  unterjochen,  die  Könige 
von  Ägypten,  Babylon  und  Äthiopien  sich  unterwerfen,  die  wilden 
Völker  Gog  und  Magog  aus  ihren  Bergen  herausführen  zum  Angriff 
gegen  die  Guten  ^  und  endlich  seine  Wohnung  in  Jerusalem  auf- 
schlagen (Dn  11,  41—45;  Ez  38  39;  Apc  20,  7).  Dort  wird  er 
herrschen  und  die  Völker  verführen ;  er  wird  sich  in  den  wieder  auf- 
gebauten Tempel  setzen  und  als  Gott  anbeten  lassen  (2  Thess  2,  3 — 11; 
Dn  8,  11).  Sein  teuflisches  Werk  wird  er  ausführen  durch  List, 
durch  Wunder,  mittels  reicher  Geschenke  und  durch  Gewalttaten. 
Er  wird  sich  keusch  und  demütig  stellen,  während  er  voll  Lüstern- 
heit und  Hochmut  ist.  Durch  seine  Wunder,  die  der  Teufel  in  ihm 
wirken  wird,  wird  er  viele  verführen  (Apc  13,  13);  er  wird  sich  tot 
stellen  und  am  dritten  Tage  wieder  aus  dem  scheinbaren  Tode  auf- 
erstehen und  wie  Simon  Magus  von  Dämonen  getragen  in  die  Lüfte 
fahren.  In  dieser  Zeit  werden  die  Gerechten  Verfolgungen  erleiden, 
die  alle  früheren  übertreffen  werden  (Mt  24,  21  22).  Während  der 
Antichrist  Wunder  wirkt,  schwinden  die  Wunder  in  der  Kirche;  der 
Glaube  der  Gerechten  soll  geprüft  und  die  Leichtgläubigkeit  der  Ver- 
führten offenbar  werden^. 


'  Vgl.  Schott  171  ff  und  Fournier  496  ff. 

^  Bertold  gibt  (Bl.  45)  die  Glosse  aus  Rabanus  Maurus  (Conimentarius 
in  Ezechielem  1.  13,  c.  38;  Migne,  F.  L.  CX  867)  wieder. 

^  Sielie  Sermo  12  Bl.  40  nach  Gregor,  Moralium  1.  32,  c.  15  (Migne, 
F.  L.  LXXVI  650). 


Der  Antichrist  nach  Bertold.  73 

In  seiner  Erbarmung  wird  Gott  diese  Zeit  der  Trübsal  abkürzen 
(Mt  24,  22).  Sie  wird  nur  drei  und  ein  halbes  Jahr  oder  1270  Tage 
lauern.  Zum  Tröste  der  Gerechten  wird  Gott  Henoch  und  Elias 
mden,  deren  Predigt  die  Juden  bekehren  und  die  Frommen  stärken 
nrd.  Aber  der  Antichrist  wird  sie  töten,  und  ihre  Leichen  werden 
im  Schrecken  aller  auf  der  Straße  liegen  (Mal  4,  5  6;  Mt  17,  10—12; 
[c  9,   11;  Apc  11,  3—8). 

Wenn  die  Drangsal  der  Gerechten  ihren  Höhepunkt  erreicht  hat, 
rird  endlich  Christus  zu  Hilfe  kommen.  ,Mit  dem  Hauche  seines 
[undes'  wird  er  den  Antichristen  töten  (2  Thess  2,  8),  und  der  Anti- 
terist  wird  auf  dem  Ölberge  gegenüber  dem  Orte  der  Himmelfahrt 
Ühristi  zusammensinken  und  mit  ihm  das  Reich  der  Bosheit  und 
fewalttat. 

Noch    kommt    aber    das    Ende    nicht.     Denn    Gott    schenkt    er- 
krmungsvoll  den  Auserwählten  noch  45  Tage  zurBufse;  das  ist  das 
^roße  , Silentium',  welches  der  Ankunft  des  göttlichen  Richters  voran- 
geht.   Nach  Ablauf  dieser  Tage  treten  die  letzten  Vorzeichen  ein  an 
Sonne,  Mond  und  Sternen,  und  das  Gericht  beginnt. 

Bertold  stützt  sich  bei  diesen  Ausführungen  im  allgemeinen 
auf  die  Glossa  ordinaria^  und  auf  die  Glossa  interlinearis,  welch 
letztere  in  dem  Abschnitt  über  die  letzten  Dinge  aus  der  im  12.  Jahr- 
hundert angefertigten  lateinischen  Übersetzung  der  Schrift  des  Johannes 
Damascenus  Mtjyj  yvü)ozco<^^  geschöpft  hat  2.  Die  Ausführungen  Haymos 
und  Rabanus'  zu  den  einschläglichen  Schriftstellungen  waren  ebenfalls 
Gemeingut  der  Theologen  und  Prediger  3.  Neben  Gregors  Moralien 
wird  Isidor  von  Sevilla  von  Bertold  benutzt*  und  einmal  auch  Hugo 
zitiert  5,   womit   wohl   —   wenn   auch   irrig  —   Hugo   von   St  Victor 


1  Siehe  Walafridi  Glossa   ordinaria    (Migne,   P.  L.  CXIV    161  308  622  729 
733  734). 

2  Vgl.  Schönbach,  Die  Überlieferung  Bertolds  I  28. 
^  Haymonis  Expositio  in  epistolam  II  ad  Thessalonicenses  (Migne,  P.  L.  CXVIt 

779—781);  in  Apocalypsin  (ebd.  1044  1094—1102).  Über  die  Glosse  Rabanus'  zu 
Ezechiel  s.  oben  S.  72. 

*  Vgl.  Schönbach  a.  a.  0.  I  30. 

^  Sermo  12  Bl.  40^;  vgl.  Schönbach  a.  a.  0.  23.  Schönbach  glaubt,  daß  das 
Zitat  sich  auf  Hugos  Schrift  .Quaestiones  in  epistolam  II  ad  Thessal.'  (Migne, 
P.  L.  CLXXV  589  ff)  beziehe,  und  meint,  daß  Bertold  in  den  Sermones  8  und  12 
<  diese  Schrift  benutzt  hat.  Letzteres  wird  kaum  nachzuweisen  sein,  da  Hugo  auch 
nur  auf  der  Glosse  fußt.   Ich  glaube  eher,  daß  Bertold  die  Schrift  Richards  von 


74  II.  Die  Predigten  des  Frater  Ludovicus. 

gemeint  ist.  Auf  Grund  der  Glossen  zu  den  oben  zitierten  Stellen 
hatte  sich  eine  feste  Tradition  über  den  Antichristen  gebildet,  welche 
Honorius  von  Autun^,  Otto  von  Freising  2,  Petrus  Comestor^,  die 
hl.  Hildegard*  und  Vinzenz  von  Beauvais^  wiedergeben. 

Zu  dem  Glauben  an  das  nahe  Auftreten  des  Antichristen  be- 
stimmten den  beredten  Missionsprediger  der  ihm  täglich  entgegen- 
tretende Verfall  von  Zucht  und  Sitte,  der  Egoismus,  die  Habsucht 
und  die  Unsittlichkeit,  gegen  welche  er  mit  dem  ganzen  Feuer  seiner 
Beredsamkeit  eiferte.  ,Wir  sind',  ruft  er,  ,am  Ende  der  Welt.'^ 
.Jetzt  ist  zwar  etwas  Ruhe;  aber  wir  fürchten,  daß  binnen  kurzem 
jene  gefahrvollen  Fluten  über  die  Kirche  hereinbrechen  werden,  die 
für  die  Zeiten  des  Antichristen  vorhergesagt  sind.'  Damit  nun  die 
Gläubigen  sich  vor  den  kommenden  Gefahren  schützen  können,  will 
er  sie  über  den  Antichristen  belehren'^,  und  wenn  auch  die  Gefahr 
nicht  in  der  Gegenwart  droht,  so  wird  die  Belehrung  doch  für  die 
Zukunft    Nutzen    bringen  s.     Bertold   glaubt    demnach   an   das    nahe 


St  Victor,  Exegetica  in  Apocalypsin  11.  7  gekannt  hat,  wo  sich  1.  3,  c.  7 
(Migne,  P.  L.  CXCVI  794)  zu  Apc  11,  11—13  nachstehender  Vermerk  findet: 
,Sed  sciendum  quod  ea  quae  hie  dicuntur  per  praeterita,  intelligenda  sunt  secundum 
tempus  futurum.  Mos  est  namque  prophetiae  sie  nonnumquam  narrare  futura,  quasi 
iam  essent  praeterita/  Bertold  faßt  diese  Bemerkung  in  die  Worte  zusammen: 
,Si  hec  predicta  (d.  h.  Apc  11,  11 — 13)  contingant  ad  literam  vel  tantum  mistice, 
dubium  est,  ut  dicit  Hugo/ 

^  Speculum  ecclesiae,  dominicaXXlII  (Migne,  P.  L.  CLXXII  1076);  EUucidarium 
III  10  (ebd.  1163). 

2  Chronicon  VIII  1  ff.  MG.  SS.  XX  278  ff.  Vgl.  Seh  midiin,  Otto  von 
Freising  4  ff.  Otto  ist  nicht,  wie  Büdinger  (Die  Entstehung  des  achten  Buches 
Ottos  von  Freising,  in  Sitzungsber.  der  Kaiserl.  Akademie  der  Wissensch.  zu  Wien, 
hist.-phil.  Klasse  XCVIII  352  ff)  meint,  von  Pseudo-Methodius  beeinflußt;  vgl. 
Schmidlin  a.  a,  0.  8. 

3  Historia  Scholastica  (Migne,  P.  L.  CLXXXIX  1454  1465  1466).  Petrus 
kannte  den  Pseudo-Methodius. 

^  Liber  divinorum  operum  pars  III,  visio  10  (Migne,  P.  L.  CXCVII  1027 
bis  1032). 

^  Speculum  naturale  1.  22,  c.  103  104,  t.  I  2476  2477  nach  Petrus  Comestor; 
Speculum  historiale  1.  31,  c.  109—111,  t.  IV  1324-1326. 

«  S.  oben  S.  67. 

^  Sermo  12  Bl.  39.     Vgl.  Schönbaeh,  Die  Überlieferung  Bertolds  I  21. 

^  Den  Sermo  12  schließt  er  mit  den  Worten  (Bl.  43;  Schönbach  a.  a.  0.  31) : 
,Omnia  predicta  de  Antichristo  ad  hoc  hiis  sermonibus  inserui,  ut  si  non  in  pre- 
senti,  saltem  alia  (so  die  Hs;  es  ist  ,aliqua'  zu  lesen)  utilitas  in  posterum  inde 
eliciatur  et  fideles  confortentur  in  fide  Domini  nostri  lesu  Christi  qui  cum  patre'  etc. 


Der  Antichrist  nach  Bertold.     Arnald  von  Villanova.  75 

Auftreten  des  Antichristen  und  darum  will  er  die  Gläubigen  vor- 
bereiten. Den  Zeitpunkt  läßt  er  aber  klüglich  unbestimmt.  Diese 
Predigten  müssen  einen  tiefen  Eindruck  auf  die  Zeitgenossen  gemacht 
haben.  Der  Frater  Salimbene  erzählt  in  seinen  Lobsprüchen  auf 
Bertold,  daß  er  von  seinen  Predigten  nur  zwei  für  sich  abgeschrieben 
habe,  nämlich  die  beiden  Sermones  vom  Antichristen^. 

Die  eschatologischen  Träumereien  wurden  auch  noch  an  der  Wende 
des  13.  und  14.  Jahrhunderts  eifrig  gepflegt,  trotzdem  sie  sowohl  von 
der  kirchlichen  Autorität  als  auch  von  der  Pariser  Universität  ernst- 
lich bekämpft  wurden.  In  diese  Zeit  fällt  der  Traktat  des  berühmten 
Arztes  Arnald  von  Villanova  ,de  tempore  adventus  Antichristi', 
in  welchem  auf  Grund  der  Schriften  Joachims  von  Fiore  das  Ende 
der  Welt  für  das  Jahr  1378  angesetzt  wurde.  Arnald  erfuhr  heftige 
Anfechtungen;  aber  die  ärztliche  Kunst,  mit  welcher  er  den  Papst 
Bonifaz  VIII.  von  einem  Steinleiden  befreit  hatte,  rettete  ihn  vor 
dem  Äußersten  2.  Daß  auch  damals  unter  den  deutschen  Minoriten 
das  lebendige  Interesse  für  die  eschatologischen  Ideen  fortlebte,  zeigt 
die  eingehende  Behandlung  derselben  durch  den  Frater  Ludovicus. 

Frater  Ludovicus  beschäftigt  sich  in  zwei  Predigten  mit  dem  Anti- 
christen und  mit  dem  Ende  aller  Dinge.  In  der  Predigt  am  ersten 
Adventssonntage  bespricht  er  das  dreifache  Zeichen  des  Weitendes^. 
Das  zweite  Zeichen  ist  die  Verfolgung  der  Kirche^: 

,Secundum  signum  est  tribulacionis  in  ecclesie  persecucione,  que 
erit  et  ante  et  circa  tempora  antichristi.  Et  hec  signa  similiter  erunt 
in  istis  tribus  scilicet  sole,  luna  et  stellis.  Unde :  ,Erunt  signa  in  sole, 
luna  et  stellis'  (Lc  21,  25).  Et  quando  in  bis  tribus  signa  erunt,  in- 
minet  maxima  tribulacio.  Unde  sequitur:  ,Et  in  terris  erit  pressura 
gencium'  id  est  inter  nobiles,  divites  et  pauperes,  ut  frater  in  fratrem  . .  . 
consurgat  id  est  ut  alter  alterum  opprimat ....  Et  sicut  in  poten- 
tatibus  pressura,  sie  et  arefactio  in  pauperibus  qui  roduntur.  Unde 
sequitur:  ,arescentibus  hominibus  pre  timore  etc.'    (Lc  21,  26.) 

Legitur  in  Gn  (1,  16)  deum  fecisse  hec  signa  tria,  solem,  lunam  et 
Stellas,  ut  preessent  diei  et  nocti.  Sic  spiritualiter  hec  duo  magna 
huminaria  et  quoque  tercia  id  est  stelle:  solem  id  est  papam,  lunam 


^  Chronica  325. 

2  Vgl.  Finke  209—226;  der  Traktat  ebd.  cxxix— clix. 

'  S.  oben  S.  56  57.  ^  Bl.  2  2'. 


75  IL  Die  Predigten  des  Frater  Ludovicus. 

id  est  imperatorem,  Stellas  id  est  prelatos  ecclesie  et  religiöses  et 
clericos  ^.  Cum  in  his  tribus  signa  uideris ,  scias  quia  tribulacio 
prope  est  in  ianuis  ....  Qualia  autem  hec  signa  sunt,  ostenditur  in 
Apocalypsi  (6,  12):  ,Cum  aperuisset  sigillum  sextum^  [et  ecce  terre 
motus  magnus  factus  est  et]  sol  f actus  est  niger  [tarn quam]  Saccus 
cilicinus  et  luna  [tota  facta  est]  quasi  sanguis  et  stelle  de  celo 
ceciderunt.'  ^ 

Primo :  sol  fit  niger  id  est  obscuracio  sedis  apostolice,  de  cuius 
obediencia  discessio  erit  et  paruipendetur  uel  propter  malum  statum 
uel  propter  arroganciam  prelatorum  et  spiritualium  et  secularium  ecclesie, 
in  quorum  cordibus  sol  nigrescet  id  est  autoritas  sedis  apostolice  non 
curabitur. 

Secundo :  luna  ut  sanguis  id  est  imperium,  quod  non  curabitur, 
quia  discessio  ab  ipso  erit  id  est  quod  uel  non  consenciat  ecclesia  con- 
uenitur  in  unum  uel  nullus  autenticus  habeatur-*.  De  his  duobus 
dicitur  glossa  2  Thess  2,  3:  ,Ne  quis  uos  seducat  uUo  modo,  nisi 
uenerit  discessio  primum.'  Glossa :  a  Romano  imperio  uel  ecclesiarum 
spirituali  obediencia  papali,  ut  est  prelatorum  ^.  Tercio :  cadent  stelle 
de  celo  id  est  religiosi  et  alii  prelati  qui  quasi  stelle  lucere  debent 
exemplo  et  doctrina,  cadent  de  celesti  conuersacione  vel  per  auariciam, 
que  maxime  in  fine  mundi  regnabit  uel  luxuriam  vel  inuidiam  uel 
crapulam  uel  superbiam,  que  quinque  peccata  periculosissima  in  reli- 
giosis  sunt.  Cum  autem  in  his  tribus  signa  uideris,  scias  quod  prope 
est  regnum  dei.' 

Sucht  der  Frater  in  diesem  Sermo  nur  zu  zeigen,  wie  die  Vor- 
zeichen des  Gerichts  an  Sonne,  Mond  und  Sternen  auch  geistigerweise 
zu  verstehen  seien,  so  geht  er  in  der  Predigt  am  24.  Sonntage  nach 
Pfingsten  ausführlich  auf  die  Ankunft  und  das  Wirken  des  Antichristen 

■  Der  in  der  mittelalterlichen  Literatur  übliche  Vergleich. 

2  Hs  hat  irrig  ,septimum'. 

^  Die  in  Klammer  gestellten  Worte  sind  aus  der  Vulgata  ergänzt. 

*  Der  Prediger  stellt  zwei  Möglichkeiten  hin,  die  den  Abfall  von  dem  , Im- 
perium' herbeiführen :  es  erfolgt  eine  Wahl,  obwohl  die  Kirche  nicht  zustimmt, 
oder  es  erfolgt  eine  zwiespältige  Wahl;  es  streiten  zwei  Kaiser  um  die  Krone;  man 
weiß  darum  nicht,  wer  der  legitime  sei.  Der  letztere  Fall  lag  vor,  als  ein  Teil 
der  Wahlfürsten  den  König  Adolf  von  Nassau  absetzte  und  Albrecht  von  Öster- 
reich wählte.     Diesen  Fall  hat  der  Prediger  im  Auge. 

^  Vgl.  Rusticanus  de  Dominicis  8  (6)  bei  Schönbach,  Die  Überlieferung 
Bertolds  I  6. 


Ludovicus  über  die  Vorzeichen  des  Weltendes  und  über  den  Antichristen.        77 

ein.  Fliehet,  mahnt  er,  die  Verführung  der  Welt,  d.  i.  die  Sünde, 
die  Predigt  des  Antichristen  und  fliehet  endlich  vor  der  ewigen  Ver- 
dammnis ^ 

Quedam  breuiter  dicere  propono :  1.  quando  ueniat  [antichristus]. 
2.  quomodo  concipiatur,  3.  qualiter  seducat,  4.  qualiter  potestas  eius 
finiatur. 

Primo:  Quando  ueniat? ^  Ex  huius  signis  perpenditur  eius  aduen- 
tus  .  .  .  Post  prelia,  sediciones  (Lc  21,  9;  Dn  8,  23);  quia  ueniet  in  tem- 
pore habundancie  peccatorum,  ,cum  creuerit  iniquitas'  id  est  habun- 
dauerit  ,tunc  surget  rex  impudens  facie'  —  glossa:  id  est  antichristus. 
Item  ueniet  in  tempore  scimatis  et  discordie;  2  Thess  2,  3:  ,Ne  quis 
uos  seducat  ullo  modo,  quasi  instet  dies  Domini,  id  est  iudicii,  quia 
nisi  uenerit  discessio',  nisi  prius  gentes  discedant  a  Romano  imperio 
uel  discessio  ecclesiarum  a  spirituali  obediencia  uel  hominum  discessio 
ii  fide.  Cum  timore  et  occulte  et  clam  dico :  hec  tria  iam  sunt  scilicet 
discessio  a  Romano  imperio  et  maxime  ab  electoribus  ipsius;  est  eciam 
discessio  ecclesiarum  a  spirituali  obediencia  iam  in  pocioribus,  forte 
dico  in  cardinalibus,  in  archiepiscopis  et  multis  prelatis^.  Sequitur: 
,et  tunc  reuelabitur  ille  nequissimus'  2  Thess  2,  8;  glossa:  antichristus, 
quando  hec  predicta  erunt  certissima  signa. 

Secundo:  quomodo  concipiatur,  nascatur  et  educetur*.  Glossa 
super  Daniel:  nascetur  in  Babilone  antichristus  de  tribu  Dan,  de  ob- 
scuro  loco  Babilone  ex  seminibus  parentum  concipietur,  post  conceptum 
autem  antichristi  spiritus  malignus  descendet  in  uterum  matris  eius, 
cuius  uirtute  deinceps  nascetur  et  aletur  et  cum  uenerit  lerosolymam 
circumcidet  se  dicens  ludeis:  ,Ego  sum  Christus  uobis  missus'  et  qui 
uolebant  recipere  Christum  ...  hü  recipient  antichristum  tamquam 
Messiam  suum  et  credent  in  eum.  Unde  super  illud  Thess  (II, 
2,  3):  .nisi  reuelatus  fuerit'  etc.  glossa:  Cum  uenerit  lerosolymam 
circumcidet  se  confluentque  ad  eum  omnes  ludei  reedificabuntque  tem- 
plum  a  Romanis  destructum  sedebitque  ibi  dicens  se  dominum  esse^. 


'  Bl.  80-81'. 

-  Vgl.  dazu  Bertolds  Sermo  8  (6)  bei  Schönbach  a.  a.  0.  I  6. 
'  S.  oben  S.  54. 

"  Vgl.  dazu  Bertolds  Sermo  8  bei  Schönbach  a.  a.  0.  8, 
5  Vgl.  Haymo,  Expositio  in  epist.  II  ad  Thess.  (Migne,  P.  L.  CXVIII  780) 
Petrus  Comestor,  Historia  scholastica  (ebd.  CXCVIII  1454). 


78  II.  Die  Predigten  des  Frater  Ludovicus. 

Unde  sequitur  in  textu,  ,ut  in  templo  sedeat  tamquam  sit  deus  se 
ostendens  (2  Thess  2,  4).  Tercio:  quomodo  seducat.  Apc  13,  8: 
,Vidi  aliam  bestiam'  etc.  Glossa :  Apostolos  suos  ipse  per  totum  mundum 
sparget  et  seducet  inhabitantes  terram  et  multis  modis  attrahet  sibi 
homines,  quorum  causa  breuitatis  tantum  quatuor  dicam. 

Primo  per  p  e  c  u  n  i  a  m  ;  habebit  enim  thesauros  occultos ,  per 
quos  multos  ad  se  trabet :  duces,  comites,  iudices ,  barones,  satellites, 
eines  et  huiusmodi^  Secundo  per  sapientiam...  Tercio  per  gra- 
uissima  tormenta.  Quarto  per  signa  Apc  13,  13.  Item  ymagines 
loqui  de  parietibus  uel  ignem  de  celo  descendere  et  plura  alia.  Si 
autem  hec  omnia  facient  nuncii  antichristi'-^,  quis  crederet  predicatoribus 
Christi  et  non  pocius  antichristi?  Quod  autem  mortuos  antichristus 
suscitare  possit,  non  inueni  me  legisse  in  autenticis  libris,  nisi  tunc 
demon  intrans  aliquem  et  sie  suscitatus  putetur.  Utrum  autem  hoc 
ei  permittatur,  nescio;  deus  seit;  nunquam  istud  legi^. 

Quarto,  qualiter  potestas  eins  finiatur.  Quod  fit  tripliciter. 
Prius,  antequam  hec  fiant,  uel  plures  decipiet.  Dicit  antichristus  se 
uelle  in  celum  eis  presentibus  conscendere  et  post  modum  eos  ad  eterna 
gaudia  perducere  et  tunc  simulabit  se  quasi  per  triduum  mortuum  et 
tunc  apparebit  quasi  resurrexit.  Glossa  super  Apc  13  sub  illo  uerbo 
,fecit  signa  magna'  (Apc  13,  13):  simulata  resurreccione  antichristi 
apostoli  eins  predicacionis  sue  iacient  fundamenta,  sicut  apostoli  Christi 
fecerunt-^.  Tunc  misericors  deus,  ut  dicitur  in  Abacuc  (3,  2):  ,Cum 
iratus  fueris,  misericordie  recordaberis',  uictus  bonitate  propria  tri- 
plicem  conferet  misericordiam :  Primo  quod  breue  erit  tempus  illud, 
non  CC  annorum  et  dimidii,  ut  fuit  tunc  tempus  prime  persecucionis, 
nee  eciam  C,  nee  X,  sed  tantum  trium  annorum  et  dimidii,  ut  iurauit 
angelus  in  Daniel  (7,  25),  quia,  ,per  tempus  et  tempora  et  dimidium 
temporis'.  Secundo  quod  deus  suos  multum  uerius  confortabit . . .  Tercio, 
quod  a  multis  milibus  annorum,   eciam  a   tempore  ante  diluuium  re- 


'  Vgl.  Bertolds  Sermo  55  BI.  150. 

2  CLP  639  hat  nach  »antichristi'  noch:  ,et  nulluni  Signum  facient  nuncii  Christi*. 

ä  Von  der  Wiederbelebung  der  Toten  spricht  auch  Bertold  nicht,  H  a  y  m  o 
(Expositio  in  Apocalypsin  1.  4,  c.  13  [Migne,  P.  L.  CXVII  1099])  und  Honorius 
von  Au  tun  (Ehicidarium  111  10  [ebd.  CLXXIl  1163])  reden  zwar  von  solchen 
Auferweckungen,  sie  bemerken  aber,  dafs  das  diabolische  Täuschungen  sein  werden. 
Die  Bemerkung  des  Fraters  ist  daher  zutreffend, 

'  Vgl.  Haymo  a,  a,  0.  1099  1100. 


Der  Antichrist  nach  Ludovicus.  79 

seriiauit  Enoch  et  a  multis  annis  ante  incarnacionem  reseruauit  Elyam, 
ut  per  hos  suos  fideles  per  eoriim  predicacionem  confortet,  et  ut^ 
anticliristo  tarn  uerbis  quam  miraculis  resistant  et  illum  confundant^. 

Sed  antichristus  post  hoc  occidet  eos  corporaliter  et  iacebunt  in 
plateis  lerusalem  corpora  eorum  tribus  diebus  et  dimidio.  Glossa: 
ut  quicunque  uiderint  timeant  eis  confortari^.  Post  hoc  figet  taber- 
naculum  suum  ueniens  in  multitudine  magna,  ut  dicit  Daniel  (11,  44  45), 
in  summitate  montis  Oliueti.  Ibi  irascente  Domino  contra  eum  asserit 
eum  periturum. 

Glossa  super  Thess.  (II,  2):  Non  statim  Dominus  ueniet  ad 
iudicium  post  mortem  antichristi,  sed  erit  tempus  maxime  pacis, 
ut  dicitur  Apoc.  (8,  1):  ,Cum  aperuisset  sigillum  septimum  factum 
est  silencium  magnum  quasi  media  hora.'  Glossa:  quia  post  mortem 
antichristi  erit  maxima  pax  in  ecclesia;  tempus  autem  illud  breue 
erit,  quia  nullam  certitudinem  habet,  quod  plus  durat  quam  XLV 
dies.  Si  autem  plus ,  hoc  est  per  annum ,  uel  per  X  uel  XX 
uel  II  uel  dimidium  diem,  penitus  ignoratur.  Unde  super  illud  Thess. 
(II,  2,  8):  ,Quem  Dominus  interficiet  spiritu  oris  sui'  dicit  glossa:  Inter- 
fecto  antichristo  non  statim  ueniet  Christus,  sed  ut  ex  libro  Daniel 
(12,  11  12)  intelligitur  ^,  concedentur  electis  ad  penitenciam  dies  XLV, 
et  quando  deus  post  uenturus  sit,  penitus  ignoratur.    Hucusque  glossa. 

Noch  einmal  behandelt  Frater  Ludovicus  eschatologische  Fragen 
in  dem  Pfingstsermo  ^.  Er  knüpft  an  die  vier  Engel  der  Apokalypse 
(8,  7  ff)  Lehren  über  die  nobiles,  mercatores  und  avari,  pauperes  operarii, 
religiosi  und  clerici,  während  er  an  das  Erscheinen  des  fünften,  sechsten 
und  siebten  Engels  (Apc  9  u.  10)  eschatalogische  Betrachtungen  an- 
schließt. Der  fünfte  Engel  kündigt  den  Beginn  der  ,precedentia 
antichristum'  an,  die  Häresie  u.  a. ;  dem  sechsten  Engel  folgen  ,septem 
tonitrua'.  Diese  bedeuten  die  sieben  dem  Ende  der  Welt  voran- 
gehenden Anzeichen :  1.  das  schisma  generale,  2.  die  Verachtung  Christi, 
3.  die  Mißachtung  der  hl.  Jungfrau,  4.  der  Fall  vieler  Religiösen : 
,Hec  quator  tanguntur  in  Matheo'  (24,  24  29) :  , Surgent  enim  pseudo- 


*  ,ut'  fehlt  in  der  Hs. 

2  Vgl.  Bertold  oben  S.  73  und  Seh  midiin,  Die  Eschatologie  Ottos  von  Frei- 
sing 11  12.  3  Ygi.  Haymo  a.  a.  0.  1073  1074. 

*  Ebd.  781.     Die  45  Tage    ergeben   sich,   wenn  man   die  1290  Tage   bei  Dn 
12,  11  von  den  1325  Tagen  bei  Dn  12,  12  abzieht.  ^  Bl.  45  46. 


30  n.  Die  Predigten  des  Frater  Ludovicus. 

christi'  qiioad  primum  [tonitrum]  et  sol  obscurabitur  quoad  secundum 
et  luna  non  dabit  lucem  suam  quoad  tercium  et  stelle  cadent  de  celo 
quoad  quartum;  ultima  tria  tonitrua  tangit  magister^  in  historiarum, 
quibus  fere  totum  mundum  seducent,  dicit  enim :  antichristus  conuertet 
se  ad  homines  terrore,  muneribus  et  miraculis.'  Dann  kommen  Henoch 
und  Elias,  und  endlich  kündigt  der  siebte  Engel  das  Weltgericht  an. 
Frater  Ludovicus  begründet,  wie  Bertold,  seine  eschatalogischen 
Erwartungen  mit  dem  traditionellen  Glossenmaterial.  Er  behandelt 
das  letztere  aber  ungleich  kürzer  und  übersichtlicher  als  Bertold. 
Daß  er  dasselbe  sorgsam  durchgearbeitet  hat,  zeigt  die  Bemerkung 
über  die  angeblichen  Totenerweckungen  des  Antichristen.  Bertold  be- 
trachtet, wie  wir  bemerkt  haben,  seine  Zeit  als  die  Vorbereitung  für 
den  nahenden  Antichristen  ;  gleichwohl  vermeidet  er  es,  außer  den  all- 
gemeinen Gründen,  welche  seine  Schriftexegese  bot,  besondere  An- 
zeichen aus  seiner  Zeit  vorzuführen.  Frater  Ludovicus  wagt  das  aber. 
Er  erinnert  an  die  Zwistigkeiten  unter  den  Kardinälen,  Erzbischöfen 
und  Prälaten.  Das  Pontifikat  Bonifaz'  VIIL  begann  mit  solchen  und 
endete  mit  beklagenswerten  Wirren.  Er  gedenkt  wiederholt  des  Ver- 
falls des  Kaisertums ;  erlebte  er  doch  die  Absetzung  Adolfs  von  Nassau 
und  die  bestrittene  Wahl  Albrechts  von  Österreich.  Er  beklagt  die 
Spaltungen  im  eigenen  Orden,  das  Überhandnehmen  der  Ketzerei,  das 
Wachstum  der  Roheit.  Darum  sagt  er:  ,Cum  timore  et  occulte  et 
clam  dico:  hec  tria  iam  sunt',  d.  h.  der  Abfall  vom  Reiche,  der  Zwist 
in  der  Kirche  und  der  Verfall  der  Sitten.  Er  fürchtet  sich  aber,  das 
laut  zu  sagen,  weil  er  besorgt,  in  Welt  und  Kirche  anzustoßen,  bei 
den  Fürsten  und  Prälaten,  welchen  solche  Worte  unbequem  waren. 
Wußte  er  doch,  w^ie  hart  man  manche  seiner  Ordensgenossen  von  der 
strengeren  Richtung,  welche  die  Prophetien  liebten,  behandelte. 

3.  Die  Häresien  und  die  teuflisclie  Verführung*. 

In  den  Häresien,  die  sich  unter  den  verschiedensten  Namen  auch 
in  Deutschland  Eingang  zu  verschaffen  wußten,  erblickte  der  Frater 
Ludovicus  mit  Bertold  von  Regensburg'-  eine  schwere  Gefahr  für  die 
Kirche    und    das    religiöse    Leben    des    Volkes.     L^nter   den    sieben 


'  Petrus  Comestor,  Historia  scholastica  (Migne,  P.  L.  CXCVIII  1154). 
2  Die  Stellen,  in  welchen  Bertold  von  den  Ketzern  spricht,  sind  von  Schön- 
bach, Bertold  gegen  die  Ketzer,  zusammengestellt  und  lehrreich  behandelt. 


Der  Antichrist.     Die  Ketzer.  •  81 

Straßen  der  Welt,  die  der  Teufel  angelegt  hat,  nennt  der  Frater  als 
sechste  die  Ketzerei.  Er  sagt^:  ,...  ut  scribit  Isidorus-  septua- 
ginta  [sunt]  hereses,  ut  Sabelliani,  Ariani,  Fortuniani  2,  Manichei  etc. 
et  semiheretici,  qui  cum  incantacionibus  et  aliis  truphis  circumeunt, 
qui  uidelicit  de  statu  dampnandorum  sunt,  ut  hü  qui  incantaciones  per 
crisma  et  reliquias  sanctorum  faciunt  et  baptizantes  ossa  mortuorum 
et  similia,  que  enumerare  esset  riduculum,  cum  lamentandum  esset, 
quia  maxime  deum  inhonorant.'  Diese  incantaciones  cum  baptismo 
et  per  crisma  zählt  er  an  anderer  Stelle  ^  zu  den  verschiedenen  Arten 
der  ,incredulitas' ;  hier  nennt  er  diese  Beschwörer  und  Zauberer  halbe 
Ketzer.  In  einer  Predigt  0,  in  welcher  die  heiligen  Sakramente  behandelt 
werden,  erklärt  er:  ,Non  baptizantur  angeli,  quia  sancti  sunt,  non 
demones  quia  sanctificari  non  possunt,  non  ossa  mortuorum,  non 
ymagines  masculine.'  In  dieser  Bekämpfung  des  sakrilegischen  Aber- 
glaubens folgt  er  seinem  Ordensgenossen  Bertold.  Des  letzteren  Äuße- 
rungen darüber  hat  Schönbach  *^  vollständig  zusammengestellt  und 
trefflich  erläutert.     Wir  begnügen  uns  darauf  hinzuweisen. 

Ausführlicher  kommt  der  Frater  Ludovicus  in  dem  Sermo  6  de 
martyribus^  auf  die  Ketzer  zu  sprechen.  Die  Predigt  hat  den  Vor- 
spruch :  ,Multe  tribulationes  iustorum*  etc.  Ps  33,  20.  Die  tribulationes 
und  tentationes  sind  durch  die  sieben  Löwen  vorgebildet,  die  ,in  lacu 
Babylonico'  waren  (Dn  6):  1.  prosperitas  temporalis;  2.  honor  saecu- 
laris;  3.  sanitas  corporalis;  4.  concupiscentia  carnalis;  5.  diffidentiae 
timor.  jiniecit  timorem  irrisionis  hominum  sc.  quod  homines  ipsum 
inclament   et   despiciant   et   in   derisum   habeatur  et  hoc  per  cantum 


1  Sermo  1  de  dedicacione  Bl.  129'— ISF;  vgl.  oben  S.  58. 

2  Etym.  8,  5  (Migne,  P.  L.  LXXXIl  298). 

^  , Fortuniani*  kommen  bei  Isidor  nicht  vor;  es  ist  offenbar  verschrieben  für 
jPhotiniani*  (Etym.  8,  5  a.  a.  0.  300).  Derselbe  Fehler  kommt  übrigens  auch  in 
einem  Ketzerverzeichnisse  bei  Bertold  vor  (Schönbach  a.  a.  0.  25  A.),  Im 
Sermo  7  de  confessore  Bl.  116  nennt  Ludovicus  neben  den  Arianern  u.  a.  die  , Fortu- 
nati* verschrieben  für  , Fortuniani'. 

"  S.  oben  S.  61.     Im  Sermo  in  die  Paschae  Bl.  29 — 30'  nennt  er  als  Ketzer; 
,cum    sacramento    incantantes ,    quod   hodie   nimis   fit'.      Im    Sermo    dominica  infra 
'    Octauam  Ascensionis  bezeichnet  er  als  ,infideles',  ,qui  cum  incantacionibus  circueunt'. 
I    .  ^  Sermo  1  de  Confessoribus  Bl.  106'  107. 

!  ^  Zeugnisse  Bertolds   von  Regensburg   zur  Volkskunde  24  ff.    Vgl,    auch  Ber- 

it   tolds  Deutsche  Predigten  I  298;  II  70. 
^  Bl.  103  103'. 

i  Franz,  Drei  deutsche  Minoritenprediger.  6 


n 


32  IL  Die  Predigten  des  Frater  Ludovicus. 


galli  quod  uulgo  ,bekre'  uocatur' ;  6.  haereses;  7.  protractio  poeni-  j 
tentiae.  In  der  Behandlung  der  haereses  folgt  der  Prediger  vollständig,  I 
und  zwar  meist  wörtlich  der  Schilderung,  welche  Bertold  von  Regens- 
burg im  Rusticanus  de  Communi  34  entwirft.  Die  Stelle  ist  bei 
Schönbach  1  wörtlich  abgedruckt.  Frater  Ludovicus  vergleicht  wie 
Bertold  die  ,Kezzer'  mit  gewissen  Eigenschaften  der  Katzen,  woher 
er  auch  den  Namen  ableitet.  Bei  Ludovicus  ist  der  Vergleich  abgekürzt : 

,Hereticus  enim  in  lingua  nostra  Kezzer  appellatur  ex  quatuor 
quibus  cattis  comparatur:  1.  quia  in  die  quiescit  et  in  nocte  uagatur ; 
2.  quia  familiaris  cupit  esse  hominibus;  3.  quia  lambit  bufonem^ 
quandoque  usque  ad  sanguinem  et  uenenum,  in  quo  est  quedam  dul- 
cedo,  quo  fit  nimis  sitibundus,  et  si  potum  non  inuenit,  aret  et  si 
ideo  in  uas  potus  sternutat,  qui  ex  hoc  bibit  moritur  uel  grauiter  in- 
firmatur;  4.  quod  bufones  portat  ad  lectos  hominum  sibi  familiarium, 
ex  quibus  inficiuntur.  Iste  sunt  proprietates  hereticorum:  [1°J  quia 
sicut  catti  in  occultis  docent  et  in  tenebris  secundum  illud:  „Qui  male 
agit,  odit  lucem"  (lo  3,  20);  2°  quia  se  per  ypocrisim  ostendentes  fa- 
ciunt  se  uirtuosos;  3"  quia  hereses  sibi  uenenatas  inuiscerant^  et  ex 
hoc  occidunt  sibi  familiäres;  4"  quia  ranas  ad  lectum  portant,  hoc 
est  uenenosos  eciam  heresiarchas  ad  suos  familiäres  ducunt  promit- 
tentes,  quod  sanctum  hominem  ^  uelint  sibi  adducere,  qui  est  pallidus 
ut  bufo  et  uenenosus.' 

Der  Teufel  ist  stets  darauf  bedacht,  die  segensreiche  Wirk- 
samkeit der  Kirche  zu  hemmen  und  ganz  erfolglos  zu  machen.  Welche 
Schliche  er  anwendet,  um  die  Menschen  zu  verführen,  wird  wiederholt 
dargelegt.  In  dem  Sermo  am  dritten  Sonntag  in  Quadragesima^  führt 
der  Prediger  drei  Arten  von  Dämonen  vor:  1.  Daemon  interficiens 
bona  opera,  ,Asmodeus,  qui  Septem,  que  ad  uirtutem  ducunt, 
interimit,  nempe:  uoluntatem  bene  faciendi,  bene  cogitandi,  bona 
uerba,  bona  exempla,  bona  opera  sc.  oracionis.  affliccionis,  miseracionis'. 
2.    Daemon    inficiens   per   uicia,    Legio.      Nicht    bloß    Könige 


'  Bertold  gegen  die  Ketzer  46.  j 

2  Bertold  (Schönbacli  a.  a.  0.  46,  3)  hat  ,ranam'. 

^  Bei  Bertold  (ebd.  46,  12) :  ,.  .  .  quia  heresis  uenenatas  quasi  uenenum  bu- 
fonis,  quasi  dulce  quoddam  sibi  inuiscerant  ...  ex  hoc  inficiunt  et  occidunt  sibi 
laniiliares.* 

*  Bei  Bertold  (ebd.  46,  19) :  , sanctum  lohannem'.  ^  Bl.  22.  " 


Die  Ketzer.     Dämonen.     Der  Teufel  als  Spielmann.  83 

verführt  er  (Offb  16,  12),    sondern  auch  ,principes,   barones,   milites, 
mercatores,  rusticos,  mulieres,  clericos',  um  sie  in  die  Hölle  zn  stürzen. 
Der  Engel    schüttet    die   Schale    aus    über   den  Euphrat,    d.  h.    nach 
Rupertus  von  Deutz  ^  über  die  Sünder,  und  aus  dem  Munde  des  Pseudo- 
propheten  gehen  drei  unreine  Dämonen  aus  in  der  Form  von  Fröschen. 
,Legitur  in  historiis,  quod  sunt  tria  genera  ranarum,  fluviale  [et]  uocale; 
secundum  minimum,  quod  calamitum  dicitur,  quia  si  in  os  canis  mit- 
tatur,    obmutescit;    tercium    magnum   et   uenenosum,    quod  et  rubeta 
appellatur^.    Spiritualiter :  primam  ranam  in  te  mittit,  cum  de  peccato  . 
non  uerecundaris,  sed  gloriaris;   secundam  ranam,  cum  peccatum  oc- 
cultetur    (mutus  peccator);    terciam    ranam,    quando    peccatum    in   te 
continuatur.'     3.  Daemon   non   loquens,   welcher   den  Sünder  von 
der  Beicht  fern  hält. 

In  einer  andern  Predigt-^  stellt  der  Frater  Ludovicus  den  Teufel 
als  S  p  i  e  1  m  a  n  n  dar,  v^elcher  ,per  Septem  musicalia  instrumenta'  die 
Menschen  verlockt  und  zur  Hölle  führt. 

,Prima  astucia  siue  fistula,  qua  plurimi  decipiuntur,  in  qua 
dulcissime  dyabolus  canit  peccatoribus  et  omnes  seducit,  maxime 
diuites  et  nobiles,  id  est  qui  possint  saluari  per  elemosinam  et  per- 
egrinaciones.  Dicit  enim :  Domine,  libenter  facio  elemosinas  religiosis 
et  pauperibus;  edificaui  claustrum,  Dn  [4,  25]:  „Peccata  tua  ele- 
mosinis  redime."  Si  in  morte  mea  super  libram  discussionis  operum 
ponuntur  oraciones,  lapides,  ligna,  quot  preponderabunt  peccatis  meis ! 
Preterea  uisitaui  sepius  limina  sanctorum*,  terram  sanctam,  sanctum 
lacobum^  et  sanctam  Hellenam^;  utique  iuuabunt  me  in  extremis 
meis,  ut  tenentur,  ut  consulit  lob  [5,  1]:  „Ad  aliquem  sanctorum 
conuertere."  Respondetur:  „Vere  est  et  in  Ins  benefacis,  sed  mihi 
dicas:  et  querit  lacobus  [3,  11]:  „Numquid  fons  de  eodem  foramine 
emanat  dulcem  et  amaram  aquam?"     Recte  enim  uulgariter  dicitur: 


1  Comment.  in  Apoc.  1.  9,  c.  16  (Migne,  P.  L.  CLXIX  1123—1125). 

2  Aus  der  ,Glossa  ordinaria'  zu  Ex  8,  2  (Migne,  P.  L.  CXIII  205),  woher 
auch  das  Stück  bei  Vinzenz  von  Beauvais  (Speculum  naturale  1.  20,  c.  60, 
I  1493)  entnommen  ist. 

^  Sermo  in  dedicacione  ecclesiae  Bl.  141  —  143''. 

''  Zu  ergänzen  ,apostolorum',  d.  h.  Rom.  ^  Compostela. 

^  So  lese  ich  das  undeutlich  geschriebene  Wort.  Vielleicht  sind  Wallfahrten 
nach  Trier  gemeint,  wo  die  hl.  Helena  als  Patronin  verehrt  wurde.  Über  Bertolds 
Anschauungen  von  Wallfahrten  vgl.  Deutsche  Predigten  1  459  533. 

6* 


34  II«  Diß  Predigten  des  Frater  Ludovicus. 

„Sufflare  et  farinam  in  ore  habere  est  impossibile."  ^    Sic  impossibile 
est  elemosinam  dare  et  cum  hoc  fortiter  deum  inhonorare. 

,Secunda  decepcio,  qua  dyabolus  ualde  subtiliter  decipit  [eos], 
qui  putantur  prudenter  esse  cum  dicunt:  Spero  uere  multum  de  istis 
bonis  claustralibus,  quod  ipsorum  oracionibus  iuuari  debeam.  Ego 
enim  dilexi  eos  et  habeo  literas  fraternitatis  illorum  2,  qui  die  et  nocte 
pro  me  orant.  Preterea  puerum  meum  locaui  apud  claustrales,  in- 
super  filiam  cum  30  marcis^,  cum  qua  optinuissem,  eum  dedisse  40, 
si  tradidissem  nuptui^,  et  iste  filie  semper  orant  pro  me.  Stulte, 
ista  oracio  nulla  [est],  quia  effectum  eins  spernis,  qui,  cum  ipsi  orant, 
tu  medio  tempore  deum  inhonoras. 

,T  e  r  c  i  u  m  ,  cum  quo  consolantur  peccatores  .  .  .  quod  di- 
cunt, quod  non  sunt  ita  grauia  peccata,  sicut  predicant  isti  fratres*. 
Si  enim  ita  esset  et  nee  ipsi  saluarentur.  Tria  uel  quatuor 
fuerunt  quondam  mortalia  scilicet  qui  dominum  suum  tradit,  qui 
se  ipsum  interficit,  qui  uxorem  proximi  polluit,  qui  alium  occidit; 
nunc  autem  tot  predicantur,  quod  innumerabilia  sunt;  nihil  faciunt, 
nisi  quod  me  crucient.  Quis  potest  inimicum  diligere,  quis  sine 
mendacio  emere?  Nunquam  possumus  uiuere  ut  monachi,  sine  corea, 
sine  seculari  leticia,  sicut  fecerunt  parentes,  quorum  temporibus 
pax  et  ueritas  fuit.     Sed  postquam  aggrauaciones  mortalium  fuerunt, 


T 

^  Vgl.  Wand  er,  Deutsches  Sprichwörter -Lexikon  I,  Leipzig  1863,  383: 
, Blasen  und  (zugleich)  Mehl  im  Munde  han,  mag  nit  wol  bestahn.' 

2  Die  jliterae  fraternitatis'  sichern  dem  damit  Beschenkten  die  Teilnahme  an 
den  Gebeten  und  Verdiensten  der  Klostergeraeinde  zu.  Vgl.  auch  Bertolds 
Deutsche  Predigten  I  187. 

^  Der  Vater  gab  der  Tochter  als  ,dos'  30  Mark  mit  ins  Kloster. 

*  D.  h. :  ,Wenn  ich  die  Tochter  verheiratet  hätte,  hätte  ich  von  dem  Bräutigam! 
sicherlich  40  Mark  erhalten.'  Der  Werber  kaufte  die  Braut  von  dem,  unter  dessen 
Gewalt  sie  stand,  vom  Vater,  Bruder  oder  Vormund.  Vgl.  J.  Grimm,  Deutsche 
Rechtsaltertümer  J'*  583. 

^  Hier  folgt  Ludovicus  oft  wörtlich  Bertold,  welcher  diesen  Punkt  an  erster 
Stelle  behandelt.  Vgl.  CLP  496  Bl.  13  und  Clm  7961  Bl.  39».  Ludovicus  nennt 
die  Prediger,  über  deren  Strenge  das  Volk  klagt,  ,fratres'  und  meint  damit  die,] 
Regularen,  Minoriten  oder  Dominikaner,  während  bei  Bertold  dafür  stets  ,plebani' 
steht.  Der  ganze  Passus  schildert  drastisch  das  religiöse  Denken  des  Volkes,  das 
infolge  der  Predigt  der  Minoriten  aufgerüttelt  wurde  und  sich  nun  vielen  bisher 
nur  dunkel  oder  gar  nicht  erkannten  sittlichen  Verptiichtungen  gegenübergestellt! 
sah.  Trefflich  wird  das  zähe  Festhalten  des  Volkes  am  Alten ,  auch  am  alten 
Irrtum,  gekennzeichnet. 


Der  Teufel  als  Spielmann.  85 

tot  predicaciones,  tot  indulgencie,  deterioratus  fuit  status  mundi. 
Audi,  quod  sie  persuadet  eis  diabolus  cum  hac  fistula,  quod  non  credant 
predicatori,   quia  non  sunt  omnia  uera  que  dicunt.     Preterea  dicunt: 

i  si  hoc  se  iam  habet,  ut  predicator  tunc  dicit,  sunt  insipientissimi,  qui 
uident  in  scripturis  et  tarnen  tanta  mala  committunt.  Isti  uerum 
dicunt,  quia  insipientes  sunt  et  tu  similiter  et  continget  uobis  ambobus, 
ut  simeis,    quia   quedam   simee   capiuntur   in   arboribus   cum  speculo; 

;  simea  sequitur  speculum  in  laqueum,  quem  ante  eam  tenet;  sie  laycus 
per  sacerdotem  stultum.  Herum  tamen  non  eures  uitam  sed  sequaris 
doetrinam,  uel  dieatur  tibi  illud  in  euangelio:  „Si  non  uenissem  et 
locutus  eis  fuissem,  peccatum  non  haberent,  nunc  autem"  etc. 
(lo  15,  22.) 

jQuartum  genus  deeepeionis  dyabolice  ...  est  dei  misericordia. 
,Quintum  dulcissimum  et  [quo]  fere  omnes  sedueuntur  et  reli- 

I  giosi,  est,  cum  dicis:  Ego  uolo  emendare  statum  meum,  ego  uolo 
satisfaeere    deo,    si    hoc    et   illud   tantum   ordinassem.     Hoc   est  tur- 

ji  pissima   protraccio  penitencie,   que  euacuat  celum  et  replet  infernum. 

,Sextum  .  . .  Pessimum  [est] :  dicunt:  quodcunque  hie  faeit,  si  debet 

dampnari,    dampnabitur.     Isti  putant  se  prudentes  et  stulti  sunt.     Si 

i  hoc  ita  se  habet,  ad  quid  claudis  domum  et  cistam? 

jSeptimum    appellatur    omne  genus  musicorum',    d.  h.    allerlei 
Vorwände,  um  sich  der  ernstlichen  Bekehrung  zu  entziehen. 

Auch   Bertold   von   Regensburg  führt  seinen  Zuhörern  die 

'  Verführungen  des  Teufels  unter  dem  Bilde  der  verlockenden  Weisen 
eines  Spielmanns   vor^.     Der  Frater  Ludovicus   hat   daraus  aber  nur 

,  vier  Punkte    entnommen,    und    zwar    in    anderer  Reihenfolge.     Nach 

i  Bertold  sind  die  sieben  ,fistulae'  des  Teufels:  1.  Leugnung  der  Schwere 

l  der  Sünden;  2.  die  Vertröstung  mit  andern,  die  ebenso  leben;  3.  die 
Barmherzigkeit  Gottes;  4.  die  falsche  Hoffnung  auf  die  Seligkeit;  5.  die 
Hoffnung  auf  die  Buße  und  auf  die  Verzeihung;    6.   der  Fatalismus; 

j  7.  der  Aufschub    der   Bekehrung.     Frater   Ludovicus   behandelt   den 

1  ersten  Punkt  Bertolds  an  dritter  Stelle,  den  zweiten,  vierten  und 
fünften    gar   nicht,    den    dritten    an    vierter  Stelle,    den   sechsten   an 

;  sechster,   den   siebten   an   fünfter  Stelle,   dagegen  fügt  er  neu  hinzu 


*  Rusticanus  de  Communi  Sanctorum  Nr  24  bei  Jakob  78;  Nr  18  CLP  496 
Bl.  13:  ,De  instrumentis  musicis  Nabuchodonosor  i.  dyaboli  in  Daniele,  quibus 
homines  blandiendo  decipit.' 


86  II-  Diö  Predigten  des  Frater  Ludovicus. 

—  allerdings  auch  unter  Anlehnung  an  andere  Stellen  aus  Bertold  — 
die  an  erster,  zweiter  und  siebter  Stelle  behandelten  Verwände.  Diese 
Auswahl  zeigt,  daß  der  Frater  trotz  seiner  Abhängigkeit  von  Bertold 
seine  Selbständigkeit  zu  wahren  sucht. 

Während  er  in  einer  Predigt  die  Verführungen  des  Teufels  an 
den  sieben  Straßen,  die  in  der  Welt  gebaut  sind,  darlegt,  zeigt  er  in 
dem  1.  Sermo  von  den  drei  Wegen  (via  in  mundo,  per  mundum  und 
a  mundo),  wie  der  Teufel  als  ,coluber  in  via  et  cerastes  inj 
semita'  (Gn  49,  17)  den  Menschen  nachstellt.  Die  zehn  ,radii  in 
ceraste'  sind  die  ,corniculi'  des  cerastes,  deren  er  nach  dem  ,liber 
de  natura  rerum'  des  Thomas  von  Chantimpre  allerdings  nur  acht  am 
Kopfe  hat.  Sie  verraten  das  Gift;  daher  macht  man  aus  denselben 
Messergriffe  für  den  Tisch  der  Reichen  und  der  Kaiser,  um  diese  vor 
Vergiftung  zu  schützen^.  Der  Prediger  nimmt  aber  zehn  Hörner  an. 
Es  tragen  je  eines  folgende  Menschen:  1.  senex  sine  sapientia; 
2.  iuvenis  sine  obedientia;  3.  dives  sine  misericordia ;  4.  pauper  cum 
superbia;  5.  iuvencula  sine  verecundia;  6.  dominus  sine  honore; 
7.  servus  sine  labore;  8.  sacerdos  sine  scientia;  9.  monachus  sine 
munditia;  10.  religio  sine  gratia.  Das  sind  die  ,abusiones  secularium' 
die  der  Teufel  bewirkt,  und  die  neben  den  ,abusiones  in  claustro*  in 
der  mittelalterlichen  Literatur  oft  aufgeführt  werden.  In  Clm  2699  ^ 
stehen  sie  versifiziert  hinter  den  ,abusiones  in  claustro': 

Prudens  nil  faciens,  ueteranus  crimine  uanus, 

Inutilis  iuuenis,  diues  male  congregans  res,  / 

Femina  non  pauida,  dominus  cui  naufraga  uirtus,  ;; 

Pauper  non  humilis,  contendens  quisque  fidelis, 

Antistes  negligens,  rex  quem  uiciat  iuris  fex,  * 

Plebs  mala  per  uicia,  populus  sine  lege  proteruus. 

4.  Die  einzelueii  Stände  in  der  Predigt. 

Als  Nachahmer  Bertolds  suchte  Frater  Ludovicus  seine  Predigten 
durch  die  Anpassung  seiner  Ermahnungen  an  die  geistlichen  Bedürf- 
nisse der  verschiedenen  Klassen  seiner  Zuhörer  fruchtbar  zu  machen. 
Daher  nimmt  er  oft  Anlaß  über  die  Standespflichten  und  -fehler  zu 
reden.     Er   pflegt   wie  Bertold  seine  Ermahnungen   an  nicht  immer 


1  Vgl.  Vinco  ntii  Bellov.    Speculum  naturale  1.  20,    c.  27,   t.  I  1475  und 
Konrad  von  Megenberg,  Das  Buch  der  Natur  266. 

2  El.  6'^ 


A 


Der  Teufel  als  Schlange.     Standespredigten.     Soldaten.  87 

glücklich  gewählte  alttestamentliche  Vorgänge  anzuknüpfen.  Im  all- 
gemeinen hält  er  folgendes  Schema  inne:  Principes,  nobiles,  milites, 
iudices,  dominae,  mercatores,  mechanici,  rustici,  pauperes,  clerici, 
religiosi,  spezifiziert  aber  auch  noch  einzelne  Stände.  In  den  Sermones 
2  und  3  de  apostolis^  welche  den  Text  tragen  ,Pro  patribus  nati 
sunt  tibi  filii'  (Ps  44,  17),  handelt  der  Frater  von  den  ,filii  abiecti, 
neglecti,  electi'.  Die  filii  abiecti  verwirft  Gott  ihrer  Sünden 
wegen;  sie  sind  vorgebildet  im  Buche  Job  (1,  2  3).  ,Sunt  sex 
genera  de  quorum  perdicione  deus  multum  dolet  et  figurantur  per 
sex,  que  habuit  lob:  asinos,  camelos,  oues,  boues,  filios,  filias.'  Das 
sind  gentiles,  heretici,  ludaei,  hypocritae,  seculares  und  religiosi,  welche 
den  Versuchungen  unterlegen  sind. 

,Sunt  autem  VII  filii  inter  seculares,  qui  saluari  possent,  si  uellent, 
quos  deus  multum  diligit  et  ipsis  eternam  gloriam  preparauit,  uidelicet : 
principes,  comites,  milites,  mercatores,  rustici  [et]  coloni,  artis  me- 
chanici et  pauperes.  Hü  proprio  racione  generis  notantur ;  imperatores 
\  enim  et  reges  non  racione  generis,  sed  unccionis;  ideo  inter  principes 
i'  computantur.'  Es  folgen  nun  allgemeine  Bemerkungen  über  principes 
:  und  ,comites  et  omnes  de  libero  uentre  nati',  , milites,  ministeriales  et 
;i  milites  simplices'. 

,Venerunt  et  milites  ad  lohannem:  „Quid  faciemus  et  nos?"  (Lc  3, 
!  14.)  „Neminem  concuciatis . . .  nee  calumpniam  faciatis"  aliquos  tradendo 
1  uestris  dominis  propter  fauorem  nee  ipsos  pauperes  rusticos  cum 
dominis  deuoretis  et  bibatis;  et  illud  est  calumpniam  facere,  quia 
calumpnia  uel  iniuria  est  falsa  peticio  uel  iniusta  repulsio  siue  falsi 
eriminis  imposicio.  Item:  „contenti  estote  stipendiis  uestris",  contra 
exaccionem  et  predam.  Hec  est  regula  militum,  ad  hoc  militibus 
.  gladius  benedicitur  2,  ut  defendant  ecclesias,  uiduas  et  pupillos.  Sed 
hec  tria  e  contrario  uiolenter  inuadunt,  quod  prohibet  deus  Ex  22,  22 : 
»Vidue  et  pupillo  non  nocebis."' 

In  dem  Sermo  3  de  apostolis  setzt  der  Prediger  das  Thema  fort 
und  behandelt  die  , filii  neglecti  et  electi'  (Bl.  86'). 

,Quartum  genus  per  quartum  filium  honoratur.  Quod  honorauit 
1  diuiciis  et  commodo,  ut  sunt  mercatores.  Mercimonia  ab  inicio 
j  fuerunt  et  esse  possunt,   dummodo   iuste  fiant,  hoc  est  sine  usura  et 


1  Bl.  84—86'.  2  Bei  ^^j.  Ernennung  zum  Ritter. 


gg  IL  Die  Predigten  des  Frater  Ludovicus. 

fraiide,  sed  „difficile  exuitnr  negocians  a  negligencia",  ut  dicitur 
Eccli  26,  28.  Sunt  tarnen  aliqui  casus,  in  quibus  permittitur  fieri 
usura.  Require  sub  titulo  „de  usura"  ^.  Multiplex  autem  peccatum 
committitur  in  negociacione,  aliter  uendens  pannum,  aliter  uendens 
annonam,  aliter  uendens  cereuisiam  et  ideo  non  est  mercimonium,  in 
quo  fraus  non  fiat  et  dolus,  ut  conqueritur  Ir  9,  1 — 4:  „Quis  dabit  capiti 
meo  aquam"  etc.  Usurarii  multipliciter  offendunt,  ideo  multipliciter 
puniuntur,  temporaliter  et  eternaliter.'     Das  wird  weiter  ausgeführt. 

,Quintum  genus  per  quintum  filium  figuratur,  ut  sunt  agri- 
cole,  qui  tarn  dilecti  filii  dei  sunt  tum  propter  laborem  continuum, 
qui  deo  placet,  tum  propter  oppressionem,  qua  a  dominis  opprimuntur 
iniuste.  Ipsi  autem  eorum  colla  calcabunt  in  iudicio;  nunc  autem  ab 
eis  roduntur  et  opprimuntur  per  inmoderata  seruicia,  quod  est  im- 
portabile  ita,  ut  possint  dicere  loel:  „Confusi  sunt  agricole,  quia  periit 
messis"  ^,  quia  quodcunque  ipsi  metunt,  domini  tollunt  et  deuorant. 
Hos  uero  qui  in  hiis  pacienter  sunt,  liberabit  Dominus.  Ps  33,  20: 
„Multe  tribulaciones  iustorum  et  de  hiis  omnibus  liberabit  eos  deus." 
Sed  lamentabile  nimis  est,  quod  multi  inter  eos  dampnantur  et  hoc 
principaliter  in  quatuor :  Primo  in  a  c  i  d  i  a ,  quia  minus  curant  ire  ad 
diuinum  officium  et  in  festis  subterfugiunt  dicentes  se  laborasse  per 
totam  hebdomadem.  Nequiter  scis  loqui  equis  et  nescis  dicere  „Pater 
noster",  cum  ad  minus  Septem  dicere  debes.  Ps  118,  164:  „Septies 
in  die  laudem  dixi  tibi."  Sed  hü  ut  simulachra  muta,  de  quo  Ps  113,  5: 
„Os  habent  et  non  loquentur"  etc.  Sap  2,  21:  „Excecauit  eos  malicia 
eorum."  Secundo  in  iniquitate,  quia  inuicem  furantur  fruges  in 
agro  et  non  solum  fruges  immo  terram  cum  aratro.  Nota  cum  in 
ultimo  sulco  est  contra  agrum  proximi,  qualiter  premit  uomerem 
scilicet  ad  agrum  proximi  sui  reflectit  et  proximo  anno  furatur  ad 
tres  digitos,  secundo  anno  tantum  et  sie  ulterius  non  seruans  pre- 
ceptum  decalogi:  „Non  concupisces  agrum  proximi  tui",  immo  furatur, 
quod  plus  est. 

,Tercio  in  periurio,  quia  aliquando  pro  tribus  obulis  periurium 
[faciunt] ;  istud  periculosissimum  est,  quia  est  contra  preceptum  secun- 
dum.'  Daran  schliefst  der  Prediger  ernste  Warnungen  vor  dem  Meineid. 


'  lohannis  Friburgensis  Summa  confessorum  1.  2,  tit.  7. 
-  loel  1,  11:    ,Confusi   sunt   agricolae,   ululaverunt   vinitores   super    frumento 
et  hordeo,  quia  periit  messis  agri.' 


Kaufleute,  Bauern,  Handwerker  und  Arme.  89 

jQuarto  in  ebrietate,   in  qua  ita  absorbetur  anima,  ut   obliui- 

■  scatur  dei.  Que  autem  mala  de  ebrietate  proueniunt,  hoc  require  in 
Summa  de  aggrauacione,  de  gula^ 

,Sextum  genus  per  sextum  filium  figuratur,  ut  sunt  artis  me- 
chanici,  calcifices,  carnifices,  lanarii,  textores,  fabri,  carpentarii. 
Isti,  quia  die  et  nocte  laborant,  dilecti  filii  Domini  sunt  et  de  eis 
dicitur  (Ps  127,    2):    „Labores    manuum   tuarum    quia    manducabis" ; 

I  Apc  14,  13:  „Amodo  iam  dicit  spiritus,  ut  requiescant"  etc.;  Mt  25,  21: 
„Enge  serue  bone"  etc.     Bonus    ad   te   ipsum,    fidelis   ad  proximum: 

!  quod  est  contra  illos  operarios,  qui  fraudulenter  opera  eorum  faciunt. 
Hie  distingue,  qualiter  calcifices,  qualiter  lanarii,  qualiter  fabri  faciunt 
fraudem  et  hos  Dominus  multum  odit.  Ps  5,  7:  „Odisti  omnes,  qui 
operantur  iniquitatem."  Heu,  quam  multi  menciuntur  et  mendacium 
iuramento  confirment,  asserentes  bonum  esse,  quod  uendunt,  cum 
minus  ualeat,  dicentes,  se  carius  com'parasse  quam  uendunt  .  .  .' 

,Septimum    genus    per    septimum    filium    designatur.     Isti    sunt 

I  specialissima  familia  Domini  id  est  pauperes,  quibus  se  similem 
fecit  in   hoc   mundo   a  die  natiuitatis  cum  pannis  inuolutus  usque  in 

|l  diem  mortis,  cum  pannis  nudatur.  lob  1,  21:  „Nudus  egressus  sum 
de  uentre"  etc.  Istos  filios  super  omnes  diligit.  Ve  eis,  qui  eos  per- 
secuntur  et  turbant !    Euidentissimum  signum  dampnacionis  in  eis  est, 

I  quod  facere  presumunt,  quia  qui  tangit  eos,  „tangit  pupillam  oculi 
sui",  ut  Zach  2,  8  dicitur  .  .  .  Multi  heu!  inter  pauperes  sunt,  qui 
non  sunt  pauperes  spiritu,  qui  de  ista  paupertate  ad  eternam  ueniunt 
miseriam,  qui  turpiter  locuntur,  furantur,  raro  orant  pro  benefactoribus, 
ut  tenentur,  nullius  congregacionis  ^^  sunt  et  deum  inhonorant.  De 
quibus  Ir  5,  4:   „Pauperes  sunt  et  stulti"  etc. 

,Sequitur  de  tribus  filiabus  lob,  per  que  figurantur  tria  genera 
religiosorum,  qui  ideo  filie  appellantur  propter  teneritudinem  di- 
leccionis.  Primi  sunt  cari,  ut  hü,  qui  seruant  castitatem  uoto  simplici 
et  proprietate  uti  possunt  [tam  in  communi]  quam  in  speciali,  ut 
uidue,  begine  et  alie  persone  sub  regula  uiuentes.  Secundi  cariores, 
ut  hü,  qui  sub  uoto  solempni  sunt  in  castitate  et  obediencia  et  sine 
proprio  speciali;  hoc  in  commune  habent,  ut  sub  regula  Benedicti 


1  loh.  Frib.  a.  a.  0.  1.  3,  tit.  4. 

-  Sie  gehören  keiner  Bruderschaft  an,  beteiligen  sich  also  nicht  an  den  guten 
Werken  derselben. 


90  II-  Die  Predigten  des  Frater  Ludovicus. 

et  Augustini.  Tercii  sunt  carissimi,  ut  hü,  qui  sub  uoto  solempni 
sunt  in  castitate  et  obediencia  et  sine  proprio  non  tantum  speciali 
sed  [eciam]  in  communi  et  in  paupertate  uiuunt  et  secundum  euan- 
gelium  lesu  Christi.' 

Die  ,filii  neglecti',  av eiche  Gott  liebt  und  hegt,  sind  jene  guten 
Laien,  die  sich  bemühen,  Gott  zu  dienen,  die  aber  durch  die  Sorgen 
um  Hab  und  Gut  sowie  um  Weib  und  Kind  im  Dienste  Gottes  be- 
hindert werden.  Dazu  rechnet  der  Frater  auch  ,multi  religiosi,  si 
coacte  regulam  seruant  et  non  de  suo  apponunt,  sed  tempus  inutiliter 
perdunt'.  Die  ,filii  electi'  endlich  sind  die  Guten,  welche  den  Aposteln 
nachahmen ;  an  diesen  wirkt  Gott  ein  Dreifaches :  ,informat  eos  utiliter, 
consolatur  dulciter,  beatificat  eternaliter'. 

An  einer  andern  Stelle  ^  behandelt  er  ebenfalls  die  verschiedenen 
Stände,  die  sämtlich  zu  den  ewigen  Freuden  berufen  sind.  Er  führt 
zwölf  Stände  auf,  die  er  in  den  zwölf  Stäben,  welche  auf  Gottes  Be- 
fehl (Nm  17,  2)  in  das  heilige  Zelt  gelegt  werden  mußten,  vorgebildet 
findet.  Diese  zwölf  ,genera  hominum,  sind:  1.  Principes;  2.  Mi- 
lites;  3.  ludices,  ,qui  sub  militibus  sunt  sicut  aduocati,  sculteti, 
qui  ad  hoc  uocati  sunt,  ut  omnibus  recte  iudicent,  sed  heu!  horum 
rectitudo  curua  est,  quia  propter  munera  proiciunt  iudicia';  4.  Merca- 
tores,  ,qui  vere  utiles  sunt  pauperibus,  sed  raro,  quia  defraudant', 
5.  Rustici,  ,qui  frumenta  laborant,  estu  uruntur,  gelu  frigent,  de 
quorum  laboribus  uiuit  omnis  populus ;  [si]  cauerent  isti  sibi  de  furto, 
mendacio,    periurio  et  bis  similibus,   sancti  fierent';    6.  Mechanici; 

7.  ,Prelati   a   summo    pontifice    usque  ad   infimum  archidiaconum' ; 

8.  Simplices  plebani;  ,habere  debent  tria:  innocenciam,  conscienciam, 
scienciam';  9.  Status  viduarum  et  bechinarum.  Während  die 
letzten  drei  Stände  nur  flüchtig  erwähnt  werden,  widmet  er  den 
folgenden  drei  Mönchsorden  ernste  Belehrungen.  10.  ,Sub  regula 
Benedicti,  qui  dicunt  se  esse  primos  religiöses  et  ideo  pociores. 
Non  te  sanctificat  regula,  sed  uita,  non  cappa,  sed  obediencia.'  11.  ,Sub 
regula  Augustini,  qui  dicunt,  se  peritissimum  doctorem  habuisse 
et  ideo  eorum  regulam  magis  ordinatam  esse.  Non  te  sanctificat 
Augustini  pericia,  sed  tua  bona  uita.'  12.  ,Sunt  sub  regula  Francisci, 
qui  dicunt  se  humillimum  patronum  habuisse  et  secundum  euangelium 


Sermo  2  de  Confessore  Bl.  108  109. 


Die  Religiösen.     Die  Stände  vor  dem  Gerichte.  91 

uixisse  et  ideo  eorum  ordinem  approbatum.  Non  te  sanctificat  Fran- 
cisci  humilitas,  sed  tua  bonitas.  Considerate  uos,  qui  sub  bis  tribus 
regulis  degitis,  si  sitis  obedientes,  ueri  pauperes  et  continentes,  et 
qui  hoc  melius  seruauerit,  in  meliore  regula  erit. 

,Sic  ergo  omnes  uolunt  eligi  ad  gloriam.  Sed  dicit  Dominus: 
„Cuius  uirga  germinauerit"  (Nm  17,  5).  Mane  facto  si  in  te  inventa 
fuerit  fron.  flo.  fruc,  de  statu  electorum  eris,  sin  autem  dampnaberis. 
Notandum  quod  per  literas  fron.  flo.  fruc.  tria  signantur,  que  electus 
debet  habere',  nämlich  —  wie  weiter  ausgeführt  wird  —  frondes, 
flores,  fructus. 

Am  vierten  Sonntage  nach  Ostern  ^  predigt  der  Frater  über  den 
Text  ,Et  cum  uenerit  ille,  arguet  mundum  de  peccato,  de  iustitia  et 
de  iudicio'  (lo  16,  8).  Er  knüpft  seine  Betrachtung  an  den  Rache- 
zug Israels  gegen  die  Madianiten,  in  welchem  fünf  Könige  und  Balaam 
umkamen  (Nm  31,  1 — 8).  Der  Rachezug  versinnbildet  ihm  das  Gericht 
im  Tale  Josaphat,  vor  welchem  die  Madianiten,  d.  i.  die  Sünder  nach 
Ständen,  geführt  von  den  fünf  Königen  und  von  Balaam,  erscheinen 
werden,  jeder  , unter  der  Fahne  seines  Königs'.  , Primus  est  rex  militum, 
secundus  clericorum,  tercius  dominarum,  quartus  merca- 
torum,  quintus  operariorum,  Balaam  autem  religiöser  um  et 
cum  eis  suus  populus. 

, Primus  rex  omnium  militum  a  summo  rege  usque  ad  sim- 
plicem  filium  militis.  Hie  rex  Ur  uocatur,  quod  interpretatur  „ignis", 
quia  quemadmodum  ignis  multa  consumit  et  deuorat,  sie  isti  pauperes; 
?s  10,  2:  „Dum  superbit  impius  incenditur  pauper"^;  cum  tamen  se- 
cundum  preceptum  loannis  Baptiste  neminem  concutere  et  suis  sti- 
pendiis  contenti  deberent  esse  (Lc  3,  14).  Heu  quam  multi  sub  hoc 
rege  militant  et  ideo  cum  eo  ad  iudicium  uenient.  Is  33,  1 :  „Ve 
qui  predaris,  nonne  et  ipse  predaberis?"  Non  de  omnibus  dico.  Felices 
illi  milites  qui  defendunt  uiduas,  ecclesias  et  pauperes,  ad  quod  eis 
gladius  benedicitur.  Sic  non  miles  huius  regis,  quia  secundum  quod 
dicit  Is  3,  14:   „Rapina  pauperis  in  domo  sua."^ 

, Secundus  rex  omnium  ecclesiasticorum  et  clericorum 
Reber*  uocatur  quod  interpretatur  „Ordinatus"  qui  ordinati  sunt  in 
ministerio  dei,  quorum  uita  describitur  sub  titulo  de  uita  et  honestate 

1  Bl.  38—39'.  2  Hs:  ,ignis'.  ^  Vuig. :   ,vestra*.  ^  Vulg.:  ,Reb6'. 


92  11.  Die  Predigten  des  Frater  Ludovicus. 

clericorum  extra;  eodem  titulo:  Si  quis  extra  clerici.  Item  eodem 
de  crapula^.  Multi  hec  si  non  seruauerunt  profundius  dampnabuntur, 
quia  sciunt  et  tarnen  faciunt . .  . 

jTercius  rex  est  omnium  dominarum  a  nobilissima  usque  ad 
infimam,  que  mulget  uaccam  in  stabulo.  Hie  rex  Recen  quod  inter- 
pretatur,  „uacuefaccio"  uel  „uarietas",  quod  fit  in  superbia,  in  osten- 
tacione  corporum  et  ornatu  uestium.  Ne  irascantur  filie  nostre  quod 
dico :  Omnes  estis  elate ;  raro  fallis,  quia  plus  ornat  se  quam  XX  uiri . . , 
0  felices  mulieres,  sitis  humiles  et  multo  plures  de  uobis  saluabuntur 
quam  de  uiris.  Sin  autem  cum  rege  uestro  presentabimini  in  futuro 
iudicio  cum  maxima  confusione. 

jQuartus  rex  est  omnium  mercatorum,  quicquid  eciam  merci- 
monii  habeant.  Et  iste  rex  appellatur  Sur  quod  interpretatur  „ro- 
bustus".  Aliqui  iam  robusti  sunt  in  conquirendo  et  robustiores  in 
tenendo  sed  robustissimi  in  non  reddendo.  . .  .  Ab  inicio  fuerunt  merci- 
monia  et  possunt,  dummodo  fiant  iuste;  sed  difficile  exuitur  nego- 
ciator  a  negligencia^  ut  dicitur  Eccli  26,  28.  Ideo  omnes  cum  suo 
rege  Sur  in  iudicio  apparebunt,  ut  reddant  racionem  de  hiis,  que  pos- 
sederunt,  qualiter  conquisierint  et  possederint  et  pauperibus  erogauerint. 

jQuintus  rex  omnium  operariorum  sc.  rusticorum  et  me- 
chanicorum,  qui  Eni  uocatur,  quod  interpretatur  „Yemihi".  Quantum 
ue  sit  eis  in  laboribus!  Utinam  non  peccarent  in  ebrietate,  periurio, 
mendacio  et  turpitudine  uerborum.  Vere  beati  fierent.  Sed  dicit  faber, 
quod  ferrum  non  possit  fabricari  sine  mendacio.  Sic  die  de  ceteris. 
Et  idcirco  ue  laboris  non  liberabit  eos  qui  cum  suo  rege  Eni  uenient 
ad  ue  eterne  dampnacionis  (Prv  23,  29). 

jSexto  uenit  Balaam  quod  interpretatur  „precipitauit  fraterni- 
tatem"  cum  omnibus  malis  religiosis,  quia  aliquos  precipitauit  aua- 
ricia  et  heu  plurimos  et  alios  inobediencia,  alios  concupiscencia  mala, 
quia  super  ista  tria  omnis  fundatur  religio.  Heu  quot  religiosi  istum 
sequentur  in  iudicio!  De  isto  Balaam  dicitur  quod  non  uidit  angelum, 
sed  asina  (Nm  22,  23).  0  quam  mali  religiosi,  qui  rudiores  sunt  asinis 
suo  modo ;  hie  Balaam  secuntur  et  cum  Balaam  dampnabuntur  .  .  . '  -^ 


'  C.  14  15.     De  vita  et  honest.  III  1.  »  S.  oben  S.  88. 

2  Bertold  behandelt  die  Pflichten  der  einzelnen  Stände  sehr  oft,  ex  professo 
im  Rusticanus  de  Communi  Sanctorum  ,De  sex  generibus  hominum,  que  diabolus 
intoxicat'    (CLP  496   Nr  64  Bl.   44'  45;   vgl.   Jakob  Nr  22),   im   Rusticanus   de 


Die  Stände  vor  dem  Gerichte.     Die  Eheleute.  93 

Über  die  Ehe  und  die  Pflichten  der  Eheleute  predigt  der 
Frater  Ludovicus  zweimal,  und  zwar  in  den  zwei  ersten  Predigten 
de  Virginibus  ^  ,Octo  sunt  genera  matrimonii,  que  omnia  dampnantur 
praeter  octauum'  —  beginnt  er  in  seinen  Ausführungen.  Er  schränkt  aber 
sofort  den  harten  Satz  ein,  indem  er  hinzufügt:  ,Ne  uos  deterreat 
quod  dico;  quia  non  dico:  „pars  uel  octies  tot"  ;  qui  non  in  matri- 
monio  saluentur  vel  dampnentur,  soli  deo  constat'.  Die  sieben  genera 
matrimonii,  welche  verdammt  werden,  sind  vorgebildet  in  den  sieben 
Männern  der  Sara  (Tob  6,  14).  Dazu  gehören:  1.  illegitime  con- 
uenientes  (Heiraten  in  verbotenen  Graden),  2.  in  bono  se  impedientes, 
3.  sibi  inuicem  inuidentes,  4.  matrimonium  uiolantes,  5.  in  opere  con- 
iugali  inobedientes,  6.  prolem  male  educantes,  7.  fornicarie  se  dili- 
gentes.  ,Quid  diceres'  —  fragt  er  in  einem  nicht  gerade  passenden 
Vergleiche  — ,  ,si  uideres  sacerdotem  missam  suam  peruersa  racione 
celebrare  ?  Utique  quod  esset  hereticus.  Et  quid  ad  te,  qui  peruertis 
modum  istum?' 

Während  in  der  ersten  Predigt  der  Zweck  und  die  Bedeutung 
der  Ehe  im  allgemeinen  dargelegt  werden,  geht  er  in  der  zweiten 
auf  die  einzelnen  Pflichten  der  Männer  und  Frauen  ein,  indem  er  auch 
hier  die  ganze  Strenge  seiner  Lebensanschauung  und  den  vollen  Ernst 
der  christlichen  Moral  zum  Ausdrucke  bringt.  Um  diesen  seinen 
Ausführungen  größeres  Gewicht  zu, leihen,  leitet  er  sie  mit  den  Worten 
ein:  ,Hic  accipe  doctrinam  eximii  predicatoris  fratris  de  Reynsborg, 
non  meam.'  In  der  Tat  hat  Frater  Ludovicus  in  den  beiden  Predigten 
über  die  Ehe  seinen  Ordensgenossen  Bertold  sehr  ausgiebig  benutzt. 
Der  oben  mitgeteilte  Eingang  zur  ersten  Predigt  steht  fast  wörtlich 
bei  Bertold^;  auch  die  einzelnen  Punkte  der  Disposition  stimmen  in- 
haltlich überein;  als  Punkt  5  hat  aber  Bertold:  ,qui  prolem  necant 
corporaliter',  und  in  Punkt  7  bezeichnet  er  den  gleichen  Gedanken 
mit  den  W^orten  :  ,qui  nimis  supra  modum  se  diligunt'.  In  der  zweiten 
Predigt   hat  Frater  Ludovicus   aus   den  Ausführungen  geschöpft,    die 

Sanctis  ,De  clericis,  religiosis  et  laborantibus'  (CLP  498  Nr  20;  vgl.  Jakob  de 
Sanctis  Nr  10),  endlich  in  dem  Sermo  ,De  tribus  laqueis  diaboli*,  abgedruckt  bei 
Schönbach,  Die  Überlieferung  Bertolds  I  104 — 109.  Die  Ausführungen  des  Frater 
Ludovicus  berühren  sich  vielfach  mit  denen  Bertolds. 

1  BL  118'— 122. 

2  Rusticanus  de  Communi  Sanctorum  in  CLP  496  Nr  47  Bl.  33';  in  Clm  7961 
BL  lOr;  Clm  2699  Bl.  47^  vgL  Jakob  Nr  63. 


94  II-  Die  Predigten  des  Frater  Ludovicus. 

Bertold  über  den  gleichen  Gegenstand  in  verschiedenen  Predigten 
niedergelegt  hat  ^.  Dabei  benutzte  er  seine  Vorlage  sowohl  inhaltlich 
als  auch  formell  in  durchaus  freier  Weise.  Als  Pflichten  der  Männer 
bezeichnet  er:  1.  parentes  honorare;  2.  eleemosynam  dare;  3.  mun- 
diciam  seruare;  4.  operarios  remunerare ;  5.  diuinum  officium  fre- 
quentare;  6.  prolem  bene  educare;  als  die  der  Weiber:  1.  honorare 
soceros;  2.  diligere  maritum;  3.  regere  familiam;  4.  gubernare  domum; 
5.  in  Omnibus  irreprehensibilem  se  praebere.  ,Hec  docuerunt',  — 
mahnt  er  —  , parentes  Sare  ipsam  Saram  cum  recederet  ab  ipsis,  hec 
uos,  carissimas  filias  meas,  doceo  hodie,  ut  nequam  uiros  uestros  bonos 
faciatis,  uel  si  boni  sunt  meliores  fiant.  Non  seducant  uos  iste  in- 
cantatrices,  que  seducunt  uos.  Si  enim  demones  et  angeli  liberum 
arbitrium  cogere  possent,  nullus  in  claustro  maueret,  quem  demones 
non  seducerent ,  et  nullus  peccator  tam  malus ,  quem  angeli  deo 
non  adducerent.  Minus  enim  potest  uetula,  que  dicit  se  uelle  mutare 
animum  uiri.'  Der  Frater  wußte,  mit  wie  törichten  und  abergläubi- 
schen Mitteln  die  Frauen  seiner  Zeit  die  Liebe  ihrer  Männer  gewinnen 
und  sichern  wollten. 

5.  Über  die  Messe. 

Kurze  Bemerkungen  über  liturgische  Dinge  finden  sich  in  den 
Predigten  des  Frater  Ludovicus  vielfach  zerstreut.  Wir  übergehen 
dieselben  und  begnügen  uns,  seine  längere  Erklärung  der  Messe  hier 
vorzuführen. 

In  dem  Sermo  dominica  III  post  Pentecosten^  behandelt  der  Minorit 
das  Thema:  ,Manducat  Dominus  nobiscum  1.  in  contritione,  2.  in  com- 
munione,  3.  in  fruitione.'  Im  zweiten  Teile  erklärt  er  die  heilige  Messe 
wie  folgt: 

,Nota  quedam  de  missa,  que  rudia  sed  tamen  communi  populo 
utilia,   et   ideo   tantum   illa,    que  rudis  populus  intelligere  possit.     Si 


'  Es  kommen  hierbei  in  Betracht:  Rusticanus  de  Communi  Sanctorum ,  de 
Virginibus  in  CLP  496  Nr  33  (De  octo  generibus  hominum  in  matrimonio  constitiitis), 
Nr  34  (De  matrimonio);  De  Apostolis  Nr  4  u.  5  (Quomodo  vivere  debeant  patres 
familias  et  matres  familias)  und  Rusticanus  de  Sanctis,  de  s.  Caecilia  in  CLP 
498  Kl.  35'  (De  triplici  statu  coniugatorum,  uiduarum,  uirginum).  Bei  Jakob  haben 
diese  Sermones  die  Nummern  de  Communi  63  64  4  5  und  de  Sanctis  17.  Die  be- 
zeichneten Sermones  stehen  auch  in  Clm  7961  Bl.  5  7  90  102'  und  in  Chn  2950  BL  19. 

2  Bl.  51  52. 


Pflichten  der  Eheleute.     Meßerkläriing.  95 

quis   magistralicia  uelit,   recurrat  ad  exposicionem  domni  Innocencii^ 
et  aliorum. 

,Notandum  autem  quod  tria  fiunt  in  missa:  deus  pater  hoc  cultu 
adoratur  ....  Christi  passio  commemoratur  .  .  .  totalis  ecclesia  adiuuatur, 
militans  in  mundo,  uapulans  in  purgatorio,  triumphalis  in  celo.  In 
cuius  Signum  tres  digiti  ostenduntur,  cum  cruces  fiunt,  duo  manu  clau- 
duntur^,  quia  sunt  duo  genera  hominum,  quibus  non  prodest:  iam 
in  inferno  dampnatis  et  pueris  mortuis  non  baptizatis. 

,Quis  autem  instituerit  ac  quibus  commiserit  et  que  materia  esse 
debeat  et  conficientis  intencio,  omnia  pertranseo.  Item  de  uestibus 
sacerdotis,  que  omnia  habent  aliquid  figurare,  ut  humerale  uerecundiam, 
alba  innocenciam,  stola  patienciam,  mapula  constanciam,  casula  cari- 
tatem  ueram.     Et  hec  omnia  transeo  propter  tedium  auditorum. 

,Primo  accedens  sacerdos  ad  altare  ,antequam  incipiat,  altare  oscu- 
latur.  Significat  ^,  quod  adueniens  Christus  in  carne  sanctam  sibi 
ecclesiam  copulauit  iuxta  illud  Ct  1,  1 :  „Osculetur  me  osculo  oris  sui." 
Inicium  misse  significat  inicium  ecclesie  et  ideo  eins  inicium  uocatur 
introitus  et  significat  introitum  filii  dei  in  mundum  .  .  .  Introitus  dupli- 
catur,  quia  deus  et  homo  est.  „Gloria  patri"  interseritur,  quia  tota 
trinitas  operatur  *.  „Kyrie"  nouies  dicitur,  ut  ordo  decimus  ex  hominibus 
reparetur  et  neuem  ordinibus  angelorum  societur^;  uel  aliter  et  melius: 
nouies  clamamus  propter  neuem  genera  peccatorum  .  .  .  originale, 
ueniale,  mortale  .  .  .  quoad  mortale  et  ueniale  fiunt  corde  cogitando 
aut  ore  loquendo  aut  opere  perpetrando.'  ^ 

Das  ,Dominus  vobiscum'  wird  nach  Art  der  älteren  Meßerklärungen 
weitläufig   erläutert,    die  Lektion    und   das  Evangelium  werden   aber 
1  übergangen.     Das  Offertorium    und  die  drei  silentia  werden  kurz  er- 
wähnt.    Dann  fährt  der  Frater  fort: 


1  Jnnocentii  III  libri  6  de  sacro  altaris  mysterio  (Migne,  P.  L.  CCXVII 
763-916). 

-  Bei  der  Bekreuzung  der  heiligen  Hostie  und  des  Kelches  wird  der  Daumen 
mit  dem  Zeigefinger  geschlossen,  weil  beide  Finger  die  heilige  Hostie  berühren. 
Die  hier  gegebene  symbolische  Bedeutung  dieses  Gebrauches  ist  uns  noch  nicht 
vorgekommen. 

^  Nach  Innozenz  a.  a.  0.  1.  2,  c.  15,  S.  907. 

*  Ebd.  c.  18,  808 ;  vgl.  Bertolds  Meßpredigt  in  Rusticanus  de  Dominicis,  bei 
Franz  742.  ^  S.  oben  S.  23. 

^  Bei  Innozenz  (a.  a.  0.  1.  2,  c.  19,  S.  809)  weiter  ausgeführt. 


96  11.  Die  Predigten  des  Frater  Ludovicus. 

,Facit  hec  tria  sacerdos :  orat  instantissime,  inclinat  se  humillime, 
inuitat  adiutorium  ecclesie  triumphantis,  cum  se  uertit  et  dicit:  „Orate 
fratres."  Hec  tria  facias,  ut  exaudiaris.  Ores  et  in  hoc  silencio  pro 
peccatis  et  per  talem  modum :  „Fleo  id  est  queso,  Domine  deus  celi, 
magne,  fortis,  ut  audias  uocem  serui  tui,  qua  oro  ad  te."  Et  sequitur: 
„Peccauimus  uanitate  seducti"  etc.  Et  sequitur:  „Obsecro,  Domine,  ut 
sie  auris  tua  attendat  ad  oracionem  serui  tui"'  etc.  ^ 

Für  den  Kanon  gibt  er  folgende  Anweisungen:  ,In  hoc  petere 
debemus  pro  bono  fine,  quia  in  isto  memoria  fit  finis  et  mortis  Christi. 
In  isto  multa  notabilia  sunt  tam  in  signis  quam  in  inclinacionibus  et 
specialibus  oracionibus,  sed  omnibus  pretermissis  de  sola  eleuacione 
sancte  hostie  [dicemus]^. 

,Hic  nota,  quod  sacerdos  hostiam  eleuans  ecclesie  ostendit,  ut 
ex  hac  ipsa  recogitet  triplex  beneficium^:  preteritum  redempcionis,  quod 
Christus  sie  in  carne  eleuatus  ex  altissima  dileccione  in  altissima  pas- 
sione  seipsum  pro  nobis  obtulit  deo  patri ....  Item  beneficium  presens 
refeccionis,  unde  [se]  sub  forma  panis  tibi  ostendens;  ex  hoc  cogita, 
quod  ipse  est,  qui  te  pascit,  sine  ipso  ieiunas  et  fames  te  cruciat.  Item 
beneficium  futurum  beatificacionis  . , .  Sequitur  quintum  ^,  quod  incipit 
„Pater  noster"  et  durat  usque  ad  finem.  In  quo  sacerdos  communicat 
et  significat  illam  communionem,  que  erit  in  patria,  ubi  sine  cortice 
sacramento  communicabimus  .  . . 

,Post  missam  dicitur  benediccio,  que  significat  illam  benediccionem, 
quam  deus  in  futuro  [dabit],  cum  dicit:  „Venite  benedicti"  etc.  Tres 
cruces  fiunt^,  quia  triplex  premium  est :  substanciale,  consubstanciale, 
accidentale.  .  . .' 

Die  Meßpredigt  bietet  inhaltlich  ungefähr  dasselbe,  was  Bertold 
über  die  Messe  von  der  Kanzel  den  Laien  mitzuteilen  für  zweckmäßig 
hält.  Da  nach  der  damaligen  Anschauung  den  Laien  die  Kenntnis 
des  Kanons,    seiner   Gebete    und   Geheimnisse    versagt    wurde ^,    so 


^  Die  Anfänge  von  drei  damals  wahrscheinlich  auch  den  Laien  bekannten 
Gebeten. 

2  Über  die  Elevation  vgl.  Franz  101  102  656  662. 

3  S.  ebd.  744  die  abweichende  Deutung  Bertolds.  Die  in  der  zweiten  deutschen 
Predigt  Bertolds  (Deutsche  Predigten  II  684)  enthaltene  Deutung  entspricht  mehr 
der  Erklärung  des  Ludovicus.  *  Quintum,  d.  i.  der  fünfte  Teil  der  Messe. 

•'•  Auch  der  einfache  Priester  gab  damals  den  Segen  mittels  drei  Kreuzen. 
«  Vgl.  Franz  619  ff. 


Bertold  und  Ludovicus.     Die  Messe.  97 

mußten  die  Prediger  sich  damit  begnügen,  den  Laien  für  die  sog.  si- 
lentia  und  den  Kanon  praktische  Anweisungen  zu  geben.  Das  tut 
auch  der  Frater  Ludovicus.  Im  allgemeinen  hält  er  sich,  wie  die 
Nachweisungen  zeigen,  an  das  Werk  Innozenz'  IlL,  er  bietet  aber  auch 
abweichende,  eigenartige  Deutungen.  Da  er  seine  Absicht,  nur  das 
Notwendigste,  dem  gemeinen  Volke  Nützliche  und  Verständliche  zu 
bieten,  von  vornherein  kundgibt,  darf  die  Knappheit  und  Dürftigkeit 
der  Erklärung  nicht  befremden. 

Die  Predigten  des  Frater  Ludovicus  bezeugen  den  großen  Ein- 
fluß, welchen  Bertold  von  Regensburg  auf  die  Predigtweise  der 
deutschen  Minoriten  in  der  ihm  unmittelbar  folgenden  Generation 
ausgeübt  hat.  Schönbach  hat  das  bereits  früher  an  der  von  ihm 
behandelten  Grazer  Handschrift  730  gezeigt,  in  der  unter  andern 
Predigten  auch  die  Bertolds  benutzt  sind.  In  dem  Frater  Ludovicus 
aber  lernen  wir  einen  Prediger  kennen,  der  die  Methode  und  die 
Gedanken  des  berühmten  Missionspredigers  in  sich  aufgenommen  hat 
i  und  in  freier,  die  Selbständigkeit  wahrender  Nachahmung  verwertet. 
Unseres  Wissens  ist  noch  kein  deutscher  Minoritenprediger  als  Schüler 
Bertolds  so  nachgewiesen  worden,  wie  wir  dies  an  dem  Frater 
Ludovicus  tun  konnten.  Bertold  hat  auch  kaum,  einen  zweiten 
Schüler  gehabt,  der,  dem  Frater  Ludovicus  gleich,  seine  reiche 
Gedankenwelt  in  so  klarer  und  durchsichtiger  Darstellung  wieder- 
zugeben verstand.  Wir  glauben  daher  mit  unserer  Abhandlung 
über  den  Frater  Ludovicus  einen  willkommenen  Beitrag  zur  Wür- 
digung des  Einflusses  Bertolds  auf  die  Predigt  des  Mittelalters  ge- 
liefert zu  haben ,  —  eine  kleine  Vorarbeit  zu  der  von  dem  besten 
Kenner  des  Regensburger  Minoriten  gewünschten  Darstellung  der 
Bedeutung  Bertolds  für  die  Geschichte  der  deutschen  Kanzelbered- 
samkeit ^ 

Mit  der  Methode  Bertolds  übernahm  Frater  Ludovicus  auch  die 
übermäßige  Verwendung  der  alttestamentlichen  Typologie. 
Unserem  Empfinden  erscheint  es  seltsam  und  befremdlich,  wenn  die 
Söhne  und  Töchter  des  Dulders  Job  oder  die  12  Stäbe  Aarons  oder 
die   madianitischen  Könige    als  Repräsentanten   der   christlichen   und 


^  Schönbacli,  Die  Überlieferung  Bertolds  II  99. 
Franz,  Drei  deutsche  Minoritenprediger. 


98  n.  Die  Predigten  des  Frater  Ludovicus. 

bürgerlichen  Stände  vorgeführt  und  zahlreiche  alttestamentliche  Per- 
sonen als  Folien  für  moralische  Belehrungen  benutzt  werden.  Das 
gehörte  indessen  zu  den  homiletischen  Gewohnheiten  der  mittelalter- 
lichen Prediger,  die  über  eine  tüchtige  Kenntnis  der  historischen 
Bücher  des  Alten  Testamentes  verfügten  und  dieselbe  geschickt  aus- 
zunutzen verstanden.  Wir  machten  bereits  bei  Konrad  von  Sachsen 
darauf  aufmerksam.  Es  war  für  die  Prediger  auch  nicht  schwer, 
das  notwendige  Material  zu  finden :  die  Glossa  ordinaria  bot  dasselbe 
in  bequemer  Form.  Welches  Gewicht  man  darauf  legte,  zeigt  das 
sorgfältig  gearbeitete  Register  über  die  biblischen  Erzählungen  in 
unserem  CLP  719. 

Allerdings  blieb  diese  Manier  auch  nicht  ohne  Anfechtungen. 
Der  Satiriker  Nikolaus  von  Bibra  tadelt,  daß  die  Prediger,  d.  h.  bei 
ihm  die  Minoriten  und  Dominikaner,  ihre  Themata  meist  aus  dem 
Alten  Testament  und  der  Heiligenlegende  nehmen. 

Fratres  quid  facitis,  qui  rura  domosque  peritis? 

Cur  non  arguitis  ea  que  fieri  mala  scitis? 

Est  sermo  vester  hodie  de  Judith  et  Hester,  •  t 

De  Mardocheo,  de  Simone  vel  Fariseo, 

Nunc  de  Matheo  vel  de  Juda  Macliabeo !  .  .  . 

Nunc  de  Francisco,  de  Baptiste  modo  disco, 

Et  sicut  scitis,  aliquando  de  Ninivitis. 

Et  modo  de  papa,  quod  pluribus  est  quasi  rapa. 

Nunc  de  pontifice,  modo  de  Rahab  meretrice  ...  m 

Ista  satis  constant,  praesentia  tempora  non  stant 

Sicut  preterita,  quia  pluribus  est  mala  vita, 

Ergo  boni  fratres,  quos  mundus  habet  quasi  patres, 

Hoc  attendatis,  et  quando  vetus  recitatis, 

Admiscite  novum  vel  sermo  non  valet  ovum  : 

Dico  novum  quod  heri  vel  cras  contigit  haberi  '. 

Der  Tadel  des  Satirikers  konnte  auch  Bertold  und  Ludovicus 
bezüglich  der  übermäßigen  Typologie  treffen,  sicherlich  aber  nicht 
bezüglich  der  Vernachlässigung  der  sittlichen  Bedürfnisse  des 
Volkes.  Was  der  Satiriker  in  diesem  Punkte  wünscht,  haben  beide 
Prediger  in   reichstem  Maße   und   mit   wahrhaft   apostolischem  Frei- 


1  Nicolai  de  Biber a  Carmen  satiricum  V.  1214—1218  1243—1246  1249 
bis  1254,  S.  79  80.  Die  Aufzählung  der  angeblich  tadelnswerten  Predigtthemata 
geht  von  V.  1216-1248.  Das  Gedicht  ist  1281  — 1283  in  Thüringen  verfaßt.  Über 
Nikolaus  vgl.  Michael  III  308  ff. 


Typologie.     Nikolaus  von  Bibra.     Stände :  Klerus  und  Adel.  99 

mute  geleistet^.  Mit  schonungsloser  Offenheit  geißelt,  wie  wir  ge- 
zeigt haben,  Frater  Ludovicus  die  Gebrechen  der  Zeit  und  die  Laster 
und  Fehler  der  einzelnen  Stände.  Er  hat  von  Bertold  die  Methode, 
viele  Gedanken  und  auch  die  Rücksichtslosigkeit  gelernt,  mit  welcher 
er  in  die  Gewissen  dringt  und  die  Sündenneigung  bis  in  die  letzten 
Schlupfwinkel  verfolgt.  Wie  ernst  klingen  die  Mahnungen  und 
Warnungen,  die  er  an  den  Welt-  und  Regularklerus  richtet!  Gutes 
Beispiel,  Wissenschaft  und  Seeleneifer  fordert  er  von  jenen,  diese 
aber  warnt  er  vor  Heuchelei  und  vor  dem  eiteln  Pochen  auf  den 
Ordenshabit  und  den  heiligen  Ordensstifter.  Wie  töricht  ist  es,  Gott 
betrügen  zu  wollen,  wie  es  viele  Mönche  tun,  welche  außer  der  ihnen 
auferlegten  Buße  ohne  den  körperlichen  Zwang  der  Obern  wenig 
oder  nichts  Gutes  tun  würden  2. 

Die  Adligen  und  Reichen  warnt  er  vor  falschem  Vertrauen 
auf  ihre  Stiftungen  für  Kirchen  und  Klöster,  auf  Almosen  und  Wall- 
fahrten ;  denn  das  alles  sei  nutzlos  ohne  wahre  Bekehrung.  Mit  den 
,milites',  den  Rittern  und  Kriegsknechten,  unter  deren  Bedrückungen 
das  Volk  seufzte,  geht  er  wiederholt  ernst  ins  Gericht.  Er  erinnert 
sie  an  die  Weihe  ihres  Schwertes,  das  zum  Schutze  der  Kirche  und 
der  Wehrlosen  dienen  soll.  Sie  sollen  der  Mahnung  des  hl.  Johannes 
des  Täufers  eingedenk  sein.  Aber  die  Ritter  und  Adligen  wollen 
—  klagt  er  —  von  der  Schule  der  Buße,  zu  welcher  der  Täufer  ein- 
ladet, nichts  wissen:  ,Hii  discipuli  fiunt  semel  in  anno,  sc.  in  Quadra- 
gesima,  sed  de  scolis  loannis  fugiunt  id  est  de  penitencia.  Post 
pascha  dicunt:  „Quid  faciemus  et  nos?"  (Lc  3,  14).  0  humilis  inter- 
rogacio,  dummodo  uera!' 

An  den  ,mercatores' ,  den '  Kauf leuten,  rügt  er  immer  und 
immer   den   Betrug   im   Preise,   in   der  Ware   und  im    Gewicht,    den 

'  Nikolaus  fordert  V.  1885—1388,  S.  83: 

Dicite  vendenti  diversas  res  et  ementi, 
Quod  male  non  iuret  nee  quemquam  fallere  curet, 
Et  quod  ab  usuris  caveat,  quoniam  vice  muris 
Istud  corrodit  animam;  scelus  hoc  deus  odit. 
Das  und  noch  andere  Standeslehren,    welche  Nikolaus  vermißt,  sind  wiederholt  bei 
Ludovicus  zu  lesen.    Man  sieht  auch  daraus,  daß  Nikolaus  maßlos  übertreibt.    Vgl. 
Michael  a.  a.  0. 

2  Sermo  5  de  Apostolis  Bl.  90:  ,.  .  .  qui  seruiunt  fraudulenter,  qui  coacti  fa- 
ciunt  bonum  ut  multi  religiosi,  quibus  si  non  esset  penitencia  taxata  uel  si  corpo- 
raliter  non  cogerentur  a  superioribus  parum  uel  nihil  boni  facerent'. 

7* 


IQO  II.  Die  Predigten  des  Frater  Ludovicus. 

Wucher,  an  den  ,niechanici',  den  Handwerkern,  die  Lüge,  den 
Betrug,  und  an  beiden  das  leichtfertige  Schwören.  Mit  nachdrück- 
lichem Ernste  und  unter  Drohungen  der  ewigen  Verdammnis  for- 
dert er  vom  Betrüger  und  Wucherer  die  volle  Restitution  und 
warnt  sie  vor  dem  Wahne,  daß  sie  sich  durch  Almosen  an  Klöster 
und  Kirchen  oder  durch  Dotierung  einer  Tochter,  die  sie  ins 
Kloster  schicken,  von  der  Verpflichtung  der  vollen  Restitution  frei 
machen  können.  Wenn  das  Schifflein  des  Lebens ,  sagt  er ,  zu 
schwer  beladen  ist ,  sinkt  es.  So  ist  es  mit  dem  Schiflflein  des 
Habsüchtigen,  dem  der  Hunger  nach  Gold  und  das  Sammeln  von 
Schätzen  keine  Zeit  zum  Beten ,  Beichten  und  Predigthören  läßt. 
Das  Schifflein  sinkt,  wenn  es  ungleich  beladen  ist.  ,Hoc  fit  in  tua 
naui,  0  auare,  quando  cum  una  mensura  uendis  et  cum  maiore 
empta  recipis.  Die  qualiter  in  frumento,  uino  etc.  Et  hoc  deus 
prohibuit  Dt  25,  13:  Non  habebis  in  sacculo  diuersa  pondera,  malus 
et  minus.  Tercio,  si  negligenter  gubernetur,  illa  submergitur;  quia 
si  homo  negligens  est  in  empcione,  negligenter  ducit  nauem  suam 
et  dampnatur.  Ista  negligencia  fit  multipliciter  et  maxime  elemo- 
sinis  modicis,  quando  tradunt  filias  suas  ad  claustra  et  quidquid  cum 
ipsis  dant,  per  modum  elemosine  dant,  xx  marcas  dant,  CC  illicite 
conquisierunt.'  ^ 

Besondere  Liebe  bezeigt  der  Prediger  dem  Stande  der  Bauern 
und  den  Armen.  Ihr  hartes  Los,  meint  er,  könnte  für  sie  eine 
Schule  für  den  Himmel  sein ;  aber  ihre  Standessünden  —  Lauheit  im 
Dienste  Gottes,  Diebstahl,  Meineid  und  Trunksucht  —  bewirken,  daß 
ihre  harte  Arbeit  verdienstlos  bleibt. 

Die  Frauen  endlich  warnt  er  vor  dem  Hochmut  und  der  Ge- 
fallsucht. Sie  könnten  leicht  heilig  werden,  wenn  sie  diese  Laster 
nicht  hätten.  Der  Teufel  kredenzt  ihnen  den  Becher  des  Hochmutes: 
,0  quot  mulieres  ex  hoc  capite  inebriauit' 2.  Im  übrigen  werden  die 
Frauen  mit  großer  Hochachtung  behandelt,  was  wir  mit  um  so 
stärkerem  Nachdruck  hervorheben  wollen,  je  zuversichtlicher  in  letzter 
Zeit  die  Behauptung  von  einer  grundsätzlichen  Verachtung  der  Frauen 
im  Mittelalter  aufgetreten  ist. 


'  Sermo  domiiiica  IV  post  Epipli.  Hl.   14.     Vgl.  oben  S.  84. 

^  Sermo  domiuica  1  in  Quadragesiina  Bl.  19' — 20.  - 


G 
V 


Stände:  Kaufleute,  Handwerker,  Bauern.  101 

Der  Teufel  geht  auf  den  sieben  Straßen  der  Welt  —  der 
platea  militum,  mercatorum,  dominarum,  mechanicorum,  religiosorum, 
clericorum ,  rusticorum  —  und  trinkt  auf  jeder  dieser  Straßen  den 
Wanderern  aus  dem  für  letztere  am  meisten  verführerischen  Becher 
zu^:  Unzucht,  Habsucht,  Stolz,  Trug  usw.  ,Et  heul'  —  schließt  er  — 
,tot  iam  inebriauit  temptacio  carnalis  et  spiritualis,  ut  uerum  uideatur 
quod  docitur  Apc  17,  2:  „Inebriati  sunt  omnes  qui  inhabitant  terram 
de  uino  prostitucionis  [eins]."  Nota  quod  dicit:  mulier  fuit  ornata, 
ciphus  aureus,  potus  nobilis  (Apc  17,  4).  Hec  tria  specialiter  in 
dileccione  alliciunt.  Per  mulierem  temptacio,  quia  mollis  quasi  mulier, 
per  ciphum  quem  probet,  delectacio,  per  uinum  in  cipho  delectacionis 
dulcedo.  Bibe  fortiter,  o  peccator,  o  superba  mulier,  o  fornicator! 
Vinum  hoc  tamen  soluit  duo  id  est  corpus  et  animam.  Ebrius  es, 
euome  cito  in  confessione  et  saluaberis.'^ 

Wenn  Frater  Bertold  und  Frater  Ludovicus  den  unteren  Ständen 
schonungslos  ihre  Gebrechen  vorhalten  und  mit  heiligem  Ernste  auf 
die  Erfüllung  der  göttlichen  Gebote  dringen,  so  konnten  sie  dies  um 
so  fester  und  zuversichtlicher  tun,  als  jene  Stände  in  den  Minoriten- 
predigern  die  wärmsten  Vertreter  ihrer  Interessen  verehren  durften. 
Denn  in  jenen  Zeiten  frevelnder  Gewalttat  und  mangelhaften  Rechts- 
schutzes erwiesen  sich  die  Minoriten  als  die  beredtesten  Verteidiger 
der  vielfach  bedrückten  Bauern  und  Armen.  Mit  welch  apostolischem 
Freimute  kennzeichnen  und  strafen  sie  die  Ungerechtigkeit  der 
Mächtigen,  die  Bedrückungen  der  Bauern  durch  die  Grundherren,  die 
Habsucht  der  Beamten !  In  heiligem  Zorne  erinnern  sie  die  Bedrücker 
an  das  Verdammungsurteil,  welches  Gott  in  der  Heiligen  Schrift  über 
die  Verfolger  der  Armen  ausspricht.  Diese  freimütige  Vertretung 
der  Armen  gehörte  noch  lange  hin  zu  den  schönsten  Privilegien  der 


1  Ebd. 

2  Der  Sermo  in  die  cinerum  Bl.  160' — 164'  derselben  Hs  behandelt  das  gleiche 
Thema  unter  dem  Bilde  der  sieben  Töchter  des  Teufels:  1.  Simonia  —  die  Prälaten 
und  Kleriker,  2.  hypocrisis  —  Mönche,  3.  rapina  —  milites  et  principes,  4,  usura  — 
burgenses  (Städter),  5.  fraus  —  mercatores,  6,  superbia  —  mulieres,  7.  luxuria  — 
omnes.  Bertold  stellt  in  dem  Sermo  ,De  sex  generibus  que  diabolus  intoxicare 
nititur  per  sex  genera  ueneni'  folgendes  Schema  auf:  Clerici  —  negligentia  ani- 
marum,  milites  —  exactio  sive  rapina,  mercatores  et  mechanici  —  frans,  feminae  — 
superbia ,  iuvenes  —  luxuria ,  omnes  —  dilatio  poenitentiae.  Rustic.  de  Sanctis 
Nr  20  CLP  498;  auch  in  Clm  2950  Bl.  108"';  vgl.  Jakob  Nr  10. 


102  II-  I^'ß  Predigten  des  Frater  Ludovicus. 

Predigt  der  Minderbrüder.  So  geißelt  ein  anderer  Minoritenprediger 
die  Adligen,  Ritter  und  Advokaten  aJs  , Unterdrücker  und  Räuber 
der  Armen'.  Denn,  ,wenn  sie  Kriegsdienste  tun  sollen,  oder  ihre 
Töchter  verheiraten  oder  ihren  Frauen  Schmuck  kaufen  oder  zum 
Turnier  ziehen  wollen  —  immer  stehlen  sie  die  Kosten  dazu  den 
Armen'  i.  Und  was  die  Herren  nicht  tun ,  das  besorgen  ihre 
Beamten.  Ein  Minorit  vergleicht  darum  die  Beamten  (officiati 
dominorum)  mit  dem  Sperber,  einem  zwar  kleinen,  aber  überaus  raub- 
süchtigen Vogel.  Sie  erpressen  von  den  Armen ,  was  sie  immer 
können,  sind  nimmer  zu  befriedigen  und  hetzen  obendrein  noch  ihre 
Herren  gegen  die  Armen  2.  Wenn  die  niederen  Stände  hörten,  wie 
hart  die  Prediger  die  Vergehen  ihrer  Bedrücker  züchtigten,  öffneten 
sie  um  so  bereitwilliger  ihren  Strafreden  Ohr  und  Herz. 

Aus  den  Predigten  der  Minoriten  Bertold  und  Ludovicus  tritt 
uns  die  volle  Strenge  der  christlichen  Sittenlehre  entgegen.  Zuweilen 
scheinen  sie  allzu  streng  in  ihren  Ausführungen  zu  sein;  sie  mahnen 
darum  selbst  die  Prediger,  welche  sie  benutzen,  zur  Vorsicht,  um 
nicht  durch  allzu  große  Härte  zu  schaden.  So  schließt  der  Frater 
Ludovicus  seine  Erörterung  über  die  Notwendigkeit,  nicht  bloß  aus 
,timor  seruilis',  sondern  aus  Liebe  zu  Gott  Gutes  zu  tun,  mit  der 
Warnung :  .Hoc  caute  procede  propter  scandalum  et  ignorantem  rudi- 
tatem  ne  forte  nimis  emungas  et  sanguinem  elicias.'  ^ 

Dem  betrachtenden  Blicke  des  Fraters  bot  die  Welt  in  ihrem 
liebelosen,  Christus  entfremdeten  Treiben,  mit  ihrer  Habsucht,  Gewalt- 
tat und  Sinnenlust  einen  betrübenden  Widerspruch  gegen  den  sitt- 
lichen Ernst  der  christlichen  Lehre.  Auch  in  der  Kirche  sah  er  den 
Geist   der   Welt   übermächtig   werden.     Er   verzagte   an    der   Über- 


1  CLP  719  Bl.  299. 

^  CLP  719  BL  279:  ,Nisus  auis  parua,  sed  rapax,  cupida  .  ..;  hec  parua 
rapit,  quia  maiora  non  potest.  .  .  .  Ista  auis  signat  officiatos  dominorum,  qui  ualde 
raptores  sunt,  sed  parua  rapiunt;  isti  uaccam,  isti  uestem,  quia  maiora  non  pos- 
sunt.  Item  appetunt  rapere,  quod  eciam  dominis  eorum  placeat.  quia  os  paruum 
non  est  hereditas  eorum.  Unde  destructionera  pauperum  non  curant.  Propter 
timorem  multa  fodiuntur  in  terra,  qua  ante  tempora  antichristi  non  inuenientur. 
Hü  sunt  ministri  Nabuchodonosor,  qui  fornacem  septuplum  quam  consueuerunt  in- 
cendebant,  ut  innocentes  criminarent.  Fornaces  sunt  corda  dominorum,  quos  in- 
cenduut,  quando  per  suggestionem  eos  sollicitant,  ut  pauperes  rodant  .  .  .' 

^  Sermo  5  de  Apostolis  Bl.  90. 


Gegen  die  Bedrücker  der  Armen.  103 

Windung  der  dämonischen  Gewalten,  welche  in  Welt  und  Kirche  die 
Obmacht  erlangt  hatten.  Darum  ersehnte  er  mit  allen  jenen,  die 
treu  zu  Christus  hielten,  das  Ende  dieser  Welt  voll  Sünde  und  Bos- 
heit und  die  Wiederkunft  des  Erlösers.  Und  die  Zeichen  der  Zeit 
schienen  sie  anzukündigen.  Er  glaubte  sie  als  Vorboten  der  letzten 
Tage  deuten  zu  dürfen  und  begrülste  sie  als  die  Verkündiger  des 
großen  Gerichtstages,  an  welchem  der  Teufel  und  sein  Anhang  ge- 
stürzt und  das  Reich  Gottes  siegreich  zur  Vollendung  geführt 
werden  wird^. 


^  Erst  während  des  Druckes  gelangte  der  dritte  Teil  von  Schönbachs 
Untersuchungen  über  ,die  Überlieferung  der  Werke  Bertolds  von  Regensburg*  in 
unsere  Hände.  Darin  wird  S.  97  wahrscheinlich  gemacht,  daß  Bertold  seine  Aus- 
bildung in  dem  Minoriten-Studium  zu  Magdeburg  erhalten  hat.  Man  darf  wohl 
annehmen,  daß  er  auch  noch  später  Beziehungen  zur  sächsischen  Minoritenprovinz 
gepflegt  habe.  Die  geistige  Verbindung  mit  den  sächsischen  Minoriten,  welche 
Frater  Ludovicus  repräsentiert,  wäre  somit  auch  äußerlich  erwiesen. 


m. 


Die  Predigten  des  Greculus. 


Hl' 


•«:: 


Im  14.  Jahrhundert  tritt  in  der  homiletischen  Literatur  eine  Samm- 
lung von  Sonntagspredigten  auf,  welche  den  Titel  ,Greculus', 
, Piper',  ,Flores  apostolorum',  ,Flores',  führt.  Ihre  Verbreitung  ist, 
soweit  sich  übersehen  läßt,  auf  österreichische,  steierische,  böhmische 
und  Bamberger  Klöster  beschränkt.  Um  vieles  geringer  war  die  Ver- 
breitung des  Zyklus  von  Festtagspredigten,  welcher  ebenfalls 
den  Titel  ,Greculus'  trägt;  wir  kennen  nur  ein  einziges  Exemplar. 

Unserer  Abhandlung  über  die  Predigtsammlungen  des  Greculus 
legen  wir  zwei  Handschriften  des  Chorherrenstiftes  St  Florian  in  Ober- 
österreich zu  Grunde.  Die  eine,  CFl.  XI  342,  enthält  die  Sonntags- 
predigten,   die   andere,    CFl.  XI  289,    die  Heiligenpredigten. 

Der  CFl.  XI  342  ist  eine  Papierhandschrift  aus  der  zweiten  Hälfte 
des  14.  Jahrhunderts,  29X22  cm  groß  und  zweispaltig  geschrieben^. 
Der  gepresste  Lederband  ist  alt.  Die  Handschrift  zählte  ursprünglich 
158  Blätter,  jetzt  nur  157 ;  von  dem  einen  herausgerissenen  Blatte 
wird  noch  die  Rede  sein.  Der  spätere  Zähler  rechnet  nur  156  Blätter, 
da  er  das  zwischen  146  und  147  stehende  Blatt  zu  zählen  vergessen 
hat.  Blatt  1  enthält  den  Eigentumsvermerk:  ,Iste  liber  est  mona- 
sterii  sancti  Floriani  patauiensis  diocesis.'  Das  Buch  ist  auch  in 
St  Florian  geschrieben. 

Außer  den  Sonntagspredigten  des  Greculus  (Bl.  1 — 139')  enthält 
die  Handschrift  verschiedene  Sermones,  die  uns  hier  nicht  interessieren, 
wir  haben  es  nur  mit  den  Sonntagspredigten  zu  tun.  Diese  , Sermones 
de  tempore'  werden  am  Schlüsse  bezeichnet  als  , Greculus  de  tempore 
per  circulum  anni'.  Es  sind  im  Ganzen  177  Sermones.  In  dem  CFl.  XI  342 
fehlt  zwischen  Bl.  81  und  82  ein  Blatt;  dasselbe  enthielt,  wie  aus 
dem  CLb  130  und  dem  CVP.  1645  hervorgeht,  den  Schluß  des  Sermo  2 
de   dominica  intra  octavam  ascensionis  Domini  und  den  größten  Teil 


»  Vgl.  auch  Czerny  139. 


108  m«  I^iö  Predigten  des  Greculus. 

des  3.  Sermo  de  dominica  infra  octavam  ascensionis  Domini,  der  aber 
im  CFl.  XI  342  als  Sermo  in  pentecoste  rubriziert  war,  da  der  folgende 
Sermo  mit  ,ad  idem'  sc.  festum  pentecostes  bezeichnet  ist.  Der  Schluß 
dieses  Sermo  steht  im  CFl.  XI  342  auf  Bl.  82' ^  i 

Dieselbe  Sammlung  steht  auch  im  CLb  130,  einer  Papierhand- 
schrift des  Benediktinerstiftes  Lambach  aus  dem  Jahre  1388  ^.  Der 
Verfasser  wird  weder  am  Anfange  noch  am  Schlüsse  der  Sammlung 
genannt;  aber  eine  Hand  aus  dem  15.  Jahrhundert  hat  in  einem 
Eintrage  auf  dem  Deckel  vermerkt:  , Greculus  de  tempore'.  Die 
Handschrift  enthält  außerdem  Sermones  de  Sanctis,  die  dem  Greculus 
nicht  angehören  und  ,pronunciamenta',  d.  i.  kurze  vitae  sanctorum  vom 
1.  Januar  bis  31.  Dezember,  Auszüge  aus  der  Legenda  aurea,  offen- 
bar zur  Vorlesung  bestimmt.  Am  Schlüsse  des  Greculus  steht  eine 
Predigt  auf  das  Fest  des  hl.  Thomas,  in  welcher  die  Legende  erzählt 
wird,  nach  welcher  bei  der  Feier  des  Festes  in  Indien  der  hl.  Thomas 
selbst  anwesend  ist  und  bei  der  Austeilung  der  heiligen  Kommunion 
Wunder  wirkt.  Wackernagel  ^  hat  den  Bericht  darüber  aus  einer 
Baseler  Handschrift  publiziert.  Die  Lambacher  Handschrift  enthält 
eine  Anzahl  deutscher  Glossen,  so  Bl.  203'^  die  Verdeutschung 
einiger  Titel  von  biblischen  Büchern  z.  B.  liber  Machabaeorum  ,puch 
der  vechter',  canticum  canticorum  ,puch  gotleicher  lieb'.  Auch  im 
Greculus  finden  sich  deutsche  Glossen.  Der  CLb  bietet  im  Greculus 
de  tempore  eine  Predigt  mehr  als  der  CFl.  XI  345,  nämlich  den 
Sermo  dominica  I  post  Epiphaniam  über  den  Text :  ,Viri  diligite  uxores 
vestras.'     Auch  sonstige  Differenzen  finden  sich. 

Die  älteste  Handschrift  des  Greculus  de  tempore  enthält  CLinc. 
Cc  IV  22^  eine  aus  dem  Cistercienserstifte  Baumgartenberg  stammende, 
jetzt  in  Linz  a./D.  befindliche  Pergamenthandschrift.  Der  etwas 
spätere  Titel  lautet:  ,Flores  apostolorum'.  Am  Schlüsse  steht:  ,Ex- 
plicit  flores  apostolorum  scriptus  per  manum  Alberti  de  Leubsa  anno 
Domini  MCCCXLI.  Explicit  flores  apostolorum  correctus  per  manus 
H.  de  Geysa.  Deo  gracias.'  Die  Worte  ,flores  apostolorum'  sind  beidemal 

: ^■ 

1  Bl.  183'": 

Finito  libro  sit  laus  et  gloria  Christo. 
Explicit  iste  liber,  sit  scriptor  criniine  liber. 

Explicit  iste  liber  anno  Domini  MCCCLXXXVIII  in  uigilia  pentecosten. 

2  Altdeutsche  Predigten,  Basel  1876,  256—258. 


Die  Handschriften.  109 

auf  Rasur  geschrieben.  Daß  ursprünglich  ,Greculus'  da  gestanden  hat, 
machen  die  stehen  gebliebenen  Worte  ,explicit'  und  ,correctus'  wahr- 
scheinlich. 

Um  wenige  Jahre  jünger  ist  die  Pergamenthandschrift  CVP.  1645. 
Mit  Bl.  1  beginnt,  wie  der  spätere  Titel  lautet,  ,Greculus  de  tempore 
et  de  Sanctis',  wozu  am  Rande  bemerkt  wird :  ,non  est  grecus  doctor'. 
Die  Sermones  de  tempore  schließen  Bl.  129'""  mit  dem  Vermerk: 
,Explicit  opus  Greculi  de  tempore  per  circulum  anni.  Finis  adest 
operis,  mercedem  posco  laboris.'  Sermones  de  Sanctis  sind  nur  wenige 
aufgenommen;  sie  gehören  dem  Greculus  nicht  an.  Da  der  in  der 
Handschrift  stehende  Kalender  mit  1348  beginnt,  darf  man  die  Hs  in 
diese  Zeit  verlegen.  Eine  Vergleichung  der  hier  stehenden  Sermones  de 
tempore  mit  dem  CFl.  XI  342  ergibt,  daß  im  CVP.  1645  die  Reihen- 
folge der  für  die  einzelnen  Sonntage  bestimmten  Sermones  häufig  eine 
andere,  und  daß  hin  und  wieder  ein  Sermo  weggelassen  oder  auch 
mehr  aufgenommen  ist. 

Dem  15.  Jahrhundert  entstammt  CScot.  52,  welcher  Bl.  1 — 104' 
den  Greculus  enthält  i. 

In  der  Bamberg  er  königlichen  Bibliothek  sind  unsere  Sonntags- 
predigten viermal  vertreten,  und  zwar:  a)  CBg.  Q.  II  39  (Nr  35) ^ 
unter  dem  Titel  ,Flores  apostolorum'.  Hier  beginnt  der  Zyklus  mit 
der  2.  Predigt  für  den  1.  Adventssonntag,  b)  CBg.  Q.  II  5  (Nr  36)^ 
(geschrieben  zwischen  1445 — 1447)  unter  dem  Titel  ,Flores  de  tem- 
pore'. Der  Zyklus  beginnt  hier  mit  dem  Osterfeste,  bringt  also  die 
pars  aestivalis  zuerst,  dann  erst  mit  dem  1.  Adventsonntage  die 
pars  hiemalis;  es  kommen  auch  sonstige  Unregelmäßigkeiten  in  der 
Reihenfolge  vor.  c)  In  CBg.  Q.  V  72  Bl.  1—173  (Nr  154)  *  als  ,Flores 
de  tempore',  d)  CBg.  Q.  II  30  (Nr  20)  ^  Hier  heißt  der  Zyklus 
,Mauricii  sermones  de  tempore, ;  er  beginnt  wie  in  CBg.  Q.  II  39. 
Am  Schlüsse  wird  er  aber  ,piper'  genannt:  ,Explicit  piper  de  tem- 
pore domini  Mauricii  finitus  per  manus  Clementis  de  daplicz  sub 
anno  domini  1367.' 


^  Bl.    104':    ,Explicit   greculus    per   manus   domini    Thome    de  Wolkenstayn. 
Vgl.  Hübl  50. 


2  Katalog  der  Bamberger  Hss  I  589.  ^  e^^j    590, 


'  Ebd.  738.     Eine    unvollständige  Abschrift    enthält    CBg.   Q.  V  69    (Nr  153) 
ebd.  737.  ^  Ebd.  573. 


wo  III.  Die  Predigten  des  Greculus. 

Die  gleiche  Bezeichnung  ,piper'  trägt  der  Zyklus  in  der  Os seger 
Pergamenthandschrift  34  aus  dem  14.  Jahrhundert  ^.  Leider  fehlt  eine 
Beschreibung;  daß  er  aber  die  Sonntagspredigten  unseres  Greculus 
enthält ,  ergibt  sich  aus  dem  Verweise  auf  B  a  1  b  i  n  u  s'  Bohemia 
docta^,  wo  der  Anfang  der  ersten  Adventspredigt  angeführt  und  be- 
merkt wird:  ,Sermones  dominicales  per  annum,  qui  explicant  magna 
parte  evangelia  dominicalia ;  dicuntur  isti  sermones  apud  antiquos 
Piper.'  Damit  ist  der  uns  bekannte  Handschriftenbestand  der  Sonn- 
tagspredigten abgeschlossen. 

Von  den  Festtagspredigten  liegt  uns  nur  eine  einzige  Ab- 
schrift vor  in  der  aus  der  Mitte  des  14.  Jahrhunderts  stammenden  Perga- 
menthandschrift CFl.  XI  289  Bl.  1—863.  Der  Zyklus  ist  von  gleich- 
zeitiger Hand  überschrieben:  ,Opus  greculi  de  sanctis  per  circulum 
anni'.  Er  beginnt  mit  St.  Andreas  und  schließt  mit  einer  Predigt  auf 
das  Fest  Maria  Geburt,  ist  daher  unvollständig.  Der  Schreiber  hatte 
offenbar  die  Absicht,  den  Zyklus  zu  vervollständigen  und  ließ  darum  die 
Blätter  87 — 90  der  Handschrift  frei  * ;  er  hat  indessen  seine  Absicht  nicht 
ausgeführt.  Weder  in  den  Sonntags-  noch  in  den  Festtagspredigten 
finden  sich  Notizen,  aus  welchen  die  Identität  der  Verfasser  beider 
Zyklen  geschlossen  werden  könnte.  Wir  sind  lediglich  auf  den  Namen 
angewiesen,  den  die  Predigtwerke  der  Florianerhandschriften  342  und 
289  tragen.  Bestätigt  wird  unsere  Annahme  durch  die  Notiz  in  einer 
Marienpredigt  des  der  Mitte  des  14.  Jahrhunderts  angehörigen  Clm  7695, 
in  welcher  bezüglich  der  Prärogativen  der  heiligen  Jungfrau  auf  Greculus 
verwiesen  wird^.  Im  übrigen  flößen  Inhalt  und  Form  beider  Zyklen 
keine  Bedenken  gegen  die  Identität  der  Verfasser  ein.  Die  von  Linsen- 
mayer ^  als  , Greculus  de  sanctis'  bezeichneten  beiden  Münchener  Hand- 


'  Die  Hss-Verzeiclmisse  der  Cistercienserstifte  Österreichs  II  134. 

2  111  206  (Pragae  1780).  ^  yg]^  Czerny  121. 

^  Von  Bl.  91  —  137  stehen  umfangreiche  , Sermones  synodales',  Bl.  138 — 230 
meist  Marienpredigten,  Bl.  169  zwei  Predigten  über  den  hl.  Petrus  Martyr.  Bl.  140 
eine  Predigt  ,de  resurrectione  Domini';  Bl.  193  zwei  Marienpredigten  ,fratris  Be- 
reiigerii'  und  Bl.  199  eine  solche  ,fratris  Bernardi'.  Der  erstere  ist  der  Domini- 
kaner Berenger  Notarii  (f  1296) ,  der  letztere  vielleicht  sein  Ordensgenosse,  Ber- 
nard d'Auvergne,  1285  Prior  in  Paris  (Lccoy,  La  chaire  499  506).  Auch  in  den 
Synodalreden  zeigen  sich  Spuren  französischer  Herkunft. 

'•>  Bl.  174"':  ,Et  de  hoc  quere  in  greculo.'  Vgl.  die  Sermones  24  31  32  70 
des  CFl.  XI  289. 

•^  S.  169. 


Die  Handschriften.     Name  der  Predigtsammlung.  Hl 

Schriften  —  Clm  12691  und  9730  —  repräsentieren  nicht  den  Gre- 
culus,  sondern  einen  unbekannten  Prediger,  dessen  Eigenart  an  anderer 
Stelle  behandelt  werden  soll;  Clm  12  691  trägt  allerdings  den  Titel 
,Grreculus  de  sanctis',  aber  von  späterer  Hand. 

Die  Bezeichnung  der  Sonntagspredigten  mit  ,Flores  aposto- 
lorum'  oder  ,Flores  temporum'  erklärt  sich  von  selbst.  Dafür 
gab  es  Vorgänge.  Der  Zyklus  von  Predigten,  welchen  der  dem  13.  Jahr- 
hundert entstammende  Clm  21540  enthält,  wird  ebenfalls  ,Flores 
apostolorum'  genannt.  Schwieriger  ist  die  Erklärung  der  Bezeichnung 
,Piper'.  Es  ist  auffallend,  daß  diese  sich  nur  in  den  aus  Böhmen 
stammenden  Handschriften  findet.  CBg.  Q.  II  30  ist,  wie  der  Schluß- 
vermerk zeigt,  von  einem  der  tschechischen  Sprache  kundigen  Schreiber 
geschrieben.  Die  Sammlung  heißt  hier  ,piper  domini  Mauricii'.  Daß 
der  Verfasser  der  Predigten  Mauritius  geheißen  habe,  ist  sonst  nicht 
bezeugt;  jedenfalls  war  er  kein  , dominus  Mauricius'^,  sondern  ein  ein- 
facher Frater.  Vielleicht  erhielten  die  Predigten  den  Namen  ,piper' 
von  ihrem  kräftigen  Inhalt,  von  den  ernsten,  ergreifenden  Wahrheiten, 
die  sie  bieten.  Vielleicht  soll  der  Name  auch  den  hohen  Wert  der 
Predigten  bezeichnen.  Denn  der  Pfeffer  galt  im  Mittelalter  als  ein 
kostbares  Gewürz  2,  Diese  Vermutung  dürfte  um  so  wahrscheinlicher 
sein,  als  gewöhnlich  die  Titel  von  Predigtsammlungen  eine  Empfehlung 
der  Güte  und  Brauchbarkeit  derselben  ausdrücken  sollen  3. 

Der  Name  ,Greculus'  geht  offenbar  auf  den  Verfasser,  welcher 
den  Beinamen  ,Greculus'  getragen  haben  mag.  Vielleicht  hatte  er 
denselben  aus  seinem  Aufenthalte  in  den  östlichen  Missionen  erworben. 
In  den  Predigten  selbst  findet  sich  kein  Anhalt  zur  Erklärung  dieses 
Namens.  Daß  seine  Predigten  schon  früh,  unmittelbar  nach  ihrer 
Abfassung  ihn  getragen  haben,  bekundet  die  aus  den  ersten  Dezennien 
des  14.  Jahrhunderts  stammende  Grazer  Handschrift  730,  in  welcher 
einmal*  auf  den  ,Greculus'  verwiesen  wird. 


^  Mit  den  Sermones  Mauritii  episcopi  Parisiensis  (Maurice  de  Sully)  haben 
unsere  Predigten  keinerlei  Zusammenhang.  ^  yg}^  Ducange  s.  v.  piper. 

^  So  jHortus  deliciarum'  (Clm  5582;  vgl.  Linsenmayer  169);  ,thesaurus 
anime'  (CPrag.  A.  16);  ,cappa  aurea'  (CPrag.  VI.  D.  3)  u.  a.  Eine  Sammlung  von 
Sonn-  und  Festtagspredigten  in  Clm  21540  trägt  den  Titel  ,Flores  apostolorum 
redacti  in  sermones  qui  ^  aurea  lingua  intitulantur"';  darin  befinden  sich  auch  Pre- 
digten aus  Greculus. 

^Bl.  272'b.  y^i  Schönbach,  Über  eine  Grazer  Handschrift  120. 


112  ^11-  ^i^  Predigten  des  Greculus. 

In  dieser  Handschrift  steht  eine  Pfingstpredigt  mit  folgendem 
Eingange:  Super  seruos  meos  et  super  ancillas  meas  effundam  de 
spiritu  meo^  (loel  2,  29).  In  uerbo  isto  tria  notantur:  Primum  est 
ydoneitas  ex  parte  recipientis  spiritum  sanctum,  ibi:  , Super  seruos 
meos'  etc.  Secundum  est  largitas  ex  parte  dantis,  ibi:  , effundam'. 
Tercium  est  quedam  distinccio  spirituum  ad  spiritum  sanctum ;  propter 
hoc  ibi  dicitur :  ,de  spiritu  meo'.  Dicit  ^  ergo  Dominus :  , Super  seruos 
meos'.  In  his  tangitur  ydoneitas  ex  parte  illorum,  qui  uolunt  reci- 
pere  spiritum  sanctum,  que  ydoneitas  consistit  in  IUI,  que  seruis  et 
ancillis  conueniunt ,  que  sunt:  munditia ,  agilitas  seu  operositas, 
concordia  et  obedientia.  De  hiis  require  in  Greculo  in  eodem 
sermone.' 

Ein  solcher  Sermo  —  eine  Pfingstpredigt  —  findet  sich  aber 
in  den  uns  zugänglichen  Handschriften  des  Greculus  weder  in 
dessen  Zyklus  de  tempore  noch  in  dem  de  Sanctis.  Wenn  auch 
der  gerade  bei  den  Pfingstpredigten  verstümmelte  ^  CFl.  XI,  342  da- 
für nicht  beweiskräftig  ist,  so  sind  es  doch  die  ganz  unversehrten 
und  vollständigen  CVP.  1645  und  CLb  130.  Auch  darin  findet  sich 
dieser  Sermo  nicht.  Der  Redaktor  des  Grazer  Predigtwerkes  hat 
sonach  eine  Handschrift  des  Greculus  benutzt,  in  welcher  sich  die 
bezeichnete  Pfingstpredigt  vorfand.  Denn  in  den  Handschriften  des 
Greculus  ist  die  Zahl  der  Predigten  für  die  Sonntage  zuweilen  ver- 
schieden^. Im  übrigen  genügt  die  Nennung  des  Namens  für  unsere 
Zwecke. 

Ohne  Namennennung  hat  der  Redaktor  des  CGraec.  730  aus  dem 
Zyklus  de  Sanctis  eine  Anzahl  Predigten  mehr  oder  minder  wörtlich 
entlehnt.  Wir  haben  die  nachstehend  verzeichneten  Stücke  des  CGraec. 
730  mit  den  entsprechenden  Predigten  des  Greculus  de  Sanctis  verglichen 
und  dürfen  feststellen,  daß  dem  Sammler  des  Grazer  Predigtwerkes 
eine  der  unsrigen  gleiche  Handschrift  des  Greculus  de  Sanctis  vor- 
gelegen hat.  Stück  35  (Weihnachtspredigt)  ist  völlig  gleich  dem 
Sermo  9  des  Greculus;  die  Stücke  58  und  39  (Stephanuspredigten) 
sind  gleich  den  Sermones  10  und  11;  die  Stücke  42,  46  (Johannes 
Evangelista),  51,  52  (Innocentes),  58  (Circumcisio),  67,  68  (Epiphanie) 


'  Vulgata:  , spiritum  meum',  -  Hs  :  ,Dicat*. 

'  S.  oben  S.  107.  •*  S.  oben  S.  108  109. 


Greculus,  benutzt  im  CGraec.  730.     Abfassungszeit,  113 

sind  gleich  den  Sermones  60  (Inventio  s.  Stephani)  13  14  19  und  18  ^ 
Man  ersieht  aus  dieser  Aufzählung  der  gleichen  Stücke,  daß  der  Re- 
daktor aus  dem  Greculus  de  Sanctis  diejenigen  Stücke  entnommen 
hat,  die  für  seine  Sammlung,  in  welche  er  nur  Predigten  für  die 
Sonntage  und  die  Herrenfeste  aufnehmen  wollte,  geeignet  erschienen. 
Er  ist  dabei  auch  der  Reihenfolge  des  Greculus  nachgekommen  mit 
Ausnahme  des  Stückes  4^,  für  welches  er  die  Predigt  des  Greculus 
am  Feste  der  Inventio  s.  Stephani  übernahm.  Die  Benutzung  des 
Greculus  in  dem  Grazer  Predigtwerke  steht  sonach  außer  Zweifel; 
das  letztere  ist  also  jünger. 

Auf  die  Zeit  der  Abfassung  der  Predigten  des  Greculus 
führt  eine  Stelle  des  Sermo  3  dominica  VI  post  Pentecosten.  Die 
Predigt  handelt  von  den  Beweggründen  zur  Versöhnung  mit  dem 
Nächsten.  Als  vierten  bringt  er  folgende  Erwägung:  In  dem  ver- 
söhnlichen Christen  wächst  die  Gottesliebe;  die  letztere  ist  von  Gott 
gepflanzt  durch  die  drei  göttlichen  Tugenden,  Glaube,  Hoffnung  und 
Liebe;  aber  der  Teufel  sucht  in  den  Menschenherzen  Unglauben, 
Verzweiflung  und  Haß  zu  pflanzen,  und  leider  wuchert  die  teuflische 
Pflanzung  üppiger,  als  die  göttliche  wächst.  Nun  fügt  er  hinzu  ^r 
,Fides  christiana  plus  quam  mille  trecentis  annis  durauit  et 
adhuc  non  credunt  omnes  fidem  christianam  sine  qua  tamen  nullus 
saluatur.'  Um  nun  zu  zeigen,  wie  erschreckend  der  Unglaube  selbst 
unter  Christen  gewachsen  sei,  erzählt  er  nach  seinem  Ordensgenossen 
Albertus  de  Prussia  den  frevelhaften  Mißbrauch,  welchen  eine  Frau 
mit  dem  heiligsten  Sakrament  getrieben  habe.  Die  Erzählung,  welche 
in  die  Klasse  der  zahlreichen  VVunderberichte  gehört,  mit  welchen 
man  von  der  Verunehrung  der  heiligen  Eucharistie  abschrecken  wollte, 
interessiert   uns  augenblicklich  weniger  als  der  Name  des  Erzählers. 

Albertus  dePrussia^  war  Minorit  und  Bischof  von  Pomesanien 
(1259—1288).  Wie  EubeH  glaubhaft  macht,  wurde  er  aus  dem 
1239    gegründeten   Konvente    von    Thorn    auf   den   Bischofstuhl   von 


^  Vgl.  Schönbach,  Über  eine  Grazer  Handschrift  82  84—88  90.  Das 
Stück  67  =  Greculus  Nr  19  ist  keine  Weihnachtspredigt,  sondern  eine  Epiphanie- 
predigt,  als  solche  steht  sie  im  Greculus.  Sie  ist  im  CGraec.  730  Bl.  74^  78^*  durch- 
gestrichen, warum  ist  nicht  angegeben. 

2  Bl.  101  ^ 

3  CFl.  342  Bl.  101-^:  ,Alb.  de  Pruscia' ;  CLb  130  Bl.  142'":  .Alb.  de  puericia'. 
*  Freiburger  Diözesanarchiv  XVII  301—306. 

Franz,  Drei  deutsche  Minoritenprediger.  3 


114  ^11-  Diö  Predigten  des  Greculus. 

Pomesanien  berufen.  Er  gründete  die  Stadt  Riesenburg  und  das 
Pomesanische  Domkapitel  an  seiner  Kathedrale  zu  Marienwerder  (In- 
sula  b.  Mariae).  Von  1279  bis  1285  lebte  er  in  den  Diözesen  Basel, 
Konstanz  und  Straßburg  und  verrichtete  auch  in  Vertretung  der  Bi- 
schöfe Pontifikalhandlungen.  Von  seiner  literarischen  Tätigkeit  weiß 
Eubel  nichts  zu  berichten ;  auch  bei  Wadding  wird  sie  nicht  erwähnt. 
Nach  der  Mitteilung  des  Greculus  muß  er  aber  eine  erbauliche  Schrift 
verfaßt  haben,  welcher  das  erwähnte  Exempel  entnommen  ist. 

Da  Albertus  1286  gestorben  ist^,  muß  man  die  Abfassungszeit 
des  Greculus  später  ansetzen.  Greculus  selbst  weist  auf  die  Zeit 
nach  1300  hin.  Daß  man  nicht  tief  ins  14.  Jahrhundert  gehen  darf, 
ergibt  sich  aus  der  Benutzung  des  Greculus  in  CGraec.  730,  dessen 
Schriftzüge   auf  die   ersten  Jahrzehnte  des  14.  Jahrhunderts  weisen. 

Der  Verfasser  des  Greculus  de  tempore  und  de  Sanctis  war  ein 
deutscher  Minorit.  Seine  Zugehörigkeit  zu  den  Minoriten  geht  aus 
Äußerungen  hervor,  die  nur  ein  Minorit  tun  konnte.  St  Franziskus 
ist  ,saluator  mundi',  wie  einst  der  ägyptische  Joseph  der  Retter  Ägyp- 
tens war;  denn  ,ex  pauperitatis  horreo  saciat  turbam  Christi  fame- 
licam  in  uia  ne  deficiat'.  Wie  die  elf  Brüder  des  ägyptischen  Joseph 
sich  vor  ihrem  Bruder  verneigen,  so  bringen  die  ,ordines  spirituales 
in  ecclesia  scilicet  sacerdotalis,  monachalis  scilicet  Benedicti,  Augustini, 
Dominici,  Francisci,  Cruciferorum,  Reclusorum  et  aliorum  heremitarum 
et  beginarum,  deuotarum,  que  in  habitu  religioso  uitam  ducunt  de- 
uotam  et  sanctam  inter  homines  etsi  non  in  monasteriis,  tamen  se- 
cundum  ordinem  uiuunt  diuinum'  dem  hl.  Franziskus  ihre  Huldi- 
gung dar 2.  Die  hl.  Klara  wird  in  zwei  Predigten  gefeiert;  in  der 
zweiten  wird  von  dem  ,beatissimus  pater  Franciscus'  gesprochen^. 
Auch  der  hl.  Antonius  von  Padua  ist  mit  einer  Predigt  bedacht*. 
Endlich  fällt  dafür  auch  die  Benutzung  Bertolds  von  Regensburg  und 
des  Albertus  de  Prussia  ins  Gewicht. 

Die  deutsche  Nationalität  des  Minoriten  ist  zweifellos.  Seine 
Diktion  ist  völlig  deutsch-lateinisch.  An  zwei  Stellen  des  Zyklus  de 
tempore  finden  sich  überdies  deutsche  Worte,  die  von  dem  Autor 
selbst,   nicht   von    einem  Abschreiber   stammen.     In    dem  Sermo   am 


^  Vgl.  Eubel,  Hierarchia  catholica  I  426. 

2  De  Sanctis  Bl.  47.  ^  Ebd.  Bl.  71.  "  Ebd.  Bl.  68'. 


f  .i 


Albertus  de  Prussia.    Greculiis,  ein  deutscher  Minorit.    Die  Sonntagspredigten.     115 

fünften  Sonntage  nach  Pfingsten  wird  ,racenms'  durch  ,ein  nachloser' 
übersetzt^;  dieselbe  Übersetzung  findet  sich  auch  im  CLamb.  130 
Bl.  188^:  ,racemus  proprie  dicitur  nachleser.'^  In  Greculus  de  Sanctis 
werden  fünf  Arten  von  Gärten  aufgeführt^:  1.  ,florum  et  liliorum, 
ein  paumgart'  (soll  heißen  plumgart);  2.  ,fructuum  et  pomorum,  ein 
paumgart';  3.  ,aromatum  et  unguentorum,  ein  wuerzgart' ;  5.  ,deli- 
ciorum,  ein  wunegart'.  Die  vierte  Bezeichnung  fehlt;  nach  der  wei- 
A    teren  Ausführung  ist  es  hortus  uinearum,  also  wingart. 

Wenn  man  aus  der  örtlichen  Verbreitung  der  Handschriften  einen 
Schluß  ziehen  darf,  so  wird  man  den  Verfasser  in  den  österreichi- 
schen Landen  zu  suchen  haben.  Aus  diesen  Gegenden  stammen  die 
uns  bekannten  älteren  Handschriften,  während  die  reichen,  aus  den 
bayerischen  Klöstern  stammenden  Bestände  der  Münchener  königlichen 
Staatsbibliothek  unseres  Wissens  kein  Exemplar  aufzuweisen  haben 
und  die  Bamberger  Handschriften  bis  auf  eine  dem  15.  Jahrhundert 
angehören.  Die  Erwähnung  des  ,haustus  s.  Bernardi'  ^  läßt  ver- 
muten, daß  der  Verfasser  in  einer  Gegend  lebte,  wo  Cistercienser  an- 
sässig waren. 

Greculus  de  tempore  hat  im  CFl.  XI  342  im  ganzen  177  Ser- 
mones ;  in  den  andern  obenerwähnten  Handschriften  ist  ungefähr  die 
gleiche  Zahl  enthalten.  Für  jeden  Sonntag  bietet  er  gewöhnlich  drei, 
zuweilen  zwei,  einmal,  am  fünften  Sonntage  nach  Pfingsten,  mit  Rück- 
sicht auf  die  Bittage  sogar  sechs  Predigten.  Mit  Ausnahme  der 
Sermones  am  W^eihnachtsfeste,  an  Epiphanie,  am  Aschermittwoch,  am 
Ostermontage  und  an  Christi  Himmelfahrt  sind  die  Sermones  sämtlich 
Sonn  tags  predigten.  Dieselben  behandeln  mit  Ausnahme  von  zehn 
Predigten  Texte  aus  den  Sonntagsperikopen  ^.  Beide  Zyklen  sind  ver- 
faßt und  zusammengestellt  als  Hilfsmittel  für  die  Prediger.  Die  Ab- 
sicht des  Verfassers,  den  Prediger  in  seinem  Berufe  anzuleiten,  ergibt 
sich  auch  aus  einer  Reihe  von  Bemerkungen  in  den  Sermones  selbst. 
So   bemerkt   er  in   der  Predigt  am  ersten  Sonntage  nach  Epiphanie, 

'  Bl.  W\ 

-  Die  Glosse  des  CLb  Bl.  132,  ,ain  lawschen' =  eine  verächtliche  Weibs- 
person (vgl.  SchmeUer  I  1520)  rührt  von  dem  Abschreiber  her, 

2  Serrao  2  in  Assumptione  b.  M.  V.  Bl.  79'.  *  Bl.   19'^ 

^  Bei  Zitationen  aus  den  beiden  St  Florianer  Handschriften  zeigt  die  bloße 
Blattzahl  die  Sermones  de  tempore  an,  während  die  Sermones  de  Sanctis  mit  S. 
bezeichnet  werden. 


Wß  III.  Die  Predigten  des  Greculus. 

nachdem  er  gesagt  ^ :  ,tna  sunt  que  conqueruntur  pueri  de  parentibus : 
1.  de  malo  exemplo,  que  a  uobis  didicerunt;  2.  quod  ipsis  mala  non 
inhibuistis;  3.  quod  ipsis  bona  iniusta  reliquistis' ,  ,hic  procede 
caute',  um  den  Prediger  vor  der  Zerstörung  der  elterlichen  Autorität 
zu  warnen.  Oder  er  verweist  auf  andere  Predigten  '•^,  oder  fordert  den 
Prediger  auf,  diese  oder  jene  Erzählung  vorzutragen  oder  eine  Aus- 
führung aus  Eigenem  zu  machen:  ,que  per  te  dicas',  , procede  ut  uis 
et  scis',  ,dic  exemplum  in  uitas  patrum'  ^. 

Die  Sermones  des  Greculus  sind  meist  thematische  Spruch- 
predigten; hin  und  wieder  finden  sich  textuale  Spruchpredigten 
vor,  in  welchen  im  Anschlüsse  an  einen  Text  die  ganze  Perikope  erklärt 
wird^;  im  Zyklus  de  Sanctis  kommen  auch  emblematische  Pre- 
digten vor.     Einige  Beispiele  werden  die  Methode  erläutern. 

Am  ersten  Adventsonntage  ^:  ,Ecce  rex  tuus  uenit  tibi  pius  et 
mansuetus  (Mt  21,  5)^.  Tibi  aliquem  amicum  ad  nos  suscepturi  sumus, 
uenturum  ipsum  propter  tres  causas  reuerenter  suscipere  debemus. 
Primo  nota  propter  affeccionem  sc.  quando  esset  proximus  noster ;  se- 
cundo  propter  officium,  sc.  quando  haberet  officium  sc.  quando  sci- 
remus  quod  non  [Hs:  nunc]  haberet  officium  seuere  iusticie,  sed  pie- 
tatis  et  misericordie ;  tercio  propter  beneficium,  sc.  quando  ueniret,  ut 
non  raperet  sed  ut  tribueret.  Istis  tribus  causis  Christum  amicum 
nostrum  secundum  representacionem  isto  tempore  uenturum  reuerenter 
suscipere  oportet';  1.  ,propter  affeccionem,  quia  frater  et  proximus'; 
denn  Jesus  wollte  nicht  die  Engels-,  sondern  die  Menschennatur  an- 
nehmen; er  hat  den  Vater  wie  wir  (Gott)  und  die  Mutter  wie  wir 
(Maria);  2.  ,propter  officiun\  pietatis  et  misericordie'  (pius  et  man- 
suetus); Christus  ist  mansuetus  diuina  natura,  gratia,  experientia: 
3.  propter  beneficium  (Lehre,  Erlösung,  Himmel). 

Der  Sermo  1  am  zwölften  Sonntage  nach  Pfingsten^  be- 
handelt das  Evangelium  von  der  Heilung  des  Taubstummen  und  ist 
ein  Beispiel  für  die  textuale  Spruchpredigt.  Der  Text  lautet: 
,Misit  digitos  suos  in  auriculas  eins'  (Mc  7,  33).  I.  Die  Hand  Gottes 
ist  die  Gnade  in  der  Gegenwart  und  die  Glorie  in  der  Zukunft.  Die 
erste   Hand   hat   fünf  Finger,    d.  h.    effectus   gratiae:    1.  peccatorum 


1  Bl.  19'''.  2  ßi    30'.  s  Bl.  28  37  38. 

*  Vgl.  Linsenmayer  150  tf.  ^  Bl.  1. 

*  Die  heutige  Vulgata  hat  ,pius  et'  nicht.  "  Bl.  113. 


II 


Predigtmethode.     Beispiele.  117 

contritio;  2.  aequa  poenitentia ;  3.  repressio  tentationum;  4.  manda- 
torum  divinorum  impletio;  5.  peccatoris  iustificatio.  IL  Jesus  berührt 
die  Zunge  mit  Speichel.  So  gibt  Gott  die  Gnade,  daß  der  Mensch 
richtig  denkt  und  fühlt.  III.  Jesus  blickt  zum  Himmel.  Das  sollen 
auch  wir  tun,  denn  dort  ist  unsere  Stätte,  unser  Schatz,  unser  Helfer 
und  unser  Freund. 

Am  Feste  des  hl,  Thomas^  wählt  er  zum  Spruch:  ,Videte  manus 
meas'  (Lc  24,  39).  Gott  will,  daß  alle  zur  Erkenntnis  der  Wahrheit 
gelangen;  darum  wirkt  er  in  uns  ein  Doppeltes:  ,excitat  ad  intellectum 
cognicionis  et  inuitat  ad  consideracionem  operacionis.  Primum  ibi: 
„uidete" ;  secundum  ibi:  „manus  meas".  Circa  primum  nota,  quod 
debemus  uidere  quinque  sc.  manus  creacionis,  recreacionis,  largicionis, 
punicionis,  glorificacionis'  —  was  weiter  ausgeführt  wird. 

Greculus  zeigt  eine  unverkennbare  Neigung  für  Allegorien  aus 
dem  Tier-  und  Pflanzenreiche.  Darin  folgt  er  der  damaligen  Sitte 
der  Prediger.  Er  kleidet  aber  auch  die  ganze  Predigt  in  Symbolik 
und  knüpft  daran  seine  Belehrungen.  So  rühmt  er  in  der  Stephans- 
predigt ^  die  auserwählten  Seelen,  indem  er  die  Vorzüge  von  sieben 
Arten  von  Blumen  beschreibt.  An  den  Symbolen  der  vier  Evangelisten  ^ 
zeigt  er  die  Aufgaben  der  Prälaten,  der  Arbeiter,  der  Fürsten  und 
der  Klosterleute.  Er  bedient  sich  aber  auch  der  Form  der  emble- 
matischen  Predigt,   für   welche   wir  unten   ein  Beispiel  vorführen. 

Die  Einleitungen  sind  meist  schlicht  und  kurz.  Mit  Vorliebe 
geht  er  von  Sitten  an  Fürstenhöfen  oder  im  Volksleben,  von  Be- 
ziehungen zwischen  Freund  und  Freund,  von  Gepflogenheiten  bei 
Gericht,  von  Reisen'^  u.  a.  aus  und  leitet  dann  sofort  aufsein  Thema 
über.  Hin  und  wieder  erheben  sich  die  Eingänge  zu  einem  gewissen 
Schwung,  welcher  der  jeweiligen  Festesfeier  entspricht,  wie  in  der 
Oster-  und  Weihnachtspredigt  ^. 

Im  Zyklus  De  Sanctis  bemerken  wir  wiederholt  eine  größere 
Freiheit  in  der  Behandlung  des  Themas,  hie  und  da  auch  Ab- 
schweifungen von  demselben.  Es  bekundet  sich  auch  hier  die  Neigung 
der  mittelalterlichen  Prediger  in  den  Heiligenpredigten  die  sonst  streng 
innegehaltene  Schablone  zuweilen   zu   verlassen.     Darum   finden  sich 


1  Bl.  8.  2  Bl.  13.  3  Bl.  40. 

'  Bl.  r  3  5  15  21  22  94.  ^  Bl.  38  9. 


J^i[8  1^1-  ^'6  Predigten  des  Greculus. 

darin  auch  komplizierte  Dispositionen,  während  die  Sonntagspredigten 
—  mit  vereinzelten  Ausnahmen  ^  —  eine  einfache  Einteilung  aufweisen. 

Wir  lassen  in  umfangreicherem  Auszuge  zur  Kennzeichnung  der 
Methode  und  Sprache  in  den  Heiligenpredigten  die  emblematische 
Rede  am  Markusfeste^  folgen: 

,In  circuitu  sedis  quatuor  animalia  Apc  4,  6. 

.Licet  secundum  diuinam  prouidenciam  per  quatuor  animalia,  que 
in  Ezechiele  et  a  lohanne  in  Apocalypsi  describuntur,  quatuor  euan- 
geliste  figurentur,  secundum  omnium  doctorum  exposicionem  tamen 
non  inconuenienter  possumus  intelligere  per  eadem  animalia  quatuor 
genera  hominum  saluandorum  (Hs:  „salvatorum"),  qui  secundum  sua 
merita  ponendi  sunt  ante  thronum  diuine  maiestatis  scilicet  prelatorum, 
laboratorum,  magnatorum,  contemplatiuorum  .  .  . 

,In  leone,  fortissimo  bestiarum,  qui  ad  nullius  pauet  occursum 
fortissima  prelatorum  dignitas  siue  sacerdocium  designatur  . .  . 
primo  quia  leo  inueniens  hominem  errantem  in  deserto  dirigit  et  ad 
uiam  reducit  ^.  Sic  et  ipsius  exemplo  debent  dirigere  errantes  animas 
per  deuia  in  uiam  salutis  .  .  .  Sed  prelati  ut  dicitur  Eccli  49,  3, 
directi  sunt  diuinitus  in  penam  gentis,  ut  dirigant  auaros  in  uiam 
largitatis,  superbos  in  uiam  humilitatis,  luxuriöses  in  uiam  castitatis. 
.  .  .  Item  secundo  comparatur  leoni  sicut  dicit  Ouidius*: 

Est  nobilis  ira  leonis 
Parcere  subiectis  et  debellare  superbos. 

,Hanc  nobilem  uirtutem  docuit  Dominus  illum  magnum  leonem 
Petrum  et  suos  successores.  .  .  .  Tercio  comparatur  leoni,  quia  die 
tercia  suscitat  suos  tilios  clamore  rugitus^. 

, Secundo  per  uitulum  sive  bouem  laboratorum  exprimitur  status. 
Bos  enim  secundum  legem  erat  animal  mundum  ad  laborandum,  ad 
sacrificium  acceptum.     Sic   boni  et  simplices  homines  siue  iusti  mer- 


'  So  am  Palmsonntag  Bl.  49'^  ^  ßi,  40— 4r. 

'  Vgl.  über  die  in  der  mittelalterlichen  Literatur  gerühmten  Eigenschaften 
des  Löwen  PH  nius  VIII  48  ff.  Isidori  Hisp.  Etymol.  1.12,  c.  2,  n.  6  (Migne, 
P.  L.  LXXXII  434) :  , Circa  hominem  leonum  natura  est  benigna.  .  ,  Patet  enim 
eorum  misericordia  exemplis  assiduis.  Prostratis  enim  parcnnt,  captivos  obvios 
repatriare  permittunt'  etc.  Vgl.  Vincentii  Bellov.  Speculum  naturale  1.  19, 
c.  69  70,  t.  I  1420. 

*  Bei  Ovid  kommen  diese  Verse  nicht  vor.  , Parcere*  etc.  steht  in  Virgils 
Äneide  6,  852. 

^  Vgl.  Isidor.  Hisp.  a.  a.  0.  n.  5. 


Ii\ 


Predigt  am  Markusfeste.  119 

catores,  laboratores,  seruitores  in  sudore  uultus  sui  panem  suum  ue- 
scentes,  cum  dei  timore  iuste  uiuentes,  nullum  ledentes,  bona  que  sunt 
facientes,  omnes  ducuntur  ad  thronum  diuinitatis.  Sunt  enim  mundiores 
ceteris  et  castiores  ad  literam,  quia  labore  fatigati  minus  curant  de 
illo  facto  iuxta  id^: 

Ocia  si  tollas  periere  cupidinis  arcus. 

Sed  qiieris,  Egestus  quare  sit  factus  adulter. 

In  promptu  causa  est :  desidiosus  erat.  .  . 

,Laboribus  igitur  rusticorum  clerici,  episcopi,  reges,  milites,  clau- 
strales,  uiri,  mulieres,  omnes  sustentantur ;  unde  ipsorum  sacrificium 
et  omne  bonum,  quod  faciunt  ieiunando,  peregrinando,  elemosinam 
dando  est  acceptum  ualde  apud  deum. 

,Item  tercium  animal  habens  faciem  quasi  hominis.  Quid  sit 
homo  diffinit  noster  diuinus  philosophus  sc.  Eccle  12,  13  in  fine: 
„Deum  time  et  mandata  eins  obserua,  hoc  est  omnis  homo."  Secundum 
hoc,  qui  timet  deum  et  mandata  eins  obseruat,  habet  faciem  hominis. 
Si  ergo  reges  et  principes  milites  et  domini  et  domine  Deum  timent, 
saluabuntur  .  .  . 

,Quartum  animal  simile  aquile  uolanti,  per  que  contemplaticii 
et  claustrales  notantur.  Sunt  enim  aquile  nobiles  et  uolantes  sancta 
conuersacione  et  contemplacione ;  uolant  autem  ad  Christum  sequendum, 
diabolum  fugiendum,  se  ipsos  pascendum.' 

Die  letzten  drei  Punkte  werden  unter  Zitation  vieler  Schrift- 
stellen weiter  ausgeführt. 

Während  Konrad  von  Sachsen  und  der  Frater  Ludovicus  die  von 
ihnen  vorgetragenen  christlichen  Lehren  fast  nur  mit  biblischen 
Erzählungen  oder  mit  Beispielen  aus  der  Heiligenlegende  be- 
leuchten, finden  wir  bei  Greculus  eine  weitgehende  Vorliebe  für 
,exempla'  aus  der  religiösen  und  profanen  Literatur.  Die  Ver- 
wendung solcher  Beispiele,  wirklicher  oder  zweckmäßig  erdichteter 
Tatsachen  zur  eindringlichen  Einprägung  christlicher  Wahrheiten  und 
Vorschriften  ist  in  der  asketischen  Literatur  alt.  Seitdem  Papst 
Gregor   der  Große   sich   dieser  Methode  in  seinen  Dialogen  mit  Vor- 


^  Ovids  Remedia  amoris  V.  139  161  162;  161  lautet  ,Quaeritis,  Aegistus'  etc. 
Die  Verwendung  von  klassischen  Versen  kommt  sonst  bei  Greculus  nicht  vor;  er 
zitiert  auch  die  sonst  beliebten  Schulverse  nicht.  Wahrscheinlich  hat  er  die  Verse 
in  der  von  ihm  benutzten  Vorlage  gefunden  und  in  sein  Elaborat  herübergenommen. 


120  ^^^    ^^^  Predigten  des  Greculus. 

liebe  bedient  hatte,  wurde  sie  in  der  abendländischen  Literatur  überall 
heimisch.  Der  hl.  Petrus  Damiani  verwendete  solche  Erzählungen  in 
seinen  asketischen  Schriften  im  weitesten  Umfange  und  fand  in  der 
erbaulichen  Literatur  der  Benediktiner,  Cistercienser  und  der  Bettel- 
orden eifrige  und  fruchtbare  Nachahmung.  In  diese  Klasse  der 
Literatur  gehören  die  zahlreichen  Schriften  über  Marienwunder,  die 
Mussafia  in  seinen  gründlichen  Studien  zu  den  mittelalterlichen 
Marienlegenden  literaturgeschichtlich  behandelt  hat,  die  Dialoge  und 
Mirakelbücher  des  Cisterciensers  Cäsarius  von  Heisterbach,  das 
Bienenbuch  des  Dominikaners  Thomas  von  Chantimpre,  dessen  Ordens- 
genossen  Etienne  von  Bourbon  großes  Werk  ,De  Septem  donis'  und 
ähnliche  asketische  Bücher. 

Ein  weiterer  Schritt  in  der  Verwendung  der  exempla  war  deren 
Aufnahme  in  die  Predigt.  Das  geschah  zuerst  in  Frankreich 
schon  im  12.  Jahrhundert^  und  wurde  im  13.  Jahrhundert  zur  all- 
gemeinen Sitte.  Jakob  von  Vitry  (f  um  1240),  der  berühmte 
Kreuzzugsprediger,  bediente  sich  in  seinen  ,Sermones  vulgares'  der- 
selben fast  im  Übermaß;  er  entnahm  dieselben  der  alten  profanen 
Literatur,  den  Mirakelbüchern  und  den  Erfahrungen  seines  eigenen, 
vielbewegten  Lebens 2.  Auch  der  hl.  Dominikus  suchte  in  seinen 
Missionspredigten  seine  Zuhörer  durch  Erzählungen  religiösen  Inhalts 
zu  fesseln.  Das  wurde  Ordensmaxime,  welcher  Humbert  von  Ro- 
mans (f  1277)  in  seinem  Buche  ,De  eruditione  praedicatorum'  auch 
schriftlichen  Ausdruck  gab^.  Während  ein  anderer  Dominikaner, 
Etienne  von  Bourbon  (f  1261),  in  dem  Werke  ,De  Septem  donis'  eine 


^  Vgl.  B  0  u  r  g  a  i  n ,  La  chaire  fraiiQaise  au  XII''  siede,  Paris  1879,  258  ff. 
Die  von  dem  Pariser  Bischof  Maurice  de  Sully  (f  1196)  für  den  Klerus  heraus- 
gegebenen lateinischen  Musterpredigten  enthalten  keine  , Exempla',  wohl  aber  die 
französiscli  erhaltenen.  Vgl.  Lecoy,  La  chaire  299.  Die  lateinischen  Predigten 
des  berühmten  Pariser  Bischofs  liegen  in  Clni  16  027  vor. 

^  Gesammelt  sind  sie  von  Crane. 

'  De  eruditione  praedicatorum  I  7,  in  Bibliotheca  Patrum  XXV  (1677)  433 : 
,Alia  est  scientia  historiarum:  sunt  enim  multae,  non  solum  apud  fideles,  sed 
etiam  apud  infideles,  quae  interdum  multum  valent  in  praedicatione  ad  aedificationem,* 
Er  sucht  aber  dem  Mißbrauch  vorzubeugen,  indem  er  an  anderer  Stelle  (I  39,  459) 
bemerkt :  , Circa  exempla  vero  attendendum  est,  ut  sint  competentis  auctoritatis, 
ne  contemnantur ;  et  verisimilia,  ut  credantur;  et  aliquam  utilitatem  continentia,  ne 
inutiliter  proferantur.'  Über  Humbert  vgl.  Histoire  litt,  de  la  France  XIX  355  ff, 
Feret  II  495  ff  und  besonders  Linsenmayer  93  ff. 


Die  exempla  in  der  Predigt.     Das  ,Alphabetum  narrationum'.  121 

reichhaltige  Sammking  von  exempla,  verteilt  unter  die  theologischen 
Ausführungen  über  die  sieben  Gaben  des  Heiligen  Geistes,  veranstalte '% 
brachte  ein  dritter  —  wahrscheinlich  Etienne  de  Besannen  (f  1294)  — 
die  exempla  zum  Gebrauche  der  Prediger  in  ein  bequemes  alpha- 
betisches Kompendium  2. 


^  L  e  c  0  y  hat  die  , Exempla'  zum  größten  Teile  exzerpiert ;  vgl.  dessen  Vor- 
wort, Mussafia  (III  36  ff)  hat  daraus  die  Marien-Mirakel  verzeichnet.  Über 
Etienne  de  Bourbon  vgl.  Histoire  litt,  de  la  France  XIX  27  ff. 

2  Das  ,Alphabetum  narrationum'  ist  noch  ungedruckt;  seine  Marienlegenden 
verzeichnet  Mussafia  III  44  ff.  Ob  es  den  genannten  Etienne  von  Besan9on 
zum  Verfasser  hat,  wie  Histoire  litt,  de  la  France  XX  272  ff  und  danach  F  e  r  e  t 
II  536  ff  meinen ,  wird  von  H  a  u  r  e  a  u  (Notes  et  extraits  II  69  ff)  bezweifelt. 
Sicherlich  ist  der  Verfasser  des  Werkes  ,Alphabetum  auctoritatum'  (aus  Schrift  und 
Vätern)  und  des  ,Alphabetum  narrationum'  ein  und  dieselbe  Person.  Das  letztere 
liegt  in  Clm  14752  (St  Emeram)  aus  dem  Anfang  des  14.  Jahrhunderts  vor.  Eine 
andere,  nur  bis  V.  gehende  Abschrift  aus  dem  14.  Jahrhundert  fanden  wir  in 
CVF  1710;  hier  trägt  das  Buch  den  Titel:  ,Alphabetum  narrationum  alias  liquor 
lacteus.*  Der  Nebentitel  beruht  auf  einem  Irrtum ;  er  kommt  nur  einem  unten  zu 
erwähnenden  Buche  zu.  Wir  lassen  die  Vorrede  teilweise  folgen  (Bl.  1  1') :  ,Anti- 
quorum  patrum  exemplo  didici  nonnullos  ad  uirtutes  fuisse  inductos  narracionibus 
edificatoriis  et  exemplis.  Refert  enim  de  se  ipso  beatus  Augustinus,  quod  Pontiano 
uitam  beati  Anthonii  coram  eo  recitante  ad  imitandum  statim  exarsit.  Narraciones 
siquidem  huius[modij  et  exempla  facilius  intellectu  capiuntur  et  memorie  firmius  im- 
primuntur  et  a  multis  libencius  audiuntur.  Utile  igitur  et  expediens  nimis  est, 
uiros  predicacionis  officio  deditos,  proximorum  salutem  per  terram  discurrendo  que- 
rentes  exemplis  talibus  habundare,  quibus  modo  in  predicacionibus  omnibus,  modo 
in  locucionibus  familiaribus  ad  omne  genus  hominum  salubriter  utantur.  Legimus 
enim  et  deuotum  predicatorem,  Predicatorum  ordinis  fundatorem,  beatum  uidelicet 
Dominicum  hoc  fecisse.  De  eo  siquidem  scribitur,  quod  ubicunque  conuersabatur 
edificatoriis  affluebat  sermonibus,  habundabat  exemplis,  quibus  ad  amorem  Christi 
seculiue  contemptum  audientis  uel  audiencium  animus  flecteretur.  Usus  est  insuper 
hoc  exhortacionis  modo  beatus  Gregorius  in  pluribus  suis  libris.  Sed  quia  exempla 
ad  dictum  officium  necessaria  omnia  retinere  cordetenus  est  difficile  et  magnos 
secum  per  longa  terrarum  spacia  deferre  libros  nimis  graue,  uolui  diuina  gracia 
assistente  multa  in  hoc  uno  uolumine  compilare,  de  diuersis  tamen  libris  diuersa 
quedam  prout  mihi  magis  placuit  extraxi.  Et  ut  querenti  facilius  occurrant,  ma- 
terias  diuersas  cum  exemplis  in  ordine  literarum  alphabeti  parare  satis  ordinate 
curaui.  Sic  et  iam  dudum  auctoritates  sanctorum  sub  ordine  alphabeti  distinxi  in 
libello,  quem  „Alphabetum  auctoritatum"  appellaui.  Eodem  modo  et  hunc  „Alpha- 
betum  narracionum"  appello.  .  .  .'  Die  , exempla'  werden  fast  durchweg  mit  einem 
Quellenvermerk  versehen.  Der  Verfasser  bekundet  eine  staunenswerte  Belesenheit. 
Der  Hauptteil  der  Quellenvermerke  fällt  Jakob  von  Vitry  zu  und  einem  ,liber  de  ti- 
more*,  welcher  Bl.  3  s.  v.  Abbas  einem  , Hubertus'  zugeschrieben  wird,  wie  auch 
in  der  von  der  Hist.  litt.  a.  a.  0.  erwähnten  Hs  aus  St  Germain  zu  derselben  Stelle 
bemerkt   wird :    ,ex    Hymberto    de    dono   timoris'.     Damit   ist    das    erste   Buch    des 


122  11^-  ^^^  Predigten  des  Greculus. 

Die  Predigt  in  Deutschland  stand  seit  dem  12.  Jahrhundert 
in  nachweisbarer  Abhängigkeit  von  der  französischen  Predigt. 
Darauf  hat  Schönbach  wiederholt  hingewiesen ^  Dieser  Einfluß 
zeigt  sich  insbesondere  auch  in  der  Verwendung  der  exempla  in  der 
Predigt,  weniger  in  der  lateinischen,  mehr  in  der  deutschen.  In  dem 
.Speculum  ecclesiae'  des  Honorius  von  Autun  finden  sich  bereits 
exempla  2;  in  erheblicherer  Anzahl  in  den  Leipziger  altdeutschen 
Predigten^.  In  den  deutschen  für  den  unmittelbaren  Gebrauch  des 
Klerus  abgefaßten  Predigten  machte  sich  bei  der  populären  Dar- 
stellung der  Wunsch  geltend,  tunlichst  verständlich  und  eindrucks- 
voll zu  reden.  Darum  ist  die  bemerkenswerte  Tatsache  begreiflich, 
daß  der  Schwarzwälder  Prediger  seiner  Bearbeitung  der  Predigten 
Konrads  von  Sachsen  exempla  beifügt,  die  sich  bei  Konrad  nicht  vor- 
finden*. Dagegen  war  man  in  der  lateinischen  Predigtliteratur  in 
diesem  Punkte  zurückhaltender.  Zwar  verbrauchte  Cäsarius  von 
Heisterbach  für  seine  Homilien  eine  beträchtliche  Menge  von  exempla^, 
aber  andere  Prediger  machten  davon  keinen  oder  nur  einen  geringen 
Gebrauch.  Konrad  von  Brundelsheim,  der  Verfasser  der  Sermones 
Socci,  verschmäht  sie  ganz^,  bei  Konrad  von  Sachsen  finden  sich  nur 
Beispiele  aus  der  Heiligen  Schrift,  der  Heiligenlegende  und  der  Natur- 
geschichte; Bertold  von  Regensburg  führt,  wiewohl  er  reich  an  Bei- 
spielen aus  der  Naturgeschichte  ist,  nur  selten  Erzählungen  vor ;  das 
gleiche  bemerken  wir  bei  dem  Frater  Ludovicus.  Im  14.  Jahrhundert 
macht  sich  aber  der  Gebrauch  der  exempla  auch  in  der  lateinischen 
Predigtliteratur  stärker  geltend.  Darin  zeigt  sich  der  französische 
Einfluß  auf  die  deutsche  Predigt.  Eine  große  Anzahl  von  exempla 
weisen  auf  französischen  Ursprung.  Von  Frankreich  kamen  auch  die 
Beispielsammlungen,  nach  deren  Vorbilde  später  auch  deutsche  Theo- 
Werkes  des  Etienne  de  Bourbon  gemeint,  welches  irrtümlich  einem  Hubertus  oder 
Humbertus  (von  Romans)  zugeschrieben  wird,  nicht  ein  von  letzterem  verfafster 
Auszug  (Hist.  litt.  272)  aus  dem  Werke  des  Etienne  von  Bourbon. 

'  Vgl.    Die  Renner  Relationen  12  ff  und   Über   eine  Grazer  Handschrift  52  ff. 

^  Vgl.  die  Sermones  dom.  HI  Quadrag.,  in  Passione  (Migne,  P.  L.  LXXH 
889  907  ff. 

^  Schönbach,  Altdeutsche  Predigten  I  506,  wo  die  Erzählungen  ver- 
zeichnet sind. 

^  Vgl.  Grieshaber  27  91   113. 

^  Sie  sind  von  Schönbach  (über  Cäsarius  I  69—92)  zusammengestellt. 

^  Cruel  147. 


Die  exempla  in  d.  deutschen  Predigt.  Der  .Liber  miraculorum'  oder  ,Lacteus  liquor',    123 

logen  gleiche  Bücher  schrieben.  Die  reiche  Sammlung,  die  Etienne 
in  dem  Werke  ,De  Septem  donis'  der  Predigtliteratur  schenkte,  war 
schon  gegen  Ende  des  13.  Jahrhunderts  in  Deutschland  bekannt  ^, 
und  wenig  später  wurde  auch  das  Alphabetum  narrationum  ab- 
geschrieben. 

Einer  größeren  Verbreitung  scheint  sich  am  Anfang  des  14.  Jahr- 
hunderts eine  vielleicht  auch  in  Deutschland  selbst  entstandene  Samm- 
lung erfreut  zu  haben,  welche  den  Titel  trägt  ^i  ,Liber  miraculorum 
qui  et  lacteus  liquor  dicitur'.  Die  Schrift  ist  in  zehn  distinctiones 
von  ungleichem  Umfange  eingeteilt:  1.  Geburt  und  Kindheit  Jesu, 
Kreuzeswunder  (52  Kapitel);  2.  Marienwunder  (99);  3.  Apostel- 
legenden (21);  4.  Märtyrerlegenden  (22);  5.  Aus  dem  Leben  von 
Bischöfen  (19);  6.  Aus  dem  Leben  heiliger  Mönche  (22);  7.  Magda- 
lena, heilige  Jungfrauen  und  Frauen  (18);  8.  Erzählungen  von  Ver- 
storbenen (25);  9.  Wundererzählungen  von  den  heiligen  Sakramenten 
(30);  10.  Verschiedene  Wunder  und  Aussprüche  (31).  Wir  begegnen 
darin  einer  großen  Anzahl  von  Stücken  aus  französischen  Sammlungen, 
aber  auch  einigen,  welche  vermuten  lassen,  daß  die  Sammlung  in 
Deutschland  gemacht  worden  ist.    Darunter  sind  die  Elisabethlegende 


'  Vgl.  Clm  16055  (13.  Jalirli.)  und  14817  (14.  Jahrli.).  Beide  Hss  bieten 
eine  Bearbeitung  der  beiden  ersten  Bücher  des  Werkes  des  Etienne  de  Bourbon 
,De  Septem  donis'.  Clm  14  817  nennt  die  Bearbeitung  einen  ,Tractatus  de  liabun- 
dancia  exemplorum  in  sermonibus  ad  omnem  materiam'.  Die  Bearbeitungen  kürzen 
den  theoretischen  Teil  des  Werkes  und  lassen  hie  und  da  einige  , exempla'  aus. 
Den  Namen  des  französichen  Verfassers  verschweigen  beide.  In  dem  Prologe  zu 
dem  Traktate  in  Cira  14  817  werden  als  Vorgänger  in  der  Verwendung  von  Exempeln 
genannt  Papst  Gregor,  Johannes  Damascenus  und  , Magister  de  uiceo'  (Jakobus 
von  Vitry).  Auf  die  bemerkenswerten  Vorschriften  im  Gebrauche  von  Exempeln 
kommen  wir  unten  zurück, 

^  Clra  5128  aus  dem  Anfang  des  14.  Jahrhunderts,  Pergament;  zwischen 
Bl.  32  und  33  ist  ein  Blatt  herausgerissen,  welches  die  Kap.  88 — 96  der  Marien- 
wunder enthielt.  Die  gleiche  Schrift  bieten  Clm  23  371,  14.  Jahrhundert;  Clm  7703 
und  8967,  15.  Jahrhundert;  diese  drei  Hss  weichen  im  umfange  und  in  der  Reihen- 
folge der  Stücke  von  Clm  5128  ab;  endlich  Hs  95  des  Cistercienserstiftes  Lilien- 
feld aus  dem  15.  Jahrhundert  (vgl.  Hss-Verz.  der  Cistercienserstifte  I  511).  In 
den  genannten  Hss  beginnt  die  Schrift:  ,Tesus  Christus,  filius  dei  in  Bethlehem 
lüde  nascitur  anno  Cesaris  Augusti  XLII,  ebdomada  iuxta  prophetiam  Danielis  LXVI, 
Olympiade  autem  CXCIII.  Veniente  autem  in  carne  filio  dei  multa  pace  uniuersus 
mundus  gaudebat  ita,  ut  toti  orbi  unicus  Romanorum  imperator  pacifice  presideret' 
(Clm  5128  Bl.  1).  Ein  weiteres  Eingehen  auf  das  Buch,  welches  eine  genaue  Unter- 
suchung verdiente,  ist  hier  nicht  am  Platze, 


124  I^^-  ^^6  Predigten  des  Greculus. 

und  die  Erzählung  von  den  beiden  ungleichen  priesterlichen  Brüdern 
Haymo  und  Petrus  zu  rechnend  Wahrscheinlich  war  der  Verfasser 
ein  Dominikaner  oder  Minorit^. 

Die  besprochenen  Sammlungen  enthalten  neben  vielen  erbaulichen 
Erzählungen  auch  eine  recht  erhebliche  Anzahl  minderwertiger,  für 
die  Kanzel  ungeeigneter  Anekdoten  und  Witze.  Es  war  darum  wohl 
angebracht,  daß  Humbert  von  Romans  die  oben  mitgeteilte  kurze 
Belehrung  über  den  Gebrauch  der  exempla  niederschrieb.  Sie  war 
aber  zu  allgemein,  als  daß  sie  verstanden  und  befolgt  werden  konnte. 
Viel  eingehender  und  praktischer  äußert  sich  der  Bearbeiter  des 
Etienne  de  Bourbon  im  Clm  14817  in  dem  Prologe.  Er  faßt  seine 
,cautele'  im  Gebrauch  der  exempla  in  sieben  Punkten  zusammen,  die 
seiner  pastoralen  Lebenserfahrung  zur  Ehre  gereichen. 

1.  Wer  geübt  ist  in  den  ,autoritates,  rationes  et  interpretationes', 
d.  h.  in  Schrift-  und  Väterstellen,  in  der  scholastischen  Begründung 
und  in  der  Schrifterklärung,  soll  von  Exempeln  absehen. 

2.  Vor  Zuhörern  von  hoher  Bildung  dürfen  exempla  gewöhnlich 
nicht  vorgebracht  werden,  es  sei  denn,  daß  man  löbliche  und  würdige 
zur  Verfügung  hätte;  niemals  darf  man  ,incredibilia'  erzählen. 

3.  Man  soll  die  exempla  nicht  häufen ;  eines  oder  zwei  in  jedem 
Sermo  ist  genug. 

4.  Das  exemplum  soll  immer  begleitet  sein  von  einer  ,autoritas' 
oder  einer  , ratio  efficax',  oder  von  beiden,  um  die  aus  dem  exemplum 
sich  ergebende  Lehre  zu  bekräftigen. 

5.  Es  sind  , exempla  efficacia,  utilia,  euidentia  et  breuia'  vorzu- 
tragen; zu  lange  sind  abzukürzen. 

6.  ,Nunquam  enarranda  sunt  incredibilia ,  uel  que  probabilem 
non  continent  ueritatem,  et  si  forte  introducatur  fabula  ^  aliqua  multum 
edificatoria   propter   edificacionem    aliquam,    quod    uel    nunquam    uel 


'  Distinctio  VIT  18  ßl.  55';  VIII  10  Bl.  59.  * 

^  Dist.  X  26  Bl.  76  steht  folgendes :  ,Quidam  religiosus  imposuit  cuidam  regi, 
qnod  esset  cupidus,  luxuriosus  et  superbus.  Qui  respondit:  „Frater,  pessinias  filias 
mihi  maritasti.  Verumtamen  ille  iam  maritate  sunt,  quoniam  Cistercienses  habent 
cupiditatem ,  Templarii  superbiam ,  nigri  monachi  (sc.  Benedictini)  luxuriam  sibi 
maiitauerunt. "'  Das  würde  ein  Sammler  ans  den  alten  Orden  kaum  aufgenommen 
haben.  In  der  Dist.  VI  sind  auch  Erzählungen  aus  den  Legenden  des  hl.  Domi- 
nikus  (20)  und  des  hl.  Franziskus  (21  22)  aufgenommen. 

^  Oft  benutzt  wurden  die  Fabeln  des  Äsop  und  des  Avianus;  s.  unten  S.  134, 


i 


Vorschriften  über  den  Gebrauch  der  exempla.  125 

rarissime  est  faciendum,  semper  exponendum  est,  quod  illa  res  non 
uera,  sed  propter  significacionem  [sit]  introducta.' 

7.  ,Nunquam  est  referendum,  quod  non  sit  competentis  aiictoritatis.' 
Als  autoritativ  wird  betrachtet,  was  ,uiri  famosi  et  magistri,  ut  ma- 
gistri  in  theologia  uel  cardinales'  gesagt  haben,  oder  was  in  Büchern 
steht,  ,quibus  utitur  ecclesia  licet  non  sint  autentici'.  Darunter  rechnet 
er  die  Vitae  Patrum  und  die  Legendae  Sanctorum ;  ferner  die  ,doctores 
ecclesie  autentici',  wie  Gregor,  Isidor,  Hieronynius  und  ähnliche ;  dann 
die  Bibel  selbst  und  endlich  die  ,libri  philosophorum  notatorum'  und 
den  ,liber  creaturarum'  i. 

So  weitherzig  auch  diese  Vorschriften  und  so  fragwürdig  manche 
Kriterien  der  Glaubwürdigkeit  der  Gewährsmänner  sind,  so  konnten 
sie  immerhin  verständige  Prediger  abhalten,  abgeschmackte  und  lächer- 
liche Dinge  auf  der  Kanzel  vorzutragen.  Man  erkennt  auch  aus  den 
Kautelen,  daß  die  exempla  nicht  bloß  den  Zuhörern  das  Verständnis 
vermitteln ,  sondern  auch  den  Prediger  der  Denkarbeit  überheben 
wollten.  Im  übrigen  gehörte  auch  zum  erfolgreichen  Gebrauch  der 
exempla  eine  gewisse  populäre  Vortragskunst,  die  der  Verfasser  des 
Prologs  gelehrten  Predigern  nicht  zuzutrauen  scheint. 

In  den  Grenzen,  welche  hier  den  Predigern  vorgezeichnet  sind, 
halten  sich  im  allgemeinen  bei  dem  Gebrauche  der  exempla  sowohl 
Peregrinus  wie  Greculus.  Beider  Predigten  weisen  zuerst  in 
Deutschland,  soweit  sich  das  aus  dem  heute  bekannten  Material 
feststellen  läßt,  einen  systematischen  Gebrauch  der  exempla 
in  lateinischen  Predigtwerken  auf^.  Wir  geben  im  Nachstehenden 
ein  Verzeichnis  der  bei  Greculus  sich  findenden  exempla  mit  dem 
Nachweis  der  Herkunft.  Sie  stehen  fast  alle  in  dem  Zyklus  de  tem- 
pore, während  sich  die  Festtagspredigten  mit  geringen  Ausnahmen  ^ 
mit  den  legendarischen  Berichten  über  den  Tagesheiligen  begnügen-^. 


^  Darunter  ist  wohl  nicht  ein  bestimmtes  Buch  zu  verstehen,  sondern  im  all- 
gemeinen die  Benutzung  naturgeschichtlicher  Bücher,  wie  des  ,Physiologus' ,  des 
Buches  des  Thomas  von  Chantimpre  ,De  natura  rerum',  des  ,Speculum  naturale'  des 
Vinzenz  von  Beauvais  u.  a. 

2  Über  die  deutschen  Predigten  s.  oben  S.  122. 

^  Nur  zwei  Exempla  haben  wir  aus  den  Festtagspredigten  notieren    können. 

■*  Die  mit  *  bezeichneten  Stücke  können  wir  in  der  sonstigen  Literatur  nicht 
nachweisen. 


126  I^^-  ^^^  Predigten  des  Greculus. 

A.  Zur  heiligen  Geschichte. 

1.  Als   Joseph    und   Maria   sich   Bethlehem    näherten,    sah 

Maria  —  ,ut  ait  Frater  Barachias'  — ,  wie  ein  Teil  des  Volkes  sich 

freute,  der  andere  weinte.     Ein  Engel  erklärt  der  heiligen  Jungfrau, 

jener  Teil    seien    die   Heiden,    dieser   die  Juden.     (Vigilia    nativitatis 

Domini  Bl.  IP.) 

Die  Erzählung  ist  der  Legenda  aurea  (c.  6,  p.  41)  entnommen,  die  ihrerseits 
bemerkt:  ,ut  frater  Bartholomäus  in  sua  compilatione  testatur  et  de  libro  infantiae 
Salvatoris  est  sumptum'.  Der  Frater  Bartholomäus,  dessen  Namen  Greculus  ent- 
stellt, ist  unbekannt.  Die  Erzählung  steht  nicht  im  Evangelium  infantiae  Salvatoris, 
sondern  im  Protoevangelium  Jacobi  (Fabricius  I  105),  in  welchem  aber  die  Deu- 
tung der  Vision  durch  den  Engel  fehlt.  In  dem  Liber  miraculorum  oder  Lacteus 
liquor  des  Clm  5128  steht  die  Erzählung  dist.  I,  n.   1,  Bl.  1. 

2.  Als    Joseph    mit   Maria    und  Jesus    auf   der   Flucht   nach 

Ägypten  nach  Hermopolis  kam,  ,arbor  quedam,  que  presidis  vocatur, 

gauisa   est   usque   ad   terram  et  ipsum  suppliciter  exorauit'.     Darum 

erhielt   der  Baum   die  Kraft,   daß   seine  Frucht   oder  sein  Blatt  dem 

Kranken,   der   es   an   seinem  Halse  trägt,  die  Gesundheit  wiedergibt. 

(Dominica  I  in  Adventu  Bl.  2*.) 

Die  Legende  ist  der  Historia  tripartita  VI  42  des  Cassiodorius  entnommen 
(Migne,  P.  L.  LXIX  1058)  und  steht  ursprünglich  bei  Sozomenus,  Historia 
ecclesiastica  V  21  (Migne,  P.  G.  LXVII  1281).  Bei  Cassiodorius  heißt  der  Baum 
,Perseidis',  bei  Sozomenus  itipaig;  Valesius  übersetzt  richtig  ,persea'  —  Tzepaia^  ein 
ägyptischer  Baum  mit  süßen  Früchten. 

3.  Dem   Kaiser  Octavianus   erschien   eine   Mutter   mit   ihrem 

Kinde.    Als  ihn  die  Senatoren  unter  die  Götter  erheben  und  anbeten 

wollten,  sprach  er:  ,Solum  hunc  puerum  oportet  adorare.'    Der  Kaiser 

errichtete  für  den  Knaben  einen  Altar.    (Vigilia  nativ.  Domini  Bl.  11'*.) 

Greculus  kürzt  die  Legende,  die  er  der  Legenda  aurea  (c.  6,  p.  44)  entnommen 
hat,  ab.  Octavian  fragt  wegen  des  Senatsbeschlusses  die  Sibylle ,  ob  noch  ein 
größerer  als  er  auf  der  Welt  lebe.  Es  war  gerade  am  Tage  der  Geburt  Christi : 
,in  die  media  circulus  aureus  apparuit  circa  solem  et  in  medio  circuli  virgo  pul- 
cherrima  puerum  gestans  in  gremio'.  Als  der  Kaiser  sich  wunderte,  hörte  er  eine 
Stimme:  ,Haec  est  ara  coeli',  und  die  Sibylle  sprach :  ,Hic  puer  maior  te  est;  ipsum 
adora.*  Die  Stelle,  wo  das  geschah,  ist  heute  die  Kirche  S.  Mariae  in  ara  coeli. 
Auch  Innozenz  111.  erwähnt  im  Sermo  II  de  Sanctis  (Migne,  P.  L.  CCXVH  457) 
diese  Legende. 

4.  Tiberius  erblickte  das  Veronikabild  Jesu,  betete  es  an  und 
wurde  von  seiner  Krankheit  geheilt.  (Dominica  VIII  post  Pente- 
costen  Bl.   104'.) 


Exempla:  Zur  heiligen  Geschichte,  127 

Die  Legende  steht  weitläufig  in  der  Legenda  aurea  (c.  53,  p.  233).  Nach  den 
Act.  SS.  4.  Febr.  I  455  466  soll  sie  aus  Methodius  von  Patara  stammen.  Danach 
hatte  Tiberius  von  dem  Veronikabilde  gehört;  er  ließ  es  kommen,  hörte  dabei  von 
Jesu  Tode  und  schickte  den  Pilatus  ins  Exil.  Der  Anblick  des  Bildes  heilte  ihn 
vom  Aussatz.  In  den  Opp.  Methodii  bei  Migne  steht  die  Legende  nicht ;  auch  nicht 
in  der  Ausgabe  der  Chronik  des  Marianus  Scotus  in  den  M.  G.  SS.  V ;  aus  dieser 
Chronik  wollen  sie  die  Act.  SS.  entnommen  haben. 

5.  ,De   passione    Domini    legitur,    quamuis    euangeliste    non 

scribant:    Cum    induxissent   lesum    ad    locum   Calvarie,    nudauerunt 

eum   totaliter   uestibus    suis.      Sed   Maria,    que   secuta    fuit   eum   ad 

locum   passionis,    propter   hoc   facta   est  ita   exanimis,    quod  accepit 

scilicet   uelamen   capitis   sui   et  ligauit   lumbos    eius.'     (In  Parasceve 

Bl.  54^) 

Die  Erzählung  stammt  aus  dem  Pseudo- Anselmschen  Dialogus  b.  Mariae 
et  Anselmi  de  passione  Domini  c.  10  (Migne,  P.  L.  CLIX  282). 

6.  Christus  kommt  nach  der  Auferstehung  zur  Unterwelt,  um 

die  Gerechten  zum  Himmel  zu  führen.    Er  ergreift  die  Hand  Adams 

und   spricht:    ,Pax   tibi   cum    omnibus   filiis  tuis,   iustis  meis.'     Dann 

übergibt  er  den  Adam  dem  Erzengel  Michael,  der  die  Heiligen  in  das 

Paradies  führt.     (In  Pascha  Bl.  60  ^) 

Entnommen  der  Legenda  aurea  c.  54,  p.  244 ;  stammt  aus  dem  Evangelium 
des  Nikodemus  c.  24  25;  Fabricius  I  289—291. 

7.  Als  Paulus  in  Athen  mit  Dionysius  Areopagita  dispu- 
tierte, sagte  letzterer  zu  Paulus :  ,Wenn  du  den  vorübergehenden 
Blinden  sehend  machst,  will  ich  glauben ;  aber  du  darfst  keine  ma- 
gischen Worte  gebrauchen,  sondern  nur  die  Worte:  In  nomine  lesu 
Christi  Nazareni  crucifixi  et  mortui ,  qui  resurrexit  et  ascendit  in 
coelum,  uide'  I  Paulus  erwiderte,  Dionysius  solle  selbst  diese  Worte 
aussprechen;  letzterer  tat  es,  und  der  Blinde  wurde  sehend.  Nun 
wurde  Dionysius  Christ.    (Dominica  V  post  Pascha  Bl.  73 ^) 

Aus  der  Legenda  aurea  c.  153,  p.  683. 

B.   Barmherzigkeit  und  Friedensliebe. 

P.  Eine  arme  Frau  lebt  von  Almosen,  die  ihr  Sohn  erbettelt. 
Eines  Tages  bringt  er  der  Mutter  betrübt  nur  ein  Almosen.  Da 
kommt  ein  hungriger  Bettler;  die  Mutter  gibt  ihm  das  einzige  All- 
mosen. Als  sie  in  ihre  Kammer  zurückkehrt,  findet  sie  den  Bettel- 
sack  ihres  Sohnes  voll  von  schönem  Brote.     Auch  fürder  füllte  sich 


128  11^-  ^^^  Predigten  des  Greculus. 

der  Bettelsack   von   selbst,    so   daß*  der  Sohn   nicht  mehr  zu  betteln 

brauchte.    (Dom.  VI  in  Epiphania  Bl.  28''). 

Der  Ursprung  ist  nicht  zu  ermitteln.  Eine  ähnliche  Erzählung  hat  Thoraas 
Cantim.  II  25  n.  7,  p.  248:  Eine  Rittersfrau  verteilt  zur  Zeit  einer  Hungersnot 
Mehl ;  ihr  Mann  beschränkt  das  wegzugebende  Quantum ;  aber  sie  gibt  trotzdem 
mehr  und  siehe!  der  Mehlkasten  füllt  sich  von  selbst.  Sie  steht  auch  im  Spe- 
culum  exemplorum  V  51. 

2.  Ein  französischer  Bischof  wischt  auf  Bitten  eines  Leprosen 
dessen  Wunden  aus.  Der  Leprose  legt  dem  Bischof  einen  Edelstein 
in  den  Mund,  fährt  gegen  Himmel  und  sichert  dem  Bischöfe  die 
Herrlichkeit  des  Himmels  zu.     (Dom.  IV  post  Pentec.  Bl.  95'''). 

Aus  Cäsar  ins  dist.  VIII  32,  II  105;  auch  im  Speculum  exempl.  VI  67. 

8.  Dem  hl.  Benedikt  wird  der  Tod  seines  Feindes  gemeldet; 

der   meldende  Mönch   freut   sich   darüber;   Benedikt  weint  ,de  morte 

inimici'   und   ,de  gaudio  fratris,  quia  gaudium  illud  erat  gaudium  in- 

ferni'.     (In  nativ.  Domini  Bl.  12  \) 

Aus  Gregorii  Dialog.  II  8  (vita  s.  Benedicti,  bei  Migne,  P.  L.  LXVI  150), 
wo  aber  der  Zusatz  ,quia  —  inferni'  fehlt. 

4.  Ein  Königssohn  verzeiht  dem  Mörder  seines  Vaters.  Am  Kar- 
freitage will  er  mit  andern  das  Kreuz  adorieren;  da  erhebt  sich  der 
Crucifixus,  umarmt  ihn  und  verzeiht  ihm  seine  Sünden.  (Dom.  lY 
post  Pentec.  2  BL  94' ^) 

In  dieser  Form  nicht  nachweisbar.  Ähnliches  berichtet  die  Vita  s.  Johannis 
Gualberti  (f  1073)  c.  2  3;  A.  SS.  12.  lulii  III  328.  Der  Heilige  verzieh  dem 
Mörder  eines  seiner  Verwandten;  als  er  dann  in  die  Kirche  S.  Miniato  in  Florenz 
trat,  um  zu  beten,  neigte  der  Crucifixus  ihm  sein  Haupt  zu.  Cäsarius  (Meister 
II  35,  114)  erzählt  ähnliches  von  einem  kreuzfahrenden  Ritter,  welcher  dem 
Mörder  seines  Vaters  um  des  Kreuzes  Christi  willen  verziehen  hatte.  Als  er  in 
die  Grabeskirche  trat,  neigte  sich  der  Crucifixus  vor  ihm.  Ein  ähnliches  Ereignis 
soll  in  der  Kirche  der  hl.  Genoveva  in  Paris  vorgefallen  sein:  Ein  Mann,  der  am 
Karfreitage  das  Kreuz  adorieren  will,  trifft  vor  der  Kirche  seinen  Todfeind;  er  will 
ihn  erstechen,  steht  aber  davon  ab,  als  der  Angegriffene  ihn  bei  dem  Gekreuzigten 
um  Schonung  bittet.  Als  er  nun  das  Kreuz  verehren  will,  erhebt  sich  der  Cruci- 
fixus und  spricht:  ,Weil  du  mich  heute  geehrt  hast,  indem  du  deines  Todfeindes 
geschont  hast,  ehre  ich  dich,  indem  ich  dir  entgegenkomme.'  So  im  CGraec.  730 
Bl.  52" ;  vgl.  Schönbach,  Über  eine  Grazer  Handschrift  85.  Vgl.  auch  die  Version 
bei  Etienne  de  Bourbon  n.  503,  p.  433,  welche  aus  Jakob  von  Vitry  stammen 
soll.  Das  Alphabetum  narrationum  nimmt  das  Exempel  (Clm  14752  Bl.  IIG)  aus 
Cäsarius. 


Feindesliebe.     Habsucbt.     Wucher.  129 

C.   Unbarmherzi^keit.     Habsuclit.     Wucher. 

1*.  Ein  unbarmherziger  Mann  hat,  wenn  er  allein  ist,  die 
Versuchung  zum  Selbstmord.  Er  läßt  sich  daher  immer  bewachen. 
Nach  zwei  Jahren  halten  ihn  seine  Diener  für  geheilt ;  sie  lassen  ihn 
allein;  als  sie  wieder  zu  ihm  kommen,  finden  sie  ihn  tot;  er  hatte 
mit  einer  Schere  seinem  Leben  ein  Ende  gemacht.  (Dreimal :  Dom.  I 
Adventus  Bl.  4*;  Dom.  I  post  Pentec.  Bl.  86''';  Dom.  lY  post  Pentec. 
Bl.  93'\) 

2*.  Ein  Habsüchtiger  liegt  auf  dem  Totenbette;  der  Priester 
ermahnt  ihn  ,confiteri,  dolere  et  restituere'.  Der  Sterbende  will  das 
erste  und  zweite  tun,  aber  nicht  das  dritte:  ,ego  probabo,  utrum 
uere  dicatur  an  non ;  non  restituam.'  (Dom.  I  in  Quadragesima  Bl.  37'*.) 

3.  Ein  Wucherer  stirbt;  es  kommen  Mäuse  und  schleppen  aus  seinem 

Geldkasten  Denare,  dringen  in  sein  Grab  und  legen  sie  dem  Toten  in 

den  Mund,  wo  sie  seine  Söhne  finden.   (In  Octava  Pasch.  3  Bl.  65''.) 

In  dieser  Fassung  ist  die  Erzählung  sonst  nicht  nachweisbar.  Bei  Cäsarius 
(Meister  II  22,  97)  steht  eine  ähnliche  Erzählung  in  reicher  Ausschmückung: 
Eine  Wucherin  nahm  zwei  Geldbeutel  mit  ins  Grab;  das  Grab  wird  besichtigt; 
,nudato  corpore  uiderunt  .  .  .  usurariae  corpus  cinctum  duobus  serpentibus  maximis, 
qui  frequenter  et  festinanter  caput  in  crumenas  mittentes  in  os  mulieris  proiecerunt 
denarios  ardentes  igneo  colore'.  Dialog,  dist.  XI  39;  II  300  erzählt  Cäsarius  einen 
ähnlichen  Vorfall:  Ein  Wucherer  ließ  sich  einen  Geldbeutel  mit  ins  Grab  legen; 
dort  fand  man  zwei  Kröten,  von  welchen  die  eine  die  Münzen  aus  dem  Beutel  holte, 
die  andere  dieselben  dem  Wucherer  ins  Herz  legte.  Das  steht  auch  im  Speculum 
VI  84.  Der  hl.  Antonius  von  Padua  soll  bei  der  Beerdigung  eines  Wucherers  ge- 
sagt haben,  daß  dessen  Herz  noch  bei  dem  Gelde  sei;  man  habe  später  den  Toten 
seziert,  statt  des  Herzens  einen  Stein  und  das  Herz  noch  rauchend  im  Geldkasten 
gefunden.  Lempp  XI  202;  XIII  30.  Vgl.  Schönbach,  Über  eine  Grazer  Hand- 
schrift 129:  ,Dic  de  illo  cui  denarii  positi  sub  capite  fuerunt  in  sepulchro'  (aus 
CGraec.  730  Bl.  357).  Nach  Jakob  von  Vitry  (Grane  n.  168,  p.  72)  fand  man  im 
Grabe  eines  Geizhalses,  der  sich  Geld  ins  Grab  legen  ließ,  Dämonen,  die  dem  Toten 
glühende  Denare  in  den  Mund  legten. 

4"^.  ,Legitur  quod  quidam  barbator  dimidium  barbam  abrasit  fene- 
ratori,  ut  inter  alios  cognosceretur.  Sic  in  die  iudicii  speciale  signum 
dampnacionis  portabit.'    (Sermo  2  Dom.  IV  post  Pentec.  Bl.  71'^.) 

D.   Sakrameiitsfrevel. 

1*.  ,Legitur  quod  quedam  mulier  propter  sortilegium  acce- 
perat  corpus  Christi  prout  posset  consequi  effectum  suum.    Una 

Franz,  Drei  deutsche  Minoritenprediger.  9 


130  ^11-  ^^^  Predigten  des  Greculus. 

dierum  dyabolo  instigante  accepit  corpus  Christi  et  proiecit  in  ignem. 
Hoc  facto  incepit  Christus  loqui  ad  eam  dicens:  „0  filia  carissima, 
quid  feci  tibi,  in  quibus  istam  contumeliam  merui,  quod  me  iterum 
martirizas  ? "  At  illa  ipsi  respondens:  „Nolo  te  amodo  portare  mecum, 
non  sum  executa  effectum  uoluntatis  mee."  Et  ecce  hoc  dicto  prosi- 
luit  corpus  Christi  de  igne  in  sinum  dicens:  „Et  si  tu  non  uis  me, 
tunc  nolo  te."  Quod  illa  misera  audiens  compuncta  et  confessa  est 
peccatum  suum  et  obtinuit  ueniam.  Ecce  quam  misericors  deus.'  (Dom.  IV 
Adventus  Bl.  10'%  auch  Dom.  II  in  Quadrag.  Bl.  39  mit  Verweisung 
auf  den  4.  Adventsonntag.) 

In  dieser  Fassung  nicht  nachweisbar.  Von  einer  ins  Feuer  geworfenen  Hostie 
erzählt  Cäsarius  bei  Kaufmann,  Fragmente  Nr  2,  S.  170,  und  bei  Meister  Nr  2,  S.  6. 

2"^.  ,Refert  frater  Albertus  de  Pruscia,  quod  quedam  mulier,  dum 
esset  incredula,  episcopus  uenit  ad  eam  et  confessa  est  sibi,  quod 
diabolus  non  permitteret  eam  credere  de  sacramento  altaris,  quod  ibi 
esset  uerum  corpus  Christi  et  quod  accepit  illud  et  posuit  ante  porcos 
inter  siliquas.  Sed  ecce  mirum!  omnes  porci  flexerunt  genua  quasi 
adorarent.  Sed  misera  plus  uoluit  experiri  et  posuit  corpus  Christi 
super  ueru  et  assauit  iuxta  ignem  tarn  quam  assaturam  et  ecce  gutte 
sanguinee  deinde  fiuere  ceperunt.  Hoc  facto  misera  adhuc  non  con- 
tenta  accepit  corpus  Christi  et  fodit  in  terram.  Et  statim  sanguis 
nimius  super  terram  cepit  emanare  quasi  extra  terram  bulliendo. 
Ad  quod  primo  compuncta  credidit  uerum  corpus  Christi  esse  in  sacra- 
mento altaris  et  uenit  ad  episcopum  et  confessa  est  peccata  sua  et 
perpetuam  penitenciam  ab  eo  suscepit.' 

Welcher  Schrift  Alberts  die  Erzählung  entnommen  ist,  läßt  sich  nicht  er- 
mitteln. Sie  gehört  der  grofsen  Zahl  von  Berichten  über  Hostienfrevel  und  Hostien- 
wunder an,  die  seit  Gregors  d.  Gr.  Zeit  im  Schwange  waren.  Das  frevelhafte  Ver- 
bringen der  Hostie  in  einen  Schweinestall  erzählt  auch  Herbert  von  Torres  in 
Sizilien  (De  miraculis  1.  3,  c.  28  [Migne,  P.  L.  CLXXXV  1373]),  allerdings  mit  anderem 
Ausgange.  Vgl.  Franz  96  ff.  Jm  Lacteus  liquor  wird  erzählt:  Christus  offenbarte 
einer  Nonne  in  Byzanz  in  einer  Vision,  daß  eine  konsekrierte  Hostie  zu  aber- 
gläubischen Zwecken  in  einen  Schweinestall  gelegt  worden  sei.  Der  Verbrecher 
wurde  ermittelt,  die  Hostie,  die  in  Fleisch  verwandelt  war,  gefunden  und  feierlich 
zur  Kirche  getragen  (Clm  5128  Bl.  65'). 

I 

E.   Buße  niid  Beicht. 

1.  Einer  der  Väter  hatte  die  Gabe,  die  ,merita  singulorum'  zu 
erkennen.    Er  sieht  beim  Eintritt  der  Brüder  in  die  Kirche  alle  fröhlich 


I 


Hostienfrevel.     Buße  und  Beicht.  131 

von  freudigen  Engeln  begleitet ;  nur  einer  schreitet  traurig  daher,  ge- 
schleppt von  Teufeln  an  Ketten,  und  sein  Schutzengel  fdgt  betrübten 
Blickes.  Beim  Austritt  aus  dem  Gotteshause  sieht  er  auch  diesen 
freudig  und  jubelnd.  Er  fragt,  und  der  Frater  gesteht:  bisher  habe 
ich  in  Sünde  gelebt,  nun  hat  mich  das  Wort  Gottes  ergriffen,  und  reuig 
habe   ich  Besserung  gelobt.     (Dom.  lY  post  Octav.  Epiph,  Bl.  23' ^) 

Aus  Vitae  patrum  VII  23  (Migne,  P.  L.  LXXIII  1046),  auch  bei  Peregrinus 
Dom.  XI  post  Octav.  Pentec.  Die  Erzählung  wurde  auch  gebraucht,  um  die  Kraft  der 
Messe  für  die  Bekehrung  der  Sünder  zu  beweisen  (vgl.  Franz  665). 

2.  ,Exemplum  de  latrone,  qui  secutus  fuit  quendam  abbat em 

per  siluam  et  uoluit  confiteri  et  corruit  de  equo  et  mortuus  est.    Die 

quod  angeli  animam  eins  ad  celum  portauerunt,  quod  uidit  heremita. 

Die  totum.'     (Fer.  2  in  Pascha  Bl.  61  ^) 

Bei  Peregrinus  Dom.  II  post  octav.  Paschae  folgt  der  Räuber  in  raschem 
Laufe  einem  im  Versehgange  begriffenen  Priester,  dem  er  beichten  will.  Der 
Priester  weist  ihn  an,  in  die  Kirche  zu  gehen;  auf  dem  Wege  dahin  fällt  er  und 
stirbt.  Der  Priester  sieht  seine  Seele  zum  Himmel  fahren.  Ein  ähnliches  Beispiel 
von  der  ,contritio'  steht  in  CGraec.  730  Bl.  105'^;  vgl.  Schönbach,  Über  eine 
Grazer  Handschrift  94. 

3.  Ein  Räuber  will  sich  bekehren  und  bittet  einen  Eremiten 
um  Aufnahme.  Der  letztere  verweigert  das.  Nun  will  sich  der  Räuber 
selbst  ein  heremitorium  anlegen.  Bei  dem  Fällen  eines  Baumes  wird 
er  erschlagen.  Der  Eremit  sieht,  wie  Engel  seine  Seele  zum  Himmel 
tragen.     (Dom.  VII  post  Pentec.  Bl.  102  \) 

Auch  bei  Peregrinus  Dom.  VII  post  Octav.  Pentec. 

4*.  Ein  Räuber  will  einem  Eremiten  beichten;  dieser  stößt 
ihn  unbarmherzig  zurück,  worauf  ihn  der  Räuber  ermordet.  Wiederum 
drängt  es  ihn  zu  beichten;  er  trifft  einen  barmherzigen  Ordensmann, 
bereut,  beichtet  und  bessert  sich.     (Dom.  I  in  Quadrag.  Bl.  36.) 

5.  Ein  Pönitent  kann  vor  Tränen  nicht  beichten;  der 
Confessarius  heißt  ihn  nach  Hause  gehen  und  die  Sünden  auf- 
schreiben ;  er  tut  das ;  als  er  aber  dem  Beichtvater  den  Zettel  über- 
reicht, sind  alle  Sünden  ausgelöscht.     (Dom.  I  Adventus  Bl.  3'^.) 

(Aus  Cäsarius,  Dialog,  dist.  II  10;  I  75;  steht  auch  bei  Jakob  von  Vitry 
[Grane  n.  350,  p.  126].) 

6*.  Ein  Pönitent  wurde  nach  jeder  Beicht  rückfällig;  endlich 
faßte  er  einen  festen  Vorsatz.  Nach  der  Beicht  erblickte  er  den 
Teufel   durchbohrt   von   vielen  Messern.     Befragt,   was   das   bedeute, 


]^32  ^I^-  ^^®  Predigten  des  Greculus. 

erklärt  der  Teufel:  die  Messer  kommen  von  den  Beichten;  mit  der 
letzten  hast  du  mich  am  schwersten  verwundet.  (Dom.  XI  post  Pentec. 
Bl.  112'.) 

7*.  Ein  Jüngling  will  nicht  beichten.  Die  Seele  entflieht 
ihm  in  Form  eines  Frosches.  Er  verflucht  sterbend  seine  Eltern. 
(Dom.  II  Quadrag.  Bl.  iO^\) 

8*.  Ein  Sünder  will  trotz  des  wiederholten  Drängens  seiner 
Frau  nicht  beichten.  Die  letztere  ruft  eines  Tages  zwei  vorüber- 
gehende Fratres  in  das  Haus.  Der  eine  redet  dem  Sünder  vergebens 
zu.  Der  andere  fragt:  , Willst  du  mit  mir  ein  Geschäft  (forum)  machen, 
wobei  du  100  Mark  gewinnst?'  , Gewiß',  versetzte  der  Sünder.  ,Es 
ist  aber  Sitte',  fuhr  der  Bruder  fort,  ,daß  der  Verkäufer  dem  Käufer 
die  Ware  zeigt.  Ich  gebe  dir  all  mein  Gut,  d.  h.  30  Jahre  meines 
Ordenslebens,  Fasten,  Gebete,  Vigilien,  Predigten  usw.  Das  alles  sollst 
du  haben  für  deine  Sünden;  aber  sagen  mußt  du  mir  dieselben.'  Der 
Sünder  sagte  sie  und  wollte  dann  weggehen.  Aber  der  Bruder  hielt 
ihn  zurück  und  bat  ihn  unter  Tränen :  , Dieser  Handel  war  ein  Scherz 
(forum  trufaticum) ;  ich  beschwöre  dich  bei  Gott,  daß  du  mich  hörest.' 
Da  wurde  der  Sünder  gerührt  und  beichtete.  ,Istud  cor  durum  per 
ignem  Spiritus  sancti  fuit  mollificatum.'   (Sermo  3  in  Pentecoste  Bl.  84 \) 

Eine  ähnliche  Erzählung,  in  welcher  aber  die  Frau  des  Sünders  keine  Rolle 
spielt,  steht  in  Peregrinus  Dom.  I  post  octav.  Paschae.  Hier  ist  der  Sünder  ein 
reicher  Mann,  der  gern  Geistliche  bei  sich  zu  Gaste  hatte.  Bei  einem  Mahle  wird 
der  Vertrag  vor  Zeugen  abgeschlossen;  der  Sünder  beichtet,  stirbt  noch  dieselbe 
Nacht,  seine  Seele  fährt  zum  Himmel. 

F,  Jesus.     Die  heilige  Jungfrau. 

1.  Ein  verbrecherischer  Soldat  soll  von  seinen  Feinden  geköpft 
werden.  Er  bittet  um  einen  Priester;  der  wird  ihm  versagt.  Da 
ruft  er:  ,Animam  meam  commendo  filio  Virginis.'  Einem  Be- 
sessenen wird  nach  der  Hinrichtung  des  Soldaten  gesagt,  daß  die 
Teufel  heute  einen  guten  Fang  getan  haben.  ,Nequaquam',  erwidert 
er,    ,unum    uerbum   protulit,    de   quo   saluatus   est.'     (Dom.   Sexag. 

Bl.  31'».) 

Aus  Cäsarius,  Dial.  dist.  VH  57;  H  76. 

2.  Zwei  Spieler  stoßen  schreckliche  Blasphemien  aus.  Der 
eine  schmäht  die  Mutter  Gottes.    Da  ertönt  eine  Stimme:  ,Meine 


Beicht.    Die  heilige  Jungfrau.  133 

Beschimpfung    ertrage    ich ,     aber    nicht    die   meiner   Mutter.'     Der 

Spieler  starb    plötzlich   eines    elenden  Todes.     (Dom.  V  post   Epiph. 

Bl.  27' ^) 

Aus  Cäsarius,  Dialog,  dist.  VII  43;  II  32. 

3*.  Eine  virgo  religiosa  bittet  Gott  durch  ein  ganzes  Jahr,  ihr 
das  Geschick  ihres  verstorbenen  Beichtvaters  zu  offenbaren.  Nach 
diesem  vergeblichem  Gebete  spricht  sie:  ,Quid  peto?  petam  melius!'  — 
nämlich,  daß  sie  das  Jesuskindlein  in  der  Krippe  sehen  möchte. 
Nach  wieder  einem  Jahre  bittet  sie  den  zwölfjährigen  Jesus- 
knaben ,  im  nächsten  Jahre  Jesus  im  Alter  von  dreißig  Jahren 
sehen  zu  dürfen.  Nach  wieder  einem  Jahre  sieht  sie  ihren  Beicht- 
vater glänzend  wie  die  Sonne;  zwei  Engel  tragen  einen  Kasten  mit 
drei  Türen.  Der  Beichtvater  öffnet  nacheinander  die  Türen  und  zeigt 
der  Jungfrau  zuerst  das  Jesuskind  in  der  Krippe,  dann  den  zwölf- 
jährigen Jesusknaben  und  endlich  Jesus  im  Alter  von  dreißig  Jahren. 
Nach  drei  Tagen  stirbt  die  Jungfrau,  wie  der  Beichtvater  ihr  vorher- 
gesagt.    (Sermo  3  in  Epiph.  Bl.  19''.) 

4"^.  Eine  fromme  Jungfrau  hat  durch  acht  Jahre  die  Mutter 
Gottes  gebeten,  ihr  das  Jesuskind  zu  zeigen.  Endlich  erfüllt  sich 
ihre  Bitte.  Das  göttliche  Kind  erscheint  und  fragt  sie  wiederholt, 
ob  sie  es  liebe  und  mehr  als  alles  andere  liebe.  ,Et  illa:  „Nescio 
plus  dicere,  quia  ipsum  cor  loquitur. "  Quo  dicto  cor  uirginis  scissum 
est.'  Unter  dem  Jubel  der  Engel  wird  die  Seele  der  Jungfrau  in 
den  Himmel  geführt.  ,Cor  scissum  inuenerunt  et  in  eo  scriptum: 
Diligo  te  plus  quam  me,  quia  creasti  me,  redemisti  me,  dotasti  me.' 
(Dom.  I  Adventus  Bl.  V.) 

5.  Eine  fromme  Frau  fleht  um  die  Gnade,  den  Jesusknaben 
sehen  zu  dürfen.  Ihre  Bitte  wird  erfüllt.  Die  Frau  fragt  den  Knaben, 
ob  er  das  Pater  noster  und  das  Ave  Maria  beten  könne.  Der  Knabe 
bittet  sie,  ihn  beides  zu  lehren.  Als  sie  betet:  ,benedictus  fructus 
uentris  tui',  gibt  er  sich  zu  erkennen  und  verschwindet.  (Dom.  I 
Adventus  Bl.  2  ^) 

Bei  Cäsarius,  Dialog,  dist.  VIII  8 ;  II  87  —  daraus  im  Speculum  exemplorum 
VI  66  —  ist  die  Begnadigte  eine  Jungfrau.  Nach  den  Sermones  Thesauri  novi  de 
Sanctis,  Sermo  18  in  nativ.  Domini  (Argentorati  apud  Flach  1489)  stirbt  die  Frau  am 
dreißigsten  Tage  nach  der  Erscheinung.  Die  Legende  steht  auch  in  dem  Lacteus 
liquor  des  Clm  5128.     Distinct.  II  Bl.  32^ 


134  III-  ^iß  Predigten  des  Greculus. 

6.  Christus  erscheint  einem  von  Austrittsgedanken  versuchten  Cister- 
cienser  und  reicht  ihm  grobes  Brot,  welches  durch  die  Berührung  mit 
dem  Blute  der  Seitenwunde  versüßt  wird.    (S.  Nr  7,  Bl.  9.) 

Aus  Thomas  Cantimp.  II  57,  n.  26,  p.  557;  auch  im  Speculum  exemplorum 
V  131. 

Gr.  Verschiedenes. 

1*.  Ein  einfältiger  Mensch  litt  an  den  Augen.  Er  fragte 
seinen  Paten  um  Rat.  Dieser  sagte  scherzhaft  zu  ihm :  , Reiße  deine 
Augen  heraus  und  stecke  sie  in  deine  Börse,  und  du  wirst  keine 
Schmerzen  mehr  haben.'  So  rät  der  Teufel :  ,Erue  oculos  diuinae  miseri- 
cordie.'     (Dom.  IV  Adventus  Bl.  1Ö\) 

2.  Ein   armes  Mädchen  ist  krank  und  kann  nur  genesen,   wenn 

sie   in   königlichem  Blute   gebadet   wird.     Der  König   gibt   sein  Blut 

dazu  her.     Der  König  ist  Christus,  das  Mädchen  die  Menschheit,  das 

Bad  Christi  Blut.     (Dom.  IV  post  Epiph.   Bl.    24^  Dom.  V  Quadrag. 

Bl.  46.) 

Steht  in  Gesta  Romanorum  n.  230,  Appendix  34,  p.  633. 

3.  Ein  König  war  krank ;  starker  ungemischter  Wein  war  ihm 

lebensgefährlich.    Er  hatte  an  seinem  Hofe  zwei  Ritter;  der  eine  ihm 

feindlich    gesinnte   trank   ihm   stets   schweren  Wein   zu,    der  andere, 

sein  wahrer  Freund,  stets  gemischten  Wein.     Der  letztere  erhielt  den 

König  am  Leben.    Der  kranke  König  ist  jeder  Mensch,  der  Feind  der 

Teufel,  der  starke  Wein  die  Weltfreude,  der  Freund  der  Heilige  Geist, 

der  gemischte  Wein  das  Andenken  an  das  Leiden  des  Herrn.    (Dom. 

Quinquag.  Bl.  33  ^) 

Steht  in  Gesta  Romanorum  n.  236,  Appendix  40,  p.  636  und  bei  Peregrinus 
Dom.  Quinquagesima. 

4.  Ein  König  sichert  einem  Neidischen  und  einem  neidischen 
Habgierigen  ein  Geschenk  zu  unter  der  Bedingung,  daß  der  zweite 
die  vom  ersten  erbetene  Gabe  doppelt  bekäme.  Der  Neidische  bittet 
um  die  Erlaubnis,  sich  ein  Auge  herausreißen  zu  dürfen;  so  mußte 
denn  der  Habgierige  sich  beide  Augen  ausreißen.  (Dom.  Septuag. 
Bl.  29  \) 

Die  Fabel  stammt  aus  A  v  i  a  n  u  s  (Fabulae  XLII  ad  Theodosium  XXII  [Leipzig 
1862]  27).  Sie  erscheint  in  den  mittelalterlichen  ,Exempla*  nachweislich  zuerst 
bei  Jakob  von  Vitry  (Crane  n.  196,  p,  81)  und  bildet  dann  ein  Inventarstück  in 
Predigten  und  Exempelbüchern  (vgl.  Crane  p.  212).  Auch  Johannes  Junior  hat  sie 
aufgenommen  s.  v.  invidia  p.  152. 


Exempla  verschiedenen  Inhalts.  135 

5.  Der  hl.  Antonius  sah  m  einer  Vision  Stricke  auf  der  ganzen 

Welt  gelegt.     Er  fragt  den  Herrn:  ,Quis  est,  qui  potest  euadere  la- 

queos  istos?     Cui  reponsum   est:  humilitas.'    (Dom.  XII  post  Pentec. 

Bl.  115^) 

Aus  Vitae  Patrum  V  15  (Migne,  P.  L.  LXXIII  953);  auch  in  Legenda 
aurea :  Vita  s.  Antonii  c.  21,  p.   105. 

6.  Vier  Eremiten   unterhielten   sich   über  die  jedem  derselben 

eigene  vornehmste  Tugend.    Der  erste  nannte  die  Demut,  der  zweite 

die  Geduld,  der  dritte  die  Neigung  zur  Anhörung  des  Wortes  Gottes, 

der  vierte   endlich   die  Liebe   zum  Gebet.     Sie  baten  Gott,   ihnen  zu 

offenbaren,   wer   von   ihnen   heiliger   sei.     Da   erscholl   eine  Stimme: 

, Primus  ex  uobis  me  capit,  secundus  me  ijenet,  tertius  me  ligat,  quartus 

me  ducit,  quo  uult  et  sie  quilibet  me  tenet  in  loco  suo  per  suam  uir- 

tutem!'    (In  Rogationibus  Bl.  76^) 

Ist  als  Erzählung  der  Vitae  Fatrum  bezeichnet ,  in  welchen  wir  sie  nicht 
finden  können;  steht  auch  in  Gesta  Romanorum  n.  197,  App.  1,  p.  610  mit  der- 
selben Einleitung :  Xegitur  in  Vitas  Patrum.' 

7.  ,Dic  exemplum  in  vitas  Patrum  de  sancto  patre,  qui  raptus 
ad  celum  uidit  VII  Coronas  ibi  uno  discipulo  preparatas,  quas  una 
nocte  meruerat  temptacioni  resistendo.'    (S.  Nr  34,  Bl.  37^) 

Aus  Vitae  Patrum  V  7,  n.  43  (Migne,  P.  L.  LXXIII  903). 

8.  ,Legitur  quod  quidam  bone  uite  uenit  ad  quendam  in  firm  um. 
Cui  infirmus:  „Bene  uenisti,  sancte  dei,  ora  pro  me."  Et  ille:  „Die 
mihi,  quando  plus  times  deum  et  inuocas  eum?"  Cui  infirmus:  „Quando 
sum  infirmus."  Respondit:  „Et  deus  nunquam  te  faciet  conualere,  ut 
sui  nunquam  obliuiscaris. "  Sic  trahit  Deus.'  (Dom.  III  post  Pentec.  Bl.  9  P.) 

Nur  wenig  abweichend  in  der  Form  findet  sich  die  Erzählung  im  Lacteus  liquor 
(Clm  5128  dist.  X  Bl.  76''),  in  welchem  sie  mit  folgenden  Versen  schließt: 
Cum  fero  languorem,  fero  religionis  amorem. 
Expers  languoris  non  sum  memor  huius  amoris. 

Ein  der  Tendenz  nach  gleiches  , exemplum'  steht  bei  Jakob  von  Vitry  (Crane 
n.  103,  p.  47) :  Ein  armer,  frommer  Scholare  trug  —  wie  das  in  Frankreich  üblich 
war  —  an  den  Sonntagen  das  Weihwasser  in  der  Parochie  herum,  wofür  er  kleine 
Almosen  bekam.  Ein  Ritter  aber  gab  ihm  statt  des  letzteren  gewöhnlich  Schelte. 
An  einem  Sonntage  fand  der  Scholare  den  Ritter  an  einem  Fufse  gichtkrank.  Der 
Kranke  gab  diesmal  ein  Almosen  und  bat  den  Scholaren,  für  ihn  zu  beten.  Ver- 
wundert über  den  Empfang  beginnt  der  Scholar  laut  zu  beten,  daß  Gott  auch  den 
andern  Fuß  krank  werden  lasse.  Auf  die  unwillige  Frage  des  Ritters  erwidert  der 
Scholare:  ,Du  warst  ein  Löwe,  als  du  gesund  warst,  nun  bist  du  wie  ein  Lamm: 
darum  bitte  ich  Gott,    daß  er  dir  auch  an  dem    andern  Fuße  verleihe,    was    er   dir 


136  ^^^'  -^^^  Predigten  des  Greculus. 

an  dem  einen  gab,'  In  kürzerer  Form  wird  die  Erzählung  sowohl  von  Etienne  de 
Bourbon  (Lecoy  n.  517,  p.  446),  als  auch  im  Alphabetum  narrationum  s.  v.  in- 
firmitas  (Clm  14  752  Bl.  920  wiederholt. 

9.  Der  Sohn  eines  reichen  Mannes  ging  in  das  Kloster  Clair- 
vaux.  Sein  Vater,  darüber  ergrimmt,  wollte  ihn  mit  Gewalt  dem 
Kloster  entreißen.  Der  Sohn  erklärte,  er  wolle  gern  in  die  Welt 
zurückkehren,  wenn  der  Vater  eine  gewisse  Gewohnheit  abschaffen 
wolle.  Der  Vater  sagte  zu,  und  nun  erklärte  der  Sohn,  er  meine  die 
,consuetudo,  quod  in  terra  tua  homines  moriuntur'.  Nun  ver- 
ließ auch  der  Vater  die  Welt.    (Dom.  XVI  post  Pentec.  Bl.  122^) 

Die  Erzählung  steht  bei  Cäsar  ins  (Lib.  miracul.  II  38;  Meister  116); 
auch  bei  Etienne  de  Bourbon  (n,  20,  p.  59),  wo  Lecoy  auf  Jakob  von  Vitry  ver- 
weist. In  der  Sammlung  der  ,Exempla'  hei  Crane  finde  ich  das  Stück  nicht.  Der 
Ritter  heißt  bei  Etienne  Dominus  de  Vagnory,  wahrscheinlich  Vignory,  Haute  Marne, 
das  Kloster  Clairvaux.  Sonderbarerweise  läßt  das  Alphabetum  narrationum  (Clm 
14  752  Bl.  92  s.  v.  conversio)  den  Sohn  in  ein  Kloster  des  Predigerordens 
eintreten,  obschon  als  Quelle  der  Liber  de  timore  angegeben  wird. 

10.  Ein  Mann   ritt   am  Sonntag,    statt   zur  Messe   zu  gehen, 

aufs  Feld   und   ging   dann   ins  Wirtshaus.     Eines  Abends   verließ  er 

betrunken   das  Wirtshaus,   um   heimzukehren;   unterwegs  erdrosselte 

ihn  der  Teufel,  warf  ihn  in  einen  Graben.    So  wurde  er  in  die  Hölle 

geführt.     ,Ibi    inueniant    bibuli   longas   assaturas   et   breues   missas.' 

(Dom.  I  post  Epiph.  Bl.  191\) 

Bei  Peregrinus  Dom.  infra  octav.  Epiph,  folgt  die  Strafe  auf  dem  Fuße. 
Der  Teufel  begegnet  dem  Reiter  und  befiehlt  ihm:  ,Descende  de  equo  ut  audias 
missam  meam.*  Dann  stürzte  er  ihn  in  den  Graben  und  —  in  die  Hölle,  ,cum  eo 
auditurus  missam  in  Inferno,  ubi  cantatur:  ue  nobis  qui  nati  sumus,  ue  nobis  quia 
mori  non  possumus'. 

11.  ,Legitur   in  scolastica  historia,    quod  Rome  cuidam  monacho 

miranti  de  suo  cingulo,  quo  accinctus  erat,   insoluto  et  proiecto  ante 

eum  vox  in  aere  facta  est  dicens:  Sic  potuit  Christus  prodire  clauso 

sepulchro.'     (In  Pascha  Bl.  60".) 

Aus  Historia  scholastica  des  Petrus  Comestor,  In  evangelia  c.  184 
(Migne,  P.  L.  CXCVIII  1636).  Der  Vorfall  soll  sich  mit  einem  Mönche  von 
S.  Laurentius  extra  muros  ereignet  haben. 

12.  Als  Salomo  den  Tempel  baute,  ließen  sich  gewisse  harte 
Steine  nicht  schneiden.  Er  besaß  einen  Strauß,  der  ein  Junges  hatte. 
Salomo  sperrte  das  Junge  in  einen  Glaskäfig.  Da  der  alte  Strauß 
niclit  zu  seinem  Jungen  kommen  konnte,   brachte   er  aus  der  Wüste 


Exempla  verschiedenen  Inhalts.     Guter  Tod.  137 

einen  Wurm,  mit  dessen  Blute  er  den  Käfig  bestrich.     Infolgedessen 

brach  das  Glas,  und  das  Junge  wurde  frei.    Salomo  ließ  solche  Würmer 

kommen,  deren  Blut  die  Steine  erweichte.    (Dom.  Passionis  Bl.  46'*.) 

Stammt  aus  der  Historia  scholastica  in  lib.  3  Regum  c.  8  (Migne,  P.  L. 
CXCVIII  1353) ;  steht  auch  mit  derselben  Quellenangabe  in  Gesta  Roraanorum 
n.  256,  App.  60,  p.  662;  nach  dem  Text  der  Gesta  Romanorum  bringt  der  Strauß 
den  Wurm  ,ex  stercore'.  Auch  Konrad  von  Sachsen  erwähnt  die  Fabel  im  Sermo  1 
dominica  in  Passione  D.  126. 

13.  Ein  Römer  liebte  übermäßig  seinen  Sohn,  welcher  bei  der 
geringsten  Gelegenheit  in  Fluchworte  und  Blasphemien  ausbrach.  Die 
Teufel  holen  den  ungeratenen  Sohn  aus  den  Armen  des  sündlich 
nachsichtigen  Vaters.     (Trinit.  Bl.  85.) 

Aus  Papst  Gregors  Dialog.  1.  4,  c.  18  (Migne,  P.  L.  LXXVII  349). 

14.  Um  zu  zeigen,  welche  schwere  Verantwortung  Eltern  haben, 

die  ihre  Kinder  schlecht  erziehen,  führt  er  an :  ,Dic  de  illo  qui  uocauit 

compatrem  suum,  quando  mori  debuit  et  comburi,  et  quomodo  rogauit, 

quod  fune  alligaretur.    Hoc  contigit  in  Polonia  Sweidnitz.'  (Trinit.  II 

Bl.  85^) 

CLb  130  Bl.  125'^:  ,in  Polonia  in  Swedenite'.  Der  Vorfall  soll  sich  in  Schweid- 
nitz  in  Schlesien  ereignet  haben.  Das  Beispiel  ähnelt  dem  bei  Jakob  von  Vitry 
(Grane  n.  287,  p.  1421)  und  Etienne  de  Bourbon  (Lecoy  n.  43,  p.  57)  stehenden: 
Ein  Delinquent  läßt  vor  seiner  Hinrichtung  seinen  Vater  zu  sich  bitten  und  beißt 
ihm  die  Nase  ab,  weil  er  ihn  schlecht  erzogen  habe.  Dasselbe  auch  bei  P  e  r  e- 
grinus  Dominica  infra  octav.  Epiphaniae.  In  diese  Kategorie  gehört  auch  fol- 
gende Erzählung  einer  Predigt  in  CLP  719  Bl.  16V:  ,Fuit  quidam  auarus,  habens 
duos  filios;  unus  nolens  patri  in  hereditate  succedere,  factus  heremita,  uir  bonus  ; 
alter  patri  successit ;  qui  ambo  dampnantur.  Bonus  hie  filius  dormiens  ductus 
spiritu  ad  inferum  et  uidit  egredi  patrem  et  filium  de  teterrimo  puteo  maledicentes 
et  mordentes  ;  et  ait  filius  patri:  Maledictus  sis,  quia  propter  te  res  iniustas  lucratus 
sum ;  sum  enim  filius  et  tu  pater,  maledictus  sis ;  si  eas  non  acquisiuisses,  non  eas 
possedissem.' 

H.   Oiiter  Tod. 

P.  Zu   dem   hl.  Antonius  kam  vor  seinem  Tode   ein  Engel  und 

mahnte   ihn,   sich   zum  Tode   vorzubereiten.     Als  Antonius   ängstlich 

noch  um  Aufschub  bat,  sprach  der  Engel:  ,Si  propter  peccata  times, 

scito  tibi  omnia  peccata  dimissa.     0  miser,   tu  nescis,   si  deus  unum 

peccatum  tibi  dimisit,  et  tamen  non  times  mortem!'    (Dom.  I  Quadrag. 

Bl.  36'^  und  Dom.  III  Adventus  Bl.  7^) 

Weder  in  der  Vita  Antonii,  welche  der  hl.  Athanasius  verfaßt  hat,  noch  in 
der  Legenda  aurea  c.  21  findet  sich  diese  Vision  verzeichnet. 


138  I^^'  ^iö  Predigten  des  Greculus. 

2*.  jLegitur  de  quodam,  qui  nunquam  habuit  consolacionem  in 
uita  sua.  Et  cum  sua  anima  a  corpore  fuisset  separata,  occurrit  ei 
Christus.  Cui  ait:  „Domine,  non  habui  consolantem  me  in  terris." 
Cui  Dominus:  „Ego  ero  consolacio  tua  in  eternum."'  (Dom.  IV  post 
Pascha  Bl.  72^) 

3*.  Ein  Frater  sang  sterbend  den  Hymnus  Jesu  nostra  redemptio'. 
Gefragt,  wie  es  ihm  gehe,  antwortete:  ,Gut;  denn  der  princeps  mundi 
hat  keinen  Teil  an  mir.'  Der  Grund:  ,quia  misericordia  dei  erat  sibi 
comes'.     (Dom.  I  post  Pentec.  Bl.  86'^) 

I.  Himmelsfr enden. 

1*.  ,Quidam  abbas  in  oracionibus  positus  raptus  fuit  et  uidit  se 
Interesse  choris  angelorum.  Venit  ergo  sanctus  Michael  ei  in  occursum 
ipsum  benigne  suscipiens.  Cui  referenti  gracias  ait  sanctus  Michael: 
„,0  utinam  nobiscum  deberes  manere ! "  Respondit  abbas :  „Hie  manebo, 
non  exibo."  Respondit  Michael:  „Non  manebis,  sed  necesse  est,  ut 
reuertaris."  Venit  tercius  ad  eum  qui  scriba  suus  fuerit  in  hac  uita 
dicens:  „0  utinam  nobiscum  maneres."  Abbas  respondit :  „Hie  manebo, 
non  exibo."  Accipiens  predictus  scriba  pomum  de  arbore  dedit  abbati 
dicens:  „Si  manducare  poteris  hoc  pomum,  non  exibis,  nobiscum 
manebis;  sin  autem,  necesse  est  ut  exeas."  Accipiens  ergo  abbas 
pomum  de  manu  eins  momordit  auide  dicens  et  sepe  secum  replicans: 
„manebo,  non  exibo."  Accedens  ergo  sibi  quidam  subditus  eiusdem 
abbatis  putans  eum  loqui  de  sompno  et  excitauit  eum  et  ecce  re- 
uersus  ad  se  abbas  inuenit  pomum  in  manu  dimidium;  iam  aliam 
partem  comederat.'     (In  nativ.  Domini  Bl.  12'^) 

2.  Die  hl.  Dorothea  sendet  dem  Theophilus  Rosen  und  Äpfel 
aus  dem  Himmel.  (Dom.  IV  Adventus  Bl.  8^  auch  Dom.  XIII  post 
Pentec.   Bl.    116'^)  Aus  Legenda  aurea  c.  210,  p.  911. 

3*.  ,Legitur  quod  quidam  diues  audiuit  predicare  de  gaudiis 
paradisi,  et  post  predicacionem  quesiuit  a  predicatore  dicens :  „Pro  deo! 
dicatis  mihi,  cuiusmodi  est  istud  gaudium?  Eruntne  ibi  pulchre  domine 
cum  iuuenibus,  preciosa  cibaria?"  Et  multa  tali  numerauit.  Respondit 
predicator:  „Non."  Dixit  diues:  „Cum  aliud  gaudium  non  uideamus, 
quäle  gaudium  est  illud?"  Cui  predicator:  „Legitur  in  fabulis,  quod  leo 
tenuit  festum,   in    quo  omnia  genera  [erant]  animalium  preter  suem. 


Guter  Tod.     Himmelsfreuden.     Der  Teufel.  139 

qui  in  luto  et  fetore  remansit.  Finito  festo  lupus  rediit  ad  propria. 
Cui  obuians  sus  ait:  ,Undeuems?'  Ciii  lupus:  ,Unde  uenis  tu,  mise- 
rabilis  sus?'  Inquit:  ,Unde  uenis  tu?'  Et  lupus:  ,Ego  uenio  de  festo, 
ubi  omne  bonum  delectabile  fuit  ministratum.  Unde  odit  te  leo, 
quod  ibi  non  fuisti?'  Cui  sus:  ,Fuit  aliquid  boni?'  Cui  lupus:  ,Immo 
plus  quam  cogitari  potest  fuit  ibi  delectabile.'  Cui  sus:  ,Fuit  ibi 
aliquid  de  furfure?'  Cui  lupus:  ,Tace  misera!  Non  enim  esset  ausus 
aliquis  de  tarn  uili  cibo  mencionem  facere.'"  „Sic  dico'*  —  inquit  pre- 
dicator  —  „quomodo  queris:  Erunt  ibi  pulchre  puelle?  etc.;  id  est 
ac  si  queris:  erit  ibi  de  furfure  satis."'  (Sermo  4  Dom.  XV  post 
Pentec.  Bl.  12P.) 

4.  Ein  Abt  bittet  Gott,  ihm  die  Freuden  des  Himmels  zu  zeigen. 
Da  fing  ein  Vögiein  an  herrlich  zu  singen.  Der  Abt  folgt  dem  Vöglein 
in  den  Wald  und  hört  ihm  unter  einem  Baume  sitzend  zu.  Er  kam 
ins  Kloster  zurück;  niemand  erkennt  ihn;  die  Chronik  ergab  das 
Verschwinden  des  Abtes  vor  340  Jahren;  der  Abt  aber  meinte  nur 
eine  Stunde  dem  Vöglein  zugehört  zu  haben.  (Dom.  II  post 
Pentec.  Bl.  90'^) 

Mit  dem  Eingange  ,legitur  in  libro  exemplorum'  wird  im  Speculum  exemplorum 
IX  65  das  gleiche  von  einem  Mönch  erzählt,  der  über  den  Psalmvers  ,Mille  anni 
ante  oculos  tuos  tamquam  dies  hesterna'  (Ps  89,  4)  meditierte.  Diese  Erzählung 
findet  sich  schon  bei  französischen  Predigern  des  13.  Jahrhunderts.  Vgl.  Lecoy  p.  299 
und  Paul  Meyer  in  ,Romania*,  2.  Folge  V  473,  wo  eine  ähnliche  Erzählung  aus 
den  französischen  Predigten  des  Maurice  de  Sully  mitgeteilt  wird. 

K.   Der  Teufel. 

1.  lulianus  Apostata   sandte   einen  Teufel   nach   dem  Okzident 

mit   dem    Befehle   zu    eilen   und    ihm    die    gewünschte  Nachricht   zu 

bringen.     Der  Teufel   kam   zur  Wohnung   eines  Mönches   und  mußte 

zehn  Tage  dort  stehen;   er   vermochte   nicht  weiter  zu  gehen;    denn 

der   Mönch   betete   unaufhörlich.     Der  Teufel    kehrte    darum    unver- 

richteter  Sache  zurück.     Befragt  über  den  Grund  sagte  er:    ,Moram 

feci    et   sine   effectu    redii   propter   quendam   monachum  nihil  agens.' 

(Dom.  V  post  Pascha  Bl.  75\) 

Aus  Vitae  Patrum  VII  2  (Migne,  P.  L.  LXXIII  1003).  Der  Mönch  hieß 
Publius. 

2.  Ein  Teufel  in  Menschengestalt  zeigte  einem  Eremiten  an, 
daß  morgen  ein  Teufel  in  Gestalt  seines  eigenen  Vaters   zu  ihm  mit 


140  ^^^-  ^^^  Predigten  des  Greculus. 

einem  Beile  kommen  werde,  um  ihn  zu  verführen.    Er  solle  mit  dem 

Beile  den  Teufel  totschlagen.    Der  einfältige  Eremit  glaubt  das.    Als 

am  nächsten  Tage  sein  Vater  ihn  besucht,  hält  er  ihn  für  den  Teufel 

und  tötet  ihn.     (In  ascens.  Domini  Bl.  76'^.) 

Aus  Vitae  Patrum  VII  4  u.  37  (xMigne,  P.  L.  CXXIII  1022);  auch  bei  Jakob 
von  Vitry  (Crane  n.  76,  p.  34). 

3*.  Der  Teufel  in  Gestalt  eines  Engels  rät  einem  Mönch,  er 
solle  sieben  Tage  fasten;  er  werde  bald  sterben  und  dann  direkt  in 
den  Himmel  kommen.  Glücklicherweise  hielt  der  Abt  den  Mönch  ab, 
diesem  Rate  zu  folgen.     (Sermo  2  in  die  Cinerum  Bl.  35".) 

4*.  ,Legitur  quod  quidam  sacerdos  interrogauit  dyabolum  in 
quodam  obsesso,  quare  tantum  insideret  homini.  Qui  respondit: 
„Propter  inuidiam."'     (Dom.  II  post  Pascha  Bl.  67''.) 

5.  (Diabolus)  ,dixit  ad  beatum  Antonium :   „Antoni,  si  tu  uigilas, 

ego  nunquam  dormio;   si  ieiunas,    ego   nunquam   comedo;   si   diuicias 

contempnis,    ego   nunquam   terrena   possideo;    unum   est,    quod  ualde 

metuerem,  uidelicet  humilitas  tua."'     (Dom.  III  in  Quadrag.  Bl.  42\) 

Steht  in  Vitae  Patrum  V  14  (Migne,  P.  L.  LXXIII  959),  aber  nicht  von 
Antonius,  sondern  von  Makarius ;  von  letzterem  erzählt  dies  auch  Peregrinus  Dom. 
VIII  post  octav.  Pentec. 

L.  Böser  Tod. 

1*.  ,Erat  quidam  uir  perpetrator  multorum  malorum  et  nunquam 

confitebatur   cogitans,    quod    sibi   adhuc   sufficiens    tempus    contitendi 

superesset,    dum    uellet    mori.     Tandem    infirmatus   et   uenit   ad  eum 

confessarius    et   monuit   eum,    ut   doleret   de   peccatis  et  confiteretur 

cui  infirmus:   „lustus  est  Dominus  et  omnia  opera  eins;  ecce  dum  con- 

fiteri  potui,  contempsi  misericordie  diuine  terminum  ponens.    Dyabolus 

enim  ex  permissione  dei  stat  mihi  supra  pectus ;  et  cum  aliquid  dicere 

cogito  pertinens  ad  salutem  meam,  statim  stringit  mihi  Collum ;  omnia 

me  loqui  permittit  preterquam  saluti  mee  anime  necessaria."    Et  sie 

exspirauit.    Ecce  quomodo  dyabolus  facit  hominem  mutum  sc.  pecca- 

torem.'     (Dom.  XII  post  Pentec.  Bl.  114'^) 

Als  Quelle  ist  angegeben  Scolastica  Historia;  darin  ist  das  ,exemplum'  nicht 
zu  finden. 

2.  Ein  reicher  Geizhals  kommt  zum  Sterben.  Er  sieht  neben 
sich  ,nigerrimos  uiros'  stehen,  die  ihn  zur  Hölle  schleppen  wollen. 
Er  ruft  seinen  Sohn   und   andere   zu  Hilfe;    angstvoll   wälzt  er  sich 


Der  Teufel.     Böser  Tod.  141 

hin  und  her;    er   bittet   um  Ausstand  bis  zum  Morgen;   umsonst;    er 
stirbt,  und  die  Dämonen  fahren  mit  seiner  Seele  zur  Hölle. 

Aus  Gregors  Dialog.  1.  4,  c.  39  (Migne  P.  L.  LXXVII  392). 

3.  Ein  reicher  .oppressor  pauperum',  der  seine  Buße  verschoben 
hatte,  kommt  zum  Tode.  Dämonen  wollen  ihn  packen;  da  ruft  er: 
, Domine,  adiuua  nie!'  Die  Dämonen  verlachen  ihn;  jetzt  sei  es  zu 
spät,  höhnen  sie  und  schleppen  ihn  zur  Hölle.  (In  die  Cinerum  1 
Bl.  M'\) 

Nach  dem  Speculum  exempl.  II  202  soll  die  Erzählung  aus  den  Vitae  Patrum 
stammen,  wo  ich  sie  indessen  nicht  gefunden  habe. 

4.  Ein  Mann   fastete   vor   den   Menschen,   aß  aber  tüchtig 

im   geheimen.     Auf  dem  Totenbette   gestand  er  seine  Heuchelei  und 

fügte    seiner  Beichte   hinzu:    ,et   nunc    datus    sum    demoni    ad   man- 

ducandum,  qui  canda  sua  genua  mea  et  pedes  meos  colligauit  caput- 

que   suum   super   os  meum  mittens  spiritum  meum  extrahit.     Quibus 

dictis  exspirauit.'     (In  die  Cinerum  2  Bl.  35^) 

Papst  Gregor  erzählt  Dialog.  1.  4,  c.  38  (Migne,  P.  L.  LXXVII  393)  diesen  Vor- 
fall ,referente  Athanasio  Isauriae  presbytero'.  Danach  war  der  Sterbende  ein  Mönch 
eines  Klosters,  welches  ,tu)v  FaXärw'/  hieß.  Im  Speculum  exemplorum  I  68,  wo 
diese  Erzählung  auch  steht,  ist  der  Name  in  ,congalaton'  verunstaltet. 

5.  Ein  Trinker  verkauft  einem  andern  Trinker  seine  Seele 
gegen  Wein.  In  Gestalt  eines  Kaufmanns  erscheint  der  Teufel.  Der- 
selbe kauft  dem  Käufer  die  Seele  ab  und  fährt,  nachdem  sie  weiter 
gezecht  hatten,  mit  dem  Trinker  ab.  (Dom,  III  in  Quadrag.  Bl.  41'^; 
auch  Dom.  VIII  post  Pentec.  Bl.  104^) 

Aus  Thomas  Cantimp.  II  56,  n.  2,  p.  536;  daraus  auch  im  Speculum 
exemplorum  V  126.  In  dem  Liber  miraculorum  des  Clm  5128,  dist.  II  59  Bl.  26"* 
erscheint  die  Erzählung  reicher  ausgeschmückt:  Mehrere  ,bibuli'  unterhalten  sich 
in  der  Schenke  über  verschiedene  Dinge,  unter  anderem  auch  ,de  futura  vita'. 
iEiner  von  den  Trinkern  ruft  aus :  ,Omnes  decipimur  a  clericis.'  Die  andern  stimmen 
zu  und  lachen.  Da  tritt  ein  neuer  Gast  ein,  ein  großer,  kräftiger  Mann.  Er  setzt 
sich  zu  den  Trinkern  und  mischt  sich  in  die  Unterhaltung.  Man  spricht  von 
der  Seele.  Ein  Trinker  bietet  sie  zum  Verkauf  aus.  Der  Gast  kauft  sie,  zahlt 
den  Preis,  der  vertrunken  wird.  Als  man  aufbricht,  spricht  der  Gast:  ,Decernite 
iudicium,  antequam  separemur.  Numquid  qui  equum  emeret,  capistrum  (Halfter) 
eins  simul  acciperet?  Utique  inquiunt.'  Sofort  packt  der  Teufel  —  das  war  der 
Gast  —  den  Verkäufer  seiner  Seele  und  fährt  mit  ihm  zur  Hölle. 

6.  Ein  Dieb  hatte  einen  Pakt  mit  dem  Teufel,  gemäß  welchem 
der  letztere  ihm  versprach,  daß  ihm  alles  glücken  und  daß  er  nie 
gehängt  werden  würde.    Der  Dieb  wurde  gefangen;  der  Teufel  sagte 


142  ^^I-  -^^^  Predigten  des  Greculus. 

ihm:  Fürchte  dich  nicht;  man  wird  keinen  Strick  finden;  gib  dann 
Geld,  so  kommst  du  frei.  Er  tat  so;  aber  siehe,  als  er  Geld  aus 
der  Tasche  nehmen  wollte,  zog  er  statt  des  Geldes  einen  Strick 
heraus  und  wurde  gehängt.     (Dom.  VI  post  Pentec.  Bl.  100*.) 

Auch  bei  Peregrinus  Dom.  VI  post  Octav.  Pentec. 

31.  Die  Hölle  1. 

1.  ,Sic  strinxit  [diabolus]  cuidam  [collum],  de  quo  legitur.  Quem 
cum  hortaretur  uxor,  ut  confiteretur,  respondit,  quod  non  posset  facere 
penitenciam.  Cui  uxor:  „Et  quomodo  poteris  facere  penitenciam  in 
inferno?"  Cuiille:  „Putatis,  quod  infernum  sit?  Nequaquam,  sacerdotes 
sie  inuenerunt  propter  lucrum  suum  et  ut  timeantur."  Que  cum  nihil 
proficeret,  dimisit  eum  in  pace.  Quadam  nocte  cum  in  strato  suo 
quiesceret,  uenerunt  demones  et  rapuerunt  eum  de  lecto  et  ad  in- 
fernum portauerunt.  Mane  autem  surgens  uxor  corpus  uiri  inuenit 
mortuum  et  denigratum  totum  et  inuenit  in  manu  eins  literam:  „lam 
certificatus  sum,  quod  infernus  est  et  pudor  quem  habui  ad  confiten- 
dum  et  timor  ad  penitendum  deportauerunt  me  ad  eternam  penitenciam 
inferni."'     (Dom.  XVI  post  Pentec.  Bl.  123.) 

Steht  auch  bei  Peregrinus  in  dem  Sermo  zu  demselben  Sonntage  und  im 
Speculum  exemplorum  IX  88. 

2.  .Legitur,  quod  quidam  erat  miles  potentissimus,  qui 
habebat  multas  possessiones  et  hereditates.  Iste  uixit  nimis  deliciose 
et  non  erat  ei  cura  de  aliquo  nisi  ut  corpori  suo  bene  faciat.  Erat  enim 
nimis  luxuriosus.  Contigit  autem  quadam  nocte  cum  dormiret, 
quod  dormiendo  multitudo  demonum  ueniret  cum  magno  strepitu; 
rugientes  ut  leones  extraxerunt  animam  illius  militis  et  proiecerunt 
eam  sicut  pilam  inter  se  unus  ad  alterum  et  catenatam  duxerunt 
eam  ad  infernum.  lila  autem  anima  nesciebat  ubi  esset,  quia  im- 
prouise  et  fortuito  rapta  fuit  de  corpore.  Et  cum  rapta  esset,  dixerunt 
demones  ad  inuicem :  porrigetur  ei  sedes  ac  cussinus  ^  aureus,  ut  sedeat, 
quia  homo  nobilis  est.  Portata  fuit  ei  sedes  ardens  cum  pico  et 
sulphure.  „Sede  hie  ut  potemus  te  poculis  amarissimis. "  Cumque 
potassent  eum  exclamauit  clamore  magno  dicens:   „Maledictus  sit  pater 


'  Das  Fegfeuer  schildert  Greculus  im  Sermo  3  Dom.  XXII  post  Pentec. 
Bl.  134''  nach  dem  Berichte  des  Papstes  Gregor,  Dialog.  I.  4,  c.  36  (Migne, 
P.  L.  LXXVII  384).  2  Kissen,  Polster. 


Die  Höllenqualen.  143 

meus  et  mater  mea,  de  quibus  conceptus  sum."  Statim  tulerunt 
dyaboli  cyphum  ardentem,  in  quo  erat  pix  et  sulphur  fetidissimum  et 
dabant  ei  bibere.  Cum  uero  nollet  bibere,  tulerunt  incudem  et  cum 
malleis  ipsum  cedebant.  Et  cum  cederetur  clamauit  uoce  magna  dicens : 
„Ve  mihi,  quare  natus  sumi"  Iterum  acceperunt  eum  demones  et 
posuerunt  eum  in  lectum,  in  quo  erant  ardentes  [prune]  et  fetor  in- 
tolerabilis  et  dixerunt  ad  eum:  „Hie  requiesce's  in  eternum  et  nun- 
quam  erit  tui  memoria  in  eternum  sc.  ante  deum."  Statimque  anima 
illa  clamauit:  „Ve  mihi,  quia  unquam  deum  offendi!  Ve  mihi,  quia 
nunquam  liberabor!"'     (Dom.  XVI  post  Pentec.  Bl.  123.) 

Eine  ähnliche  Erzählung  steht  bei  Thomas  C  a  n  t  i  m  p.  II  49  p.  445 ;  hier 
schaut  die  Frau  eines  Ritters  die  Qualen  ihres  verstorbenen  Mannes  in  der  H&lle; 
die  Qualen  sind  der  Ritterausrüstung  und  den  Lebensgewohnheiten  des  Ritters  an- 
gepafst.     (Vgl.  auch  Speculum  exemplorum  V  101.) 

3.  ,Exemplum  legitur  quod  quidam  nobilis  [erat]  magnus  op- 
pressor  pauperum  id  est  amator  mundi.  Hie  nobilis  mandauit  pro- 
curatori  facere  conuiuium  et  sibi  omnia  necessaria  a  suis  pauperibus 
ordinari.  Hie  cum  in  eadem  nocte  in  stratu  suo  quiesceret,  rapitur  ca- 
merarius  qui  iacebat  ante  cameram  in  uisione  dei,  ubi  accusabatur  do- 
minus de  Omnibus  que  gesserat,  pro  quibus  receperat  sentenciam  eterne 
dampnacionis.  Et  cum  esset  in  magno  strepitu,  de  momento  ductus  est 
ante  Luciferum,  dixitque  demon,  qui  fuerat  ei  deputatus:  „Ecce  adduxi 
ad  te  comitem,  ut  reddas  ei  premium  pro  fideli  seruicio,  quod  tibi  ser- 
uiuit."  Et  ait  Lucifer:  „Adducite  eum  ad  me."  Qui  cum  ductus  fuisset 
ad  eum:  „Non  tibi  sit  pax  in  eternum!"  Et  dixit:  „Consueuit  balneari; 
adducite  eum  ad  me  et  bene  erunt  sibi  preparata."  Et  ecce  adductus 
in  balneum  infernale  et  dilaniatus  est  unguibus  demonum,  alii  ignem 
super  eum  fundentes.  Et  ductus  est  et  positus  in  lecto  infernali,  qui 
plenus  erat  uermibus.  Dixit  Lucifer:  „Date  ei  bibere  de  calice  ire 
dei."  Et  propinatus  est  ei  ignis  et  sulphur.  Qui  cum  clamaret  quod 
sufficeret,  dixit  Lucifer:  „Audite!  Consueuit  dulces  symphonias;  sur- 
gite,  symphonizate  ei!"  Et  ecce  duo  demones  surrexerunt  cum  tubis 
igneis  et  ecce  ignem  in  eum  sie  sufflantes,  ut  de  ore,  de  naribus,  de 
auribus  exierunt.  Et  ait  Lucifer:  „Adducite  eum  ad  me!"  Et  adducto 
ait:  „Cantasti  canciones;  canta  mihi  unam!"  Dixit:  „Quid  cantabo,  nisi 
quod  maledictus  sit  illa  dies  in  qua  natus  sum."  Et  Lucifer:  „Canta 
mihi  meliorem!"    Et  ille:   „Maledictus  sit  deus  qui  me  nasci  permisit." 


144  ^11-  ^^^  Predigten  des  Greculus. 

Et  ait  Lucifer:  „Hoc  est  quod  uolui;  modo  ducite  eum  in  sedem 
quam  meruit."  Qui  dum  ductus  fuisset  ad  unum  puteum,  proiectus 
est  et  factus  est  talis  strepitus  ac  si  totus  mundus  caderet.  Ad  quem 
strepitum  euigüatus  eamerarius  cucurrit  ad  cameram  suam  et  dominum 
mortuum  inuenit.  Qui  omnia  narrauit  post  ordinem  et  ordinem  Cyster- 
ciensium  intrauit  et  ibidem  feliciter  finiuit.'  (Sermo  1  Dom.  V  post 
Epiph.  Bl.  25.) 

,Tercia  cena  est  infernalis;  et  [ab]  illa  liberet  nos  deus.  lila 
cena  est  miserabilis.  In  illa  cena  datur  tibi  panis  durissimus,  qui 
nunquam  potest  digeri  sc.  mors  eterna.  Sicut  enim  herba  de  pasca  ^ 
iterum  crescit,  sie  et  mors  dampnatorum  ....  In  illa  cena  dabitur 
uinum  rubeum  sc.  fei  draconum,  item  uinum  album  id  est  venenum  ser- 
pentum.  Eya,  qualis  miser  potus  erit  in  illa  cena.  Dabuntur  tibi 
carnes  lixe,  que  erunt  in  aqua.  Comedunt  enim  miseri  pre  dolore 
linguas  suas,  que  assantur  in  inferno  eternaliter.  Item  dabuntur  tibi 
carnes  asse,  quia  comedunt  proprias  carnes  suas,  que  assantur  igne 
infernali  in  eternum.  Resonabunt  tibi  ibi  instrumenta  sicut  in  conuiuiis 
mos  est.    Primum  est  Stridor  dencium,  secundum  est  ululatus  demonum, 

tercium  est  planctus  omnium  dampnatorum Post  cenam  solent  iacere 

in  lecto ;  sie  post  illam  cenam  poneris  in  lectum  igneum  et  sternentur 
subtus  te  uermes  et  tinee  qui  corrodent  corpus  tuum  sine  intermissione. 
Pete  ergo  Dominum,  ut  ab  illa  cena  te  custodiat.'  (Sermo  2  Dom.  II 
post  Pentec.  Bl.  89' ^) 

,Diabolus  habet  fornacem,  in  quo  suos  fabricat;   que  suc- 

censa  est  napta,  stuppa,   pice,   malleolis.     Napta  fex  olei,  que  magis 

ignem  accendit.     Est  superbia,  que  accendit  ignem  luxurie.     Stuppa, 

que   cito   accenditur   et   cito   deficit;   sunt  hü  qui  in  tribulatione  cito 

deficiunt  et  deum  blasphemant.     Pix,  que  nigra  exterius  est  et  alios 

maculat^:   sunt   qui   alios   per  malum  exemplum  inficiunt.     Malleoli^ 

sarmenta   sunt   uitis:   qui  excisi  a  caritate  deficiunt.     In  hoc  fornace 

est  ignis  uidelicet  ad  consumacionem  deuorans.'  (Sermo  2  die  s.  Laurentii 

S.  Bl.  75.) 

Zu  vergleichen  sind  die  ähnlichen,  aber  bei  weitem  nicht  so  drastischen 
Schilderungen  bei  Cäsarius,  Dial.  dist.  XII  2  14  20  23;  II  316  326  330—332  und 


^  Maßliebchen ,  globularia  vulgaris ,  früher  auch  ,paschanthemum'  genannt 
(Tabernacmon  tanus,  Kräuterbuch,  Basel  1687,  709),  heute  noch  französisch 
,päquerette,  fieur  de  päques'.  ^  Hs:  ,inacuIor'.  ^  Dürres  Weinholz. 


Die  Höllenqualen.     Quellen  der  Exempla.     Hilfsmittel.  145 

die  Beschreibungen  der  Höllenqualen  im  Speculum  exemplorum  IX  85  206  207;  X  19. 
Man  liebte  es,  die  Höllenqualen  standesgemäß  auszumalen,  wie  Nr  2  und  3 
zeigen.  Im  Lacteus  liquor  des  Clm  5128  dist.  II  58  Bl.  26  werden  in  ähnlicher 
Weise  die  Qualen  eines  Reichen  geschildert:  Er  erhielt  einen  Sessel  und  einen 
Mantel,  ,ut  ille  m  uiuis  consueuerat' ;  aber  der  Sessel  ist  glühend  und  der  Mantel 
brennend;  der  glühende  Becher,  den  man  ihm  reicht,  ist  mit  kochendem  Schmutz 
angefüllt;  statt  der  ,ioculatores'  unterhalten  ihn  die  Klänge  zweier  Trompeten,  aus 
welchen  feurige  Funken  in  seine  Augen  geblasen  werden;  in  der  feurigen  Schlaf- 
kammer erwarten  ihn  Schlangen,  die  ihn  peinigen.  Der  Freund  des  Pariser  Ma- 
gisters Serlo  erschien  als  Verdammter  in  einem  feurigen  Pergamentmantel,  welcher 
innen  und  außen  mit  Trugschlüssen  beschrieben  war.  Vgl.  Crane  n.  31  p.  12 
und  Schönbach,  Die  Reuner  Relationen  27. 

Die  Auswahl,  welche  Greculus  bei  der  Aufnahme  von  exempla 
in  seine  Predigten  getroffen  hat,  bekundet  durchweg  den  ernsten, 
die  sittliche  Besserung  der  Zuhörer  erstrebenden  Willen  der  Predigers. 
Freilich  finden  sich  manche  darunter,  die  ungesunden  religiösen  Nei- 
gungen und  einer  gefährlichen  Wundersucht  Vorschub  leisten,  wie 
die  Erzählungen  von  der  Erscheinung  des  Jesusknaben.  Die  Teufels- 
geschichten entsprechen  dem  Geschmacke  jener  Zeit  ebenso  wie  die 
Höllenschilderungen,  in  welchen  die  Prediger  um  den  Vorrang  in  der 
Beschreibung  des  Grausigen  zu  ringen  scheinen. 

Man  darf  nicht  annehmen,  daß  Greculus  alle  seine  exempla  aus 
den  ersten  Quellen  entnahm.  Er  wird  die  Sammlungen  benutzt  haben, 
die  auch  in  Deutschland  in  Nachahmung  der  Franzosen  zusammen- 
gestellt wurden.  Wir  haben  bereits  oben  davon  gesprochen  und  in 
dem  Verzeichnis  der  exempla  die  Quellen  derselben  namhaft  gemacht, 
soweit  es  uns  möglich'  war.  Hier  fügen  wir  noch  hinzu,  daß  dem 
Greculus  schon  die  Gesta  Romanorum  bekannt  waren.  Darin  stehen 
die  Stücke  G.  2  3  6  10.  Ist  das  richtig,  so  würde  man  die  Ent- 
stehung der  Gesta  Romanorum  weit  über  das  Jahr  1342,  aus  welchem 
die    älteste    bekannte   Handschrift    stammt  ^ ,    zurückdatieren    dürfen. 

Die  Untersuchungen  über  die  Hilfsmittel,  welche  für  die 
mittelalterlichen  Predigtwerke  benutzt  wurden,  ist  mit  großen  Schwierig- 
keiten verbunden.  Wertvolle  und  bahnbrechende  Arbeit  hat  Schön- 
bach'^  für  die  älteren  deutschen  Prediger  geleistet.    Für  die  lateini- 


^  Gesta  Romanorum  750.  Unsere  Annahme  von  der  Benutzung  der  Gesta 
durch  Greculus  wird  bestärkt  durch  die  Entdeckung  einer  datierten  Hs  der  ersteren 
vom  Jahre  1317.     Vgl.  Wissenschaftl.  Beilage  der  Allgem.  Zeitung  1906,  397. 

2  Altdeutsche  Predigten.     3  Bde. 

Franz,  Drei  deutsche  Minoritenprediger.  10 


l^ß  III.  Die  Predigten  des  Greculus. 

sehen  Predigtsammlungen  des  13.  und  14.  Jahrhunderts  ist  bislang 
nur  sehr  wenig  geschehen.  Die  reiche  lateinische  Predigtliteratur 
dieser  Zeit  ruht  noch  zum  größten  Teile  fast  unbekannt  in  den  Hand- 
schriftenschätzen der  Bibliotheken  und  harrt  auf  eine  kritisch  sich- 
tende Hand.  Solange  diese  Literatur  nicht  durchforscht  ist,  wird 
man  bei  der  Untersuchung  über  die  Quellen  der  späteren  Predigt- 
sammlungen zu  einer  sichern  Feststellung  nur  selten  kommen  können ; 
man  wird  sich  vielmehr  oft  mit  wahrscheinlichen  Ergebnissen  begnügen 
müssen.  Denn  auch  die  zweifellos  nachgewiesenen  Übereinstimmungen 
unter  zwei  Autoren  lassen  immer  noch  die  Möglichkeit  offen,  daß 
beide  eine  gemeinsame  ältere  Quelle  benutzt  haben.  Diesen  Vorbehalt 
müssen  wir  auch  für  die  nachfolgenden  Untersuchungen  in  Anspruch 
nehmen. 

Mit  Bertold  von  Regensburg  hat  Greculus  die  reiche  Benutzung 
von  Allegorien  aus  dem  Gebiete  der  Natur  gemein.  Dafür 
boten  der  Physiologus  und  ältere  Prediger  eine  Fülle  von  Material. 
Die  Eigenschaften  des  Wolfes  werden  auf  den  Teufel  und  dessen 
menschliche  Werkzeuge  angewandt  i.  Wenn  der  Adler  seine  Jungen 
fliegen  lehrt,  legt  er  auf  die  Höhe  über  dem  Neste  rotes  Fleisch  2; 
so  hat  Christus  sein  Fleisch  und  seine  Wunden  in  den  Himmel  ge- 
tragen, um  uns  zum  Fluge  gen  Himmel  anzureizen.  In  dem  Sermo  3 
am  8.  Sonntag  nach  Pfingsten^  zieht  er  Vergleiche  zwischen  ver- 
schiedenen Bäumen  und  den  Sündern.  Die  unfruchtbaren  Weiden 
(salices)  sind  die  Trägen  (otiosi),  die  Linde  (tilia),  die'  nur  Blätter 
trägt,  bedeutet  die  Menschen,  welche  Worte  machen  und  ohne  Werke 
sind ;  ,legitur  quod  lupus  inuenit  figellam  et  cum  bene  sonaret  exterius, 
putabat  se  aliquid  interius  inuenire  et  cum  nihil  inueniret  dixit:  bonum 
sonum  habes  sed  parum  de  pinguedine.'  Die  stechenden  Blätter  des 
luniperus  sind  die  detractores;  die  stinkenden  des  Sambucus  die 
luxuriosi;  gewisse  Bäume  am  Toten  Meere  tragen  äußerlich  schöne 
Früchte,  die  inwendig  schlecht  sind:  das  sind  die  Heuchler.  In  der 
Predigt  am  3.  Sonntag  in  Quadragesima  erzählt  er  die  Fabeln  von 
dem  Vogel  Galandrius,  der  den  Tod  oder  die  Genesung  der  Kranken 
anzeigt*.     Die  Beispiele  ließen  sich  leicht  vermehren. 


•  Bl.  67'.  2  Bi    78/b_  3  Bi    iqö. 

*  Bl.  41.    Gemeint  ist  Caraderas,  ^apddptog;  vgl.  Laudiert  7  232;  Peters  68. 


Hilfsmittel:  Physiologus.     Frater  Konrad.     Bertold.  147 

Eine  Benutzung  des  Frater  Konrad  durch  Greculus  läßt  sich 
an  einzelnen  Stücken  nachweisen  i.  Sie  erstreckt  sich  auf  die  Dis- 
position wie  auf  die  Durchführung  derselben.  Jedoch  ist  sie  so  spo- 
radisch, daß  man  von  einer  Abhängigkeit  des  Greculus  von  Frater 
Konrad  kaum  reden  kann.  Deutlicher  tritt  die  Benutzung  der  Predigten 
Bertolds  vonRegensburgin  die  Augen,  dessen  Sermones  Rusticani 
sicherlich  am  Beginn  des  14.  Jahrhunderts  in  den  Minoriten-Kon- 
venten  fleißig  gelesen  wurden.  Der  Sermo  in  coena  Dominik  ist  in 
seiner  Disposition  dem  Sermo  34  im  Rusticanus  de  Dominicis^  Ber- 
tolds gleich.  Die  coena  heißt  , magna'  1.  propter  instituentem  et 
preparantem,  2.  propter  fidem  magnam  hominis,  quam  oportet  habere 
in  hoc  sacramento,  3.  propter  multiplicem  effectum.  Dieselben  Punkte 
behandelt  Bertold,  freilich  viel  freier  und  eindringlicher,  während 
die  Ausführung  im  Greculus  einfacher  und  schulgemäßer  ist. 

Ein  anderer  lehrreicher  Beleg  für  die  Benutzung  Bertolds 
im  Greculus  findet  sich  im  2.  Sermo  Dominica  III  post  Pente- 
costen*.  Hier  wird  Bertolds  Sermo  Dominica  X  post  Pentecosten^ 
sachlich  und  oft  wörtlich  benutzt.  Bertold  führt  acht  Klassen  von 
poenitentes  auf,  von  welchen  sieben  verworfen  werden,  während  nur 
die  achte  selig  wird.  Er  findet  das  vorgebildet  in  den  acht  Söhnen 
Isais  (1  Kg  16,  1 — 14),  von  welchen  nur  der  jüngste,  David,  zum 
König  auserkoren  wird.  Bertold  führt  nun  die  Söhne  der  Reihe 
nach  vor  und  kennzeichnet  unter  allegorischer  Deutung  ihrer  Namen 
die  Klasse  der  Büßer,  welche  sie  repräsentieren  sollen.  Im  Greculus 
steht  nur  ein  Auszug  aus  dem  längeren  Eingang  bei  Bertold;  von 
der  Wiedergabe  der  langen  biblischen  Erzählung  wird  abgesehen. 
Greculus  begnügt  sich,  die  acht  Klassen  der  Büßer  nach  Bertold  mit 
kleinen  Abweichungen  im  Wortlaut  anzuführen  und  kurz  zu  be- 
schreiben: 1.  superbi,  2.  non  agentes  poenitentiam  et  discedentes 
(differentes),  3.  diffidentes  ^,  4.  ypocrite,  5.  non  stantes,  iterum  cadentes, 
6.  qui  tantum  in  ore  poenitent,  non  in  opere,  7.  qui  bene  faciunt  et 


^  Zu  vergleichen  sind :  Greculus  Sermo  3  Dom.  infra  octav.  Epiph.  mit  Konrad 
Sermo  4  an  demselben  Tage ;  Greculus  Sermo  3  in  die  Cinerum  mit  Konrad  Sermo  4 
an  demselben  Tage ;  Greculus  Sermo  1  Dom.  I  Quadrag.  mit  Konrad  Sermo  1  an 
demselben  Sonntage;  Greculus  Sermo  2  Dom.  I  post  Pascha  mit  Konrad  Sermo  1 
an  demselben  Sonntage. 

2  Bl.  50.  3  cLinc.  4  Bl.  99.  *  Bl.  91'^ 

^  Rustic.  de  Domin.  CLinc.  4  Bl.  123'.  ^  Bertold:  ,ficte  penitentie.' 

10* 


148  I^I-  ^^^  Predigten  des  Greculus. 

cum  aliquibus  malis  miscent  ^,  8.  quorum  poenitentia  placuit  deo.  Die  Aus- 
führungen Bertolds  sind  viel  reicher,  während  sie  im  Greculus  der  ganzen 
Anlage  nach  kurz  zusammengefaßt  werden.  Die  Warnung  Bertolds  an 
die  Prediger,  in  dieser  Materie  vorsichtig  zu  sein,  um  die  Menschen  nicht 
zur  Verzweiflung  zu  bringen,  wird  im  Greculus  nicht  berücksichtigt. 

Am  Beginn  des  Zyklus  de  tempore  macht  sich  eine  oft  wörtliche 
Übereinstimmung  mit  den  Sermones  des  Jakobus  deVoragine 
de  tempore  bemerklich.  Jakobus  starb  1298  als  Erzbischof  von  Genua. 
Seine  Sermones  de  tempore  und  de  Sanctis,  sowie  sein  Quadragesimale^ 
erfreuten  sich  der  raschesten  und  weitesten  Verbreitung.  Sie  bieten 
ungemein  reichen  Stoff.  Für  jeden  Sonntag  hat  Jakobus  drei  Pre- 
digten aufgenommen. 

Im  1.  Sermo  zum  1.  Adventsonntag  hat  Greculus  nicht  bloß 
den  Eingang  aus  Jakobus  (2.  Sermo  zum  1.  Adventsonntag)  unter 
Veränderung  des  Wortes  ,principem'  in  ,amicum'  übernommen,  sondern 
auch  aus  der  reichhaltigeren  Disposition  desselben  drei  Punkte  aus- 
gewählt und  inhaltlich  wie  Jakobus  behandelt.  Das  gleiche  gilt  von 
dem  1.  und  2.  Sermo  zum  3.  Adventsonntag  des  Greculus,  für  welche 
die  am  gleichen  Sonntag  stehenden  Sermones  1  und  3  stark  benutzt 
sind.  Im  weiteren  Verlaufe  wird  die  Benutzung  des  Jakobus  seltener 
und  verschwindet  etwa  von  den  Quadragesimalpredigten  ab  vollständig. 

Noch  auffallender  ist  die  Übereinstimmung  des  Greculus  mit 
Peregrinus  de  tempore.  Wer  der  Verfasser  der  Sermones  Peregrini 
war  und  wann  derselbe  gelebt  hat,  ist  noch  nicht  festgestellt.  Denn 
die  traditionelle  Angabe,  daß  Peregrinus  Provinzial  der  polnischen 
Dominikaner-Ordensprovinz  war  und  am  Ausgang  des  13.  Jahrhunderts 
in  Breslau  gelebt  hat^,  stammt  doch  nur  aus  den  unbeglaubigten 
Vermerken  der  ersten  Druckausgaben  ^.  Cruel  will  eine  nicht  näher 
bezeichnete  Leipziger  Handschrift  kennen,  die  vom  Jahre  1305  datiert 
ist.  Da  in  Peregrinus  die  Legenda  aurea  des  Jakobus  de  Voragine 
benutzt  ist,  würde  man  die  Entstehung  der  Predigten  in  die  Wende  des 
13.  und  14.  Jahrhunderts  setzen  können.  Auf  dieselbe  Zeit  muß  man 
auch  schließen,  wenn  sich  die  Benutzung  des  Peregrinus  im  Greculus 


^  Bertold:    ,qui    quedam   bona   faciunt,   nee  tarnen  peccata  mortalia  deserimt.'       1 

2  Vgl.  Copingern2,  6523—6556. 

3  Vgl.  Cruel  3336  und  Linsenmayer  372. 
*  Vgl.  Rose,  Die  lat.  Hss  der  Kgl.  Hibliothek  zu  Berlin  II,  Berlin  1901,  525. 


Hilfsmittel:  Jakobus  de  Voragine.     Peregrinus.  149 

nachweisen  läßt.  Denn  der  letztere  entstammt  den  ersten  Dezennien 
des  14.  Jahrhunderts,  wie  oben  gezeigt  wurde. 

Wir  finden  im  Greculus  Predigten,  die  in  den  Eingängen  fast 
gleich  mit  Peregrinus  sind.  Auch  in  den  Dispositionen  bemerken  wir 
wiederholt  Übereinstimmungen;  die  Ausführungen  weichen  freilich 
vielfach  voneinander  ab  ^  Dazu  kommt,  daß  sich  in  den  bei  beiden 
stehenden  Allegorien  und  exempla  wiederholt  Übereinstimmungen  fest- 
stellen lassen  2.  Die  Frage,  wer  der  Benutzer  ist,  kann  kaum  zweifel- 
haft sein.  Greculus  hat  sich  des  Peregrinus  als  Vorlage  in  einer 
Anzahl  von  Predigten  bedient.  Er  kürzt  dabei  dieselbe  ab  und  be- 
gnügt sich  hie  und  da  selbst  mit  einer  bloßen  Inhaltsangabe  seiner 
Vorlage.  Aus  dem  zwischen  Peregrinus  und  Greculus  obwaltenden, 
von  uns  festgestellten  Verhältnisse  ergibt  sich,  daß  die  Entstehungs- 
zeit des  ersteren  spätestens  in  die  Wende  des  13.  und  14.  Jahr- 
hunderts gelegt  werden  muß,  daß  demnach  die  traditionelle  Annahme 
bezüglich  der  Zeit  wenigstens  ihre  Berechtigung  hat. 

Die  von  uns  nachgewiesenen  Entlehnungen  aus  andern  Predigt- 
werken lassen  annehmen,  daß  die  Arbeit  des  Greculus  zum  Teil  eine 
kompilatorische  war.  Er  entnahm  seinen  Vorlagen,  was  ihm 
brauchbar  dünkte,  kürzte  ab  oder  erweiterte  die  Gedanken,  die  er 
vorfand.  Der  größere  Teil  seiner  Arbeit  aber  wird  als  sein  Eigentum 
zu  betrachten  sein,  wenn  man  überhaupt  bei  den  minder  begabten 
mittelalterlichen  Predigern  von  einem  geistigen  Eigentum  reden  darf. 
Denn   die   große  Mehrzahl   lebte  von  Reproduktion  und  Kompilation. 

In  Clm  5852  Bl.  285—309  steht  ein  Zyklus  von  Predigten  über 
die  sonntäglichen  Lektionen,  an  dessen  Schlüsse  vermerkt  wird: 
,Explicit  Greculus  de  tempore  super  epistolas.'  Es  sind  50  Predigten 
über  die  Sonntagslektionen;  zwei  fehlen  —  die  für  den  24.  Sonntag 
nach  Pfingsten  und  den  6.  Sonntag  nach  Epiphanie.  Die  Predigten 
sind  fast  durchweg  thematisch  und  ähneln  in  der  Behandlungs weise 
den  Sermones  Greculi  de  tempore.  Übereinstimmungen  im  Wortlaut 
zwischen  beiden  sind  selbst  da  nicht  zu  finden,  wo  das  gleiche  Thema, 


^  Vgl.  Peregrinus  Dom.  IV  VI  VII  post  Pentec.  mit  Greculus  zu  den- 
selben Sonntagen  Bl.  93^  99^  102. 

2  Vgl.  Peregrinus  Dom.  II  post  Epiph.  und  Greculus  Bl.  22*;  s.  oben 
G.  3  10;  L.  7;  M.  1. 


150  m*  ^^^  Predigten  des  Greculus. 

wie  z.  B.  am  4.  Adventsonntag,  behandelt  wird.  Ob  beide  den  gleichen 
Verfasser  haben,  läßt  sich  schwer  entscheiden. 

Clm  5852  ist  erst  im  15.  Jahrhundert  geschrieben;  aber  die 
Epistelpredigten  sind  älter;  sie  sind  schon  benutzt  im  CLP  639, 
welcher  der  Mitte  des  14.  Jahrhunderts  angehört^.  In  dieser  Perga- 
menthandschrift steht  Bl.  77 — 90'  ein  Zyklus  von  Epistelpredigten, 
von  welchen  ein  großer  Teil  entweder  ganz  oder  doch  in  der  Dis- 
position mit  den  Predigten  des  Greculus  super  epistolas  übereinstimmt. 
Im  CLP  639  zählt  der  Zyklus  55  Predigten,  im  Clm  nur  50.  Im 
ganzen  konnten  wir  die  mehr  oder  minder  genaue  inhaltliche  und 
teilweise  wörtliche  Übereinstimmung  an  26  Predigten  feststellen.  Die 
Epistelpredigten  müßten  sonach  in  der  ersten  Hälfte  des  14.  Jahr- 
hunderts abgefaßt  sein.  Dieses  Ergebnis  würde  die  Identität  des 
Verfassers  des  Greculus  de  tempore  und  des  Verfassers  des  Greculus 
super  epistolas  nahe  legen. 

Dieser  Identität  widerspricht  indessen  eine  schwerwiegende  sach- 
liche Divergenz.  In  der  Frage  der  Suffragien  für  die  Verdammten 
nimmt  der  Greculus  super  epistolas  eine  von  dem  Greculus  de  tempore 
abweichende  Haltung  ein.  Während  im  letzteren  ^  schlechtweg  erklärt 
wird:  ,Animabus  que  sunt  in  inferno  [deus]  nunquam  miserebitur', 
huldigt  Greculus  super  epistolas  ^  der  Ansicht  mancher  mittelalter- 
lichen Theologen  •^,  welche  den  Suffragien  für  die  Verdammten  Wirk- 
samkeit zuschreiben:  ,Nota  quod  illis  in  inferno  prosunt  suffragia  non 
tamen  ad  liberacionem,  sed  ad  penarum  mitigacionem,  quia  licet  in 
inferno  nulla  est  redempcio  et  tamen  ibi  est  penarum  mitigacio,  quia 
misericordia  dei  est  in  regno  et  in  inferno.  In  inferno  uero  sie,  quod 
punit  eos  minus,  quam  meruerunt.'  Auffallend  ist  auch  im  Greculus 
de  epistolis  das  Fehlen  der  exempla,  während  im  Greculus  de  tempore 
diese  in  reicher  Fülle  vorhanden  sind. 

Die  Sprache  des  Verfassers  der  Epistelpredigten  ist  zuweilen 
lebhaft.  In  der  Predigt  am  4.  Sonntag  nach  Ostern  (Bl.  294')  schildert 
er  in  Form  eines  Zwiegespräches  zwischen  Jesus  und  sich  selbst  die 
Schrecken  der  Hölle,  die  ,dona  diaboli' :  ,Dona  diaboli  sunt  tormenta 
infernales,  quae  sunt  numero  neuem: 


'  S.  oben  S.  51.  ^  Sermo  2  Dom.  VII  post  Pentec.  Bl.  102'i'. 

«  Clm  5852  Bl.  303^  *  Vgl.  Franz  227. 


Greculus  super  epistolas.     Kirchenbesuch.     Haustus  s.  Bernardi.  151 

Flamma,  gelu,  uermes,  fetor,  caligo,  flagellum, 
Demonis  aspectus,  scelerum  confusio,  nexus.' 

...  ,0  bone  lesu  et  misericors  Domine,  si  eos  tuo  sanguine 
redemisti  cur  ipsis  non  misereris?  Respondet  Dominus,  quod  solum- 
modo  christianitatis  nomen  habuerunt,  sed  iustitiam  postposuerunt. 
Et  cur  tantam  sustinent  flammam?  Quia  igne  luxurie  inflammati 
erant,  a  caritate  dei  eradicati.  Cur  roduntur  uermibus^?  Quia  proxi- 
mos  ore  iniquo  et  lingua  dolosa  diffamauerunt.  Cur  fetorem^?  Quia 
computruerunt  in  peccatis  ut  iumenta  in  stercore  suo.  Cur  tenebras? 
Quia  lucem  eternam  neglexerunt.  Cur  flagellum?  Quia  pauperes 
incendiis,  rapinis,  iniusta  coaccione  oppresserunt.  Cur  aspectum  de- 
monis? Quia  faciem  concupiscenciarum  intuiti  sunt.  Cur  confusionem 
scelerum?  Quia  peccata  sua  confiteri  erubuerunt.  Cur  nexus?  Quia 
singula  membra  singulis  peccatis  nexa  erant.' 

Im  Nachfolgenden  lassen  wir  eine  Anzahl  Stellen  aus  den  Predigten 
des  Greculus  folgen,  bei  deren  Auswahl  wir  Stücke  von  kultur-  und 
religionsgeschichtlicher  Bedeutung  bevorzugten. 

1.  (Lässigkeit  im  Gottesdienste.)  Sermo  1  Dom.  XIV  post 
Pentecosten  Bl.  117':  Die  lepra  spiritualis  nimmt  den  Menschen  die 
Stimme,  damit  sie  nicht  beten,  blendet  die  Augen,  damit  sie  das  Gute 
nicht  sehen,  lähmt  die  Füsse,  damit  sie  nicht  in  die  Kirche  gehen, 
,aufert  pedes  ne  possint  ire  ad  missas,  predicaciones.  Tunc  ille  [sacerdos] 
nimis  multum  loquitur  in  sermone,  alius  loquitur  per  nasum,  alius 
nimis  longam  habet  missam.  Audi:  si  modo  non  uis  audire  missam, 
audies  in  futuro  missam  infernalem,  que  nunquam  habet  finem.'  — 
Sermo  2  Dom.  Septuagesimae  Bl.  30*:  ,Multi  sunt  qui  habent  tedium 
de  bono  sc.  de  longa  missa  et  hü  in  taberna  non  habent  tedium, 
quando  clamant,  ludunt  tota  die  cum  nocte.' 

2.  (Haustus  s.  Bernardi.)  Sermo  1  Dom.  I  post  Epiphaniam 
Bl.  19''':  Christus  ging,  wenn  er  Jerusalem  besuchte,  stets  zuerst 
in  den  Tempel.  ,Sed  heu !  Aliqui  prius  currunt  ad  tabernas  antequam 
[ad]  ecclesiam,  bibunt  haustum  sancti  Bernardi^  a  mane  usque 

^  Hs:  , uermes'.  ^  g^^  sustinent. 

^  Haustus  oder  amor  s.  Bernardi ;  man  trank  sich  zu  Ehren  des  Heiligen  zu, 
ähnlich  wie  bei  dem  gebräuchlicheren  amor  s.  Johannis.  Man  kann  daraus  schließen, 
daß  der  Prediger  in  einer  Gegend  gelebt  hat,  in  welcher  der  hl.  Bernhard  besonders 
geehrt  wurde,  in  der  Nähe  eines  Cistercienserklosters. 


152  ^^^-  ^^®  Predigten  des  Greculus. 

ad  uesperam.     Tales  caueant,   ne  contingat  eis  sicut  contigit  cuidam 
ciui'  etc.  ^ 

3.  (Wallfahrten.)  Sermo  3  Dom.  II  Quadrag.  BL  40'^  ,Si 
essemus  ante  infernum  et  clamaremus  ad  dampnatos:  „Vos  dampnati! 
estne  aliquis  inter  uos,  qui  fuerit  Rome?"  Responderent  mille  anime : 
„Nos  fuimus  Rome  et  tarnen  dampnate  sumus!"  Similiter  ad  sanctum 
lacobum.  Sed  si  diceremus:  „Est  aliquis  inter  uos,  qui  bene  sit  con- 
fessus?"  Respondent:  „Non."'  S.  Bl.  53:  ..  .,nec  Petrus  nee  lohannes 
nee  beata  Maria  nee  sanctorum  aliquis  liberabit  filium  talem  nee  filiam 
nee  prece  nee  precio  (nisi  conuersi  fuerint).  Audiant  hoc,  qui  ad 
limina  sancti  Petri  uel  aliorum  sanctorum  uadunt  uel  ecclesiis  eorum 
seruiunt  nee  tamen  a  peccatis  desistunt.' 

4.  (Osterfreude.)  In  die  Paschae  2  Sermo  Bl.  58:  ,Gaudere 
debemus  non  in  uanitatibus,  sicut  multi  faciunt,  quia  propter  hoc 
hodie  gaudent,  quod  pisa  euaserunt  et  comedunt  carnes  et  mouent 
insolencias  in  plateis  currendo,  percuciendo.'  ^ 

5.  (Menschenmord.)  Sermo  1  Dom.  V  post  Epiph.  Bl.  27'*: 
,Homicidium,  quod  eheu!  tam  commune  est  iam,  quod  pro  uno  uerbo 
et  per  quosdam  gratis  committitur ;  tantum  reputant  hominem  tanquam 
bestiam.  Quondam  intra  mille  annos  non  fuerunt  nisi  tres  uiri  occisi 
sc.  Cayn  occidit  Abel,  fratrem  suum,  et  Lamech,  duos  in  duabus  mil- 
libus  annorum^.  Modo  heu!  ita  commune,  quod  mater  occidit  puerum 
suum.  Ve  quibusdam  mulieribus  que  occidunt  pueros  suos,  ut  liberius 
uacent  libidini;  non  unum  occidit,  sed  omnem  progeniem,  que  ab  illo 
nasci  posset;  tam  magnum  est,  quod  clamat  in  celum.' 

6.  (Vetulae  et  incantationes.)  Sermo  3  Dom.  II  post  Pascha 
Bl.  67'^:  Die  4.  Klasse  von  Wölfen  sind  ,uetule  et  omnes  qui  dant 
prauum  consilium.  .  . .  Tales  enim  uetule  sunt  prophetisse  dyaboli 
et  lupo  comparantur,  quia  simulant  vocem  pastoris;  accedunt  et  lo- 
cuntur  sub  specie  pietatis,  ut  sie  alii  decipiantur.  .  .  .  Habent  enim 
morsum   venenosum   ut  lupus;    mordent   enim   per  praua  consilia  ita 


^  Folgt  das  ,Exemplum',  welches  oben  unter  G.  10  S.  136  mitgeteilt  ist. 

-  Diese  Stelle  bezeugt  das  Herumziehen  junger  Leute  auf  der  Straße ,  das 
Schlagen  mit  geflochtenen  Ruten,  wie  es  bis  in  die  jüngste  Zeit  üblich  war.  Vgl. 
Schönbach,  Bertold  zur  Volkskunde  110. 

^  Gn  4,  8  23.  Die  Auffassung  des  Predigers  von  der  angeblichen  Schonung 
der  Menschenleben  im  A.  T.  ist  naiv. 


Wallfahrten.   Osterfreude.  Mord.    Beschwörungen.  Wegweiser.   Schauspieler.       153 

ut  multi  moriantur  corpore  et  anima'.  Sermo  2  in  Dom.  XXI  post  Pentec. 
Bl.  131:  ,Euangelium  istud  commendat  nobis  regulum  istum,  qui  spem 
suam  non  posuit  in  medicis  terrenis  nee  incantacionibus  uetularum, 
quod  multi  modo  faciunt,  sed  posuit  in  celesti   medico,  sc.  Christo.'^ 

7.  (Wegweiser.)  Sermo  1  Dom.  VI  post  Pentec.  Bl.  98'^^:  ,Multi 
sunt  quasi  acerui  lapidum  et  sicut  nodi  uirgarum,  qui  uiatoribus  uiam 
ostendunt  et  nunquam  ad  terminum  laborant.'  In  dem  (Pseudo-)  Greculus 
de  epistolis  Bl.  307^  steht:  Jnsuper  diuersa  signa  secus  uiam  posita 
faciunt  homines  errare.  Sic  latrones  sepe  solent  cruces  facere  et  aceruos 
lapidum  secus  uiam  ponere,  ut  homines  ea  sequentes  interficiant.'  ^ 

8.  (Schauspieler  und  Gastmähler.)  In  Ascensione  Sermo  2 
Bl.  74*':  ,Quarti  petunt  et  obtinent  per  adulacionem,  sicut  sunt  hystriones 
et  ioculatores,  qui  dicunt  militibus:  pater  uester  probus  et  largus 
fuit,  quod  omni  anno  dedit  nobis  bonam  uestem;  sie  et  uos  debetis 
facere,  tunc  crescit  laus  uestra.'  Sermo  2  Dom.  II  post  Pentec.  Bl.  89: 
, Voca  pauperes  .  .  .  sed  multi  faciunt  contrarium ,  non  solum  [non] 
uocant  eos,  sed  si  ueniunt  reiciunt  eos  et  introducunt  seruos  et  membra 
diaboli  sc.  hystriones  et  ribaldos,  qui  exercent  ludos  diabolicos  coram 
eis;  talibus  dant  equos  et  uestes  preciosas  et  pauperi  qui  est  mem- 
brum  Christi  denegant  frustum  panis ....  non  faciunt  sicut  antiqui 
leguntur  fecisse.  Antiqui  tantum  semel  in  die  comedebant  et  illud 
appellabant  cenam  et  in  communi  loco  comedebant,  non  claudebant 
se  in  altis  domibus,  non  ponebant  ianitores  sicut  modo.  Sic  comedebant 
cum  disciplina,  non  loquebantur  turpia  uerba;  ostendebant  in  hoc 
liberalitatem  suam,  quod  peregrinos,  bonos  et  iustos  homines  invitabant, 
non  fures  nee  raptores,  sicut  quidam  modo  faciunt.'^ 

9.  (Soldaten.)  Sermones  in  feste  s.  Georii  S.  Bl.  36 — 38: 
[Georius]  ,agonizabat  usque  ad  mortem  pro  iusticia,  non  sicut  milites 
nostri  temporis,  predones  pauperum,  subversores  ecclesiarum,  iusticiam 
subuertentes,  sicut  dicitur  Is  1,  23:  „Principes  tui  infideles,  socii  furum; 


^  Besegnung  und  Besprechungen  wurden  meist  von  alten  Frauen  gewerbs- 
mäßig geübt ;  daher  die  vielfachen  Warnungen  vor  den  ,uetulae  incantatrices'  in 
Predigten  und  Traktaten.     Vgl.  Schönbach,    Bertold   zur    Volkskunde  24  131  ff. 

^  Vgl.  Schönbach  a.  a.  0.  118  und  Miszellen  147.  Die  Stelle  aus  Greculus 
bestätigt  die  von  Bertold  erwähnte  Sitte. 

^  Vgl.  Schönbach  a.  a.  0.  56  ff  und  meine  Abhandlung  über  das  Buch  des 
Minoriten  Rudolfus :  De  officio  cherubyn,  in  der  Tübinger  Theol.  Quartalschrift 
LXXXVIII  416  ff. 


154  I^^I-  I^iß  Predigten  des  Greculus. 

omnes  diligunt  munera".  .  ..  Milites  quidem  hoc  fecerunt,  non  solum 
circa  Christi  passionem,  sed  heu  multi  hodie  mala  faciunt.  Is  34,  4: 
„Omnis  milicia  eorum  defluet"  sc.  in  infernum  „sicut  folium  de  uinea." 
Non  enim  residet  in  equis  albis  innocencie  et  castitatis,  sed  in  equis 
inmundicie  et  ferocitatis  ....  Sed  heu !  milites  huius  seculi  nee  dei 
gloriam  nee  bonum  proximi  querunt,  sed  destruccionem  ecclesiarum 
et  pauperum  uiduarum  et  orphanorum;  sicut  dicitur  lo  19,  24:  „Et 
milites  quidem  hoc  fecerunt."  Ipsorum  enim  superbia,  luxuria,  gula 
et  auaricia  tamquam  quatuor  bestie,  quas  uidit  Daniel  ascendens  de 
mari,  Dn  7,  3.  Sic  isti  ascendunt  de  mari  huius  mundi.  Primo 
quasi  leena,  habens  alas  quatuor  aquile,  que  est  eorum  superbia .... 
Quatuor  ale  sunt  IUI  species  superbie;  unde  uersus:  .,Ac  se  pro  meritis 
falso  plus  Omnibus  inflat."  ^  Secunda  bestia  fuit  ursus  per  quem  no- 
tatur  luxuria ;  ursus  enim  mel  et  asininas  ^  nimis  diligit ;  sie  ipsorum 
carnalis  uoluptas  delectaciones  querit  impudicicie  et  animas  multarum 
mulierum  persecuntur  pertrahentes  ad  mortem  eternam.  Tercia  bestia 
est  pardus,  pictus  diuersis  coloribus;  hec  est  gula,  que  diversa  et 
exquisita  querit  fercula  ....  Quarta  bestia  terribilis  nimis  et  fortis 
est,  crudelis  rapacitas,  quam  exercent  sine  misericordia  contra  maiores 
et  minores,  pauperes  et  diuites,  nulli  parcentes,  ut  possint  explere 
libidinem  superbie,  gule  et  luxurie  .  . .  .'^ 

10.  (Wucherer.)  Sermo  2  Dom.  IV  post  Pentec.  Bl.  71'":  ,Est 
autem  usurarius  sicut  bursa  inueterata  et  perforata,  que  ad  ultimum 
proicitur  in  sterquilinium.  Similiter  usurarius  nihil  aliud  est  nisi 
bursa  numorum  suorum,  pre  duricia  usure  perforatur  in  anima  sua; 
postquam  nummi  ceciderunt  in  manus  domini  sui  uel  uxoris  uel  pue- 
rorum  suorum,  tunc  proicitur  in  sterquilinium  inferni.  Unde  in  uanum 
cantatur  pro  anima  usuraria  „  Requiem  eternam "  *.  Potest  diabolus  sibi 
respondere :  tu  oras  sibi  requiem  eternam,  sed  ipse  uendidit  animam, 
ergo  nunquam  habebit.'  ^  (Folgt  die  Erzählung  vom  Barbier  und  vom 
Wucherer;  siehe  oben  C.  4  S.  129.) 

11.  (Almosen  von  ungerechtem  Gute.)  Sermo  3  Dom.  lY 
post  Pentecosten  Bl.  95:    ,Unde   quidam,    quando   pauperes   spoliant, 


*  Woher  der  Vers  stammt,  ist  nicht  zu  ermitteln.    ,Ac'  korrigiert  aus  ,A'  der  Hs. 
2  Eine  Art  süßer  Pflaumen. 

^  Zum  Ganzen  vgl.  die  Schilderungen  des  Frater  Ludovicus  oben  S.  87  91. 

*  Vgl.  Bertold,  Deutsche  Predigten  I  137.  ^  S.  oben  S.  84  100. 


Soldaten.     Wucherer.     Der  Teufel.  155 

credunt  per  oblaciones  suas  placere  deo,  dant  elemosinas  Predicatoribus, 
Minoribus  etc.  et  sperant  se  per  hoc  saluari.'  ^  Sermo  1  Dom.  I  post 
Pentecosten  Bl.  87':  ,Sunt  et  quidam,  qui  faciunt  elemosinam  claustrali- 
bus  de  male  acquisitis,  sperant  se  per  hoc  saluare  et  decepti  sunt. 
Unde  legitur  3  Rg  17,  16,  quod  coruus  Helyam  pauit  uespere  et 
mane  panem  et  carnes  afferendo.  Per  Helyam  claustrales  intelli- 
guntur,  per  coruum  auari  diuites,  qui  quandoque  pascunt  claustrales. 
Quodsi  coruus  Helye  putridas  carnes  obtulisset,  certe  non  recepisset. 
Si  homo  furto  uel  usura  pecuniam  acquisitam  claustralibus  offerat, 
non  debent  eam  recipere.' 

12.  (Der  Teufel.)  Sermo  2  Dom.  III  Quadragesimae  Bl.  41'^ 
,Nota  quod  demones  habent  sua  officia  inter  se  ualde  ordinata  et  in 
malum  hominum.  Est  enim  unus  demon,  qui  preest  superbie  id  est 
Lucifer  .  .  .  Iste  habet  satellites,  qui  ipsum  iuuant;  nam  ipse  est 
rex  super  omnes,  super  omnes  dico  demones.  Alter  uocatus  As- 
m  0  d  e  u  s ,  et  iste  preest  luxurie  .  .  .  iste  odit  legitimum  matrimonium 
et  iste  habet  satellites  multos,  qui  multis  modis  fornicantur  et  adulter- 
antur-.  Tercius  uocatur  Mammon  et  iste  preest  auaricie.  Quartus 
preest  inmundis  cogitacionibus  et  rancoribus   et  uocatur  Beizebub.' 

Sermo  2  Dom.  XVIII  post  Pentecosten  Bl.  126'^^:  ,Ille  magister 
[diabolus]  habet  discipulos  multos  in  scolis :  reges  et  principes,  milites 
et  barones,  uiros  et  mulieres,  seruos  et  dominos,  literatos  et  illiteratos. 
Et  quare  habet  tot  scolares?  Quia  dat  eis  modo  ad  breue  tempus 
libertatem.  Sed  ultimo  pellet  eos  in  scolam  suam  et  claudet  eam  in 
eternum.  Iste  magister  non  percutit  modo  scolares  suos  et  ideo  habet 
multos;  si  enim  percuteret,  cauerent  sibi  et  ideo  non  intrarent  scolas 
suas;  modo  dimittit  eis  uoluntatem  suam  et  non  corrigit  excessus 
eorum.  Sicut  enim  magistri  nostri  temporis  faciunt,  qui  quandoque 
dissimulant  excessus  puerorum  ad  tempus  et  postea  resumunt,  sie  iste 
magister  modo  dissimulat  excessus  puerorum  ad  tempus  et  postea 
resumit  et  affliget  eos  in  eternum.  Iste  magister  docet  suos  disci- 
pulos furari ,  mentiri,  occidere,  adulterari,  fornicari  etc.  Et  qui- 
cunque  affirmat  sc.  lectionem  suam  et  seruat  eam,  oportet  quod  det 
sibi  pastucum^  duobus  nummis   sc.  cum  corpore  et  anima.     Eya  ora 


1  Vgl.  Bertold  a.  a.  0.  2  g    oben  S.  82. 

^  Pastucum  =  pastum   oder   pastus ,    Honorar ,    weder   bei  Ducange   noch   bei 
Diefenbach. 


156  I^I-  ^^^  Predigten  des  Greculus. 

Dominum,  ut  noii  discas  lectionem  huius  magistri.  Iste  magister  ita 
subtilis  est,  quod  legit  unicuique  quod  libenter  audit.  Mercatoribus 
legit  librum  auaricie  et  fraudis.  luuenibus  legit  librum  luxurie  et 
fornicacionis ;  mulieribus  aliquibus  legit  librum  superbie  qua  sollicitant 
uiros  suos  de  uestibus  suis  preciosis  pulchris ;  illam  lectionem  retinent 
alique  mulieres  usque  ad  mortem  suam.  Senibus  legitur  sie:  Senex 
es  et  laborare  non  potes;  tene  quod  habes.  Et  sie  omnes  scolares 
sui  decipiuntur  per  ipsum  et  dampnantur.' 

13.  (Wie  der  Teufel  ausgetrieben  wird.)  Sermo 2  Dom. III 
Quadragesimae  Bl.  42:  ,Sciendum  quod  dyabolus  uocatur  serpens 
Gn  3,  1.  Serpens  autem  naturalis  expellitur  per  quatuor.  1.  Per 
odorem  uinee  florentis.  Serpens  enim  naturaliter  odorem  uinee  fugit; 
quando  quamdiu  sunt  uinee  florentes  uix  aut  nunquam  serpens  in- 
uenitur.  2.  Per  Sputum  ieiuni  hominis.  Dicit  enim  Ambrosius  ^,  quod 
tanta  est  uis  sputi  ieiuni  hominis,  quod  si  serpens  gustaverit,  statim 
moriatur.  3.  Expellitur  per  nudacionem  hominis.  Dicitur  enim  in 
scolastica  hystoria^,  quod  serpens  in  hominem  uestitum  insilit,  nudum 
uero  fugit.  Et  racio  assignatur  ibidem:  quando  deus  posuit  inimi- 
cicias  inter  hominem  et  serpentem  et  semen  eins,  tunc  homo  nudus 
erat  et  ideo  hominem  nudum  tamquam  inimicum  suum  fugit.  4.  Ex- 
pellitur per  carmina  incantatricis.  Quando  enim  incantari  se  senciunt^ 
unam  aurem  in  terram  figit,  ne  audiat,  aliam  cauda  tegit.  Per 
ista  quatuor  spiritualiter  intellecta  quatuor  demones  expelluntur  .  .  . 
Lucifer  per  odorem  uinee  florentis  id  est  ueram  humilitatem  .  .  . 
Asmodeus  expellitur  per  Sputum  ieiuni  hominis  uidelicet  per  macera- 
cionem  carnis  .  .  .  Mammon  expellitur  per  denudacionem  id  est  tem- 
poralium  abieecionem  et  elemosinarum  largicionem  .  .  .  Beizebub,  eicitur 
per  uerba  incantatoris  et  predicatoris,  qui  expellit  diabolum  per  predi- 
cacionem  et  doctrinam  et  oracionem  sanctam.' 


^  Hexaemeron  1.  6,  c,  4  (Migne,  P.  L.  XIV  252):  Jeiuni  hominis  Sputum, 
si  serpens  gustauerit,  moritur.  Vides  quanta  uis  ieiunii  sit,  ut  et  sputo  suo  homo 
terrenum  serpentem  interficiat,  et  merito  spiritalem.' 

^Petri  Comestoris  Historia  scholastica,  über  Genesis,  c.  23  (Migne, 
P.  L.  CXCVIII  1074)  :  ,Sicut  enim  venenum  serpentis  hominem,  sie  Sputum  hominis 
ieiuni  perimit  serpentem.  Et  quia  adhuc  (Adam  et  Eva)  nudi  erant,  serpens  modo 
hominem  timet  nudum  et  fugit  et  in  uestitum  insilit.'  Vgl.  auch  Lauche rt  15 
242;  Peters  80. 

^  Hs:  ,solent*. 


Wie  der  Teufel  ausgetrieben  wird.     Schlußurteil  über  die  Predigten.      157 

Die  Predigt  des  Greculus  ist  die  seit  der  Mitte  des  18.  Jahr- 
hunderts in  Deutschland  übliche  scholastisch  angelegte  Spruchpredigt, 
deren  sich  auch  Konrad  von  Sachsen  und  Frater  Ludovicus  bedienten. 
Ein  Vergleich  des  Greculus  mit  den  genannten  Ordensgenossen  läßt 
aber  tiefgreifende  Unterschiede  in  der  Ausführung  der  Themata  er- 
kennen. Frater  Konrad  sucht  sein  Thema  theologisch  zu  vertiefen 
und  verwendet  dafür  ein  reiches  Material  aus  der  Schrift,  den  Vätern 
und  aus  der  asketischen  Literatur.  Bei  Greculus  ist  die  theologische 
Begründung  im  allgemeinen  dürftig.  Seiner  Predigtweise  gebricht 
auch  meist  das  fruchtbare  Eingehen  auf  die  Fehler  und  Bedürfnisse 
der  einzelnen  Stände,  wie  wir  das  bei  dem  Frater  Ludovicus  rüh- 
mend hervorheben  konnten.  Hin  und  wieder  bemerken  wir  freilich 
Ansätze  dazu,  besonders  in  den  Heiligenpredigten,  im  allgemeinen 
jedoch  entbehren  die  Predigten  des  individuellen  Gepräges,  welches 
die  Predigten  Bertolds  und  seines  Schülers  so  anziehend  macht.  Diese 
Mängel  können  durch  die  Einfügung  zahlreicher  exempla  nicht  wett- 
gemacht werden.  Denn  die  letzteren  vermögen  weder  die  theologische 
Begründung  der  religiösen  Wahrheiten  zu  ergänzen,  noch  die  lebens- 
warme und  zu  Herzen  gehende  Anwendung  der  letzteren  auf  die  ver- 
schiedenen Klassen  der  Zuhörer  zu  ersetzen. 

Wenn  nun  auch  die  Predigten  des  Greculus  im  Vergleich  zu  den 
Leistungen  seiner  beiden  von  uns  behandelten  Ordensgenossen  einen 
unverkennbaren  Rückgang  bekunden,  so  bieten  sie  doch  noch  viel 
Lehrreiches  und  Ansprechendes.  Darum  galten  sie  als  ein  willkommenes 
Hilfsmittel  für  die  Prediger.  Sie  lieferten  allerdings  keine  Muster- 
predigten, die  wortwörtlich  zu  verwenden  waren,  wohl  aber  genügenden 
Stoff  in  knapper  Form  und  eine  Fülle  frommer,  dem  ungelehrten 
Prediger  willkommener  Erzählungen.  Man  wird  sie  den  Predigten 
des  Peregrinus  gleichwertig  zur  Seite  stellen  können.  Während  die 
letzteren  durch  den  Buchdruck  weithin  bekannt  wurden,  ruhte  die 
Arbeit  des  Greculus  bislang  unbekannt  und  ungeschätzt  im  Schatten 
der  Bibliotheken. 


Eegister  der  zitierten  Handschriften. 

Die  beschriebenen  und  exzerpierten  Handschriften  sind  durch  fettgedruckte  Ziffern  angezeigt. 


CBg  20  35 

36     109  111. 

Clm  16026     10  16. 

CFl  XI  289 

107  ff. 

16055     123. 

342 

107  ff. 

23385     13  16. 

CGraec.  730    13  52  113  129  131. 

26  958     10  16  38. 

CLb  130    108  112  137. 

CLP  496     84  85  92  93  94. 

190     13  16  20. 

498     93  94  101. 

CLinc.  4     67  71   147. 

639     50  51. 

—  Cc  IV  22    108. 

719    49  ff  137. 

Clm    2699 

32  86  93. 

723     17. 

2709 

10  16. 

CPlg.  220     10. 

2946 

13  16  21  30  35  38  41. 

CPrag.  A  16     111. 

2950 

94  101. 

—  Vi  D.  3     111. 

4778 

16. 

CScot  52     109. 

5128 

123  130  133  135  141. 

CSPH  26.  1.  27     13  16  18. 

5187 

21. 

27.  1.  20     13. 

I 

5582 

111. 

CVP  1347     10  16. 

5852 

51  149  ff. 

1645     107  109  112. 

!• 

7695 

13  16  21  38  41. 

1710    121. 

9 

7703 

123. 

Heiligenkreuzer  Hs  218     10 

b 

i 

7789 

10  14  21. 

Kopenhagener  Hs  218     20.. 

i 

7961 

69  93  94. 

Lilienfelder  Hs  95     123. 

8953 

11. 

Lüneburger  Hs  57     11. 

8967 

123. 

Osseger  Hs  34     109. 

1, 

12728 

10  11. 

Reuner  Hs  22     13. 

? 

14752 

121  136. 

Wilheringer  Hs  142     13. 

ii 

14817 

123  124. 

i 

Berichtigungen: 

S.  2  Anm.  1  Zeile  3  und  7  ist  zu  lesen :  Seppelt. 
S.  49  Anm.  1  Zeile  10  ist  zu  lesen:  celum. 
S.  112  Zeile  10  ist  zu  lesen:  mundicia. 


Personen-  und  Sachregister. 


Ablaß  38  39. 

Abusiones  saecularium  86. 

Adel  87  90  99. 

Adolf  von  Nassau  54  80. 

Ägypten,  Flucht  nach  126. 

Albertus  de  Prussia  113  114  130. 

Albrecht  von  Osterreich  54  80. 

Alexander  IV.,  Papst  50. 

—  von  Haies  63. 

Allegorien  aus  der  Natur  33  146. 
Alphabetum  narrationum  121. 
Altenzelle  17  18. 
Antichrist  70  ff. 
Antonius,  der  hl.  135  137. 

—  von   Padua,    dessen   Predigten   und 
Predigtweise  2 — 4. 

Arme  100  ff. 

Armut,  klösterliche  37  38. 
Arnald  von  Villanova  75. 
Augustinus,  der  hl.  63. 


Barmherzigkeit  127  ff. 
Bauern  88  90  92  99  ff. 
Beamte  102. 
Beicht  131   132. 
Benedikt,  der  hl.   128. 
Benefizienjagd  35  36. 
Bernadi  s.  Haustus  151. 
Bertold   von   Regensburg 

97  147. 
Beschwörungen  152. 


2    66  ff  71  ff 


Bethlehem  126. 
Betrug  im  Handel  39. 
Bonifaz  VÜI.,  Papst  54  80. 
Brunopolis  (Brunswick)   10. 
Bußpredigt  1  2. 

Clairvaux  136. 
Cölestin  IL,  Papst  54. 
Colonna  Jakob  und  Petrus  54. 
Compostela  83. 
Conradus  de  Nyzza  51. 


Bämonen  82  83. 

Dionysius  Areopagita  127. 

Dotierung  bei  dem  Eintritt  ins  Kloster 

84. 

Eheleute  93  94. 

Eremiten  135. 

Etienne  von  Besan9on  121. 

—  von  Bourbon  120  ff. 
Exempla  in  Predigten  121  ff  124. 

Feindesliebe  127. 
Frauen  92  100. 
Frosch,  Symbolik  24. 

Gresta  Romanorum  145. 
Glossa  ordinaria  24  58. 

Handwerker  89  90  92  100. 

Hasen  Paulus  51. 

Hilfsmittel  zur  Predigt  28  58  145  ff. 

Himmel  138  139. 

Hölle  142  ff  151. 

Honorius  IIL,  Papst  1. 

Hugo  de  Argentina  63. 

Humbert  von  Romans  120. 

Jakob  von  Vitry  120. 
Jakobus  de  Voragine  148. 
Joachim  von  Fiore  64  ff. 

Kaufleute  87  90  92  99. 

Ketzer  81  82. 

Kirche,  Schmuck  der  69. 

—  Verfolgungen  der  68. 
Kirchenbesuch  151. 

Klagen   über  Strenge    der  Prediger  84. 

Kleriker  35  91. 

Knoderer  Heinrich,  Erzbischof  von  Mainz 

50. 
Konsonanzen  26. 
Konstantin,  Kaiser  60. 


160 


Personen-  und  Sachregister. 


JLeprosen  128. 

Liber  miraculorum  (lacteus  liquor)  123. 

Literae  fraternitatis  84. 

Liturgie  in  der  Predigt  32  ff  94  ff. 

Ludovicus  Theutonicus  55. 

Maria  132  ff. 
Martin  V.,  Papst  49. 
Menschenmord  152. 
Messe  94  ff  136  151. 

l^eid  134. 

Nikolaus  von  Bibra  98. 

Oktavian  126. 

Ordensleute  21  34  37  89  90  92. 

Osterfreude  152. 

Otto  der  Große  55  60. 

—  von  Freising  64. 

Peregrinus  125  148. 

Perikopenordnung  19. 

Perioden  der  Geschichte  60  63—67. 

Pluralität  der  Seelsorgsbenefizien  35. 

Pomesanien,  Bistum  114. 

Predigt,  emblematische  24  25  116. 

—  homiletische  2. 

—  scholastische  2. 

Kaymundi  Summula  metrica  31  53. 

Riesenburg  114. 

Roger  Bacon  5. 

Rudolfus,  Minorit  51, 

Ruina  angelica  restauranda  23. 

Sakramentsfrevel  129  130. 
Salimbene,  Frater  65. 
Salomo  136. 
Schauspieler  153. 


Schrifterklärung  ,  allegorische ,  typolo- 
gische  27. 

Schriftkenntnis  27. 

Schulverse  29-32  59. 

Schwarzwälder  Prediger  40  ff. 

Schweidnitz  137. 

Schwerter  der  Verfolgung  und  Versu- 
chung 62  ff. 

Silvester,  Papst  60  62. 

Soldaten  87  90  91  153. 

Spruchpredigt,  thematische  22  26  55 
116. 

—  textuale  116. 
Strafsen,  die  sieben  58. 
Synodalreden  35  86. 

Teufel  134  139  140  155. 

—  als  Schlange  86. 

—  als  Spielmann  83  ff. 

—  wie  er  ausgetrieben  wird  156. 
Tod,  guter  137. 

—  böser  140  ff. 
Trier  83. 

Tur recrem  ata  Johannes  14. 
Typologie  27  97. 

Unbarmherzigkeit  129. 
Unbefleckte  Empfängnis  14  15. 
Unterwelt,  Fahrt  zur  127. 

Verfall  der  Kirche  60  ff. 
Veronikabild  126. 
Vision  Daniels  67. 

Wallfahrten  152. 
Wegweiser  153. 
Wolf  45. 
Wucherer  129  154  155. 

Zeiten,  die  sieben,  der  Welt  67. 


ßV  4208  .G3F75  130/ 
IMS 

Franz^  Adolph^ 

1842-1916. 
Drei  deutsche 

minoritenprediger  aus 
BBF-3675  (mcab) 


/Vj